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Große Zustimmung für ressourcenschonendes Wirtschaftsmodell 

Der Klimaschutz und Versorgungssicherheit stellen die Industrie vor immense Herausforderungen. Sie muss nicht nur den Wechsel zu neuen Energieträgern schaffen. Ein umfassender Wandel wird vielmehr nur gelingen, wenn auch der Verbrauch von Ressourcen konsequent durch zirkuläre Kreislaufwirtschaften reduziert wird. Eine aktuelle Umfrage zeigt, das Konzept findet wachsende Zustimmung - auch bei den Akteuren in der Wirtschaft.
 

Ein Handy, das nach wenigen Monaten seinen Geist aufgibt, ein wachsender Müllberg aus Einwegverpackungen – wir gehen verschwenderisch mit Ressourcen um. Vieles verliert nach kurzer Nutzungsdauer seinen Wert und ist dann nur noch Müll. Auf globaler Ebene hat dies mittlerweile immense Dimensionen angenommen. Der Cirularity Gap Report geht 2022 davon aus, dass mehr als 90 Prozent der von Menschen verarbeiteten Rohstoffe als Müll enden. 

Das Konzept der Zirkulären Wirtschaft setzt dem etwas entgegen. Wirtschaftliches Wachstum soll vom Verbrauch natürlicher Ressourcen entkoppelt werden. Umsetzbar wird dieses Konzept durch zirkuläre Wertschöpfungsstrategien. Sie zielen darauf ab, dass Rohstoffe, Materialen und einmal gefertigte Produkte ihren Wert im und für den Wirtschaftsprozess so lange wie möglich behalten. Damit wird der Verbrauch von natürlichen Ressourcen reduziert, gleichzeitig tun sich neue Wertschöpfungs- und Geschäftsmodelle auf.  

Wir wollten wissen: Was denken Menschen, die in Industrie, Produktion und Verarbeitung arbeiten, heute über zirkuläre Wertschöpfungsstrategien? Sehen sie diese als Chance oder als Bedrohung für die Unternehmen, in denen die beschäftig sind? Welche Unterschiede gibt es zwischen einzelnen Strategien? Woher müssen Impulse zur Veränderung kommen? 

Das Meinungsforschungsinstitut Civey hat für uns im August und September 2022 mehr als 2.500 Erwerbstätige in Industrie, Produktion und Verarbeitung in Deutschland befragt. Darüber hinaus wurden repräsentative Stichproben von Entscheider:innen und Selbständigen in Industrie, Produktion und Verarbeitung sowie abhängig Beschäftigten ohne Führungsverantwortung in derselben Branche befragt.  

Überwältigende Mehrheit für das Zielbild 

Ein Bündel zirkulärer Wertschöpfungsstrategien zielt darauf, die Lebensdauer von einmal gefertigten Materialen und Produkten zu erhöhen. Auf die Frage „Wünschen Sie sich eine Wirtschaft, bei der Produkte möglichst bis zur maximalen Nutzungsdauer verwendet werden, anstatt nach kurzer Zeit entsorgt?“, antwortet eine überwältigende Mehrheit von knapp 88 Prozent der Erwerbstätigen aus Industrie, Produktion und Verarbeitung mit „ja“ oder „eher ja“. Nur drei Prozent der Befragten halten dieses Zielbild einer nachhaltigen Wirtschaft für nicht erstrebenswert. 

Zirkuläre Wertschöpfung ist Chance für neue Geschäftsmodelle 

Viele Produkte werden heute gekauft und dann kaum genutzt. Doch muss Besitz immer die einzige Option sein? Auch für Industrieunternehmen kann es eine Option sein, ihr Geschäftsmodell dahingehend zu erweitern, dass Wertschöpfung nicht mehr allein über den Verkauf des Produktes stattfindet, sondern neue Formen der geteilten oder zeitlich gestaffelten Nutzung von Produkten hinzukommen. Unter den Stichworten „Sharing Economy“ und „Product as a service“ werden entsprechende Strategien schon seit einiger Zeit diskutiert. Daher haben wir gefragt: „Denken Sie, dass das Teilen, Mieten oder Leasen von Produkten in Zukunft zunehmen wird?“ 

Tatsächlich ergibt sich hier ein klares Bild: Mehr als 57 Prozent aller Erwerbstätigen in Industrie, Produktion und Verarbeitung denken, dass Teilen, Mieten oder Leasen in Zukunft zunehmen werden. Stärker noch werten Entscheider:innen und Selbständige in der Industrie dies als erkennbaren Trend: Mehr als 60 Prozent gehen davon aus, dass dieses Geschäftsfeld in Zukunft prägender sein wird als bisher. Lediglich 21 Prozent der Führungsverantwortlichen glauben nicht, dass dies ein Trend sei. 

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Unterschiedliche Umsetzbarkeiten der Strategien 

Wir haben die Erwerbstätigen nach ihrem Blick auf fünf verschiedene zirkuläre Wertschöpfungsstrategien befragt. Aus den Antworten lässt sich ableiten, dass es in Deutschland durchaus noch Unterschiede in der Wahrnehmung und Umsetzung der unterschiedlichen Strategien gibt. So beginnt ernst gemeinte Zirkularität bereits bei der Entwicklung eines Produkts. Produkte müssen so designt sein, dass sie repariert werden können, immer wieder nachgerüstet bzw. auf den aktuellen technologischen Stand gebracht werden oder nach einer ersten Nutzungsphase wiederaufgearbeitet und neu genutzt werden können. Diese Herausforderung steht vielfach noch nicht auf dem Sorgehorizont der Entwicklungsabteilungen (englisch: Refurbishing und Remanufacturing). Das spiegelt auch das Antwortverhalten auf unsere Frage wider. 

Auf die Frage „Denken Sie, dass sich für Ihren Arbeitgeber neue Wertschöpfungspotenziale ergeben, wenn bereits verkaufte Produkte zurückgenommen und wiederaufgearbeitet werden?“ antworten nur 22,7 Prozent der abhängig Beschäftigen ohne Führungsverantwortung in der Industrie mit „ja“ oder „eher ja“. Mehr als 46 Prozent antworten mit „nein“ oder „eher nein“. Höher schätzen Entscheider:innen und Selbständige die Potenziale ein: Von ihnen erkennen immerhin 30,5 Prozent Wertschöpfungspotenziale. 

Demgegenüber steht das Thema Recycling. Diesem wurde ein großer Raum in der technologischen und auch rechtlichen Rahmensetzung gegeben. Vielfach wird zirkuläre Wertschöpfung in der deutschen Debatte sogar auf das Thema Recycling reduziert, obwohl das Konzept umfassender ist. Das spiegelt auch das aktuelle Kreislaufwirtschaftsgesetzt wider, das auf die Regulierung des Umgangs mit Abfall und die Frage der Wiederaufarbeitung von Abfällen fokussiert, weitere Strategien zirkulärer Wertschöpfung aber ausklammert. 

Diesen Vorsprung des Themas Recycling finden wir auch im Antwortverhalten in unserer Befragung wieder: Knapp 48 Prozent aller Erwerbstätigen in Industrie, Produktion und Verarbeitung sagen, dass Müllvermeidung, Verwertung von Abfall und Recycling wettbewerbsrelevante Themen für ihre Arbeitgeber:innen sind. Entscheider:innen in der Industrie halten diese Themen sogar in noch größere Zahl für wettbewerbsrelevant: Knapp 51 Prozent antworten hier mit „ja“. 

Woher kommt Veränderung? 

Die Umfrage zeigt, dass das Zielbild einer zirkulären Wirtschaft auf große Zustimmung stößt und die Chancen und Potenziale konkreter zirkulärer Wertschöpfungsstrategien zum Teil als hoch eingeschätzt werden. Große Unsicherheit besteht nach wie vor, woher der Anstoß zur Veränderung kommen muss. Wir haben konkret gefragt, was dazu führen würde, dass in den Betrieben effizienter als bisher mit Materialien und Rohstoffen umgegangen wird. Mehr als 45 Prozent der befragten Erwerbstätigen in der Industrie antworten hier entweder mit „weiß nicht“ oder sagen, dass keine der sechs Antwortoptionen den Impuls zur Erhöhung der Ressourceneffizienz geben würde. Fünf der genannten Optionen erhalten eine ungefähr gleich hohe Zustimmung von rund 18 bis rund 21 Prozent. Allein die „Beschränkung des Rohstoffverbrauchs durch den Staat“ sehen nur rund sieben Prozent als möglichen Anstoß. 

Zusammenfassung 

Aus unserer Umfrage unter den Erwerbstätigen in Industrie, Produktion und Verarbeitung lassen sich vier generelle Aussagen herauszulesen. Erstens sieht eine überwältigende Mehrheit der Befragten in der zirkulären Wirtschaft eine wünschenswerte Zukunft. Zudem werden in der Praxis auch schon die zunehmende Bedeutung von zirkulären Prinzipien erkannt. Zweitens konstatieren Entscheider:innen, dass es einen Trend hin zur zirkulären Wirtschaft gibt und dabei durchweg wettbewerbsrelevante Themen und Wertschöpfungspotenziale für ihre Unternehmen berührt sind. Drittens wird aber mit Blick auf die Umsetzung konkreter zirkulärer Wertschöpfungsstrategien im Unternehmen auch deutlich, dass dieser Prozess voller Herausforderungen steckt und beispielsweise Refurbishing und Remanufacturing technologisch anspruchsvoller sind als Recycling – bzw. später als dieses angegangen wird. Viertens wird deutlich, dass Unsicherheit darüber besteht, welchen Anstoß es von außen braucht, um in die Transformation zu kommen. 

Die große Aufgabe für die Transformation der linearen Wirtschaft hin zu einer zirkulären Wirtschaft besteht also darin, die richtigen Impulse und geeigneten praxistauglichen Maßnahmen zu identifizieren und in die Praxis zu bringen. Dies müssen die Unternehmen selbst in anstreben. Ideengeber und Modelle für praxistaugliche und erfolgreiche Umsetzung zirkulärer Wertschöpfungsstrategien in Betrieben verschiedener Größe und in unterschiedlichen Branchen gibt es viel. Doch auch die Politik muss den richtigen Rahmen setzen. In dieser Legislaturperiode soll eine „Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“ entstehen. Sie sollte ambitioniert sein. 

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Engagement der Bertelsmann Stiftung 

Die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft im industriell geprägten Deutschland muss gelingen. Zirkuläre Wertschöpfung ist dabei das zentrale Veränderungsmoment. Eine wachsende Zahl von Initiativen auf Bundesebene, in Regionen und Kommunen bestätigt, dass immer mehr Akteur:innen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft dies auch so sehen. Die Bertelsmann Stiftung engagiert sich als Partner im Rahmen des Praxisprojekts Circular Futures und hat in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Region Ostwestfalen-Lippe die Initiative CircularOWL ins Leben gerufen. 

Zur Methode 

Das Befragungsinstitut Civey hat zwischen dem 24. August und dem 18. September 2022 online 2.500 Erwerbstätige in Industrie, Produktion und Verarbeitung in Deutschland befragt. Die Ergebnisse sind unter Berücksichtigung des statistischen Fehlers von 3,5 Prozentpunkten auf der Gesamtebene repräsentativ für die Grundgesamtheit aller Erwerbstätigen in Industrie, Produktion und Verarbeitung. Darüber hinaus wurden zwei weitere Stichproben unterschieden: die Gruppe der privatwirtschaftlichen Entscheider:innen und Selbständigen in Industrie, Produktion und Verarbeitung sowie abhängig Beschäftigte ohne Führungsverantwortung in Industrie, Produktion und Verarbeitung. In der Gruppe der privatwirtschaftlichen Entscheider und Selbständige wurden zwischen 1.144 und 1.180 Personen befragt. In der Gruppe der abhängig Beschäftigten ohne Führungsverantwortung wurden zwischen 414 und 419 Personen befragt. Fünf Fragen wurden im Rahmen der Befragung ausgespielt. 

 

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