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Prof. Dr. Hartmut Hirsch-Kreinsen
26. Januar 2021

Digitalisierung und KI suchen eine innovative Managementkultur

„Ineffizientes Management“ ist ein wichtiger Grund, wenn Innovationen in Unternehmen die Produktivität nicht wirklich steigern. Innovationen durch Digitalisierung oder KI brauchen arbeitsorganisatorische Veränderungen und eine systematische Kompetenzentwicklung der Mitarbeiter:innen. Vor allem aber eine neue Unternehmenskultur, die die Beteiligung der Beschäftigten an den Anfang stellt. Und sie zum Beispiel fragt, wie Arbeit durch Digitalisierung mit und nach Covid besser gelingen kann.

Mit der Digitalisierung, insbesondere von Systemen der Künstlichen Intelligenz (KI), werden Erwartungen geradezu spektakulärer ökonomischer Gewinne und die Lösung vielfältiger gesellschaftlicher Herausforderungen verknüpft. Folgt man Prognosen, so werden KI-basierte Systeme als ein Schub der Automatisierung von Arbeit in Bereiche hinein angesehen, die bislang aufgrund ihrer Komplexität als automatisierungsresistent galten.

So werden bis zum Jahr 2035 weltweite weitreichende Produktivitätseffekte von bis zu 37 Prozent prognostiziert. Für Deutschland wird ein zusätzliches Wachstum von jährlich 1,6 Prozent und ein Anstieg der Arbeitsproduktivität von 29 Prozent erwartet. [1]

Freilich stehen diese Erwartungen in deutlichem Kontrast zur bisherigen ökonomischen Entwicklung. Makroökonomisch wird seit Ende der 1980er Jahre die These vom Produktivitätsparadox moderner Informationstechnologien diskutiert. Sie geht bekanntlich zurück auf den Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften Robert Solow, der 1987 formulierte:

„You can see the computer age everywhere but in the productivity statistics.“ [2]

Danach kommt es trotz eines zunehmenden Investitionsvolumens in Computertechnologien nicht zu einer steigenden Produktivität, einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit und insgesamt einer erhöhten Rentabilität von Unternehmen.

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Aktuellen Daten zu Folge hat sich diese Situation auch in den letzten Jahren nicht grundlegend geändert. Ohne an dieser Stelle auf die komplizierten Abgrenzungs- und Messprobleme des Produktivitätswachstums eingehen zu können, lässt sich festhalten, dass die aktuelle Produktivitätsentwicklung der deutschen Volkswirtschaft mäßige Wachstumsraten aufweist.

Untersuchungen belegen, dass in Deutschland die Einführung von IT-Technologien in den letzten Jahren genau genommen zwei gegenläufige Effekte hatte: Zum einen steigt die Arbeitsproduktivität bei konstantem Arbeitseinsatz. Zum anderen führt dies zu einer erhöhten Nachfrage nach Arbeitskräften, weshalb die durchschnittliche Arbeitsproduktivität wiederum sinkt. Insgesamt, so der Sachverständigenrat in seinem Gutachten 2019, ist daher kein positiver und signifikanter Produktivitätseffekt erkennbar. [3]

„Adaptionsverzögerungen“ als Ursache?

Eine oft wiederholte und verbreitete Erklärung für die zögerliche Produktivitätsentwicklung ist der Hinweis auf „Adaptionsverzögerungen“ bei der Nutzung der neuen Technologien; genannt werden etwa Einführungsprobleme der neuen Techniken, fehlende Erfahrungen und nur sehr zögerliche organisatorische Anpassungen an die Erfordernisse der neuen Technologien. Argumentiert wird mit den notwendigen, oft aber nicht angegangenen zu den digitalen Systemen komplementären Innovationen wie etwa neue Wertschöpfungsstrukturen, arbeitsorganisatorische Innovationen und vor allem auch die systematische Kompetenzentwicklung der Beschäftigten.

Indes könnten die Produktivitätspotentiale der neuen Technologien ohne solche parallelen im weitesten Sinn soziale Innovationen nicht wirklich ausgeschöpft werden. So wird von den prominenten Protagonisten der Digitalisierung Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee betont:

„Organisations can only fully benefit from technological innovation if it is embedded in a proper work organisation“. [4]

Als zentrale Ursache für diese Situation kann in der Tat, auch unseren Forschungsergebnissen zufolge, das oftmals technologisch verkürzte Verständnis bei vielen Entscheidern und Akteuren in Unternehmen angesehen werden. Gesetzt wird in der Regel auf eine möglichst weitereichende Algorithmisierung von Tätigkeiten und Prozessen, ohne den gesamten organisatorischen Kontext der neuen digitalen Techniken und die notwendigen Anpassungen der Arbeitsorganisation zu berücksichtigen. In diesem Sinne wird auch vom Sachverständigenrat „ineffizientes Management“ als ein wichtiger Grund für eine nur begrenzte Adaption von digitalen Technologien in Unternehmen angesehen.

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Pfadabhängigkeit

Diese Auffassung deckt sich mit den Ergebnissen unserer Betriebsfallstudien im industriellen Sektor: [5] Die Einführung digitaler Techniken ist in sehr vielen Betrieben von einem hohen Maß an Zögerlichkeit gekennzeichnet. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass bei der Einführung digitaler Technologien bislang keineswegs mit einem Bruch der gewachsenen technisch-organisatorischen und personellen Strukturen zu rechnen ist, sondern diese werden bei Einsatz der neuen Technologien nur moderat weiterentwickelt. Gesprochen werden kann von Pfadabhängigkeit der Digitalisierung:

  • Zum einen verlaufen die digitalen Innovationen zumeist nur inkrementell und schrittweise. Im industriellen Bereich ist – im Vergleich etwa zur IKT-Branche, den Finanz- und Versicherungsdienstleistern, wissensintensiven Dienstleistern und dem Handel – eine erkennbare Zurückhaltung gegenüber den digitalen Technologien zu erkennen. Dies gilt insbesondere auch für die Einführung von Systemen der KI.
  • Zum anderen bleiben daher die existierenden und eingespielten Organisations- und Arbeitsstrukturen weitgehend erhalten. Allenfalls werden sie durch marginale Anpassungen an die neuen Technologien verändert. Zudem tritt vielfach ein nur schrittweiser Wandel von Anforderungen an Qualifikationen und Kompetenzen zutage, ohne dass sich die Arbeitsprozesse insgesamt substantiell verändern.

Insgesamt sind vor allem in kleineren und mittleren Betrieben nur kleinschrittige digitale und organisatorische Veränderungen zu erkennen. Bestehende „Bottlenecks“ wie defizitäre Informationsvorgaben, werden beseitigt und die Prozesse werden optimiert, ohne weitreichende betriebliche Produktivitätssprünge anzustreben.

Aus der Sicht der einzelnen Betriebe ist dieses Vorgehen durchaus rational. Denn einerseits werden einzelbetrieblich gewisse Produktivitätsgewinne realisiert, andererseits aber technischen Risiken und häufig ungewisse ökonomische Effekte weitreichender digitaler Innovationen vermieden. Es findet sich daher auch gegenwärtig ein vorherrschendes Rationalisierungsmuster, das in der Arbeitssoziologie schon vor langer Zeit als „schleichende Rationalisierung“ bezeichnet wurde.

Produktivitätspotenziale nutzen

Welches wären die Voraussetzungen dafür, dass weitergehende Produktivitätspotentiale im Interesse der Betriebe, wie auch für gesamtgesellschaftliche Innovation genutzt werden könnten? Einen Hinweis auf zentrale Stellhebel gibt der oben zitierte Hinweis von Brynjolfsson und McAfee, wonach die neuen Technologien in eine „proper work organisation“ eingebettet werden sollten, um ihre Produktivitätspotenziale tatsächlich zu nutzen. Konkret bedeutet dies nach unseren Forschungsergebnissen vor allem zweierlei:

  • Zum einen müssen beim betrieblichen Einführungsprozess der neuen Systeme sowohl die informationstechnischen als auch die organisatorischen und sozialen Erfordernisse der Innovation gleichermaßen berücksichtigt werden. Um tatsächlich die Produktivitätspotenziale realisieren zu können, muss ein technikzentriertes und kurzfristig orientiertes „Durchwursteln“ bei der Einführung der neuen Systeme vermieden werden. Wie viele Unternehmensfälle belegen, werden dadurch sowohl ökonomisch als auch sozial bestenfalls suboptimale Lösungen erreicht. Vielmehr ist eine ganzheitliche sozio-technisch orientierte Einführungsstrategie anzustreben. Die weithin unbestrittene Prämisse dabei ist, dass allein dann eine Chance besteht, das Produktivitätspotenzial der neuen digitalen Technologien auszuschöpfen.
  • Zum zweiten sollten weitreichende Partizipationsmöglichkeiten der Beschäftigten geschaffen werden. Neben der betriebsverfassungsrechtlich obligatorischen Beteiligung des Betriebsrates betreffen diese die unmittelbar mit den neuen Systemen konfrontierten Beschäftigten. Sie sollten an der Feinplanung und Endauslegung der Systeme beteiligt werden und beispielsweise über zentrale Aspekte ihrer Arbeitssituation wie eine Auslegung der Mensch-Maschinen-Schnittstelle mitentscheiden können. Das grundlegende, auch von manchen Managementvertretern vorgebrachte Argument hierfür ist, dass die Beschäftigten aufgrund ihrer Erfahrung am besten wüssten, wie man einen gegebenen Produktionsprozess mithilfe neuer Technologien optimieren könne.

 

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Solche arbeitsorientierten Vorgehensweisen auf der betrieblichen Ebene sollten freilich durch eine breite gesellschaftspolitische Debatte über zukünftig sozial wie auch ökonomisch wünschenswerte Formen von Arbeit begleitet und unterstützt werden. Obgleich der Diskurs über die Zukunft von Arbeit in den letzten Jahren ein überraschendes öffentliches Interesse gewonnen hat, bleiben hierzu bislang viele Fragen offen. Dies gilt insbesondere für die aktuell drängende Frage, wie Arbeit unter den Bedingungen und Folgen der Covid 19-Krise gestaltet sein sollte. Denn die Ausschöpfung bislang ungenutzter Produktivitätspotenziale durch eine darauf gerichtete Arbeitsgestaltung wäre gerade für die Bewältigung dieser Krise eine unverzichtbare Voraussetzung.

Literatur

[1] Vgl. Purdy, M.; Paul D. (2017): How AI Boosts Industry Profits and Innovation (Zugriff: 12.11.2020)
[2] Solow, R. (1987): We’d better watch out, in: New York Times Book Review, July 12 (S. 36)
[3] Vgl. SVR (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) (2019): Den Strukturwandel meistern. Wiesbaden (S. 108)
[4] Vgl. Brynjolfsson, E., McAfee, A. (2014): The second machine age: work, progress, and prosperity in a time of brilliant technologies. New York/London (S. 138)
[5] Vgl. zusammenfassend Hirsch-Kreinsen, H. (2020): Digitale Transformation von Arbeit. Entwicklungstrends und Gestaltungsansätze. Stuttgart
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