© Collage: Bertelsmann Stiftung; Fotos: anncapictures, Schwoaze, Ro Ma, mbousevschoo, igorovsyannykov auf Pixabay
Prof. Dr. Klaus-Michael Ahrend
2. August 2023

Nachhaltige Geschäftsmodelle in der Smart Region 

Nachhaltigkeit ist mehr als eine gesellschaftliche Anforderung oder eine philanthropische Erwägung. Vielmehr ist Nachhaltigkeit eine unternehmerische Chance für etablierte Unternehmen und für Neugründungen. Eine lokale und eine regionale Wirtschaftspolitik ermöglichen dabei ein Mehr an ökologischen und sozialen Innovationen. Wie die öffentliche Hand die nachhaltige Entwicklung und besonders nachhaltige Geschäftsmodelle in einer Smart Region fördern kann.

Die Herausforderungen der Menschheit – wie die sich intensivierende Ressourcenverknappung, der Klimawandel und die Bedrohung von Ökosystemen, aber auch soziale Missstände –  stellen nicht nur jedes Individuum, sondern auch jede Organisation vor die Frage der Reflexion im eigenen Handeln. Ein breit formulierter Konsens liegt darin, wirtschaftliche Prosperität von ihrer negativen Wirkung auf Umwelt und Gesellschaft so weit wie möglich zu entkoppeln (vgl.  z. B. die Sustainable Development Goals).  

Geschäftsmodelle beschreiben die Aktivitäten, die erforderlich sind, ein Unternehmen im Wettbewerb zu positionieren und die Wertschöpfung eines Unternehmens zu ermöglichen. Für eine zukunftsorientierte Legitimierung jedes Unternehmens bieten sich nachhaltige Geschäftsmodelle an, nicht nur als philanthropische Erwägung, sondern als ein Treiber für Wachstum, sei es qualitatives oder quantitatives. Sie sind relativ zum Wettbewerb nachhaltiger, bieten also einen höheren ökologischen und/oder sozialen Mehrwert. Häufig werden die ökonomischen Ziele trotz oder gerade wegen der verbesserten Erreichung von ökologischen bzw. sozialen Zielen erreicht – im Sinne eines Business Case für Nachhaltigkeit. Dazu tragen neben der Differenzierung im Wettbewerb vor allem Vorteile der Kund:innenbindung, Vorteile bei der Beschaffung von Kapital, bei der Stärkung von Unternehmens- und Arbeitgeber-Marke und Vorteile durch die geringere Abhängigkeit von knappen Ressourcen bei. In ihrer Ausprägung handelt es sich um neue nachhaltige Geschäftsmodelle oder um die Weiterentwicklung von bestehenden Geschäftsmodellen in Richtung von mehr Nachhaltigkeit. Nachhaltige Geschäftsmodelle sind ein wichtiger Bestandteil für eine lebenswerte Zukunft. 

Auf Basis von rd. 1.600 Praxisbeispielen hat der Autor eine Typologie nachhaltiger Geschäftsmodelle entwickelt (vgl. Ahrend 2022). Sie umfasst 7 Typen und 27 Segmente. Als Typen lassen sich unterscheiden: Gesundheit, Empowerment, Sozialer Zusammenhalt, Ökoeffektivität, Ökoeffizienz, Sharing Economy sowie Motivation & Bildung. Anhand der Typologie und dem Konzept für die Entwicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle lassen sich in jedem Unternehmen die bestehenden Geschäftsmodelle nachhaltiger gestalten.  

Geschäftsmodellinnovationen prägen Smart Region 

Schon Goethe hat es formuliert: Man solle sich immerfort verändern, um nicht zu verstocken. Während eine hohe allgemeine Bereitschaft besteht, mit Sport den Körper fit zu halten, stellt sich die Frage, wie es um die Veränderungsbereitschaft im unternehmerischen Denken bestellt ist. Damit das unternehmerische Geschäftsmodell nicht verstockt, braucht es Beweglichkeit. Smarte Unternehmen nutzen geschickt die Chancen von Innovationen und besonders von Geschäftsmodellinnovationen (vgl. Ahrend/Redmann 2023). Viele nachhaltige Geschäftsmodellinnovationen prägen eine Smart Region. Eine Region wird nicht durch die digitale Transformation allein zu einer Smart Region, sondern durch eine Reihe von Merkmalen, die die Zukunftsfähigkeit ausmachen (vgl. Mertens et al. 2021). Die Zukunftsfähigkeit hängt unter anderem von der Nutzung moderner Technologien (wie insb. digitalen Technologien) ab. Sie hängt aber auch von Elementen wie Lebensqualität, Qualität der Infrastruktur, Bildungsqualität, Forschungsintensität, Vernetzung (Gemeinschaft von Akteuren aus Stadt, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft), räumliches Potential und Arbeitskräftepotential für Wachstum sowie einer zukunftsorientierten Ausrichtung der Wirtschaft ab.  

Genau hier setzen starke nachhaltige Geschäftsmodelle an. Dabei sind die öffentliche Verwaltung von Städten und Regionen sowie die zugehörigen öffentlichen Unternehmen wesentliche Akteure für das erfolgreiche Gelingen der zukunftsorientierten Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft im Sinne einer Smart Region. Die neue Urbane Agenda der Vereinten Nationen enthält die Selbstverpflichtung für intelligente Städte (und Regionen): „Wir verpflichten uns auf ein Konzept der intelligenten Stadt, mit dem die aus der Digitalisierung, sauberer Energie und Technologien sowie innovativen Verkehrstechnologien erwachsenden Chancen genutzt werden, um den Bewohnern und Bewohnerinnen umweltfreundlichere Alternativen und Möglichkeiten zur Förderung eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums zu bieten und Städte dazu zu befähigen, ihre Bereitstellung von Dienstleistungen zu verbessern.“ (Vereinte Nationen 2016, S. 24).  

Beispiel Geothermiekraftwerk der Gemeinde Sauerlach südlich von München: Seit Anfang 2014 wird hier planmäßig Geothermie ins Nahwärmenetz mit eingespeist. Damit kann der Ölverbrauch für Spitzenlast und Redundanz auf nahezu Null gesenkt werden, wodurch sich auch der ohnehin schon sehr gute Primärenergiefaktor noch weiter verbessert. © Foto: Stux auf pixabay

Es lassen sich daraus folgende Empfehlungen formulieren: 

  • Lokale Wirtschaftspolitik. Es braucht eine starke lokale Wirtschaftspolitik. Jede Stadt sollte neben ihren Clustern aus Wirtschaft und Wissenschaft auch neue Cluster in den Blick nehmen. Dazu gehören neben zukunftsorientierten Technologien auch die Entwicklung von Clustern mit Bezug zu Nachhaltigkeit. Das kann sich auf die bestehenden Cluster beziehen oder auch auf neue Cluster in Bereichen wie z. B. Clean Tech, Green IT, Gesundheit, Recycling, Kreislaufwirtschaft, regenerative Energie oder Wasserwirtschaft. Das Eingehen von Risiken für neue nachhaltige Innovationen sollte öffentlich als Ziel formuliert werden. Zudem helfen die Bekanntmachung von guten Beispielen (Glaubwürdigkeit), die Durchführung entsprechend ausgerichteter Veranstaltungen und die Organisation bzw. Unterstützung von Innovations- und Gründerpreisen (Sichtbarkeit).

 

  • Starke öffentliche Strukturen. Die Entwicklung einer Smart Region bedarf neben dem politischen Rahmen konkreter Strukturen für die Umsetzung. Eine starke Wirtschaftsförderung (als Amt oder als GmbH) gehört dazu, aber auch ein starkes Beteiligungsmanagement, das die meist zahlreichen öffentlichen Unternehmen koordiniert (vgl. Ahrend 2020). Die einzelnen öffentlichen Unternehmen einer Stadt sind gefragt, bei der Entwicklung von nachhaltigen Innovationen gemeinsam mit Akteuren aus Wirtschaft und Wissenschaft als Partner mitzuwirken sowie gemeinsame Projekte zu koordinieren. Darüber sollten die öffentlichen Unternehmen als Auftraggeber die Prototypen und nachhaltigen Produkte oder Dienstleistungen von jungen Unternehmen oder auch solche von etablierten Unternehmen testen und an der Weiterentwicklung mitwirken. Zudem braucht es Organisationen, die Innovationsprozesse fördern und ermöglichen. Solche Innovationslabore (wie das Gründungszentrum HUB31 und die Digitalstadt Darmstadt als Beispiele aus Darmstadt) agieren als Brutkästen für neue Ideen von Start-ups und von etablierten Unternehmen. Damit werden Räume für Kreativität und Experimente (auch für Akteure aus der Bürgerschaft) möglich. 

 

  • Stadtwirtschaftsstrategie. Mit der Formulierung einer Stadtwirtschaftsstrategie legt eine Kommune Erwartungen, Ziele, Missionen und ggf. auch konkrete Maßnahmen fest. Dies ist ein wichtiges Element der Public Corporate Governance und dient der Erfüllung öffentlicher Zwecke (vgl. https://pcg-musterkodex.de). Dabei geht eine derartige Strategie deutlich über die Inhalte eines Koalitionsvertrags hinaus und stärkt die nachhaltige Transformation sowie die digitale Transformation der Beteiligungen (vgl. zum Zusammenhang von beidem UBA 2022). Eine Stadtwirtschaftsstrategie betrifft das Gesamtgebilde Stadtwirtschaft – also alle Geschäftsfelder (z.B. Energie, Immobilien, Verkehr, …) und alle Unternehmen, an denen eine Kommune mittelbar oder unmittelbar (mehrheitlich) beteiligt ist. Ein Beispiel für eine Stadtwirtschaftsstrategie ist die der Wissenschaftsstadt Darmstadt. Hier findet sich die aktuelle Fassung sowie übergreifende Strategien von anderen Städten. Im Zuge des Gewinns des Bitkom-Wettbewerbs „Digitale Stadt“ wurde in Darmstadt auf dieser Basis eine eigenständige Digital-Strategie entwickelt. Zahlreiche Projekte wurden daraufhin umgesetzt bzw. befinden sich in Umsetzung 

 

  • Runde Tische. Die Partnerschaft zwischen den Akteuren von Stadt und Region wird durch gemeinsame Projekte gestärkt, Runde Tische für Akteure aus öffentlicher Verwaltung, Stadtwirtschaft, Wissenschaft, privater Wirtschaft und Zivilgesellschaft (wie z. B. in der Region vertretene Stiftungen) ermöglichen neue Kooperationen. Ein besonderer Runder Tisch kann ein Stadtlabor sein (wie das Digitale Stadtlabor in Darmstadt). Zudem dienen sie der regelmäßigen Kommunikation und damit der Schaffung eines Wir-Gefühls und gemeinsamer Narrative der Akteure einer Stadt bzw. Region. Die Runden Tische sollten regelmäßig durch Akteure der öffentlichen Hand organisiert werden.  

Abbildung: Selbstverständnis der Digitalstadt Darmstadt 

  • Regionale Wirtschaftspolitik. Die Bedeutung der Attraktivität von Regionen nimmt bei Ansiedlungsentscheidungen zu. Daher braucht es neben einer kommunalen Wirtschaftspolitik auch einer regionalen Wirtschaftspolitik. Ein gemeinsames wirtschaftspolitisches Handeln und damit die Überwindung des Kirchturmdenkens funktioniert aber nur, wenn die Vorteile für alle erreichbar und spürbar sind. Die Grundlage dafür bieten gemeinsam formulierte politische Ziele und Mechanismen für den fairen Ausgleich von Lasten, Risiken und Gewinnen. Neben naheliegenden Themen aus den Politikfeldern Bildung, Kultur und Verwaltung liegen die größten Potentiale für eine regionale Wirtschaftspolitik in der gemeinsamen Entwicklung von nachhaltigen Clustern und dem Austarieren von Maßnahmen für die gemeinsame Ansiedlung von nachhaltig ausgerichteten Unternehmen sowie die Begleitung von bestehenden Unternehmen. Die Ressourcen in der Region – seien es Geld, Zeit, persönliches Engagement oder Betriebsmittel – sollten stärker innovationsorientiert ausgerichtet werden. Im Handlungsfeld der öffentlichen Unternehmen sollten gemeinsame Maßnahmen für die Entwicklung und den Betrieb von regionaler Infrastruktur, z. B. für Mobilität, Energie, Gesundheit und Entsorgung vereinbart werden. Am einfachsten gelingt dies durch gemeinsame Beteiligungen, an denen die in der Region einbezogen Städte und Landkreise ihre Aktivitäten der sektoralen Daseinsvorsorge bündeln (wie bei der Entega AG als Beispiel aus Darmstadt). Neben dem Erwerb oder einem Anteilstausch bei bestehenden Beteiligungen kann auch die Neugründung von öffentlichen Unternehmen oder die gemeinsame Beauftragung von Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge in Frage kommen (wie die StraDaDi GmbH für die regionale Straßenbahn-Erweiterung). 

Die Perspektive einer nachhaltigen deutschen bzw. europäischen Wirtschaft erfordert ein weiteres Wachstum von nachhaltigen Geschäftsmodellen. Neben dem Engagement von nachhaltigen Unternehmer:innen bedarf es der Unterstützung insbesondere von Politik und öffentlichen Unternehmen. Damit gewinnt die Entwicklung von Smart Cities und Smart Regions eine neue Bedeutung. Und mit der zunehmenden Innovationsorientierung entwickeln sich die Akteure aus den öffentlichen Institutionen zunehmend zu öffentlichen Unternehmer:innen. 

  • Literatur  
  • Ahrend, K.-M. (2020). Beteiligungsmanagement. Wiesbaden. 
  • Ahrend, K.-M. (2022). Geschäftsmodell Nachhaltigkeit. Wiesbaden. 
  • Ahrend, K.-M./Redmann, K. (2023). Innovationsökosystem. Stuttgart. 
  • Mertens, A./Ahrend, K.-M./Kopsch, A./Stork, W. (2021). Smart Region. Wiesbaden. 
  • UBA (2022): Direkte und indirekte Umwelteffekte von intelligenten, vernetzten urbanen Infrastrukturen. Dessau. 
  • Vereinte Nationen (2016). Neue Urbane Agenda, A/RES/71/256. 
Kommentar verfassen