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Prof. Dr. Claus Wilke
4. Juli 2023

Innovationen im BildungswesenPotenziale und Treiber

Unser Bildungswesen ist stärker auf Kontinuität als auf Innovation ausgerichtet. Dabei bietet insbesondere das Hochschulbildungswesen zahllose, aber wenig bekannte Möglichkeiten, um Innovationen zu fördern und gleichzeitig sich selbst zu innovieren. Als Treiber können dafür auch privatwirtschaftliche Bildungsanbieter wirken, erklärt unser Gastautor.

Das Bildungswesen zeichnet sich historisch betrachtet durch eine systemimmanente Kontinuität aus, welche auf der einen Seite verlässliche Routinen und Ergebnisse für die am Bildungswesen beteiligten Akteure hervorbringt, auf der anderen Seite jedoch innovationshemmend wirkt. Gleichzeitig wird die Thematik der Bedeutung von Innovationen immer stärker in einen gesellschaftlichen Kontext gerückt.

Der Bildungsbereich in Gänze spielt hier sicherlich eine entscheidende Rolle, da hier in jungen Jahren eine gewisse Sozialisierung erfolgt und eine Haltung gegenüber Kreativität, Innovation, Erfolg und Scheitern entsteht, welche zu einem späteren Zeitpunkt der Innovationsneigung zuträglich sein kann – oder eben auch nicht. Erhöhter Innovationsdruck trifft also auf ein innovationsgehemmtes System. Ein System kann allerdings nur selbst Innovationen hervorbringen, wenn es in sich selbst innovativ ist bzw. Innovationen zulässt.

Innovationen durch die Corona-Pandemie

Auf Basis der aktuellen Entwicklungen, bedingt durch die Corona-Pandemie, lässt sich feststellen, welche Kräfte Innovationen im Bildungswesen entfalten können. Durch Maßnahmen der Online-Lehre in allen Schulformen werden Prinzipien der traditionellen Wissensvermittlung aufgebrochen. Während die Online-Lehre bislang nur wenigen spezialisierten Anbietern im Bereich Hochschule und Weiterbildung vorbehalten war, findet die Technologie nun auch in weiterführenden Schulen sowie in der Primarstufe Einzug. Derartige Innovationen wurden schon vielfach als disruptiv benannt und für den Bereich des Bildungswesens diskutiert und vereinzelt eingesetzt. Die Breite konnte jedoch nie erreicht werden.

Die aktuelle Entwicklung, die die Möglichkeit des Aufbrechens bestehender Strukturen und Konzepten aufgezeigt hat, ermutigt zur weiteren Betrachtung gerade disruptiver Innovationen im Bildungssektor. Beispielsweise ergibt sich nun die Möglichkeit, grundsätzlich über die bestgeeigneten Lernorte für Studierende oder auch Schülerinnen und Schüler außerhalb von Schul- und Hochschulgebäuden zu diskutieren.

Speziell für private Bildungsanbieter ist die Betrachtung disruptiver Innovationsansätze von besonderem Interesse, da diese gleichzeitig bestehende Geschäftsmodelle betreffen können. Der Spagat zwischen der Bewahrung von Bestehendem und dem Antrieb bzw. Anspruch Markttreiber zu sein, stellt dabei eine große Herausforderung für die Zukunft dar.

 

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Disruptive Innovationen definieren Entwicklungsprozesse neu

Der Begriff der ‚disruptiven Innovation‘ geht zurück auf Clayton Christensen und seinem Buch „The Innovators Dilemma“ (1997). Um disruptive Innovationen handelt es sich demnach, wenn durch diese Märkte verändert werden können, d. h. bestehende Produkte ersetzt werden oder Technologien dadurch veralten. Eine disruptive Innovation besitzt also einen ablösenden Charakter, sie definiert Entwicklungsprozesse neu bzw. durchbricht diese. Ein inkrementeller Ansatz, bei dem Innovationen einen eher optimierenden Charakter haben, wird dabei außer Acht gelassen. Dieser wird auch Sustaining Innovation genannt und beinhaltet keine Veränderung des Marktes.

Bei Konzentration der Thematik auf das Hochschulbildungswesen erfordert die Förderung von Innovation eine ganzheitliche Herangehensweise, bei der verschiedene Aspekte berücksichtigt werden. Hier sind einige Schlüsselfaktoren, die zum Erfolg von Innovationen beitragen können:

  1. Schaffen einer Innovationskultur:

Eine Innovationskultur ist entscheidend, um kreative Ideen zu fördern. Hochschulen sollten eine Kultur des offenen Dialogs, der Zusammenarbeit und des Experimentierens schaffen. Es ist wichtig, den Austausch von Ideen und den freien Fluss von Wissen zu fördern, indem beispielsweise offene Diskussionsforen, Innovationslabore oder regelmäßige Veranstaltungen zur Ideenfindung eingerichtet werden.

Zudem gilt es auch, das Thema Innovation viel stärker curricular zu verankern. Neben ohnehin schon existierenden Studienprogrammen zum Thema Innovation können auch auf Modulebene innovative Ansätze Einzug finden und eine Innovationskompetenz mit vermittelt werden. Die Öffnung von Lehrveranstaltungen ließe sich auch an innovativen Prüfungsformen festmachen, welche in der Lage sind, Kompetenzziele in geeigneter Weise besser abzuprüfen als herkömmliche Formate wie Klausuren und Hausarbeiten.

  1. Fokus auf interdisziplinäre Zusammenarbeit

Innovation wird oft durch den Austausch von Ideen und Kenntnissen aus verschiedenen Disziplinen vorangetrieben. Hochschulen sollten die interdisziplinäre Zusammenarbeit fördern, indem sie flexible Studiengänge, interdisziplinäre Forschungszentren und gemeinsame Projekte zwischen Fakultäten und Abteilungen unterstützen. Durch den Zusammenfluss verschiedener Perspektiven können neue Lösungsansätze entwickelt und innovative Ideen generiert werden.

  1. Förderung von Unternehmergeist und Risikobereitschaft

Um Innovationen zu ermöglichen, müssen Hochschulen Unternehmergeist und Risikobereitschaft fördern. Dies kann durch die Einrichtung von Innovationszentren, Start-up-Inkubatoren und Entrepreneurship-Programmen erfolgen. Die Bereitstellung von Ressourcen, Mentoring und finanzieller Unterstützung für Studierende und Forschende, die innovative Projekte verfolgen möchten, kann dazu beitragen, Barrieren abzubauen und den Weg für kreative Ideen zu ebnen. Die Nachfrage bei den Studierenden ließe sich auch hier durch curriculare Verankerungen durch Anrechnung entsprechender Leistungspunkte fördern.

  1. Integration neuer Technologien und Methoden

Die Integration neuer Technologien und innovativer Lehrmethoden kann die Hochschulbildung revolutionieren. Der Einsatz von Online-Lernplattformen, Virtual Reality, Gamification, künstlicher Intelligenz und anderen aufstrebenden Technologien kann den Lernprozess verbessern und neue Möglichkeiten für personalisierte und interaktive Bildungserfahrungen bieten.

Hochschulen sollten in die Infrastruktur und Schulung investieren, um Lehrende und Studierende bei der Nutzung dieser Technologien zu unterstützen. Erste Schritte sind hier gemacht. Der aktuelle (unsichere) Umgang mit neuen KI-Anwendungen wie ChatGPT zeigt aber auch, dass es permanente Aufgabe von Hochschulen ist, den betroffenen Gruppen Angebote zur Nutzung von neuen Technologien zu unterbreiten.

  1. Einbindung der Studierenden

Startups bilden sich weitgehend aus der Studierendenschaft heraus. Die Einbindung der Studierenden in den Innovationsprozess ist von großer Bedeutung. Hochschulen sollten Plattformen und Mechanismen schaffen, um Feedback und Ideen der Studierenden zu sammeln. Studentische Initiativen, Wettbewerbe und Projekte sollten unterstützt und gefördert werden.

Die Integration von Studierenden in Entscheidungsprozesse und die Zusammenarbeit mit ihnen bei der Entwicklung neuer Bildungsprogramme tragen dazu bei, dass ihre Bedürfnisse und Perspektiven berücksichtigt werden. Auch hier gibt es bereits viele Ansätze und Initiativen. Die Herausforderung liegt in der ganzheitlichen Konzeptionierung innovativer Leistungsangebote für die Studierenden. Singuläre Wettbewerbe ohne entsprechende Begleitung beispielsweise erscheinen da wenig zielführend.

  1. Förderung von lebenslangem Lernen

Innovationen sind ein Dauerthema. Lebenslanges Lernen kann dies beflügeln, da Menschen durch Lernen neue Perspektiven erhalten. Hochschulen sollten flexible Bildungsangebote entwickeln, die es Berufstätigen ermöglichen, neue Fähigkeiten zu erwerben, bestehende Routinen vor neuem Hintergrund zu reflektieren bzw. kritisch zu hinterfragen. Microcredentials, also Nachweise über Lernergebnisse in einem kleineren Umfang, sind Treiber dieser Entwicklung. Letztlich ist es vorstellbar, dass Abschlüsse im herkömmlichen Sinn abgelöst werden durch Kompetenzerwerb, welcher situativ auf die Bedürfnisse von Lernenden zugeschnitten sind.

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Mehr Mut

Für sich genommen haben diese Schlüsselfaktoren keinen disruptiven Charakter, leisten jedoch einen wertvollen Beitrag zur Innovationsneigung an Hochschulen. Es ist dabei die Frage, inwieweit dadurch die eingangs genannte systemimmanente Kontinuität aufgebrochen werden kann. In allen hier genannten Bereichen gibt es Beispiele für Ansätze, Integrationen, Umsetzungen und gute Absichten, jedoch bleibt das Bildungssystem an sich unberührt. Dieses ist historisch bedingt staatlich geprägt und steuert und reglementiert das Bildungswesen in allen wesentlichen Kernbereichen. Letztlich braucht es hier mehr Mut, Initiative sowie die Nutzung von privatwirtschaftlichen Bildungsanbietern, bei denen die Innovationsneigung „von Haus aus“ mitgegeben ist.

Literatur

Christensen, C. M. (1997). The innovator’s Dilemma: When new technologies cause great firms to fail. Harvard Business School Press.

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