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Adriana Groh
13. Mai 2020

1.500 Ideen vs. Corona in nur 48 Stunden

Innovative und kollaborative Methoden können erstaunlich schnell Lösungsansätze für aktuelle Probleme zusammentragen. Wie das Beispiel eines einzigartigen Hackathons gegen das Corona-Virus gezeigt hat.

Was könnte besser für ‘Tech for Good’ stehen, als wenn 43.000 Menschen bei einem digitalen Hackathon gegen die Corona-Krise mitmachen wollen? Was könnte besser zeigen, wie wichtig die digitale Zivilgesellschaft ist, als wenn sie in der Krise solche Initiativen startet und die Entwicklung digitaler Lösungen voranbringt?

Wenn ich diese Krise als Chance verstehe, dann dafür, dass sie das Potential der Zivilgesellschaft aufdeckt – und wir daraus lernen können. Die letzten Wochen haben mir gezeigt, dass wir noch mehr Formate und Strukturen brauchen, in denen die digitale Zivilgesellschaft wirken kann. Auf diese Weise entstehen neue und bessere Kooperation und Innovationen, welche die Entwicklung von ‘Tech for Good’ (oder Public Interest Tech) fördern und vorantreiben.

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Der #WirVsVirus Hackathon ist entstanden, indem kürzlich sieben zivilgesellschaftliche Organisationen – Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e.V., das Impact Hub Berlin, Tech4Germany, D21, ProjectTogether, Code for Germany und der Prototype Fund – inspiriert von Estlands ‘Hack the Crisis’ beschlossen, in Deutschland ebenfalls einen Hackathon zu veranstalten. Darin sollten möglichst viele unterschiedliche Menschen kreative Lösungsideen für Herausforderungen im Rahmen der Corona-Krise entwickeln können. So wollten wir, trotz ‘Lockdown’, Home Office und Social Distancing, ein Gefühl der Ermächtigung und Solidarität ermöglichen. An dem digitalen Format konnte jede:r mit Lust, Zeit und Internetzugang teilnehmen, und der Name war Programm: Wir gegen das Virus.

Es wurde der größte Hackathon der Welt. 43.000 Menschen haben sich angemeldet und in 48 Stunden 1.500 Projekte entwickelt, mit denen sie der aktuellen Krise etwas entgegensetzen wollen. Organisiert haben wir das alles ehrenamtlich – online in Video Calls, Chats und über verschiedene Plattformen – und innerhalb von weniger als einer Woche. Unser Team aus den sieben Organisationen, das vorher noch nie miteinander gearbeitet hatte, wuchs innerhalb von Stunden auf 100 Personen an, die während des Hackathons von 3.000 Mentor:innen und im anschließenden Auswahlprozess von 900 Juror:innen unterstützt wurden. Für mich steht dieser Prozess beispielhaft dafür, wie die digitale Zivilgesellschaft häufig zusammenarbeitet – von der Sache angetrieben, hochmotiviert, interdisziplinär und agil.

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Diese großartige gemeinschaftliche Leistung zeigt auch, dass die richtigen Formate sehr viel gesellschaftliches Potenzial entfalten und eine ganz neue Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft, Politik und Unternehmen ermöglichen können. So wurden wir von Beginn an von der Bundesregierung in unserem Vorhaben unterstützt. Darüber hinaus haben uns zahlreiche Unternehmen Hilfe angeboten, ohne die es nicht möglich gewesen wäre, so vielen Teilnehmer:innen das Mitmachen zu ermöglichen (auch wenn Slacks CEO Stewart Butterfield meinte, 43.000 Menschen auf einmal zu Slack einzuladen, wäre wirklich eine schlechte Idee). Nur diese Kooperationen haben es möglich gemacht, dass der Hackathon ein digitaler Beteiligungsprozess zur Entwicklung gemeinsamer Lösungen wurde.

Gleichzeitig kann ein Hackathon nur ein Startpunkt für einen solchen Prozess sein. Das Format eignet sich gut dazu, in kurzer Zeit viele kreative Ideen und Prototypen zu entwickeln, kann aber nicht für Nachhaltigkeit sorgen oder strukturelle Probleme lösen. Deswegen haben wir parallel zur Organisation des Hackathons ein Umsetzungsprogramm konzipiert. Als ein Hackathon der Bundesregierung wollen wir die Projekte auch mit öffentlichen Mitteln unterstützen, ganz im Sinne von Public Money = Public Code. Es ist schwierig, in der gebotenen Schnelligkeit neue Strukturen für eine öffentliche Förderung aufzubauen, daher sind existierende, leichtgewichtige und niedrigschwellige Programme wie der Prototype Fund essenziell. Über diese bestehende Struktur konnte das Bundesministerium für Bildung und Forschung schnell und flexibel auf die Krisensituation reagieren und gezielt Lösungsideen fördern.

 

Weil die digitale Zivilgesellschaft bereits vor der Krise ihre wichtige Arbeit geleistet und Communities für das digitale Ehrenamt, Netzwerke und Förderstrukturen aufgebaut hat, ist eine derart breit gefächerte Initiative, die ehrenamtlich an digitalen Lösungen für eine Krise arbeitet, überhaupt denkbar und möglich. In der Krise zeigt sich nun für alle sehr deutlich, wie schnell die digitale Zivilgesellschaft aktiv werden und Projekte in der Größenordnung von #WirVsVirus umsetzen kann. Es zeigt sich auch, wie wichtig ihre Expertise ist, z.B. in einem offenen Brief von u.a. dem Chaos Computer Club (CCC), D64 und LOAD e. V., die für einen dezentralen Ansatz bei einer Tracing-App plädiert haben und damit erfolgreich einen Kurswechsel herbeiführen konnten. Für diese wichtige Arbeit fordert die digitale Zivilgesellschaft auch nicht erst seit der Krise mehr Beteiligung in politischen Entscheidungen und mehr Unterstützung ein.

Für viele Menschen sind Begriffe wie Tech for Good schwer zu fassen und die digitale Zivilgesellschaft eine wenig greifbare Gruppe. Dabei profitieren wir alle von dezentraler digitaler Infrastruktur, freiem Zugang zum Internet, sicherer Kommunikation, Angeboten zu Freiem Wissen und Open-Data- und Freien-Software-Anwendungen. Das ist Technologie im öffentlichen Interesse und dafür arbeitet die digitale Zivilgesellschaft schon seit Jahren. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt diese Arbeit anzuerkennen und in ein gemeinwohlorientiertes digitales Ökosystems zu investieren – mit der Stärkung des digitalen Ehrenamts, öffentlicher und kontinuierlicher Förderung für digitale Infrastrukturen und Unterstützung der Netzwerke und Communities.

„Dieser Gastbeitrag von Adriana Groh ist zeitgleich im Rahmen der Blogparade „Tech for Good? Echt jetzt?! Oder jetzt erst recht?!“ des Projekts „Ethik der Algorithmen“ erschienen.“

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