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Nachhaltiges Wachstum durch frugale Innovationen

Damit deutsche Unternehmen im zunehmend intensiven globalen Wettbewerb bestehen können, bedarf es neuer Innovationsansätze. Ein Plädoyer für die Integration frugaler Innovationen in die Innovationsstrategie.

Die voranschreitende Globalisierung hat nicht nur eine räumliche Erweiterung der Innovationszentren zur Folge. Sie bewirkt auch eine qualitative Veränderung der Innovationsprozesse. Schwellenländer, beispielsweise China und Indien, etablieren sich als neue Leitmärkte. Ihr rasantes Wirtschaftswachstum begünstigt das Entstehen einer Käuferschicht, die nicht nur in vergleichbaren Märkten anderer Entwicklungsländer Wachstums- und Innovationsimpulse setzt, sondern zunehmend auch global. Vor diesem Hintergrund ist das Phänomen frugaler Innovationen entstanden.

Was sind frugale Innovationen?

Frugale Innovationen sind attraktive Produkte oder Dienstleistungen, die sich auf Kernfunktionalitäten konzentrieren und besonders ressourcenschonend agieren. Sie stehen für robuste, benutzerfreundliche und wartungsarme Produkte, die möglichst geringe Anschaffungs- und Nutzungskosten zum Ziel haben. Dennoch besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen frugalen und low-cost Innovationen, die lediglich geringere Kosten bei bereits bestehenden Produktlösungen zum Ziel haben, wohingegen frugale Innovationen teils zu komplett neuen Lösungsansätzen führen.

Frugale Innovationen: Auch für Industrieländer relevant

Unsere in Deutschland und Österreich durchgeführten Studien zeigen, dass frugale Innovationen auch für Industrieländer eine hohe Relevanz besitzen. Denn: Viele Kundengruppen reagieren aufgrund von finanziellen Engpässen preissensibler. Zudem fordert das erhöhte Umweltbewusstsein in der Gesellschaft einen sorgsamen Umgang mit natürlichen Ressourcen. Beide Ansprüche können durch frugale Innovationen erfüllt werden. Denn diese weisen folgende Kriterien auf:

  • erhebliche Kostenreduktion
  • Konzentration auf Kernfunktionalitäten
  • optimiertes Leistungsniveau

Erhebliche Kostenreduktion: Bei dem Kriterium geht es um Einsparungen von mindestens 33 Prozent. Untersuchungen zeigen, dass frugale Innovationen im Vergleich zu bestehenden Lösungen Kosteneinsparungen von mindestens 33 bis zu über 90 Prozent ermöglichen.

Fokus auf Kernfunktionalitäten: Dieser Fokus ist nicht mit besonders „kargen“ Produktarchitekturen zu verwechseln. Es geht vielmehr um ein Baukastenprinzip: Mit dem gezielten Einsatz von Modularität soll eine hohe Ansprechbarkeit von unterschiedlichen Kundenbedürfnissen  gewährleistet werden.

Der Fokus auf Kernfunktionalitäten sorgt nicht nur dafür, dass frugale Innovationen einfach zu bedienen sind. Er macht sie zudem robust und wartungsarm. Die langlebigen und einfach zu reparierenden Produkte sorgen für einen sparsamen Ressourceneinsatz. Frugale Innovationen können damit sowohl die Öko-Effizienzstrategie als auch die Suffizienz-Strategie verfolgen.

Ein Beispiel zeigt zudem, dass frugale Innovationen auch die soziale Dimension der Nachhaltigkeit erfüllen können. So schafft das für den indischen Markt entwickelte Elektrokardiogramm MACi von General Electric einen Zugang zur Gesundheitsvorsorge. Durch das portable und batteriebetriebene Design kann das EKG-Gerät auch in weit abgelegenen ländlichen Regionen ohne zuverlässige Stromversorgung genutzt werden. Hinzu kommt ein erschwingliche Anschaffungspreis, der Zugang ermöglicht.

Optimiertes Leistungsniveau: Ein Beispiel: Hochwertige und hochpreisige Baumaschinen westlicher Hersteller erfüllen die globalen Anforderungen nur unzureichend. Sie gelten als überkonstruiert (over-engineering). Die Qualität – und die Kosten – sind höher als vom Kunden gewünscht. Nachgefragt werden stattdessen technisch einfache und robuste Maschinen. Dies zeigt, dass das Leistungsniveau optimal zum Verwendungszweck und den Anforderungen des Umfelds passen muss.Dies unterstreichen auch erfolgreiche Beispiele frugaler Lösungen, etwa aus der Automobilindustrie. Hingewiesen sei hier auf Modelle wie den Dacia Logan, der kein High-End-Produkt ist, sondern ein einfaches Design bei vergleichsweise geringen Kosten aufweist.

Digitale Technologien als Enabler

Die digitale Transformation fördert das Erreichen des magischen Dreiecks der Erschwinglichkeit, Umweltfreundlichkeit und qualitativen Exzellenz, was auch als „affordable green excellence“ bezeichnet wird. Unsere Studien in unterschiedlichen Bereichen wie der Automobilindustrie, der Windkraft oder der Haushaltsgeräte signalisieren, dass der Einsatz digitaler Technologien hier besonders vielversprechend sein kann und eine hohe Vereinbarkeit mit den Anforderungen der Prinzipien der Kreislaufwirtschaft ermöglicht.

 Neue schnell wachsende Märkte erschließen

Wir unterteilen einen Markt in vier Segmente:

  1. Premium-Segment
  2. Premium-Light-Segment
  3. Frugales Marktsegment
  4. Billig-Segment

Üblicherweise bedienen deutsche Unternehmen mit ihrem Produktportfolio überwiegend die Segmente 1 und 2. In diesen Premium-Marktsegmenten findet jedoch wenig Wachstum statt. Mit dem Produktportfolio kann allerdings das – besonders in China und Indien – dynamisch wachsende frugale Marktsegment nicht bedient werden. Vor diesem Hintergrund berichtete die Tageszeitung „Die Welt“ bereits 2013 darüber, dass deutsche Baumaschinen „zu gut für den Weltmarkt“ seien und schrieb: „Maschinenbauer räumen auf der Messe Trophäen ab. Von den Märkten der Schwellenländer aber werden sie verdrängt. Hier ist simple, robuste Technik gefragt – und die kommt aus anderen Ländern“.

Erste frugale Innovationen, die in den Schwellenländern speziell für die dortigen Verhältnisse entwickelt wurden, finden inzwischen auch in Industriestaaten Verbreitung (sog. reverse innovation). So wurden zum Beispiel das Ultraschallgerät Vscan und das EKG-Gerät MACi von General Electric ursprünglich für den chinesischen bzw. indischen Markt entwickelt. Mittlerweile werden sie aber auch in Industrieländern, unter anderem in Deutschland, erfolgreich vertrieben.

 

Nachfrage wird in Industrieländern weiter zunehmen

Kaufkraftrückgänge wegen enormer Preissteigerungen, unter anderem bei der Energiebeschaffung, knapper werdenden Ressourcen und der Trend zu bewussterem Konsum führen dazu, dass die Nachfrage nach frugalen Produkten auch in den Industriestaaten weiter zunehmen wird.

Es ist mit hohen Gefahren verbunden, diesen Trend einfach zu ignorieren und weiterhin auf bewährte Strategien zu setzen. Dies zeigen auch Übernahmen deutscher „Hidden Champions“ durch ausländische Konkurrenten. Ein Beispiel ist das des einstigen Baumaschinen-Weltmarktführers Putzmeister, der durch den chinesischen Konzern Sany übernommen wurde. Eine Erhebung unter deutschen Hidden Champions durch unser Institut zeigte allerdings auf, dass viele Unternehmen es versäumen, marktspezifische Produkte zu entwickeln (Herstatt et al. 2017). Vor diesem Hintergrund sprach der damalige Präsident des VDMA, Reinhold Festge, bereits 2014 die folgende „Warnung“ aus: „Die deutschen Unternehmen dürfen sich nicht in die Spitze der Technologiepyramide abdrängen lassen. Dort ist der Markt zu klein.“

Herausforderungen bei der Umsetzung

Auch wenn inzwischen die potenzielle Relevanz frugaler Innovationen generell anerkannt wird, bleibt die tatsächliche Umsetzung von frugalen Produkten, Dienstleistungen, Technologien und Geschäftsmodellen in unternehmerischen Innovationsprozessen wenig untersucht. Viele Unternehmensvertreter berichten von internen wie externen organisationalen Schwierigkeiten bei ihren Bestrebungen, frugale Innovationen auf den Markt zu bringen.

Zwar gibt es vereinzelt Versuche, einen standardisierten frugalen Innovationsprozess zu entwickeln. Aber eine Kernschwäche der bekannten frugalen Innovationsprozesse liegt darin, dass diese oftmals zu kurz greifen. Sie stellen die Entwicklung der Innovation in den Vordergrund, vernachlässigen aber den ganzheitlichen Blick auf das Geschäftsmodell bzw. auf das notwendige Ökosystem, das für den Erfolg von frugalen Produkten vonnöten ist. Zudem wird die Thematik des frugalen Mindsets in diesen Prozessen oft wenig bis gar nicht berücksichtigt. Neuere Erkenntnisse im Rahmen unserer Forschung sowie unserer Beratungstätigkeit zeigen jedoch, dass es essentiell ist, das frugale Mindset pro-aktiv entlang des Innovationsprozesses zu entwickeln (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Innovationsprozess zur Entwicklung frugaler Geschäftsmodelle und die Bedeutung des frugalen Mindsets

Frugale Innovationen als Chance

Der frugale Innovationsansatz birgt nicht nur die Herausforderung, gegen alte Innovationspfade wie das over-engineering anzugehen und hier eine neues Mindset zu bewirken. Auch das bisherige Geschäftsmodell, wie zum Beispiel Vertriebswege, müssen überdacht werden. Best-Practices wie die Firma Basler AG, ein Hersteller für Industriekameras, und der Landmaschinen-Hersteller Claas KGaA mbH zeigen, dass der frugale Innovationsansatz eine große Chance bietet, neue Märkte zu erschließen und nachhaltiges Wachstum zu erzielen. Ergänzend wird durch frugale Innovationen ein positiver Beitrag zur Transformation zur nachhaltigen Unternehmung erzielt.

Eine Studie unseres Center for Frugal Innovation belegt, dass die Entwicklung frugaler Innovationen und das globale Vertreiben dieser eine sinnvolle, gar notwendige, Innovationsstrategie für Unternehmen ist. Das Ökosystem dieser Unternehmen — bestehend aus Akteuren aus Politik, Wissenschaft und Verbänden — sollte diese dabei mit geeigneten Maßnahmen unterstützen.

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