Pünktlich um 8 Uhr morgens ist der große Konferenzraum im Zentrum von Stockholm bis auf den letzten Platz gefüllt. Auf dem Podium stehen zwei Frauen in Business-Kostüm und ein Mann mit feinem Oberlippenbart, der zum Anzug ein Baseballcap trägt. Die Frauen sind Susanne Ås Sivborg und Lena Lindgren Schelin, die eine leitet das schwedische Vermessungsamt, die andere die Datenschutzbehörde des Landes. Der Mann mit Cap ist der IT-Unternehmer Christian Landgren. Dessen Firma Iteam hat vor einigen Jahren von sich reden gemacht, als sie offenlegte, wie leicht Facebook und andere soziale Netzwerke Nutzer manipulieren können. Die drei sind einer Einladung von der Innovationsbehörde Vinnova gefolgt. Sie wollen über Integrität diskutieren und darüber, wie Geschäftsleute die ihnen anvertrauten Informationen schützen können. „Datenschutz, Klimawandel, solche Probleme sind viel zu groß, als dass sie ein Unternehmen oder eine Behörde allein angehen könnte“, sagt Landgren. „Deshalb ist Vinnova wichtig. Von mir aus können sie sich noch häufiger einmischen.“
So etwas hört Joakim Appelquist gerne. Vinnova wurde 2001 gegründet. Der Name ist ein Wortspiel aus den schwedischen Begriffen für Gewinn und Innovation. Die Behörde untersteht dem Ministerium für Unternehmen und Innovation und vergibt in erster Linie Fördergelder. Sie verfügt über ein Jahresbudget von umgerechnet rund 300 Millionen Euro, ein Zehntel des schwedischen Haushalts für Forschung und Entwicklung. Das Ministerium erteilt nur wenige konkrete Aufträge pro Jahr. Ansonsten hat Vinnova innerhalb grob abgesteckter Zielvorgaben weitgehend freie Hand.
Die Behörde traut es sich auch zu, große gesellschaftliche Ziele zu formulieren, denen Innovation dienen soll. Das vergebene Fördergeld hat ein Ziel: nachhaltiges Wachstum. Wer von Vinnova unterstützt werden will, muss nachweisen, dass das zu fördernde Innovationsvorhaben die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 der Vereinten Nationen voranbringt. Deren Entwicklungsziele sind allgegenwärtig in der Stockholmer Büroetage, sie prangen als bunte Piktogramme auf Wandtafeln, Sitzwürfeln und Sofakissen: Klimagerechtigkeit etwa, Gesundheit, Gleichstellung der Geschlechter oder inklusive Bildung.
Neue Wege in der Innovationsförderung
Und damit rücken auch Akteure in den Blick, die für klassische Innovationsförderung bisher keine Rolle gespielt haben. „Anfangs haben wir vor allem nach neuen technischen Lösungen Ausschau gehalten“, sagt Judit Wefer. „Aber es gab da immer auch diese kleinen Sozialunternehmer und Initiativen, die Wege für gesellschaftliche Veränderungen gesucht haben, statt nur auf neue Technologien zu hoffen.“ Wefer kümmert sich bei Vinnova um soziale Innovation. Sie weiß: Die Projekte, die sie betreut, gehören nicht zu dem, was Menschen zuerst in den Kopf kommt, wenn sie an Innovation denken. Sie berichtet von einem Sohn bosnischer Eltern, der mit seinem Verein Kinder aus Einwandererfamilien mit Sport motivieren will – weil er selbst erfahren hat, wie sehr Sport helfen kann. Vinnova förderte auch ein Projekt, das Kinder suchtkranker Eltern unterstützt. Und in einer schwedischen Kommune herrschte Verzweiflung, weil das Lernniveau ganzer Jahrgänge deutlich unter dem landesweiten Durchschnitt lag. Das änderte sich, als ein Unternehmen eingebunden wurde, das Hausaufgabenhilfe anbot.
„Wir tragen dazu bei, Schwedens Innovationsfähigkeit und nachhaltiges Wachstum zu vergrößern. Unsere Vision ist es, Schweden zu einer treibenden Kraft in einer zukunftsfähigen Welt zu machen.“
Joakim Appelquist, Vizedirektor von Vinnova
Vinnova will ihnen helfen, effektiver zu werden und ihre Lösungen für eine breitere Zielgruppe anzubieten – mit einem konkreten Hintergedanken: Auch die Verwaltung und öffentliche Träger, so die Hoffnung, können dann von der Kreativität der Initiativen und Sozialunternehmer profitieren. Das ist ein Gedanke, der bei Vinnova immer wichtiger wird: Innovation kann nur gelingen, wenn auch die Verwaltung neue Wege geht. Vinnova hilft deshalb auch dem Staat selbst auf die Sprünge. Sogenannte Politiklabore sollen die Zusammenarbeit von Ministerien und Behörden verbessern.
Nichts in dieser Stockholmer Innenstadtetage erinnert daran, dass man sich in einer Behörde befindet. Der offene Raum mit seiner modernen und bunten innenarchitektonischen Gestaltung ist Teil der selbst auferlegten Innovation von Vinnova. Es sieht hier eher aus wie in einem modernen Co-Working-Space: klares schwedisches Design, einladende Cafétische, ein elegant abgehängtes Separee, dann wieder wie in einer WG-Küche zusammengewürfelte Möbel. Feste Arbeitsplätze gibt es seit einigen Jahren nicht mehr. Ihre Habseligkeiten schließen die Mitarbeiter in Holzspinde, die mit einer Buchsbaumhecke bedruckt sind – eine letzte Erinnerung an die Vorgartenmentalität der klassischen Bürowaben, die hier vor einigen Jahren noch standen. Die hölzernen Schallschluckwände, die die beengten Arbeitsnischen voneinander trennten, haben Design-Studenten zu einem Podest mit mehreren Stufen und Sitzkissen verarbeitet – ein beliebter Sitzplatz für die Mittagspause.
Die Veränderung habe nicht allen der rund 200 Mitarbeiter gefallen, berichtet Daniel Rencrantz, der die Abteilung für Innovationsmanagement leitet. „Aber wir sind seitdem effektiver geworden.“ Vieles werde heute bei zufälligen Treffen geklärt, weil die Mitarbeiter der unterschiedlichen Teams nicht mehr getrennt voneinander, sondern gemischt dort arbeiteten, wo sie sich gerade am wohlsten fühlten.
Zusammenarbeit über den Tellerrand hinaus
Die Philosophie von Vinnova ist es, ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, das zum Ausprobieren ermutigt und auch ein Scheitern als Teil eines Lernprozesses akzeptiert. Viele gesellschaftliche Probleme müssten von öffentlicher Seite angegangen werden, aber Lösungen entstünden häufig im Privatsektor, erläutert Rencrantz. Deshalb sei es wichtig, beide Seiten zusammenzubringen. Die Idee dahinter: Radikale Innovationen entstehen, wenn sich auch einmal Unternehmen, Universitäten und gesellschaftliche Akteure zusammensetzen, die üblicherweise nicht so viel miteinander zu tun haben, und Partnerschaften eingehen.
Vinnova verfolgt verschiedene Ansätze bei den Projekten. Es gibt solche, die gezielt kleine und mittlere Unternehmen sowie Start-ups stützen sollen, andere zielen auf die Förderung eines bestimmten Sektors, künstliche Intelligenz etwa. Darüber hinaus setzt Vinnova strategische Innovationsprogramme auf, die verschiedene Akteure zusammenbringen. Die Behörde ermutigt Unternehmen damit, sich zu Innovationsclustern zusammenzuschließen. Wirtschaft, Forschung und womöglich zivilgesellschaftliche Akteure reichen gemeinsam Projektideen ein: ein neues Mobilitätskonzept für Schweden etwa, die smarte Stadt oder eine wettbewerbsfähige Produktion. Wenn Vinnova der Förderung zustimmt, kann das Netzwerk, das ein Leitungsgremium einrichten muss, eigenständig Innovationsvorhaben entwickeln, die dann je zur Hälfte von Vinnova und den beteiligten Unternehmen finanziert werden.
Welch ein Eigenleben diese Projekte entwickeln, fasziniert die Vinnova-Strategen immer wieder. Cecilia Sjöberg beugt sich in einem Besprechungsraum über ihren Laptop und weist auf zwei Netzwerkdiagramme. Sie zeigen die Beteiligten des Innovationsprogramms für Digitalisierung und Automatisierung in der Industrie, das Sjöberg betreut. Die Informatikerin leitet die Industrieentwicklung bei Vinnova. Das noch überschaubare der beiden Diagramme zeigt in der Mitte den Konzern ABB, umgeben von einigen technischen Unis und Forschungseinrichtungen, dem schwedischen Bergbauunternehmen Boliden sowie einigen weiteren Firmen. So sah das Programm nach drei Jahren aus. Im zweiten Diagramm hat sich ein schier undurchdringliches und um ein Vielfaches angewachsenes Geflecht entwickelt, das mittlerweile auch Konzerne wie Siemens und IBM umfasst und um sich herum weitere Cluster gebildet hat. Das ist der jüngste Entwicklungsstand nach sechs Jahren. „Das zeigt, was diese Programme erreichen können“, sagt Sjöberg. „Sie haben ein Innovationsökosystem innerhalb des Sektors gebildet.“
Bislang hätten Konzerne sich die Expertise eingekauft und für sie interessante Unternehmen kurzerhand übernommen. Heute aber wollten sie, dass die Kleinen sich weiterhin unabhängig entwickeln und dadurch innovativ bleiben. Vinnova hat es in den eigenen Zielen so formuliert: Wir regen dort zur Zusammenarbeit an, wo Wissen und Fertigkeiten aus verschiedenen Perspektiven aufeinandertreffen. Wenn nun große Konzerne kleine Unternehmen erhalten wollen, um von ihnen zu lernen, hat die Behörde bereits einiges erreicht.
Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Auszug aus dem aktuellen change-Magazin (1/2020).
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