Es ist der 20. Mai 2021: Gespannt warten in den Morgenstunden dieses Tages die Beobachter einer Nachtsitzung des Bundestags auf die Verabschiedung des Bundeshaushalts. Nach vielen Monaten des Wartens auf zwei wichtige Innovationsprojekte der Ampelkoalition: Der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) sowie der Bundesagentur für Sprunginnovation (SPRIN-D). Doch dann elektrisiert eine andere Nachricht aus dem Forschungsministerium die Fachöffentlichkeit: Der Staatssekretär im BMBF Thomas Sattelberger (FDP) erklärt seinen unmittelbaren Rücktritt. Nach gerade einmal 163 Tagen im Amt. Was ist geschehen?
Thomas Sattelberger ist 2021 in Wirtschafts- und Politikkreisen mitnichten ein Unbekannter,schon seit Schülerzeiten vielmehr ein umtriebiger Rebell, Reformer und Pionier. Zunächst als maoistischer APO-Aktivist später ein Topmanager bei Daimler, Lufthansa oder Telekom. Im Laufe seiner Karriere fällt er durch zahllose Ideen und Change-Initiativen auf. Aber nicht durch übergroßes Harmoniebedürfnis und Anpassungsbereitschaft. Wegbegleiter und Zeitungsportraits beschreiben ihn als Poltergeist, rastlos, arbeitswütig, durchgetaktet, als Tiktok-Star, „nicht frei von Eitelkeit und mit missionarischer Leidenschaft“, (Tagesspiegel), „hemdsärmelig und locker, aber in der Sache ein knallharter Verfechter der Unternehmensinteressen“ (FAZ).
Ein Mann, der nach eigenen Angaben seine persönliche Lebensaufgabe in einer permanenten persönlichen und gesellschaftlichen Transformation sieht. Kein Wunder, das dieser Thomas Sattelberger, Jahrgang 1947, nach seiner bewegten beruflichen Karriere auch im Ruhestand weiter an den Ketten rasselt, Es zieht ihn (nochmals) in die Politik diesmal in die FDP.
Feuerwerk von Ideen aus der Opposition
Schon im ersten Anlauf gelingt ihm die Wahl in den Bundestag. Mit Verve stürzt er sich dort auf die Innovationsthemen Bildungs- und Forschungspolitik. Was er in den kommenden sechs Jahren erreicht und woran er schließlich scheitert, hat Thomas Sattelberger jetzt als eine Art politischer Autobiografie veröffentlicht. Titel „Radikal neu – Gegen Mittelmaß und Abstieg in Politik und Wirtschaft“.
Die außergewöhnlich offen-freimütige und subjektive Selbstbeschreibung ist gleichzeitig ein detaillierter Einblick in den Maschinenraum. Sie zeigt strukturelle Hemmnisse des Innovationssystems und widerstrebende Gruppeninteressen auf, individuelle Leistungen und Defizite. Schon von daher für alle unbedingt lesenswert, die sich um “eine Besserung der Verhältnisse” bei diesem Thema bemühen.
Verlagswerbung für ein streitbares Buch
Aufschlussreich auch deshalb, weil Sattelberger immer wieder in unterschiedlichen Positionen und Konstellationen wirkt und dabei Widersprüche schnell sichtbar werden. So zunächst als Abgeordneter und in Opposition zur Großen Koalition. Unterlegen in innerparteilichen Postenkämpfen gegen seine FDP-Parteikonkurrenten, geriert er sich hier schon bald zur Antipodin von CDU-Forschungsministerin Anja Karliczek. Ihrer „missratenen Innovations- und Transferpolitik… setzte ich zu Beginn der Legislatur ein internes Mission Statement für etliche nach vorn gerichtete Entschlussanträge entgegen.“ Wir verstanden uns als Anwälte für die Innovationsnation Deutschland und verfassten Forderung um Forderung.“ Es folgen zahllose „fundierteste Anträge und kleine Anfragen.“
Sattelbergers Themen heißen ab jetzt Transfer und Innovation. Einer seiner umfangreichen Anträge fordert die Gründung einer Deutschen Transfergemeinschaft (DTG). Damit entdeckt der Liberale gleichzeitig ein halbes Herz für staatlich orchestrierte Innovationspolitik, beschreibt sich in seiner Darstellung gar schon als deren Mentor: „Mit meinem Antrag, eine Agentur für radikale Innovation zu gründen, trieb ich die Bundesregierung vor mir her, die dann tatsächlich eine Agentur für Sprunginnovation (SprinD) aus der Taufe hob, leider mit etlichen Geburtsfehlern.“
Kampf mit Windmühlen und Stakeholdern
Neben dem BMBF geraten andere wichtige Stakeholder der Forschungssystems ins Visier des Reformenthusiasten: Die vier großen Außeruniversitären Forschungsorganisationen (AuFs), insbesondere die Fraunhofer- und der Max-Planck-Gesellschaften. Ihnen wirft er Ineffizienz, indirekte Korruption von Parlamentariern, Verschwendung und milliardenschweres Versagen in Symbiose mit staatlicher Politik zu Lasten des Steuerzahlers vor. Sein Lieblingsetikett werden die öffentlich gefütterten „fetten Katzen“, denen er dann auch noch den Bundesrechnungshof auf den Pelz jagt.
Zur Wende im Amt und zum Schwur gefordert
Nach der Bundestagswahl wird die FDP Teil der neuen Ampel-Regierung und Sattelberger unverhofft Teil der Koalitionsverhandlungen, ist selbst allerdings auch enttäuscht, nicht zum Chefverhandler berufen worden zu sein. Er kann aber alle seine Herzensanliegen im Koalitionsvertrag unterbringen: „Meine Handschrift ist unübersehbar“. Die Ernennung zum parlamentarischen Staatssekretär begreift er als gerechtfertigten Lohn. Nur das Maximale, ein Ministerposten, sei für ihn wegen der Frauenquote des Kabinetts nicht erreichbar gewesen.
Mit Verve stürzt er sich stattdessen in die Umsetzung seiner Ideen, erlebt aber einen krassen Rollenwechsel vom Tribun und Oppositionsparlamentarier zum Administrator. Doch anstatt sich zunächst darauf einzulassen und sattelfest zu werden, reibt sich der ehemaligen Topmanager an den Strukturen.
Schon nach kurzer Zeit stellen sich die erwartbaren Hürden in den Weg. Sattelberger geht sie in einem Anfall unbändiger Arbeitswut und Kampfeslust an. Doch bereits am ersten Hindernis scheitert der verwegene Reiter: Völlig überraschend tritt er nach den Haushaltsberatungen von seinem Amt zurück und kündigt auch sogar seinen Rückzug aus dem Deutschen Bundestag an. In der Begründung gibt er familiäre Verpflichtungen und Sorge um Angehörige an. Das erscheint Beobachtern wenig glaubwürdig, wird in der neuen Publikation zwar nochmals vertieft, aber auch gleichzeitig stark relativiert. Tatsächlich sind es die Strukturen deutscher Innovationspolitik, die den Aufbruch von der Ampelkoalitionären verhindern und die sich in der Causa Sattelberger exemplarisch manifestieren.
Bürokratie und administrativen Kulturen
Bei seinem Amtsantritt trifft der Liberale nach eigenem Bekunden auf Strukturen, die wie ein Gefängnis für neue Ideen und Agilität wirken. In „16 Jahren CDU-Leitung wurde kaum referats- und abteilungsübergreifende Projektarbeit gepflegt, geschweige denn trainiert.“ Die ministeriellen Strukturen sind aus kleinteiligen Projekten erwachsen und folgen weder themenübergreifenden Zielen noch klaren Missionen, wie sie etwa in der Zukunftsstrategien festgelegt sind. Zu den Kernanliegen mußten danach seiner Meinung nach zunächst „neue Strukturen“ geschaffen, „Ressourcen gebündelt“ und „cross-funktionale Abstimmungsverfahren quer durchs Haus“ durchgeführt werden. Offensichtlich zuweilen auch mit der Brechstange: „Ich musste die Leute erst auf Vordermann bringen“, „Mein erstes Gespräch mit der Abteilungsleiterin war wie von einem anderen Stern“- „Ungemütlich“.
Immer wieder haben auch unabhängige Politikanalytiker und Fachjournalisten in der Vergangenheit die mangelhafte Koordination von Politik über Ressortgrenzen hinweg kritisiert. Fortlaufend haben auch Kommissionen wie die EFI (Expertenkommission Forschung und Innovation) die unzulängliche Governance von Innovation zum Beispiel bei den Zukunftsstrategien aufgezeigt. Symptomatisch zeigt sich dies jetzt auch im Fall Sattelberger. Die schwerfällige und wenig zielführende Koordination zwischen einzelnen Ministerien und sogar über Legislaturperioden hinweg wird in der Ampel nochmal schwieriger, zumal Innovation jetzt auch unterschiedlichen politischen Farben zugeordnet wird. Beim Thema DATI kann sich Sattelberger zunächst mit der grünen und “diplomatischen Staatssekretärin” Franziska Brantner im Wirtschaftsministerium auf einen Burgfrieden und Arbeitsteilung verständigen, beim SPRIN-D-Freiheitsgesetz sieht er sich dem Argwohn eines SPD-Staatssekretärs in einem FDP-geführten Finanzministerium ausgesetzt. Die Ergebnisse sind verständlicherweise technokratisch-politische Kompromisse, die wenig befriedigend sind und den Visionär nicht begeistern.
Verwundert folgen Leserin und Leser aber den Beschreibungen Sattelbergers über die Arbeitsbedingungen, Verfahren und Hierarchiestrukturen im Ministerium selbst. Der Apparat bestimmt zahllose Prozesse des Staatssekretärs, nicht umgekehrt. Er verfügt über keine disziplinarische Verantwortung für seine Berichtslinien. Vorlagen benötigen Monate bis zur Fertigstellung, die dann wiederum in Stunden kommentiert und entschieden werden sollen. Sie zwingen den 73-Jährigen über Monate zu einem Arbeitstag von fast zwanzig Stunden. In einer Behörde mit 1.300 Angestellten stehen dem Spitzenbeamten gerade einmal drei Stabsmitarbeiterinnen zur Verfügung, die sich vorwiegend mit nachgeordneten Routineaufgaben wie Grußworte und Redemanuskripte beschäftigen müssen. Gleichzeitig sorgt sich Sattelberger um seine 98jährige Mutter, kann über Tage auch seinen erkrankten Ehemann nicht mal telefonisch sprechen. Die spezifischen Arbeitsbedingungen müssen notwendigerweise zur Erschöpfung des ursprünglichen Elans führen. Und wohl auch zu objektiven Überforderungen, die schließlich zum „spontanen“ Rücktritt beigetragen haben dürften. Die hier wie auch anderenorts hinreichend beschriebene persönliche Überforderung deutscher Spitzenbeamter und Parlamentariern durch die Strukturen ihrer Arbeit oder ihre Verpflichtungen verhindern Spitzenergebnisse und -leistungen. Der Innovationsfähigkeit von Staat und Wirtschaft fehlen in den Institutionen jene Strukturen, Agilität und Governance, die sie selbst schaffen sollen.
Fehlanzeige bei strategischer Kommunikation
Auffällig für außenstehende Beobachter und sogar Fachleute ist von Beginn der Ampelkoalition die zuweilen dilettantische Kommunikation des Bundesforschungsministeriums. Sattelberger erklärt dies mit einer unprofessionellen Kommunikationsabteilung und Management. Ein schnell erarbeitetes Kommunikationskonzept sei „von der Presseabteilung verschlampert“ worden. Zudem sei die „Presse- und Kommunikationsarbeit im BMBF nicht auf Agilität und Transparenz ausgerichtet, sondern darauf, eine Trutzburg, um die Ministerin zu bilden.“ Dazu werde der Schwerpunkt des Ministeriums fälschlicherweise auf Bildungs- statt auf Forschungsthemen gerichtet. Die schnelle Kommunikation zwischen seinem Bundestagsbüro, ergo zwischen Parlament und Ministerium, sei aus Gründen der Gewaltenteilung unnötig behindert worden. Alle diese Faktoren mögen zutreffen, sie erklären nur bedingt die ebenfalls mittelmäßige Kommunikation der folgenden Monate in Sattelbergers Verantwortungsbereich selbst: Da werden vorläufige und inhaltlich wenig aussagekräftige Konzepte zur DATI unformatiert ins Netz gestellt oder Parlamentarier unzureichend und spät über weitreichende Pläne informiert. Er nennt diese „schlüssigste Konzepte“, von außen wirken sie manchmal mit heißer Nadel gestrickt. Das von Stakeholdern immer wieder geforderte ausgearbeitete Konzept ist schließlich kaum mehr als eine Skizze auf wenigen Seiten. Offensichtlich zu dünn, als dass der Haushaltausschuss und FDP-Finanzminister Lindner dafür dreistellige Millionen freigeben möchten. Sattelberger empfindet dies aber als „unverschämte“ Zurückweisung und als persönlichen Affront.
Freie Forschungslandschaft oder Stakeholderrepublik?
Ein weiteres strukturelles Phänomen beschreibt Sattelberger ebenfalls sehr anschaulich: Den Einfluss von Lobbygruppen und Interessenverbänden auf die deutsche Forschungs- und Innovationspolitik: „Begleitet wurden diese Konfliktlinien (um die DATI) vom Geschrei aller möglichen Subventionsempfänger, die das große Geld witterten… Hinzu kam eine tägliche wachsende Flut von Terminanfragen. Die Lobbyisten aus der Wirtschaft, die ganze Runde an Subventionsempfängern und auch alle anderen Stakeholder wollten antreten und ihre meist finanziellen Wünsche vortragen.“ Sattelberger zählt anschließend zahlreiche Akteure auf, die sich in den vergangenen Jahren im milliardenschweren System von Wissenschafts- und Forschungsförderung sowie Dutzenden von Förderlinien fest etabliert haben. Sie begleiten jede Neujustierung mit Argusaugen oder fürchten um ihren Anteil. Namentlich nennt Sattelberger hier AuFs wie die Fraunhofer Gemeinschaften, über die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF), und die TU9, über die Zuse-Gemeinschaft bis hin zum BDI (Bundesverband Der Deutschen Industrie).
Ideologisch verengte Weltsicht?
Sattelberger tritt in sein Amt im Forschungsministerium mit dem jahrzehntelang sozialisierten Blick des Topmanagers in Großunternehmen. Zudem mit einer eher dogmatischen Weltsicht des wirtschaftsliberalen FDP-Oppositionspolitiker und im Kampfanzug des rhetorischen Kleinkriegers. Überspitzt in der Faustformel „Der Markt ist die Lösung aller Probleme, der Staat ein notwendiges Übel, aber der schlechteste Organisator und Feind von Innovation.“
Davon kann Sattelberger auch in der Rolle als Gestalter und verantwortlicher Organisator nicht lassen. Sowohl bei der Entwicklung von Konzepten wie auch bei der Kommunikation in Workshops, bei Diskussionsveranstaltungen oder im Vorfeld von Entscheidungen bestimmen entsprechende Headlines den Diskurs. Sie atmen weniger den Geist der Koalitionspapiers als mehr der Entwürfe aus der Oppositionszeit.
So hadert Sattelberger seitenlang mit den Thesen von Mariana Maccucato, die dem Staat eine aktivere Rolle bei einer missionsorientierten Innovationspolitik ähnlich wie in den USA abverlangt und geißelt den „wirtschaftsunerfahrenen Robert Habeck, der sie zur Kronzeugin seines staatsgläubigen Denkens benennt.“ Gleichzeitig zürnt er aber auch „dem Jenaer Wirtschaftswissenschaftler Uwe Cantner“, seines Zeichens Professor und Vorsitzenden der Expertenkommission für Innovation Forschung und Innovation (EFI), der eine Extra-Policy Paper zum DATI-Projekt veröffentlicht und „darin die Agentur vernichtend kritisiert“ habe, selbst aber grundlegende Reformen schuldig bleibe.
Dabei gerät der streitbare Staatssekretär schließlich nicht nur in Widersprüche zu politischen Gegnern und Koalitionären, sondern auch zu sich selbst. Denn offensichtlich ist er auch der Idee von abhängigen Innovationsagenturen wie in den USA, der Schweiz, Schweden oder in Großbritannien durchaus gewogen. Und er will beim SPRIN-D-Freiheitsgesetz für die DATI möglichst große Beinfreiheit für die Akteure durchsetzen. Gleichzeitig verlangt er für andere Akteure der Forschung und Innovation wie den AuFs mehr Strategie, Effizienz, Evaluation, Zielbestimmung und parlamentarische Kontrolle. Mit einer verengten Weltsicht sind pragmatische Konzepte, die sich an konkreten Lösungen orientieren, in einer Ampelregierung aber nur schwer umzusetzen. Sattelbergers polarisierter Politikstil befördert stattdessen parteipolitische Revier- und Verteilungskämpfe, an denen er schließlich scheitert.
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Verteilungskämpfe um Ressourcen und persönlicher Nahkampf
Am wenigsten hätte es Thomas Sattelberger schließlich überraschen dürfen, dass Politikgestaltung immer auch ein Verteilungskampf um Ressourcen darstellt. Lobbygruppen, Interessenverbände und Förderempfänge buhlen dabei ebenso wie Nachbarministerien und Referate, aber auch Parlamentarier und politische Gegner. Bei DATI und SPRIN-D verweigert der Haushaltsausschuss die notwendige Unterstützung. Als Ursache unterstellt Sattelberger ideologische Vorbehalte der parlamentarischen SPD-Linken, Wiebke Esdar; vor allem aber eine Racheintrige seines Parteikollegen Otto Fricke zusammen mit dem Chef der Fraunhofer Gesellschaft Neugebauer, denen er wiederholt in die Quere gekommen war. Gepaart mit mangelnder Unterstützung durch seinen Verhandlungsführer Brandenburg sowie Ministerin Stark-Watzinger selbst. Objektiv gesehen standen die DATI und SPRIN-D aber in direkter finanzieller Konkurrenz zu anderen Programmen des Ministeriums. Zum einen die Bafög-Novelle, zum anderen die langfristigen Bindungen des BMBF-Haushaltes durch langfristige Zusagen an Forschungseinrichtungen. Nicht erwähnt wird in der Rückschau, dass Sattelberger und andere Verfechter im Vorfeld immer wieder „frisches Geld“ gefordert hatten, stellenweise sogar bis zu einer Milliarde Euro. Offensichtliche Illusionen angesichts der Haushaltskonsolidierungsideen seiner Partei.
Menschen machen Politik
Und dann steht sich Thomas Sattelberger mit seinem impulsiven Temperament auch noch selbst im Weg. „Mein Herz und meine Seele erstarrten. Mein Entschluss stand binnen Sekunden fest. Ich nahm mein Mobiltelefon und tippte sofort meine Rücktrittserklärung als Parlamentarischer Staatssekretär an Ministerin Stark-Watzinger.“ Der Mann, der über Jahrzehnte Strukturen in deutschen Unternehmen umgestaltet hatte, verliert angesichts der ersten halben Niederlage in einem politischen Amt innerhalb von Minuten die Geduld. Ein Autor, der in den weiteren Kapiteln auf zahlreichen Bildungs- und Wirtschaftsfeldern kaum einen Stein auf dem anderen lassen will. Und Dutzenden von Wirtschaftsführern und Politikern charakterliche Schwächen, Mittelmäßigkeit oder Orientierungslosigkeit vorwirft. Das selbsternannte Vorbild der eigenen, radikalen Transformation (meine Lebensaufgabe!) schwächelt in der ersten Runde und verlässt beleidigt die Arena.
Zu voreilig, aber vielleicht zwangsläufig? Die Friedrich Naumann Stiftung hat zum 100sten Geburtsgang des bürgerlich-liberalen Soziologen Max Weber noch einmal an die Definition der wichtigsten Qualitäten eines Politikers erinnert: sachliche Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und ein distanziertes Augenmaß. Die größte Schwäche für einen Politiker sah Weber „in der Eitelkeit, die diesen unsachlich und verantwortungslos erscheinen lasse“. Politik wird danach zwar mit dem Kopf aber nicht nur mit ihm gemacht. Den berufenen Politiker zeichnet die gesunde Balance aus.
Die frühzeitige Demission Sattelbergers ist so betrachtet deshalb sowohl politisch verhängnisvoll wie persönlich tragisch: Mit seinen Erfahrungen und zielführenden Vorschlägen hatte er die relevanten Schwachstellen deutscher Innovationspolitik erkannt und in seiner Kämpfernatur die wichtigen Baustellen auch vorbildlich angegangen. Womöglich hätten sich daraus schon bald wichtige Fortschritte für die deutsche Innovationspolitik ergeben. Denn die DATI und SPRIN-D bieten auch in ihren noch nicht voll entwickelten Versionen große Potenziale, die ohne Frage weiterverfolgt werden sollten. Die gesamte Governance von Innovation gehört auf den Prüfstand, auch und besonders im Vergleich zu Modellen in anderen Staaten der Welt. Auch andere Ansätze, die Sattelberger benennt, hätten unbedingt einen erfahrenen, zupackenden und durchsetzungsstarken Politiker verdient.
Zurück bleibt stattdessen ein „grumpy old man“, dessen Selbstoffenbarung und detaillierter Rückblick gleichwohl ein Verdienst sind. Sein „Evaluationsbericht“ aus 163 Tagen im Amt ist Anschauungsmaterial und Lernstoff zur Innovationspolitik in Deutschland, über verhängnisvolle Defizite und mit klugen Verbesserungsansätzen. Seine Nachfolger sind jetzt aufgefordert, sie noch einmal aufzugreifen.
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