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Dr. Marc Bovenschulte
23. Oktober 2020

Wasserstoff II. – Wer hat die Fachleute für das grüne Öl ?

Für die Anwendung, Erforschung und Entwicklung von Wasserstoff besteht ein immenser Bedarf an zukünftigen Expert:innen. Doch das Thema Aus- und Weiterbildung im Wasserstoff-Know-How ist weltweit ein Randthema: Eine weitere Chance für Deutschland und Europa.

In ihrer im Juni 2020 veröffentlichten Wasserstoffstrategie geht die Bundesregierung davon aus, dass angesichts der drängenden Klimaproblematik die Nachfrage nach Wasserstoff mittel- bis langfristig steigen wird. Aufbauend auf Maßnahmen wie dem zurückliegenden Nationalen Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie und zukünftig mit zusätzlichen Mitteln aus dem Corona-Konjunkturpaket und beispielsweise den „Reallaboren der Energiewende“ werden folgerichtig erhebliche Anstrengungen unternommen, um praxis- und anwendungsnahe Technologien und -verfahren zu entwickeln, die auch außerhalb der bisherigen Pfade wie etwa den von Brennstoffzellen angetriebenen Fahrzeugen genutzt werden können.

Angesichts der Breite der Einsatzmöglichkeiten von Wasserstoff, die schon heute und somit in „traditionellen“ Anwendungskontexten von der chemischen Synthese, über die Nahrungsmittelindustrie und Metallerzeugung bis hin in die Elektronikindustrie reicht, ist mit einer begründeten Berechtigung zu erwarten, dass sich Wasserstofftechnologien in einer klimaneutralen Industrie zu einer Querschnittstechnologie vergleichbar der Digitalisierung entwickeln können. „Wasserstoff erfährt neben der direkten Nutzung in den verschiedenen Anwendungsgebieten durch seine hohe Speicher- und Transportierbarkeit auch eine zunehmende Bedeutung für die Systemintegration von erneuerbaren Energien.“ Aus Sicht der treibenden Klimaargumente kommt hierfür ausschließlich grüner und somit aus erneuerbaren Energien gewonnener Wasserstoff in Frage, wobei für einen industriellen, großskaligen Hochlauf für eine gewisse Übergangszeit vermutlich auch andere Quellen zum Einsatz kommen (müssen). Siehe dazu auch den vorangegangenen Blogbeitrag (Wasserstoff – Das grüne Öl für Europa?)

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Ähnlich wie in anderen transformativen technologischen Entwicklungen ist auch bei den Wasserstofftechnologien zu beobachten, dass diese gegenwärtig weltweit eine hohe Aufmerksamkeit erfahren und somit im Spannungsfeld aus Kooperation und Wettbewerb signifikante Sprünge zu erwarten sind. Wasserstoffstrategien wie die der Bundesregierung existieren dabei sowohl auf der Ebene von Bundesländern (zum Beispiel Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Bayern, Baden-Württemberg), auf europäischer Ebene als auch international (zum Beispiel Japan seit 2017, China seit 2016, USA mit Vorläufern seit 2005).

Dabei wird das Potenzial von Wasserstoff bzw. der entsprechenden  Technologien zu seiner Erzeugung, Speicherung, dem Transport und der Nutzung  als Chance zum Strukturwandel gesehen, wie exemplarisch das gemeinsame „Eckpunktepapier der ostdeutschen Kohleländer zur Entwicklung einer regionalen Wasserstoffwirtschaft“ von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg deutlich macht. Darin heißt es: „Wasserstoff wird als Energieträger im dezentralen, dekarbonisierten Energiesystem der Zukunft eine wesentlich größere Rolle spielen als heute. Seine theoretisch unbegrenzte Verfügbarkeit, seine Speicher- und Transportierbarkeit sowie seine Nutzbarkeit als verbindendes – koppelndes! – Element zwischen den einzelnen Verbrauchssektoren machen Wasserstoff attraktiv und unverzichtbar für die Energiewende und als Grundstoff für die Industrie. Gleichzeitig bieten Wasserstofftechnologien ein großes Wertschöpfungspotential, gerade für die Energieregionen im Osten Deutschlands, die sich nicht zuletzt mit dem Ausstieg aus der Kohleverstromung in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess befinden.

In ähnlicher Weise setzt auch ein Verbund der norddeutschen Küstenländer Akzente: „In Norddeutschland wird bis zum Jahr 2035 eine grüne Wasserstoffwirtschaft aufgebaut, um eine nahezu vollständige Versorgung aller an grünem Wasserstoff interessierten Abnehmer zu ermöglichen. […] Bis zum Jahre 2025 sollen in Norddeutschland mindestens 500 Megawatt und bis zum Jahre 2030 mindestens fünf Gigawatt Elektrolyseleistung zur Erzeugung von grünem Wasserstoff installiert sein.

Beschäftigungspotenziale und Qualifizierungserfordernisse

Da Wasserstoff als Alternative zu fossilen Energieträgern und als Ausgangsmaterial für industrielle Grundstoffe eine hochskalige und querschnittliche Bedeutung zugemessen wird, wird in den genannten Strategien – stellvertretend für eine umfangreiche Auswahl an ähnlichen Dokumenten, Analysen und Policy-Papieren – die Notwendigkeit unterstrichen, die eigene (Wettbewerbs-) Position durch intensive Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen zu sichern und auszubauen. Dies gilt insbesondere für Deutschland als europaweit führendem Standort für Wasserstofftechnologien. Wenngleich Forschung und Entwicklung ohne Frage eine zentrale Bedeutung bei der Erschließung der Potenziale der Wasserstofftechnologie zukommt und entsprechend in den einschlägigen Veröffentlichungen gewürdigt wird, fällt auf, dass das Thema Aus- und Weiterbildung nur in geringem Umfang adressiert wird. In der Nationalen Strategie heißt es dazu: „Wasserstoff ist dabei auch ein Bildungsthema: Die Wasserstoffwirtschaft braucht Fachkräfte – in Deutschland und im Ausland. Daher werden wir neue Wege in der Zusammenarbeit von Bildung und Forschung gehen.“ Und weiter: „Mit der Unterstützung und Weiterentwicklung der beruflichen und wissenschaftlichen Aus- und Weiterbildung im Bereich der Wasserstofftechnologien ebnen wir den Weg für Arbeitende und Betriebe hin zu einer effizienten und sicheren Handhabung von Wasserstofftechnologien. Dies betrifft vor allem die Qualifizierung von Personal zur Produktion, Betrieb und Wartung in Bereichen, in denen Wasserstoff bisher nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. […] Mit Exportländern legen wir Berufsausbildungskooperationen auf und verstärken gezielt das Capacity Building mit eigenen Programmatiken wie für Doktoranden (Umsetzung ab 2021).

Auch in den Strategien auf Länderebene wird das Thema Qualifizierung zwar genannt, aber kaum mehr als im Sinne einer Inventur behandelt: „Ausgehend von einer zu erstellenden Bestandsaufnahme, inwieweit es bereits Lehrinhalte zum Thema Wasserstoff in den relevanten Bildungsgängen in Norddeutschland gibt, sollen bei Bedarf Vorschläge entwickelt werden, wie das Thema Wasserstoff fester Bestandteil geeigneter Bildungsgänge werden kann.

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Europäische und internationale Dimension

Verglichen mit anderen Querschnittstechnologien wird die Frage aktueller und vor allem zukünftiger Qualifizierungsbedarfe („Skills Needs“) nur randständig behandelt – dies gilt nicht nur auf nationaler, sondern auch internationaler Ebene. In den Wasserstoffstrategien von Korea, Japan, China den USA und anderen Industrieländern wird es in ähnlicher Weise angesprochen, wie dies in Deutschland auf nationaler und regionaler Ebene der Fall ist. Die Bedeutung der Qualifikation für eine zukünftige Wasserstoffökonomie wird betont, jedoch – mit Ausnahme der akademischen Ausbildung etwa in Form von neu zu schaffenden Bachelor- und Masterstudiengängen – meist nicht mit konkreten Maßnahmen und Schritten untersetzt. Die Weiterbildung fehlt fast durchgängig.

In einer der wenigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die sich explizit mit Aus- und Weiterbildungsbedarfen einer zukünftigen Wasserstoffökonomie befassen, heißt es zusammenfassend: „Das Wachstum in der Wasserstoff- und Brennstoffzellenindustrie wird zu weitreichenden neuen Beschäftigungsmöglichkeiten führen, die in einer Vielzahl von Branchen, Fertigkeiten, Aufgaben und Einkünften entstehen werden. Viele dieser Arbeitsplätze existieren derzeit noch nicht und besitzen keine in offiziellen Klassifikationen definierten Berufsbezeichnungen. Darüber hinaus erfordern viele dieser Arbeitsplätze andere Fähigkeiten und andere Ausbildungsinhalte als derzeit bestehende, sodass die entsprechenden Anforderungen neu bewertet werden müssen, um sicherzustellen, dass dieser schnell wachsende Teil der Wirtschaft über ein ausreichendes Angebot an ausgebildeten und qualifizierten Arbeitskräften verfügt.“ [Übersetzung durch den Autor]

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Auf europäischer Ebene wird unter dem Eindruck der Covid-19 Pandemie in einem aktuellen Foresight-Bericht die Bedeutung von resilienten Wertschöpfungs- und Beschäftigungsstrukturen herausgestellt und dabei insbesondere die Frage zukünftiger Qualifikationen und Kompetenzen vor dem Hintergrund des „Green Deal“ adressiert: „Die Zukunft von Arbeitsplätzen und Qualifikationen in einer grünen Transition: Wie in der Europäischen Qualifikationsagenda festgestellt wird, erfordert die grüne Transition eine umfassende Neudefinition von Arbeitsplätzen und Qualifikationen in einer Vielzahl von Sektoren und öffentlichen Diensten. Ein systemischer Blick auf die durch diesen Übergang verursachten Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt fehlt noch immer. In einer Vorausschau könnte untersucht werden, mit welchen Mitteln eine solche systemische Sichtweise entwickelt werden kann, in die auch die Lehren aus früheren industriellen Umbrüchen einbezogen werden. Eine solche Perspektive wird in die Strategien für die Weiterbildung und Begleitung von Menschen einfließen, deren Arbeitsplätze aufgrund des industriellen Übergangs umgestaltet werden oder verloren gehen. Dies ist auch wichtig, um die künftigen Prioritäten der EU für Bildung, lebenslanges Lernen und legale Migrationswege zu leiten und einen gerechten Übergang zu ermöglichen.“ [Übersetzung durch den Autor]

Ein vorläufiges Fazit

  • Neben digitalen Technologien zeichnet sich im Zuge der grünen Transition ab, dass auch Wasserstofftechnologien das Potenzial einer Querschnittstechnologie in einer klimaneutralen Industrie haben.
  • Eine wachsende Anzahl von Staaten – unter Ihnen die Bundesrepublik Deutschland – etabliert Wasserstoffstrategien; allgemein werden erste großskalige industrielle Anwendungen noch im laufenden Jahrzehnt erwartet.
  • Wettbewerb und Fortschritt scheinen international noch recht ausgeglichen zu sein – es gibt keine alles dominierenden „Champions“, Deutschland spielt wissenschaftlich-technisch vorne mit.
  • Das Bildungsthema wird prominent adressiert, verbleibt aber meist vage (kaum konkrete Maßnahmen). Dennoch entsteht eine Akteurslandschaft rund um das Thema „Skills Needs for Hydrogen Economies“.
  • Mit Blick auf den zeitlichen Vorlauf bietet sich die Chance, das Thema der beruflichen Aus- und Weiterbildung im Kontext Wasserstoff frühzeitig im Verbund mit europäischen und internationalen Partnern aufzugreifen und parallel zu den entstehenden technologischen Standards durchgängige (Weiter-)Bildungsstandards zu entwickeln.

 

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