Auch wenn gegenwärtig angesichts von hohen Energiepreisen, Fachkräftemangel, müden Konjunkturaussichten und schlechter Stimmung eher die Deindustrialisierung Deutschlands in aller Munde ist, muss man feststellen, dass es sich mindestens um eine ambivalente Entwicklung handelt.
Ohne Frage stehen die Grundstoffindustrien ziemlich unter Druck. Wobei nicht vergessen werden darf, dass es etwa in der Chemieindustrie schon vor Pandemie und Zeitenwende einen deutlichen „Shift to Asia“ gegeben hat, weil dort einfach die Wachstumsmärkte sind. Konsequenterweise hat BASF seinen dritten großen Verbundstandort nach Ludwigshafen und Antwerpen eben in Südchina errichtet.
Und dass die hiesige Stahl- und Aluminiumindustrie unter dem Eindruck weltweiter Überkapazitäten ächzt, ist eine Hiobsbotschaft für alle Standorte, aber so ganz überraschend kommt sie nicht. Daneben besteht die Transformation der Automobilbranche am Standort – als vermutlich prominenteste Branche vollzieht sie einen umfassenden Wandel, um zukünftig auch in Deutschland und Europa Wertschöpfung und Beschäftigung zu ermöglichen.
Neue Akteure durch Transformation
Mit diesen Wandlungsprozessen steigen neue Akteure auf (siehe Tesla in Grünheide), alte Stücke der Wertschöpfungsketten verlieren an Bedeutung (Verbrennerstrang beim Auto), neue kommen hinzu (Batteriezellfertigung für E-Mobilität etwa von Northvolt in Heide oder die VW-Produktion in Salzgitter).
Und bisweilen gehen in einigen Regionen auch Industrien an den Start, die man hier kaum erwartet hätte. Eine der größten Überraschungen der vergangenen Jahre dürfte die Entscheidung des US-amerikanischen Chip-Giganten Intel sein, in Magdeburg eine Fab in Leading Edge-Technologie für (sub) 2-nm-Nodes zu bauen. Es ist die bislang einzige derartige Fab in Europa.
Die neue Intel-Fab in Magdeburg
Die rund 30 Milliarden Euro teure Investition wird mit etwa 10 Milliarden Euro von der öffentlichen Hand gefördert. Die Gegenleistung: rund 3.000 direkt und 4.500 bis 5.400 indirekt und induziert Beschäftigte. Die Intel-Fab wird einen signifikanten Beitrag zur Wertschöpfung im Land Sachsen-Anhalt und darüber hinaus auch in zahlreichen anderen Bundesländern leisten.
Zudem wird sich die öffentliche Subvention allein über Steuereinnahmen und Sozialabgaben in Höhe von jährlich 250 bis 400 Millionen Euro spätestens über einen Zeitraum von 30 Jahren refinanzieren, selbst wenn Intel in Magdeburg ausschließlich für den Export produziert, da es zumindest gegenwärtig kaum Abnehmerindustrien für 2-nm-Chips in Deutschland gibt.
Wie eine Studie der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH gemeinsam mit der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung deutlich macht, kann diese Refinanzierungszeit verkürzt werden, wenn es gelingt, Zulieferer und Service-Unternehmen für Intel in und um Magdeburg anzusiedeln, um auf diese Weise katalytische regionalökonomische Effekte anzustoßen und zu nutzen. Zusätzlich würde die Nutzung der erzeugten Chips in regionalen bzw. nationalen Industrien (ggf. für automatisiertes Fahren in der Automobilindustrie) rasch eine Wertschöpfungsmultiplikation im zweistelligen Bereich bedeuten.
Chancen für regionale und nationale Missionen
Während eine mögliche Nutzung der Chips auch im Inland kaum von den regional vertretenen Akteuren beeinflusst werden kann, ist die Ausgestaltung des Ökosystems sehr wohl auch eine Frage der regionalen innovations- und industriepolitischen Gestaltung. Der rund um Intel entstehende Hightech-Komplex bietet die Möglichkeit, einen ausgesprochen zukunftsträchtigen industriellen Kern als Entwicklungsmotor zu nutzen.
Komplementär oder auch als Teil der nationalen Missionen, wie sie aktuell durch die Bundesregierung in sechs Schwerpunkten im Rahmen der Zukunftsstrategie entwickelt werden, bietet der Standort Magdeburg eine exponierte Gelegenheit, die nationale Mission „Digitale und technologische Souveränität Deutschlands und Europas sichern und Potenziale der Digitalisierung nutzen“ mit einer regionalen Wachstumsperspektive zu verbinden. Die hohe Kongruenz der europäischen (European Chips Act), der nationalen (Mikroelektronik und Technologische Souveränität) und der regionalen Interessen zur Entwicklung eines prosperierenden und lebenswerten Standorts lassen eine gemeinsame Zielsetzung auch über das IPCEI-Förderinstrument hinaus erwarten.
Magdeburg als Katalysator für weitere Hightech-Felder
Durch die Nutzung der zu erwartende katalytische Effekte bietet das Zulieferersystem rund um Intel zudem die Möglichkeit, weitere Hightech-Felder wie neue Materialien, Industrie 4.0 oder Medizintechnik zu entwickeln. Zum einen profitieren angrenzende Felder vom unmittelbaren wissenschaftlich-technischen Austausch, von verteilten Zuliefererstrukturen und Ansiedlungen bzw. Gründungen (Startups).
Zum anderen wird die Intel-Fabrik zu einer Aus- und Weiterbildungsoffensive sowohl im akademischen als auch im dualen Bereich führen müssen, um den absehbaren Fachkräftebedarf zu decken. Derartige Fachkräftestrukturen sind auch für Unternehmen außerhalb der Chip-Fertigung bzw. IKT interessant, sodass sich Magdeburg hier als Hot Spot für technologienahe Qualifizierung und Kompetenzentwicklung positionieren dürfte.
Formulierung erfolgreicher regionaler Missionen
Die Entwicklung eines derartigen Hightech-Clusters kann ein erfolgversprechender Ansatz zu sein, um davon ausgehend eine regionale Mission zu formulieren. Diese muss allerdings mehr sein als standortbezogene Industriepolitik bzw. einfach nur ein Großprojekt, indem der Akteurskreis deutlich erweitert und die Entwicklung mit einem übergeordneten, nicht nur sektoralen Zielanspruch versehen wird.
Wie aktuelle Veröffentlichungen zeigen, bestehen in Deutschland zwar sehr wohl Bewegung in Sachen Missionsorientierung, aber noch vergleichsweise wenig Handlungswissen. Dementsprechend ist es notwendig, zunächst überhaupt eine gleichermaßen ambitionierte wie realistische Mission zu formulieren, um davon ausgehend ihre Implementierung zu planen und umzusetzen.
Aufbau von Handlungswissen durch regionale Changemaker
Neben Intel in Magdeburg dürften auch verschiedene andere Ansiedlungen von neuen Industrien als regionale Gamechanger wirken und die Möglichkeit bieten, Missionen zu formulieren, die globale Entwicklungen aufgreifen, auf einen nationalen bzw. europäischen Zielhorizont ausrichten und in Form von konkreten regionalen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen greifbar werden lassen.
Da diese „neuen Großprojekte“ im Regelfall im Einklang mit übergeordneten politischen Strategien wie dem Green Deal stehen, dürfte die Gefahr von ungerichteten regionalen Entwicklungen sehr gering sein. Der Wert von regionalen Missionen besteht vielmehr darin, die sich unmittelbar ergebenden Gelegenheiten in einen größeren Gestaltungskontext einzuordnen und für weitergehende Ziele zu nutzen. Aufgrund der geringeren Komplexität gegenüber nationalen Missionen dürften regionale Missionen insbesondere für den Aufbau von Handlungswissen besonders geeignet sein.
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