Nicht zuletzt die Fortsetzung der Hackathon-Initiative #WirvsVirus unter dem Namen Update Deutschland unterstreicht die zentrale Rolle sozialer Innovationen im Umgang mit Herausforderungen wie der Corona-Pandemie. Die Idee hinter dem Hackathon ist es, die Zivilgesellschaft zu mobilisieren, um digitale Lösungen zur Herausforderung der Corona-Krise zu entwickeln. Die Projekte decken hierbei ein breites Spektrum an Themengebieten ab, stellen teils komplett neue Lösungen dar, beinhalten teils aber auch die Weiterentwicklung bestehender. Wie bereits der erste Hackathon zu Beginn der Corona-Pandemie wird auch Update Deutschland finanziell von der Bunderegierung unterstützt.
Die positiven Reaktionen zu diesem Vorgehen der Bundesregierung können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass soziale Innovationen in der politischen Wahrnehmung noch immer eine untergeordnete Rolle spielen. Dies steht im starken Kontrast zu der Vielzahl an Akteuren, die sich in dem Bereich engagieren und Lösungen entwickeln, um gesellschaftlichen Herausforderungen wie dem Klimawandel, dem demographischen Wandel oder der Urbanisierung zu begegnen.
Die Bundesregierung hat zwar eine Hightech-Strategie, aber keine Strategie für soziale Innovationen. Die Bedeutung sozialer Innovationen im Ökosystem Innovation wird dadurch massiv unterbewertet. Sowohl die materielle als auch die immaterielle Unterstützung sozialer Innovationen bleibt weit hinter dem zurück, was für technologische Innovationen geleistet wird. Zwar sind viele Förderprogramme auch formal für soziale Innovationen offen, gleichzeitig stehen diese in einem unfairen Wettbewerb mit technologischen Innovationen, da die Förderprogramme zum Beispiel in Hinblick auf Fragen der Erfolgsmessung direkt auf letztere zugeschnitten sind. Aus diesem Grund braucht es zuvorderst den politischen Willen, soziale Innovationen als eigenständiges Themenfeld anzuerkennen und entsprechend zu fördern. Dabei bedarf es jedoch nicht nur finanzieller Förderung, sondern auch geeigneter Strukturen, um soziale Innovationen besser zu unterstützen.
Unsere europäischen Nachbarländer sind da schon ein gutes Stück weiter. Ein interessantes Beispiel für einen experimentellen Ansatz bei der Förderung sozialer Innovationen ist die Innovationsagentur Nesta aus Großbritannien. Nesta ist zentraler Akteur im britischen Forschungs- und Entwicklungssystem, wurde 1998 vom britischen Parlament gegründet und zunächst mit 250 Millionen Pfund ausgestattet. Finanziert durch Einkünfte der staatlichen Lotteriegesellschaft, wurde das Budget über die Jahre auf 450 Millionen Pfund ausgeweitet. Die Gründung von Nesta erfolgte vor dem Hintergrund, dass der Eindruck entstand kreative Talente in Großbritannien werden nicht ausreichend gefördert, wodurch wiederum Innovationen verloren gehen.
Nesta zeichnet neben einem sehr experimentierfreudigen Ansatz in der Innovationsförderung aus, eine sehr lernfähige Organisation zu sein, die Offenheit gegenüber Veränderungen in ihrer strategischen Ausrichtung bewiesen hat. Besonders deutlich wurde diese Eigenschaft bei der Auseinandersetzung mit der Frage, was unter Innovation zu verstehen ist. Anfangs wurden Innovationen noch sehr technisch auf hardware bezogen definiert. Über die letzten zwanzig Jahre setzte sich sukzessive ein breiteres Verständnis von Innovationen durch, welches auch explizit soziale Innovationen erfasste. Soziale Innovationen beziehen sich jedoch nicht nur auf den Wohlfahrtssektor, sondern werden ganzheitlicher gedacht mit gleicher Relevanz für den privatwirtschaftlichen Sektor wie auch die öffentliche Verwaltung.
Parallel dazu hat sich bei Nesta ein breiterer Ansatz durchgesetzt, welche Projektarten zu fördern sind. Anstatt sich auf die Förderung einzelner Leuchtturmprojekte in urbanen Metropolregionen zu beschränken, wurden zunehmend auch kleinere Projekte in ländlicheren Regionen in den Blick genommen. Ursprünglich unter direkter Kontrolle der Regierung bekam Nesta 2012 den Status als unabhängige Stiftung verliehen. Diese Unabhängigkeit erlaubt es Nesta, Strategien längerfristiger zu verfolgen, da die Organisation weniger dem Einfluss wechselnder politischer Mehrheitsverhältnisse ausgesetzt ist.
Die vorerst letzte Weiterentwicklung der Innovationsförderung von Nesta stellt eine Anfang des Jahres verabschiedete Strategie für die nächsten zehn Jahre dar. Der dort verfolgte missionsorientierte Ansatz dabei findet zunehmend auch im deutschen Forschungs- und Innovationssystem Anklang. Interessant hierbei ist, dass Nesta nicht von sozialen Innovationen, sondern von innovation for social goods spricht. Die Betonung auf social good impliziert eine sehr normative Akzentuierung von Innovationsförderung, die sich auch in den drei zentralen Missionen von Nesta niederschlägt.
Anstatt also ein breiteres Spektrum an Missionen zu verfolgen, konzentriert sich Nesta auf die Adressierung der folgenden drei gesellschaftlichen Herausforderungen: (1) jedem Kind einen fairen Start ins Leben zu ermöglichen, indem die Nachteile von Kindern aus prekären Lebensverhältnissen zu denen privilegierter Familien schon am Beginn ihrer Schullaufbahn ausgeglichen werden; (2) eine Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung bei gleichzeitiger Reduktion von gesundheitlichen Ungleichheiten erzielen; und (3) den durchschnittlichen Emissionsverbrauch reduzieren.
Zentral für das Erreichen dieser Missionen sind drei Ausgründungen der Innovationsagentur. Das Innovation Growth Lab hat sich zum Ziel gesetzt, einen stärkeren Fokus auf Evaluationen in der Innovationsförderung zu verankern. Experimentelle Evaluationen wie sogenannte Randomised Controlled Trials (RCTs) sollen einen besseren Überblick darüber geben, welche Ansätze in der Innovationsförderung funktionieren und wie über Disziplinen hinweg Lerneffekte erzeugt werden können. Nesta Challenges schreibt Innovationswettbewerbe zur Lösung klar definierter Herausforderungen aus und fördert die innovativsten Ideen. Soziale Innovationen werden hier problembezogen gedacht und durch eine niedrige Zugangsschwelle wird die Zusammenarbeit von diversen Teams gefördert, die unter ansonsten wahrscheinlich nicht zusammen kämen.
Ausgehend von der Überzeugung, dass die besten Lösungen für Herausforderungen nur in engem Austausch mit den am stärksten Betroffenen entstehen, begleitet Nesta’s People Powered Results Programm die Entwicklung und Skalierung sozialer Innovationen mit agilen Methoden und einem bottom-up-Ansatz. In sogenannten 100 days challenges entwickeln Policymaker und Zivilgesellschaft zusammen in 100 Tagen Lösungen für konkrete Herausforderungen. Beispielsweise sind in Essex nach einer solchen 100 days challenge Anlaufstellen in Nachbarschaftsnähe eingerichtet worden, die Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen Informationen und Hilfe offerieren. Die Errichtung solcher Gemeinschaftszentren erfolgte erst in Kollaboration mit den Betroffenen und adressierte deren Bedürfnisse in deutlich stärkerem Ausmaß als vorangegangene Initiativen.
Dies sind nur einige Beispiele für die Arbeit von Nesta und unterstreicht den experimentierfreudigen Charakter der Organisation sowie deren Wille, alte Strukturen aufzubrechen und neue zu kreieren. Zwar gibt es auch in Deutschland Fortschritte bei der Förderung sozialer Innovation, wie nicht zuletzt Initiativen des BMBF und des BMWi unter Beweis gestellt haben. Dennoch stellen die jetzigen Förderangebote zu oft Stückwerk dar. Es fehlt neben einer größeren Koordinierung auch an den Strukturen. Anstatt durch einen zu großen Kontrolldrang Innovationen abzuwürgen, sollten kreative Teams dazu ermutigt werden, sich auszuprobieren, auch unter dem Risiko, dass manche Ideen scheitern. Eine Innovationsagentur für soziale Innovationen, wie sie in einem kürzlich erschienenen Beitrag der beiden Bundestagsabgeordneten der Partei Bündnis 90/Die Grünen Anna Christmann und Kai Gehring unter dem Namen D.Innova gefordert wurde, kann ein erster Schritt sein, den Wissenstransfer und die Skalierung von sozialen Innovationen zu verbessern.
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