Wie denken die Deutschen über Innovationen?

Im Gegensatz zur verbreiteten Meinung sind die Deutschen nicht innovationsfeindlich, sondern messen dem Thema einen hohen Stellenwert bei. Diese Offenheit und Chancenperspektive der Bevölkerung sollten stärker genutzt werden, um die Innovationsfähigkeit zu befördern.

Deutschland steckt inmitten einer wirtschaftlichen Transformation. Der Ausgang wird nicht zuletzt von der Öffentlichkeit kritisch diskutiert. Begriffe wie Deindustrialisierung, Unternehmensabwanderung und die immerwährende hohe Bürokratie fallen stetig und lassen einen kaum abwendbaren Abstieg Deutschlands vermuten. Ein Grund sei die hohe Skepsis der Bevölkerung und Abneigung gegenüber dem Neuen: Innovationen unerwünscht. Dabei zeigt eine aktuelle repräsentative Befragung der Bevölkerung im Auftrage des VDI*, dass die Deutschen viel reflektierter auf technische Innovationen blicken. Es gilt den Innovationsstandort Deutschland und seine Zukunftsfähigkeit differenzierter zu betrachten.

Zum Gesamtbild gehören die Moll-Töne: Denn die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands schätzt die deutsche Bevölkerung kritisch ein. 45,8 Prozent der Befragten hält Deutschland für nicht oder für wenig wettbewerbsfähig in der Entwicklung neuer Technologien im internationalen Vergleich. Nur 9 Prozent sind der Meinung Deutschland sei aktuell sehr wettbewerbsfähig.

Dementsprechend skeptisch beantworten die Befragten, ob Deutschland auch 2035 noch zu den führenden Innovationsstandorten der Welt gehören wird. Nur 13 Prozent geben ein klares „Ja“. Konkret wird dies beim Blick auf eine der führendenden Industrien Deutschlands: Die Automobilindustrie. 55 Prozent glauben (eher) nicht daran, dass auch in 10 oder 15 Jahren noch die besten Autos der Welt aus Deutschland kommen.

 

 

 

Made in Germany mit Schwächen und traditionellen Stärken

Besondere Schwächen sehen die Deutschen bei der Geschwindigkeit der Technologieentwicklung und deren Markteinführung. Auch schneidet Deutschland bei der Bevölkerung in Bezug auf die Innovationshöhe neuer Technologien weniger gut ab. Jede zweite Person glaubt nicht daran, dass Deutschland im internationalen Vergleich besonders innovative Produkte und Dienstleistungen entwickelt. Dieser Teil der Ergebnisse zahlt auf den düsteren Blick auf Deutschland ein.

Doch trotz der Kritik sieht die Bevölkerung klare Stärken. Traditionelle Werte werden hervorgehoben. 76 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Technologien „Made in Germany“ besonders langlebig und zuverlässig sind. Ähnlich hoch ist die Meinung, dass Technologien aus Deutschland im Vergleich zur globalen Konkurrenz besonders sicher und vertrauenswürdig sind. Diese Aussage erfährt 78 Prozent Zustimmung der Befragten. Als Stärken werden Eigenschaften wie Qualität, Genauigkeit, Sicherheit und Nachhaltigkeit erkannt.

 

 

Einen positiven Grundtenor haben auch die Aussagen ausgewählter Expert*innen, die zusätzlich befragt wurden: Die Expert*innen sehen zwar Herausforderungen für die Wettbewerbsfähigkeit des Innovationsstandorts und die Sicherung der Wertschöpfung in Deutschland, schätzen jedoch die Ausgangslage und die Zukunftsaussichten deutlich positiver ein. Sie weisen auf die Leistungsfähigkeit des Innovationsstandorts hin, insbesondere im Maschinenbau und anderen Schlüsselbranchen. Die unterschiedliche Sichtweise könnte darauf zurückzuführen sein, dass in Deutschland ein Großteil der Innovationen im Bereich Business-to-Business (B2B) stattfindet, während in manchen Ländern mehr Fokus auf dem Endkundenmarkt wie z.B. Smartphones oder Softwareangebote (B2C) liegt.

 

Innovationen als Chance für die eigene Zukunft

In eine eindeutige Richtung geht die Meinung der Bevölkerung zur Wichtigkeit technologischer Innovationen. Die Ergebnisse der bevölkerungsrepräsentativen Befragung zeigen, dass sich die Menschen hierzulande nicht nur der ökonomischen Relevanz, sondern auch der sozialen Bedeutung von technischem Fortschritt bewusst sind. Vier von fünf Deutschen glauben, dass technische Innovationen nicht nur für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg des Landes, sondern auch für die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen wichtig sind.

Die Deutschen messen dabei dem technischen Fortschritt nicht nur eine hohe allgemeine gesellschaftliche Relevanz bei. Auch bezogen auf die eigene Zukunft herrscht in der Bevölkerung eine aufgeschlossene und positive Haltung gegenüber den Folgen von Innovationen. Jede und jeder Dritte ist sogar davon überzeugt, dass technische Innovationen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze in Deutschland sehr wichtig sind. Darüber hinaus nehmen 84,2 Prozent der Befragten den technologischen Fortschritt als Chance für ihre persönliche Zukunft wahr.

 

 

 

 

Es zeigt sich somit das Bild einer viel stärker reflektierten Bevölkerung, anders als oftmals proklamiert. Daher gilt: Diese Offenheit und besonders die Chancenperspektive der Deutschen müssen stärker genutzt und in der Debatte um die Steigerung der deutschen Innovationsfähigkeit aufgegriffen werden. Der Einbezug einer aufgeschlossenen Bevölkerung in der Gestaltung eines zukunftsfähigen Deutschlands ist essenziell, um Akzeptanz zu erfahren und neue Ideen zu erzeugen. Nur in der möglichst breiten Diskussion werden nachhaltige Innovationen entwickelt und gemeinschaftlich getragen.

Konkret wird dies in den Zukunftsfeldern Energieversorgung, Gesundheit und Pflege, Klimaanpassung sowie Mobilität eingefordert. Hier sehen die Deutschen großes Potenzial der technischen Community aus Ingenieurinnen und Ingenieure neue Lösungen zu entwickeln.

Gemeinsame Anstrengungen für mehr Innovation nötig

Das Gesamtbild zeigt, dass die Stärkung des Innovations- und Wertschöpfungsstandorts Deutschlands nach Meinung der Bevölkerung höchste Relevanz hat. Gelingen kann dies nur mit einer gemeinsamen Anstrengung: Entscheiderinnen und Entscheider in Politik wie Unternehmen – und auch die Bevölkerung selbst – müssen nach Auffassung der Deutschen dazu beitragen. 94 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Zulassungs- und Genehmigungsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden müssten, um Deutschland wieder in eine wettbewerbsfähige Position zu bringen. Bürokratie führt nicht zu gemeinsamen Lösungen, sondern verfestigt eher Entscheidungsstrukturen und verhindert Kreativität. Unternehmen sollten zudem, so sehen es 90 Prozent, sich verstärkt mit europäischen Partnern zusammentun, um die technologische Eigenständigkeit Europas zu stärken. Die Bevölkerung sieht sich auch selbst in der Verantwortung: 90 Prozent, sagen die Deutschen, müssten aufgeschlossener gegenüber Innovationen sein.

 

Politischen Entscheiderinnen und Entscheidern verdeutlichen diese Ergebnisse vor allem, wie sie die Bevölkerung bei der Gestaltung einbinden können. Die öffentliche Debatte muss die Wichtigkeit von technischen Innovationen hervorheben und die Chancen thematisieren, die sich eröffnen. Hierbei ist entscheidend, dass die Bevölkerung eine aktive Rolle bei der Gestaltung einer Innovationspolitik spielt, ebenso wie Wirtschaft und Wissenschaft.

Wirksame Transformationspfade brauchen ehrlichen Diskurs

Fertig entwickelte Lösungen dürfen der Bevölkerung nicht allein zur Kenntnisnahme präsentiert werden, sondern es muss Dialog und Beteiligung möglich sein. Es gilt alle relevanten Akteure mit ihren Bedürfnissen zu inkludieren. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass Innovationsprozesse und Innovationspolitik von der Gesellschaft abgekoppelte Prozesse sind und letztlich nur einseitige Interessen verfolgen. Es muss ersichtlich sein, dass technische Innovationen breit wirken und so Wohlstand, Nachhaltigkeit, Wertschöpfung und Arbeitsplätze aktiv sichern.

Dieser ehrliche und lösungsoffene Diskurs kann Ängsten und Skepsis entgegenwirken und zu breit getragenen Transformationspfaden führen. Dabei müssen sämtliche Akteure neue Wege beschreiten und Herausforderungen annehmen. Innovationen bringen immer Unsicherheiten mit sich, die jedoch gemeinsam angegangen werden können und so gesellschaftlich tragfähig werden. Hier sind auch die öffentlichen Diskussionsteilnehmer gefordert konstruktiv mitzuwirken. Die Transformation zu einer „Innovation Nation“ braucht vor allem gut gestaltete Dialoge mit allen involvierten Akteuren.

*die Herausgeber der Studie sind der VDI gemeinsam mit dem VDE/VDI-IT

Zum Download:   Kurzstudie: Wie denkt Deutschland über Innovationen und Wertschöpfung?

 

Die Analyse des VDI bestätigt die Ergebnisse einer europaweiten Vergleichsbefragung der Bertelsmann Stiftung aus den Jahren 2020 und 2021. Die Bundesbürger:innen stehen danach Innovationen und technolo­gischem Fortschritt positiver gegenüber als oftmals dargestellt. So erwarteten damals 65 Prozent der Deutschen in den folgenden 15 Jahren positive Auswirkungen durch Innovationen und technologischen Fortschritt auf ihr Leben, während nur ein Fünftel eher negative Zukunftser­wartungen hatte. In bei denBefragungen erwiesen sich die Deutschen zudem nicht weniger innovationsfreundlich als ihre europäischen Nachbarn. Viele erkannten dabei die starke internationale Konkurrenz und eine deutliche Mehrheit wünschte sich mehr Zusammenarbeit der EU-Staaten. Diese repräsentative, europaweite eupinions-Umfragen der Bertelsmann Stiftung wurde unter rund 12.000 EU-Bür­ger:innen durchgeführt.

Weitere Informationen unter: Die wichtigsten Ergebnis im Kurzvideo:

zum Download

Deutsche sind offen für Innovationen und wünschen sich mehr europäische Kooperation (bertelsmann-stiftung.de)

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