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Erdal Uğur Ahlatçı 
18. Januar 2024

Du bist – wie du isst! 

Kann wirklich jeder vom Tellerwäscher zum Millionär werden, wenn er ein Unternehmen gründet? Gibt es Verhaltensweisen, die ein Mensch in der Familie erlernt, die sich auf den Erfolg als Gründer auswirken? Erdal Uğur Ahlatçı ist ein erfahrener Gründer, der erklärt, warum informelle Kriterien über Erfolg oder Misserfolg als Unternehmer entscheiden können.  

Als Gründer von zwei Startups und CEO eines Tech-Unternehmens weiß ich aus eigener Erfahrung, vor welchen Herausforderungen Existenzgründung und Kapitalbeschaffung stehen.  

Doch meine Reise dorthin war alles andere als konventionell. Ich stamme aus einer nicht-privilegierten „Gastarbeiter“-Familie und konnte erst im zweiten Bildungsweg meine mittlere Reife und das Abitur nachholen, um später mit 30 Jahren mein Studium zu beginnen. Bevor ich meinen Weg in die Tech-Branche fand, absolvierte ich eine Ausbildung als Restaurantfachmann und finanzierte meine Schulzeit und mein Studium durch Nebentätigkeiten in der Gastronomie. In dieser Zeit habe ich Beobachtungen gemacht, die sich später in meiner beruflichen Laufbahn immer wiederholten – den „großen Bluff“ der Privilegierten. 

Als Kellner in gehobenen Restaurants fiel mir auf, dass Menschen, die aus privilegierten Verhältnissen stammen und ihr Leben lang in gehobenen Restaurants gegessen haben, sich dort mühelos bewegen. Sie wissen instinktiv, wie sie das Besteck halten, welches Glas zu welchem Wein passt. Ihre Selbstsicherheit beeindruckt. Es ist eine gekonnte Inszenierung, die auf die anderen Gäste und auf den Kellner überzeugend wirkt. Die sogenannte „Bluff“-Wirkung tritt in Kraft: weil sie glauben, dass sie fähig und kompetent sind, glauben es auch die anderen, obwohl sie vielleicht kein fundiertes Wissen über den Wein oder das Essen haben. 

Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die aus Familien kommen, die sich teure Restaurants nicht leisten konnten und selten in diesen Restaurants essen waren. Diese Menschen sind mit den Gepflogenheiten eines gehobenen Restaurants weniger vertraut und fühlen sich oft unsicher und unwohl. Ihre Unsicherheit wird schnell als Mangel an Kenntnis und Kompetenz interpretiert. 

Dieser „Bluff“-Effekt zieht sich jedoch nicht nur durch die Gastronomie, sondern manifestiert sich auch in der Startup-Welt. Privilegien scheinen das Selbstbewusstsein zu stärken und die Annahme zu fördern, man sei fähiger als andere. Deswegen treten sie in Pitches und Präsentationen selbstbewusst auf und werden dadurch sehr kompetent wahrgenommen. Der Selbstbewusstseinsfaktor wird verstärkt durch die Tatsache, dass viele Investoren ebenfalls aus privilegierten Familien stammen und sich in den gleichen bestehenden etablierten Netzwerken bewegen, in die sie quasi „rein geboren“ sind. Dies erzeugt einen zusätzlichen Effekt, bei dem Investoren sich mit den Gründern identifizieren, da sie ähnliche Hintergründe teilen – dieser Effekt wird auch Mini-Me-Effekt genannt. Mit diesen Voraussetzungen haben sie oft leichteren Zugang zu Investoren, Investment und zu anderen Ressourcen. 

Im Gegensatz dazu stehen nicht-privilegierte Gründer, die oft keine etablierten Netzwerke haben und sich unsicher fühlen können. Dies führt dazu, dass sie in Präsentationen und Pitches weniger selbstbewusst auftreten und möglicherweise als weniger kompetent wahrgenommen werden, was die Schwierigkeit erhöht, die notwendige Unterstützung und das Kapital für die Gründung eines Startups zu erhalten. 

Es ist dringend an der Zeit, den „Bluff“ der Privilegierten in der Arbeitswelt zu durchbrechen und die Chancengleichheit zu fördern. Der Erfolg eines Unternehmens sollte nicht allein von der Herkunft oder den vorhandenen Netzwerken abhängen, sondern von den tatsächlichen Fähigkeiten und Ideen der Gründer. Um eine gerechtere Arbeitswelt zu schaffen, müssen wir aktiv nach Wegen suchen, Privilegien abzubauen und sicherstellen, dass alle Menschen, unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund, die gleichen Chancen erhalten. 

Dies erfordert nicht nur Sensibilisierung, sondern auch konkrete Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt und Inklusion in der Startup- und Investorengemeinschaft.  

Wege aus der “Mini-Me” Falle 

Damit sich dieser Bluff nicht weiter fortsetzt ist es absolut unumgänglich, dass sich diejenigen, die Entscheidungen treffen ihren eigenen Vorurteilen stellen und sich dieser Bewusst machen. Selbstverständlich gibt es unzählige Trainingsangebote, die jemand nutzen kann den “Businessknigge” zu erlernen. Das ist oft teuer und das Geld in der Frühphase der Gründung dafür nicht da. Darum ist es notwendig, dass diejenigen, die das nächste große Startup unterstützen wollen, jenseits der eigenen “Dunstabzugshaube” danach suchen und sich in dorthin begeben, wo Innovation passiert.  

 Weitere Infos unter: 

Podcast  „Woher kommst du wirklich?“ (buzzsprout.com)

Podcast: Lost in Transformation: Über uns | LinkedIn

 

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