Die Diskussionen um Fragen der sozialen Gerechtigkeit, neuer Formen des Wirtschaftens, von Bildungsstandards, den Stellenwert des Gesundheitssystems, der Zukunft internationaler Kooperation, Verantwortung und länderübergreifender Solidarität, Nachhaltigkeit und Wachstum werden aktuell so leidenschaftlich und teils mit harten Bandagen geführt, wie lange nicht mehr. Und gerade der Blick auf die makroskopische Situation und die darin erkennbare „Lagerbildung“ erinnert an Gramscis leicht pathetisches „Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster.“ Deren Ringen um die Zukunft gilt für alle Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens und betrifft damit ohne Frage auch das für die Prosperität Deutschlands essenzielle Innovationssystem. Wie bei allen aktuell ergriffenen und zukünftig zu ergreifenden Maßnahmen gilt auch für Bildung, Wissenschaft, Technik und Innovation, dass sich drei generelle Phasen definieren lassen.
Drei Phasen der Krise
In der ad hoc-Phase ging (und geht) es darum, Lösungen für akute Probleme zu finden, bei denen es nicht selten metaphorisch oder sprichwörtlich um Leben und Tod geht. Unter dem Eindruck der Krise und des Shutdowns wurden beispielsweise auf breiter Front Digitalisierungsfortschritte gemacht (Stichworte sind hier Home-Office, online-Lernen und -Events sowie neue Formen der Daseinsvorsorge), bei denen es zu prüfen gilt, welche es Wert sind, dauerhaft gesichert zu werden.
In der Recovery-Phase, die den (schrittweisen) Exit aus dem Shutdown umfasst, geht es darum, das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben unter geänderten Vorzeichen – Fortbestand von Hygienemaßnahmen und Abstandsregeln, Neuordnung von Lieferketten – wieder hochzufahren. In dieser Phase werden aktuell vielfältige Konjunkturmaßnahmen vorbereitet und auch schon ergriffen. Da hierbei systemkonservative Mechanismen aus der Zeit vor Corona und reformerische Modelle und Erfahrungen aus der ad hoc-Phase nebeneinander existieren, kommt es zu dem aktuell zu beobachtenden Ringen um die Zukunft.
Anknüpfend an die Recovery-Phase und verbunden mit der Erwartung, dass nicht alle Erfahrungen und auch Errungenschaften aus der ad hoc-Phase im weiteren Verlauf annulliert werden, kommt es in der Reformphase darauf an, eine weitergehende Neubestimmung für Gesellschaft und Wirtschaft vorzunehmen und basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen umzusetzen. Damit bietet sich auch die prinzipielle Chance, bestehende Mängel der bisherigen Systeme zu beheben.
Vor diesem Hintergrund ergibt sich die Frage, welche Lehren die innovierenden und die innovationspolitischen Akteure aus der Corona-Krise ziehen können? Eine erste und sehr erstaunliche Antwort hat die Zivilgesellschaft mit ihren Tech-affinen Communities gegeben, indem über 43.000 Menschen am von der Bundesregierung initiierten #WirVsVirus-Hackthon teilgenommen haben – der Beitrag von Adriana Groh in diesem Blog beschreibt dessen Dynamik. Auch wenn die bisherigen Outcomes in Form der ersten Projekte etwas erwartbar auf (Matching-) Plattformen und Apps hinauslaufen, darf die Kraft derartiger kooperativer Citizen Innovation (gleichsam als Weiterentwicklung der privaten Tüftler, Bastler und Erfinder) nicht unterschätzt werden. Das Herausbilden einer starken digitalen Öffentlichkeit wurde in den Niederlanden bereits in den Jahren 2002 bis 2010 mit dem Programm „Digital Pioneers“ gefördert. Vergleichsweise kleine Geldbeträge haben hier eine beachtliche Wirkung gezeigt, sodass es naheliegt, auch die für #WirVsVirus implementierten (Mentoring-, Coaching- und finanziellen) Unterstützungsleistungen in einem eigenen Programm für Citizen Innovation zu verstetigen.
50 Milliarden für die Zukunft
Mit Blick auf das Big Picture bezüglich Innovation und vielleicht auch der zukünftigen Innovationsfähigkeit klärt sich die Situation ebenfalls. In dem in der vergangenen Woche beschlossenen Konjunkturpaket „Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken“ zur Überwindung der Folgen der Corona-Krise in Höhe von 130 Milliarden Euro sind allein 50 Milliarden für ein Zukunftspaket vorgesehen. Erklärter Wille der Bundesregierung ist es danach “Deutschland schnell wieder auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu führen, der Arbeitsplätze und Wohlstand sichert. Dazu bedarf es nicht nur der Reaktion auf die Auswirkungen der Krise, sondern viel mehr eines aktiv gestalteten innovativen Modernisierungsschubs und der entschlossenen Beseitigung bestehender Defizite“ Unter anderem mit steuerlicher Forschungsförderung für die Entwicklung von Quantencomputing und Künstlicher Intelligenz. Auch die verstärkte Nutzung der Wasserstoffenergie und eine verbesserte Förderung von Elektrofahrzeugen sind Teil des Pakets.
Zum Vergleich: Die gesamten FuE-Aufwendungen von Staat und Wirtschaft zusammen betrugen im Jahr 2017 rund 100 Mrd. Euro. Auch wenn sich die Mittel des Konjunkturpakets nicht auf ein Jahr beziehen, sondern sich über mehrere verteilen, sind das deutliche Steigerungen in den einzelnen Schwerpunkten. Für die Förderung der Forschung zu und Entwicklung von künstlicher Intelligenz werden die Mittel bis zum Jahr 2025 von drei auf fünf Mrd. Euro aufgestockt. Und für die Entwicklung von Quantentechnologien werden ebenfalls zwei Mrd. Euro (ein Zeitrahmen ist hier nicht genannt) zusätzlich bereitgestellt. Die Bundesregierung will sich bei den Quantentechnologien mit Blick auf die wirtschaftliche Verwertung nicht (noch einmal – vgl. KI) die Butter vom Brot nehmen lassen und setzt daher auf Exzellenz plus Transfer inkl. Start-ups (die die Folgen der Corona-Krise hoffentlich überlebt haben). Ohne Frage: Die Erwartungen an die Quantentechnologien sind hoch, und die Dynamik in diesem Feld ist es ebenfalls.
Neue Ansätze nötig?
Wenn es um bahnbrechende Zukunftstechnologien geht, stellt sich die Frage, ob neue Aufgaben nicht auch neue Herangehensweisen erfordern: Welche Instrumente benötigt die Förderung von „Next Big Things“? Verschiedene Förderschemata der US-amerikanischen DARPA, die in gewisser Weise Pate für die deutsche SprinD-Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen stand, setzen hierbei auf ein einfaches Prinzip: Das Erreichen von Zwischenzielen. In einem fast schon klassischen Stage-Gate-Prozess werden (universitäre) Arbeitsgruppen dabei unterstützt, ihre ambitionierten aber gestuften Forschungsziele zu erreichen. Oftmals treten dabei mehrere Gruppen im Wettbewerb zueinander an. Erreicht eine Gruppe das ins Auge gefasste Zwischenziel, erhält sie von der DARPA Geld für die nächste Etappe – mit den Ansprüchen (und Risiken) steigt das Budget. Wird jeweils das nächste Zwischenziel erreicht, geht die Reise weiter, wenn nicht, endet die Förderung. Die Hoffnung dabei ist, dass zumindest eine Gruppe so weit kommt, dass sie „technologische Meilensteine“ erreicht. In ähnlicher Weise funktionieren vielfältige internationale Technologiewettbewerbe, und hierzulande sind wir zurecht stolz darauf, wenn sich etwa das Team der TU München hervorragend in Elon Musks Hyperloop-Wettbewerb schlägt.
Natürlich ist es allein schon wegen der Stellenplanlogik eine Herausforderung für Universitäten und öffentliche Forschungseinrichtungen, sich auf kompetitive und damit riskante Wettbewerbe einzulassen. In der üblichen Förderung findet der Wettbewerb auf Ebene der Antragstellung statt, nicht jedoch in der praktischen FuE. Aber die Chancen, dass aus einer derartigen Förderung – wäre eine parallele Förderung von zwei oder mehr Arbeitsgruppen zum selben Thema eigentlich mit der Bundeshaushaltsordnung vereinbar? – wirklich nutzbare Ergebnisse herauskommen, wäre einen Versuch wert. Dafür bedarf es keiner neuen Institutionen.
In jedem Fall sollten die Impulse, die mit dem jetzigen Konjunkturpaket gesetzt werden, mehr Ertrag bringen, als Projektberichte, die sinngemäß mit Sätzen wie „Auf dieser Grundlage müsste nun weitergeforscht werden“ enden, oder deren Ergebnisse irgendwo zwischen vorwettbewerblicher Anschauung und Markteintritt verhungern. Das Alles ist sicher auch eine Frage des Geldes, aber bei weitem nicht nur. Sprunginnovationen erfordern eben manchmal auch den Sprung ins kalte Wasser, und vielleicht tragen die in Corona-Zeiten gemachten vielfältigen Erfahrungen dazu bei, auch hier neue und flexible Strukturen auszuprobieren. Es muss ja nicht gleich eine Zeit der Monster werden.
(Der vorliegende Beitrag greift das Positionspapier „Welche Lehren kann die Innovationspolitik aus der Corona-Krise ziehen?“ der VDI/VDE-IT vom 24. April 2020 auf).
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