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Soziale Herkunft: Die unsichtbare Dimension beim Gründen

Die soziale Herkunft von Gründer:innen spielt aktuell im gesellschaftlichen Diskurs und in politischen Maßnahmen kaum eine Rolle. Das sollte sich ändern. Die Forschung zeigt: In der sozialen Herkunft von Gründer:innen schlummert eine zentrale Diversitätsdimension für erfolgreiche Unternehmensgründungen.

Vor drei Jahren hat die Charta der Vielfalt die „soziale Herkunft“ als eine zentrale Dimension für Chancengleichheit am Arbeitsplatz aufgenommen. Kinder aus nicht-akademischen Familien haben es in Deutschland nach wie vor in Bildung und Karriere schwer, wie aktuelle Studien von BCG und dem ifo Institut belegen. Aber wie steht es eigentlich um die Rolle der sozialen Herkunft bei Unternehmensgründungen?

Herkunft und Gründung

Der Blick auf den Unternehmer als „männlich, weiß, Mitte dreißig“ wandelt sich aktuell – die Diversität in Gründerteams steigt, wie der Startup Monitor 2023 des Startup Verband zeigt. Die soziale Herkunft von Gründer:innen spielt aber im gesellschaftlichen Diskurs und in politischen Maßnahmen kaum eine Rolle. Diese Lücke steht der Erfahrung einzelner Gründer:innen (Beispiele dazu hier und hier) aus nicht-akademischen Familien entgegen.

Entscheidet die Bildung oder der Job der Eltern also darüber, ob und wie erfolgreich die nächste Generation gründet? Werden andere Diversitätsdimensionen durch die soziale Herkunft verstärkt? Welche Stärken bringen Gründer:innen aus nicht-akademischen Familien mit?

Um Transparenz über Barrieren bei Unternehmensgründungen zu schaffen und aufzuzeigen, welche politischen Maßnahmen für mehr Vielfalt getroffen werden können, haben wir empirische Studien aus qualitativ hochwertigen Fachzeitschriften mit dem Fokus auf die Diversitätsdimensionen Geschlecht, ethnische Herkunft und Nationalität, Alter, und soziale Herkunft analysiert.

Was auffällt: Viele Barrieren treten über Diversitätsdimensionen hinweg auf und betreffen die soziale Herkunft von Gründer:innen. Und gerade deswegen ist es wichtig, das Blickfeld der Entscheider.innen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu erweitern. Effektive politische Maßnahmen für Unternehmerinnen und Unternehmer machen nicht an einer Diversitätsdimension halt.

Diversitätsdimensionen größer denken

Inklusives Unternehmertum, was ist das überhaupt? Bei diesem Begriff poppt wahrscheinlich zuerst das Konzept „Female Entrepreneurship“ auf—das Bestreben in der Forschung und Praxis, die Zahl von Gründerinnen zu erhöhen. Inklusives Unternehmertum sollte aber mehr sein.

Denn Diversität in der Gesellschaft und eben auch im Entrepreneurship setzt sich aus vielfältigen Dimensionen zusammen. Die Charta der Vielfalt, die sich für ein vorurteilsfreies Arbeitsumfeld einsetzt, teilt dies auf in: soziale Herkunft, Alter, ethnische Herkunft und Nationalität, Geschlecht und geschlechtliche Identität, körperliche und geistige Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, sowie sexuelle Orientierung.

In der Praxis sieht dies oftmals aber noch anders aus. Personen, die nicht dem typischen Bild eines Entrepreneurs entsprechen, haben oft Schwierigkeiten, überhaupt erst eine Unternehmensgründung in Erwägung zu ziehen und zu realisieren, finanzielle Ressourcen zu akquirieren um letztendlich erfolgreich zu sein.

Die bisherige Forschung sowie der gesellschaftliche Diskurs haben sich dabei vor allem auf die Diversitätsdimensionen Geschlecht und ethnische Herkunft fokussiert, weniger aber auf die soziale Herkunft. Gerade in Deutschland ist die soziale Herkunft als eine der „unsichtbaren“ Dimensionen in der Gründungswelt wenig berücksichtigt.

Zugang zu Ressourcen und Kapital erleichtern

Für viele, die den Traum vom Gründen verfolgen, ist der Weg nicht immer leicht. Besonders erschwert kann dieser aber sein, wenn Gründerinnen und Gründer aufgrund der Überschneidung ihrer Diversitätsdimensionen (sprich: Intersektionalität) benachteiligt werden. Eine der größten Hürden, auf die unkonventionelle Gründer:innen stoßen, ist der Zugang zu finanziellen Ressourcen. Dies betrifft nicht nur die ersten Schritte im unternehmerischen Prozess, sondern auch den langfristigen Erfolg im Sinne des Wachstums und Umsatzes.

Besonders herausfordernd wird dies aber, wenn Gründer:innen auf wenig finanzielle Unterstützung innerhalb der Familie bauen können und damit auf sich gestellt sind. Die initiale Finanzspritze – oftmals auch „Family, Friends, and Fools“ genannt – ist oftmals die größte Finanzierungsquelle für frühphasige Startups. Was aber, wenn Gründer:innen aus finanzschwachen Familien stammen? Ein fehlendes finanzielles Auffangnetz kann entscheidend darin sein, Risiken einzugehen und mit den Untersicherheiten im Unternehmertum umzugehen.

Aber es gibt noch eine weitere Herausforderung: der Zugang zu den richtigen Netzwerken und Unterstützungsstrukturen im unternehmerischen Ökosystem. Wer bereits Unternehmer:innen in seinem engen sozialen Umfeld kennt, hat hier einen klaren Vorteil. Der Austausch mit Gleichgesinnten kann Zugang zu Ressourcen, Informationen, und weiteren Kontakten verschaffen, die Gründer:innen sonst nicht hätten. Gerade Personen, die aus einem unternehmerischen oder akademischen Umfeld stammen, können oft auf familiäre Kontakte zurückgreifen, die bei der Gründung helfen können.

Doch trotz aller Bemühungen bleibt eine Sache oft unverändert: die wahrgenommene soziale Position. Für unkonventionelle Gründer:innen kann diese Positionierung den Zugang zu diesen entscheidenden Netzwerken und Chancen verwehren.

Viele empirische Studien betonen die Bedeutung staatlicher Förderprogramme und Finanzierungsinitiativen, die gezielt darauf gerichtet sind, den Zugang zu Kapital für marginalisierte Gruppen, die nicht von Haus aus auf finanzielles und soziales Kapital zurückgreifen können, zu erleichtern und den Informationszugang zu verbessern.

Vielfalt innerhalb unternehmerischer Ökosysteme ist entscheidend für inklusives Unternehmertum. Politische Interventionen sollten daher darauf abzielen, Barrieren für den Eintritt in Gründernetzwerke abzubauen. Dies stärkt nicht nur den Wissensaustausch zwischen Gründer:innen, sondern schafft auch Chancen für Gründer:innen aus nicht-akademischen Familien.

Stereotype abbauen

Die Bewertung von Gründer:innen, insbesondere beim Pitchen um Ressourcen und Kapital, basiert oft auf Stereotypen und gesellschaftlichen Erwartungen. Soziale Normen darüber, wie ein:e Gründer:in auftreten und kommunizieren soll, spielen dabei eine zentrale Rolle. Hier kommen feine kulturelle und habituelle Unterschiede, die oftmals aus elterlicher Prägung stammen und sozial erlernt sind, zur Geltung.

In der Forschung ist der kulturelle Mechanismus der „Homophilie“ bei Bewertungen mehrfach belegt. Ressourcengeber sind eher geneigt, diejenigen zu unterstützen, die ihnen ähnlich sind. Dies zeigt sich deutlich in der Praxis bei der Kapitalvergabe, wenn Personen des gleichen Geschlechts oder der gleichen ethnischen Herkunft bevorzugt werden. Die Forschung zeigt aber auch, dass feine Unterschiede der sozialen Herkunft, wie beispielsweise in der Sprache oder in impliziten Verhaltenscodes, bei der Ressourcenvergabe einen Unterschied machen. Auch wenn es dazu noch keine Studien gibt, könnte dies insbesondere für die Risikokapitalveragbe von Gründer:innen aus nicht-akademischen Familien zur Barriere werden.

Das Bild des „klassischen Unternehmers“ entspricht oft nicht der Vielfalt der Menschen, die tatsächlich gründen möchten. Viele fühlen sich von diesem Stereotyp ausgeschlossen und zweifeln daran, ob sie wirklich in diese Rolle passen. Der Gedanke „Unternehmertum ist nichts für jemanden wie mich“ kann eine ernsthafte Hürde darstellen.  Besonders problematisch wird es, wenn es an Vorbildern mangelt, an denen sich marginalisierte Personen orientieren können. Ohne diese Vorbilder fehlt oft die Bestärkung und die Möglichkeit, von ihren Erfahrungen zu lernen.

In diesem Zusammenhang könnten gezielte Interventionen dazu beitragen, stereotype Denkmuster und traditionelle Rollenbilder im Unternehmertum zu hinterfragen und aufzubrechen. Durch Sensibilisierungskampagnen und Maßnahmen gegen Diskriminierung könnte eine inklusivere Sichtweise auf Gründer:innen gefördert und überkommene Rollenerwartungen überwunden werden.

Sensibilisierungskampagnen und Maßnahmen gegen Diskriminierung könnten dazu beitragen, eine inklusivere Sichtweise auf Unternehmer:innen zu schaffen und traditionelle Rollenerwartungen zu überwinden. Wichtig ist auch, die Vielfalt der Personen, die Unterstützungsprogramme gestalten, zu stärken. So könnte ein erhöhtes Bewusstsein für die Bedürfnisse von „unkonventionellen“ Entrepreneuren geschaffen werden. Positionen in der Gründungsförderung müssten dazu auch nach dem Kriterium soziale Lage besetzt werden.

Externe Unterstützung ausweiten

Der Mangel an externem Support, insbesondere aus dem familiären Umfeld bei nicht privilegierten Personen, kann eine bedeutende Hürde auf dem Weg zur Selbstständigkeit sein. Die gilt besonders in Situationen, in denen bereits andere Barrieren bestehen, wie der begrenzte Zugang zu Ressourcen oder die Herausforderungen der sozialen Bewertung. Dann kann eine gezielte externe Unterstützung, die auf die Bedürfnisse von Minderheiten zugeschnitten ist, helfen, Barrieren zu überwinden.

Doch wenn solche Unterstützungsmöglichkeiten von der Familie oder anderen Quellen nicht bereitgestellt werden, stehen (potenzielle) Gründer:innen oft vor einer schweren Aufgabe, die bestehenden Hindernisse allein zu überwinden. Genau hier sollten externe Unterstützungsangebote ansetzen.

Programme wie Entrepreneurship Education sollten auf inklusive Ansätze für verschiedene Diversitätsdimensionen abzielen. Essenziell ist hier nicht nur, Angebote speziell für Gründer:innen aus dem universitären Umfeld zu schaffen, sondern eine Vielfalt an Gründungstypen zu unterschützen (zum Beispiel nebenberufliche Gründungen).

Neben der Schaffung spezieller Programme sollten zudem Informationen über bestehende Unterstützungsprogramme verbreitet und hierfür sensibilisiert werden. Schulungen zur Kapitalbeschaffung oder zur Stärkung der unternehmerischen Selbstwirksamkeit können dabei helfen, für die unternehmerischen Fähigkeiten weiterzuentwickeln und marginalisierte Gründerinnen und Gründer für die Gründung zu befähigen. Insbesondere Gründer:innen aus nicht-akademischen Hintergründen könnten von diesen Maßnahmen profitieren und dadurch besser befähigt werden, ihre unternehmerischen Ziele zu verwirklichen.

Und nun?

Die Analyse empirischer Studien zu den Barrieren zum unternehmerischen Eintritt, zur Ressourcenbeschaffung und zum Erfolg macht deutlich: In der sozialen Herkunft schlummert eine zentrale Diversitätsdimension für erfolgreiche Unternehmensgründungen. Fortschritte in Bezug auf die Anzahl von Gründerinnen oder Gründer:innen mit Migrationshintergrund sind wichtig, sollten aber um Dimensionen wie der sozialen Herkunft erweitert werden. Oft wirken einzelne Diversitätsdimensionen im Zusammenspiel auf den Erfolg von Unternehmensgründungen. Für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft bedeutet dies, Diversität bei Unternehmensgründungen größer zu denken.

Trotz der deutlichen Hinweise aus der bisherigen Forschung, die soziale Herkunft in Zukunft als Diversitätsdimension bei Unternehmensgründungen zu berücksichtigen, fehlt es bisher an belastbaren Daten und Studien zur Rolle der sozialen Herkunft bei Unternehmensgründungen in Deutschland. Um den Status Quo der Chancengleichheit im unternehmerischen Ökosystem zu erfassen und konkrete Handlungsempfehlungen für Chancengleichheit in Deutschland abzuleiten, sind zukünftige Studien zu Barrieren und Potentiale der sozialen Herkunft bei Eintritt, Ressourcenbeschaffung und Wachstum in Unternehmensgründungen notwendig.

Am 7. Mai veröffentlichen wir eine Untersuchung des Startup Verbandes zur sozialen Herkunft von Gründer:innen in Deutschland. Die Autor:innen dieses Blogbeitrags werden an der Veröffentlichung teilnehmen und freuen sich auf Fragen und Diskussion mit den Teilnehmenden. Zur Anmeldung geht es hier.

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