Norbert Osterwinter
19. Juni 2024

Sind Transfer-Agenturen der neue Goldstandard für Innovationen? 

Während in Deutschland die Errichtung der DATI weiterhin nur sehr schleppend vorankommt, sind zahlreiche Länder schon seit Jahren mit Transferagenturen auf der wissenschaftlich-technischen Erfolgsspur. Welche Rolle sie tatsächlich spielen (können), zeigt eine neue internationale Vergleichsstudie.

Die Frage durchzieht die politische Diskussion bereits seit Jahren: „Können nationale Agenturen als Vermittler den Transfer von Innovationen aus Wissenschaft und Hochschulen in die Wirtschaft und Gesellschaft verbessern und so notwendige Transformation befördern?“

Um diese Frage wissenschaftlich seriös zu beantworten, haben Wissenschaftler des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) Dr. Isabell Roessler und Gero Federkeil kürzlich eine internationale Vergleichsanalyse erstellt, bei der valide Transfer-Indikatoren betrachtet wurden. Nicht zuletzt, um die Leistungsfähigkeit Deutschlands bei Transfer im Vergleich zu anderen OECD-Ländern zu bewerten. Dabei liefern sie wertvolle Einblicke in die Stärken und Schwächen des deutschen Transfersystems und Anhaltspunkte für mögliche Verbesserungen.

Im Details wurden neun Transfer-Indikatoren herangezogen, die sich aus dem internationalen Hochschulranking U-Multirank ableiten lassen. Zum Beispiel Drittmittelakquise, die Anzahl von Patenten im Verhältnis zur Studierendenzahl oder neue Ausgründungen aus der Hochschule. Die Studie bewertet schließlich, bei wie vielen der Transfer-Indikatoren ein Land im internationalen Vergleich unter den Top 3 rangiert, sowie die Durchschnittswerte und die Verteilung der Ergebnisse innerhalb eines Landes.

Für Deutschland sind diese Ergebnisse nicht gerade schmeichelhaft. Der Wissenschaftsstandort D ist keinem der neun Transfer-Indikatoren in den Top 3 vertreten und liegt nur in drei von neun Feldern über dem OECD-Durchschnitt. Das ist im internationalen Vergleich allenfalls Mittelfeld.

 

Um Rückschlüsse auf die Rolle von Transferagenturen zu ziehen, werden neben diesen Indikatoren die spezifischen Transferstrukturen und Institutionen eines Landes betrachtet. Danach gibt es kein einheitliches Modell, sondern unterschiedliche Ansätze, die jeweils an die spezifischen Rahmenbedingungen und Bedarfe der Länder angepasst sind. Einige Agenturen konzentrieren sich auf bestimmte Transferformen wie Forschungskooperationen oder Gründungen, andere bieten ein breites Spektrum an Dienstleistungen und Instrumenten an. Einige Agenturen sind direkt den Ministerien unterstellt, andere agieren unabhängig oder als Teil einer Hochschulorganisation. Eine direkte Korrelation zwischen Transfererfolgen und Agenturstrukturen lässt sich daher nur schwer herstellen. Aber die Detailbetrachtung der Strukturen einzelner Länder ist deshalb aufschlussreich.

 

Erfolgsmodell Japan

Die bekanntesten Transferagenturen sind dabei sicherlich hierzulande die DARPA in den USA oder auch der  erfolgreichen „Startup-Nation“ Israel mit der Israel Innovation Authority. Weniger bekannt sind hierzulande dagegen die erfolgreichen Innovations- und Transferinstitutionen zum Beispiel in Japan. Zu Recht setzt die Studie daher hier eine besonderen Schwerpunkt.

Manche Fakten sind bekannt: Japan zählt zu den weltweit führenden Nationen in der wissenschaftlichen Produktion und Innovation. Das Land investiert rund 3,5 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung (F&E) und verfügt über eine hohe Anzahl an Patentanmeldungen, wissenschaftlichen Publikationen und Nobelpreisträgern. Japan ist zudem ein Land, das sich durch ein hohes Maß an Vernetzung und Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren in der Wissenschafts- und Innovationspolitik auszeichnet. Diese hat die vor allem die Steigerung der Forschungsleistung und die Fokussierung auf die gesellschaftliche Relevanz der Wissenschaft zum Ziel.

Dabei spielen die japanischen Hochschulen eine zentrale Rolle als Wissensproduzenten und -verwerter. Sie kooperieren intensiv mit der Industrie, insbesondere mit großen Unternehmen, die über eigene F&E-Abteilungen verfügen. Die Hochschulen erhalten zudem erhebliche finanzielle Unterstützung vom Staat, der den Wissens- und Technologietransfer als strategisches Ziel verfolgt und verschiedene Förderprogramme und -instrumente bereitstellt.

Dazu verfügt das Land mit der Japan Science and Technology Agency und der Japan Society for the Promotion of Science über zwei Einrichtungen, die gezielt Innovationen unterstützen.  Die Japan Science and Technology Agency JST hat als Regierungsbehörde das Ziel, eine Infrastruktur aufzubauen, die die Schaffung und Verbreitung von Wissen im Land unterstützt. Sie ist eine der Nationalen Forschungs- und Entwicklungsagenturen, die vom Ministerium für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie (MEXT) und dem Rat für Wissenschaft, Technologie und Innovation (CSTI) beaufsichtigt wird.

Foto: Armin Forster auf Pixabay

Eine wichtige Institution des „Networking State Japan“ sind die sogenannten „Knowledge Clusters“, die seit 2002 vom japanischen Ministerium für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie (MEXT) gefördert werden. Dabei handelt es sich um regionale Netzwerke aus Universitäten, Forschungseinrichtungen, Unternehmen und lokalen Behörden, die gemeinsam an innovativen Themen arbeiten. Die Knowledge Cluster sollen nicht nur die wissenschaftliche Exzellenz fördern, sondern auch den Wissenstransfer in die Gesellschaft und die regionale Entwicklung unterstützen. Bis 2019 wurden insgesamt 30 Knowledge Clusters in verschiedenen Bereichen wie Biotechnologie, Nanotechnologie oder Robotik eingerichtet.

Ein weiteres Beispiel sind die „Centers of Innovation“ (COI), die seit gut zehn Jahren vom japanischen Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (METI) gefördert werden. Dabei handelt es sich um interdisziplinäre Forschungszentren, die sich mit gesellschaftlichen Herausforderungen wie Gesundheit, Energie oder Mobilität befassen. Die COI sollen nicht nur wissenschaftliche Durchbrüche erzielen, sondern auch marktfähige Lösungen entwickeln und kommerzialisieren. Dazu kooperieren sie eng mit Industriepartnern und anderen Stakeholdern. Innerhalb von fünf Jahren wurde mehr als zwei Dutzend COI in verschiedenen Bereichen wie Medizin, Materialwissenschaft oder Künstliche Intelligenz eingerichtet.

Im Gegensatz zu Deutschland blicken die beiden Förderagenturen in Japan auf eine langjährige Geschichte zurück. Hinzu kommt ein vergleichsweise hohes finanzielles Fördervolumen. Allein das Budget der Japan Science and Technology Agency (JST) umfasste für 2023 umgerechnet etwa 1,4 Milliarden Euro. Der Großteil des Budgets fließt in die Förderprogramme der JST.

Im Interview erläutert Dr. Isabel Roessler (CHE) wie Hochschulen und Universitäten systematisch und strategische ihre Kultur des Transfers und der Innovation entwickeln können.

Nippon, das Role Model für die DATI?

Nach Einschätzung des CHE zeigt „das Beispiel Japan, sowie auch die anderen überdurchschnittlich erfolgreichen Länder… dass staatliche nationale Transferagenturen ihren Teil zu einem erfolgreichen Wissenschaftstransfer aus Hochschulen beitragen können, aber nicht müssen“, so Isabell Roessler, die Expertin für Third Mission beim CHE. „In Japan profitieren die Hochschulen des gesamten Landes von finanzstarker Förderung mit vielen Fördermöglichkeiten für Wissenschafts-Wirtschaftskooperationen plus dem perspektivischen Ausbau der Förderung geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung.“

Zusammenfassend kommt das Dossier danach zu der Einschätzung, dass nationale Agenturen eine entscheidende Rolle beim Transfer von Hochschulen spielen. Sie tragen dazu bei, Innovationen zu fördern und den Technologietransfer zu verbessern. Aber: „Ein Allheilmittel und Erfolgsgarant für verstärkten und qualitativ hochwertigeren Transfer in Wirtschaft­, Zivilgesellschaft­ und Bevölkerung sowie gesellscha­ftliche und technologische Innovationen ist eine Transferagentur jedoch nicht.“

Welche Schlussfolgerungen könnte die deutsche Forschungspolitik dennoch aus dem internationalen Vergleich für den Aufbau effektiverer Strukturen ziehen? Die Antwort: Vor allem jene Länder verzeichnen heute Erfolge, in denen die Förderung eine lange Historie hat. Im Hinblick auf die Pläne der Bundesregierung für die Gründung der deutschen DATI sollte der Fokus auf einem breiten Themenfeld, einer ausreichenden Finanzierung sowie einer langfristigen Konzeptionierung liegen, die jenseits künftiger Regierungskoalitionen auch Bestand hat. „Für eine deutsche Transferagentur bedeutet dies auch …dass hier zwingend auf Langfristigkeit geachtet werden und die Agentur jenseits künft­iger Regierungsbildungen Bestand haben muss. Dies umfasst auch eine Vision, welchen Stellenwert künft­ig der Wissensaustausch zwischen Wissenschaft­, Wirtschaft­, Zivilgesellschaft­ und Politik haben soll. Auch hierfür gilt: Diese Vision sollte nicht mit einem Regierungswechsel ad acta gelegt, sondern weiterentwickelt werden.“

Relevante Vorgaben, aber die aktuellen Rahmenbedingungen drehen hierzulande dafür zunehmend auf ungünstig. Eine lange Historie und Tradition des Transfers aus der Wissenschaft ist nicht gegeben, vielmehr tradierte Defizite. Und nach dem Stand der Dinge bleibt Deutschland von Innovations- und Transferstrukturen nach japanischen, israelischem oder US-Vorbild noch weit entfernt: Denn knapp drei Jahre nach dem verbindlichen Koalitionsbeschluss zur Gründung hat das Forschungsministerium nach etlichen Versionsschleifen weiterhin lediglich einen Referentenentwurf für ein DATI-Konzept in die Ressortabstimmung gegeben. Sollte das Kabinett grünes Licht geben wird es nach Darstellung von Beobachtern zunächst erst wieder eine einjährige Startphase geben, auf die eine dreijährige Aufbauphase folgt, die dann nach vier Jahren in den Regelbetrieb gehen soll

Es darf zudem trefflich darüber spekuliert werden, ob die deutsche Forschungspolitik und eine Transferagentur angesichts der finanziellen Herausforderungen höchstwahrscheinlich deutlich spärlicher ausgestattet sein dürfte als ihre internationalen Schwestern, und zudem sogar geringer als in den vorliegenden Konzepten bislang noch angekündigt.

Das gibt auch das BMBF zu Protokoll, wenn es kürzlich feststellte, dass die DATI von Anfang an „bei vielen Akteuren hohe Erwartungen geweckt“ habe. Es sei zwar der Anspruch, dass sie diesen im Rahmen ihres Auftrags und des schrittweisen Aufbaus gerecht wird. „Dies bedeutet zugleich“, schreibt das BMBF, „dass die DATI keine Patent- oder Sofortlösung für die vielschichtigen Bedarfe des deutschen Transfer- und Innovationssystems bereitstellt“.

Alternativlösung Schweiz

Bleibt Deutschland beim Thema Transfer aus Hochschulen und der Wissenschaft auch zukünftig allenfalls im Mittelfeld? Möglicherweise auch noch überholt von jenen Staaten, die mittlerweile ebenfalls erfolgreiche Innovationsagenturen realisiert haben? Als Lichtblick am Horizont bietet die CHE-Studie eine weitere Erkenntnis, auf der sich abseits der DATI-Planungen aufsetzen ließe.  Denn interessanterweise konnten auch Länder im Vergleichsranking sehr gut abschneiden, in denen sich nur einzelne Hochschulen besonders intensiv dem Transfer widmen. Die Erfolge dieser Länder basieren oftmals nur auf einigen wenigen Leuchttürmen aber befördern das Transfergeschehen eines ganzen Landes.

Als Beispiel dafür verweist das CHE auf die Schweiz. Hier wirkt einerseits seit Jahren die Innosuisse erfolgreich als nationale Transferagentur und übt eine wichtige Funktion aus, spielt aber gleichzeitig nur indirekt die zentrale Rolle.

Foto © Public Domain Pictures / Pixabay

Die beiden herausragenden Hochschulen der Schweiz sind die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich und die École Polytechnique Fédérale (EPF) de Lausanne. Die ETH Zürich etwa ist keineswegs nur aufgrund der Unterstützung durch die Innosuisse herausragend, vielmehr ist die Förderung durch die Innosuisse nur ein Baustein von vielen. So unterhält die Eidgenössische Hochschule  ein Transfer Office mit fast 30 Mitarbeitenden, die sich in drei Abteilungen aufteilen: Forschungsvertragsgruppe, Intellectual Property Gruppe und Venture Program & Strategy Gruppe. Diese Einheiten unterstützen die Angehörigen der Universität in verschiedenen Aspekten des Wissenstransfers, von der Ausgestaltung und Verhandlung von Verträgen über den Schutz des geistigen Eigentums bis hin zur Förderung von Start-ups. Neben ETH Transfer steht die ETH Industry Relations, eine Einheit, die Firmen bei der Suche nach Partnern unterstützt, Besuche und Workshops organisiert und Beratung zu Finanzierungsmöglichkeiten bietet. Durch die Innosuisse erhält die ETH jährlich lediglich um die zehn Millionen Schweizer Franken. Im Vergleich zu den 120 Millionen Schweizer Franken, die allein aus Kooperationen mit Unternehmen stammen, also eine verhältnismäßig geringe Summe. An der ETH ist es das Gesamtgefüge, mit dem der Transfer befördert wird. Die Förderung durch die Innosuisse gehört ebenso dazu wie das breite Spektrum der weiteren Transferfördermaßnahmen, die hochschulseitig aufgestellt sind.

Fazit: Nationale Agenturen spielen offensichtlich eine wichtige Rolle beim Transfer aus Hochschulen. Sie tragen nachweislich dazu bei, Innovationen zu fördern und den Technologietransfer zu verbessern. Der internationale Vergleich veranschaulicht aber auch die Komplexität und Vielfalt der Ansätze, die verschiedene Länder zur Förderung des Transfers von Wissen und Innovationen aus Hochschulen verfolgen. Die Botschaft: Es gibt kein “One-Size-Fits-All”-Modell, sondern die erfolgreiche Strategien sind auch auf die spezifischen Bedingungen und Stärken eines Landes oder einer Institution zugeschnitten.

Die große Anzahl der forschungsstarken deutschen Universitäten könnte dabei vielleicht die offensichtlichen Schwächen der staatlichen Transferstrukturen ein Stück weit kompensieren. Sie sollten dazu aber als mehr als bisher in der Lage sein, sich entlang der Third Mission aufzustellen und dem Transfer von Innovation zu widmen.

 

Das Dossier „Transferstrukturen – Die Rolle von nationalen Agenturen beim Transfer aus Hochschulen“ wurde von Isabel Roessler und Gero Federkeil erstellt und des „DUZ Spotlight – Gute Praxis international“, auf www.che.de veröffentlicht.
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