Mit seinem Papier „Klima schützen & Wirtschaft stärken – Vorschlag für eine Allianz von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat für Klimaneutralität und Wohlstand“ hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier im September einen Vorstoß gewagt, der viele Beobachter überrascht hat. Was hat es mit der „plötzlichen Ergrünung“, der „bemerkenswerten Wende“ des Ministers auf sich? Lediglich Wahlkampf oder doch eine ernstzunehmende Absichtserklärung zugunsten einer progressiven, ganzheitlichen Wirtschaftspolitik?
In jedem Falle kann man das Papier sehen als einen Impuls zu einer Auseinandersetzung um eine ressourceneffiziente, nachhaltige Wirtschaftsgestaltung, für die es höchste Zeit ist – fernab parteipolitischer Diskussionen. Diese Auseinandersetzung entzündet sich (unter anderem) an drei Grundfragen: Lässt sich unser Wirtschaftssystem über inkrementelle Anpassungen nachhaltig ausrichten – oder braucht es grundlegende systemische Veränderungen? In welchem (Macht-)Verhältnis stehen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft? Und welche Instrumente braucht es, um eine nachhaltige Entwicklung zu gestalten?
Transformation statt kleiner Schritte
Trotz aller Unschärfen deutet das Papier interessante Antworten auf diese Fragen an. Ob der Erkenntnis, dass der Klimaschutz „die zentrale Herausforderung unserer Zeit“ sei, heißt es weiter, dass es zur Bewältigung dieser „mehr als nur partielle Korrekturen bisheriger Politik“ erfordere. Letztlich ist dies der entscheidende Satz des Vorschlags. Entscheidend, weil sich hier die Einsicht offenbart, dass ein kleinschrittiges Verbessern bisheriger Strukturen und Abläufe nicht ausreichen wird, um die Erderwärmung mit all ihren Folgen abzuwenden. In der Konsequenz bedeutet dies: Es ist eine grundlegende Systemtransformation vonnöten. Hier darf man skeptisch werden, denn für eine solche Transformation ist Mut erforderlich, die Dinge tatsächlich vom Ende her zu denken: Wie viele Ressourcen sollten wir überhaupt verbrauchen, was lässt sich damit produzieren, wie viel Wachstum und Wohlstand generieren? Große Fragen, die in der politischen Praxis dann zumeist doch nicht angefasst werden – und auf die auch das Papier keine hinreichenden Antworten gibt.
Der Staat als Garant einer nachhaltigen Entwicklung
Mut bräuchte es an dieser Stelle auch, weil eine solche Transformation nur durch eine Neuordnung des Verhältnisses zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft möglich würde. Zwar liegt ein (längst überfälliges) Verdienst des Minister-Vorschlags darin, die Klimafrage nicht mehr als Belastung der Wirtschaft zu begreifen – „wirksamer Klimaschutz und wirtschaftlicher Wohlstand dürfen kein Gegensatz mehr sein“ –, dennoch ist es ein Trugschluss, die Wirtschaft als „Garanten erfolgreicher Klimapolitik“ zu sehen. Keineswegs müssen sich Wachstum, Wohlstand und Klimaneutralität ausschließen, und es gibt allerlei Ansätze dafür, unsere Lebensweise zugleich wirtschaftlich, ökologisch und sozial ausgewogen zu gestalten (wie die Gemeinwohlökonomie, um nur ein Beispiel zu nennen). Auch können marktwirtschaftliche Mechanismen sicherlich dazu beitragen, Veränderungsprozesse zielführend zu gestalten und technologische Lösungen zu generieren. Allerdings kann es nur einen Garanten dafür geben, dass alles in wünschenswerten Bahnen verläuft – und zwar den Staat mit all seinen Institutionen, die Handlungskorridore definieren, gesellschaftliche Aushandlungsprozesse moderieren, Innovationen stimulieren, Veränderungsanreize setzen sowie transformationswillige Akteure unterstützen. Und – nicht zu vergessen – unwillige Akteure in die Schranken weisen, gerade dann, wenn klimarelevante Kosten einmal mehr externalisiert werden. Wir haben keine Zeit mehr, darauf zu warten, bis auch der Letzte die Dringlichkeit der Situation erfasst hat.
Aushandlung, Innovation und Institutionen
Wie kommen wir nun weiter? Wie können wir uns schnellstmöglich auf ein zielführendes Vorgehen einigen? Wie lassen sich wirtschaftliche Mechanismen und technologische Lösungen nutzen, um Probleme wie den Klimawandel in den Griff zu bekommen? Und welche institutionellen Vorkehrungen ermöglichen die Transformation?
In unserem Projekt „Innovationskraft stärken. Potenziale erschließen.“ erarbeiten wir konkrete Antworten auf diese Fragen. Ein Teil der Antwort lautet: Es braucht mehr Aushandlung und partnerschaftlichen Dialog zwischen Staat, Wirtschaft, (Zivil-)Gesellschaft. Das mag oft langatmig und schmerzvoll erscheinen, doch eine grundlegende Transformation unserer Lebensweise bedarf eines genauen Verständnisses unserer aktuellen wie auch zukünftigen Bedürfnisse. Nur auf dieser Grundlage lassen sich Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit entwickeln. Dabei sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass hierin durchaus die Grundlage eines Wirtschaftsmodells liegen kann. Viele Herausforderungen lassen sich – nicht ausschließlich, aber auch – durch Technologie bewältigen. Gerade Deutschland könnte an seine lange Technologietradition anknüpfen und sich künftig stärker als Vorreiter bei der Generierung klimafreundlicher Innovationen begreifen – auch wenn die Innovationsfähigkeit in wichtigen Bereichen zuletzt dramatisch abgenommen hat.
In diesem Kontext lässt der Minister-Vorschlag zweierlei vermissen: Zum einen ein klares Bekenntnis zu Innovation als einem naheliegenden und zukunftsorientierten Hebel für gesellschaftlichen Fortschritt und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Und zum zweiten (und damit in Verbindung stehend) eine Einbeziehung von Startups als wichtigen Erzeugern von Ideen und Innovationen. Auch hierzulande gibt es herausragende Ansätze zur Förderung junger Unternehmen mit bahnbrechenden Ideen oder „grüner“ Geschäftsmodelle, sodass der alleinige Fokus auf Großindustrie und Mittelstand – der oftmals weder sonderlich produktiv noch innovativ ist – unzeitgemäß erscheint.
Zu guter Letzt ist es fraglich, ob die bestehenden politischen Institutionen ausreichen, um die komplexen Aushandlungsprozesse zu moderieren, wünschenswerte Innovationen zu fördern und Komplementaritäten zwischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zielen zu identifizieren. Die im Papier genannten Vorschläge zur Einrichtung verschiedener Institutionen – Stiftung für Klima & Wirtschaft, ein „Haus der Energiewende“, eine „Klima-Universität“, ein „Klima- und Wirtschaftsrat“ und vor allem eine internationale Agentur zur Maßnahmenumsetzung – können im Grunde nur begrüßt werden, wenn sie denn konstruktiv am Aushandlungs- und Lösungsfindungsprozess mitwirken. Allerdings sollte dafür Sorge getragen werden, neben der sicherlich notwendigen Wissens- und Bewusstseinsbildung auch die Formulierung und Umsetzung konkreter und konsequenter Maßnahmen zu gewährleisten. Hierfür braucht es Institutionen mit hoher Expertise, klaren Zuständigkeiten, einem starken politischen Mandat und einer Ausrichtung an langfristigen Zielen. Vorbildhafte Modelle gibt hierfür genug, beispielsweise das schwedische Vinnova. In dieser Hinsicht lässt sich für die deutsche (Innovations-)Politik durchaus noch Verbesserungspotenzial konstatieren.
Somit bleibt festzuhalten: Wir müssen unsere Lebensweise grundlegend verändern, dabei gemeinschaftlich die Leitplanken sowie Ziele definieren und unsere wirtschaftliche wie gesellschaftliche Entwicklung endlich ausgewogen gestalten. Der Vorschlag des Ministeriums liefert sicherlich begrüßenswerte Einsichten und brauchbare Ansätze, doch es liegt noch ein langer Weg vor uns.
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