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Julia Scheerer
21. August 2024

Fünf Empfehlungen für Entscheider:innen bei Pitches

Unbewusste Vorurteile können die Entscheidungen bei Start-up-Pitches beeinflussen. Wie Jurys eine bessere und ausgewogenere Bewertung sicherstellen können.

Ein Pitch ist für Gründer:innen eine stressige Situation. Er lockt Publikum an und löst Performancedruck aus. Gründer:innen müssen mit ihrem Geschäftsmodell überzeugen. Oft wird innerhalb weniger Minuten entschieden, wer Geld und Anerkennung bekommt und wer leer ausgeht. Die Bewertung von Start-ups in Pitches ist daher eine anspruchsvolle Aufgabe, die sorgfältige Überlegung und Objektivität erfordert.

Dennoch ist es in solchen Situationen fast unvermeidlich, dass unbewusste Vorurteile die Entscheidungen der Jury beeinflussen. Dies kann dazu führen, dass vielversprechende Ideen übersehen oder bestimmte Gründergruppen benachteiligt werden. In diesem Blogbeitrag zeige ich, wie sich solche vorurteilsgeleiteten Entscheidungen verringern lassen und welche Maßnahmen Jurorinnen ergreifen können, um eine bessere und ausgewogenere Bewertung sicherzustellen. Einige dieser Vorschläge befolge ich selbst als Jurorin.

1. Vorurteile erkennen und ansprechen

Unbewusste Vorurteile, auch „unconscious bias“ genannt, können Entscheidungen subtil beeinflussen, ohne dass sich die handelnden Personen dessen bewusst sind. Diese Vorurteile können auf dem Geschlecht, der ethnischen Herkunft, dem sozialen Hintergrund oder sogar auf dem Alter basieren.

Grundsätzlich sind Vorurteile nicht schlecht, denn sie helfen uns, Komplexität zu reduzieren und Entscheidungen schnell zu treffen. Allerdings darf man sich nicht zu sehr auf sie verlassen, denn sie führen nicht immer zum besten Ergebnis. Mehr über die sogenannte Gründer:innen-Personality findet ihr übrigens in diesem Blogpost.

Laut einer Studie von Greenwald und Banaji (1995) sind unbewusste Vorurteile tief in der menschlichen Kognition verankert. Diese Vorurteile entstehen unter anderem durch kulturelle Einflüsse und persönliche Erfahrungen. So können sie die Wahrnehmung und das Verhalten in erheblichem Maße beeinflussen. Ein weiteres Beispiel ist die Studie von Moss-Racusin et al. (2012), die zeigte, dass akademische Wissenschaftler:innen – unabhängig von ihrem eigenen Geschlecht – männliche Bewerber für wissenschaftliche Positionen systematisch höher bewerteten als weibliche Bewerberinnen mit identischen Qualifikationen.

Der erste Schritt zur Vermeidung vorurteilsgeleiteter Entscheidungen besteht darin, sich der eigenen Vorurteile bewusst zu werden. Dies kann zum Beispiel über den Implizierten Assoziationstest geschehen: Ein in Harvard entwickelter Test, der einem hilft, die eigenen Vorurteile zu erkennen.

Dies kann durch Sensibilisierungsschulungen und bewusste Selbstreflexion geschehen. Diskussionen innerhalb der Jury oder Transparenz über die eigenen Vorurteile können ebenfalls hilfreich sein. Die Juror:innen sollten ermutigt werden, ihre Entscheidungen kritisch zu hinterfragen und sicherzustellen, dass diese auf objektiven Kriterien basieren. Auch wenn es Mut erfordert, die eigenen Vorurteile gegenüber anderen transparent zu machen.

2. Strukturiertes Bewertungssystem verwenden

Ein strukturiertes Bewertungssystem kann dazu beitragen, die subjektive Natur von Entscheidungen zu minimieren. Dabei sollten klar definierte Kriterien verwendet werden, um die Start-ups zu bewerten. Zudem sollte darauf geachtet werden, dass alle Juror:innen diese Kriterien konsequent anwenden. Uhlmann und Cohen (2005) zeigten, dass strukturierte Bewertungsverfahren die Wahrscheinlichkeit verringern, dass unbewusste Vorurteile Entscheidungen beeinflussen. In Experimenten, bei denen die Bewertungsstandards vor der Beurteilung festgelegt wurden, hatten unbewusste Vorurteile weniger Einfluss auf die endgültigen Entscheidungen.

Standardisierte Bewertungsformulare, die frei von Angaben zu Alter, Herkunft, Geschlecht oder auch regionalen Datener Gründenden entwickelt werden, können helfen. So werden relevante Kriterien wie z.B. das Geschäftsmodell, das Marktpotenzial, die Innovationskraft und das Team in den Vordergrund gestellt.,. Die Kriterien sollten objektiv und messbar gemacht werden. Alle Juror:innen sollten diese Formulare während der Pitches ausfüllen und sich strikt an die festgelegten Bewertungskriterien halten.

Im Zweifel kann natürlich auch per se für alle Pitchteilnehmer:innen die Höchstpunktzahl für Unternehmerpersönlichkeit gegeben werden. Denn wer bereit ist, sich einer Pitchsituation zu stellen, hat damit schon bewiesen, eine unternehmerisch handelnde Persönlichkeit zu haben.

3. Anonymisierung der Bewerbungen

Eine der effektivsten Methoden zur Begrenzung von Vorurteilen ist die Anonymisierung der Bewerbungen. Dies bedeutet, dass alle Informationen, die nicht unmittelbar mit der Qualität der Geschäftsidee zusammenhängen – wie z.B. der Name, das Geschlecht oder die ethnische Zugehörigkeit der Gründer:innen – vor der Bewertung entfernt werden.

Die Anonymisierung von Bewerbungen wurde in mehreren Studien als wirksame Methode zur Verringerung von Vorurteilen nachgewiesen. Goldin und Rouse (2000) untersuchten beispielsweise, wie sich die Einführung eines anonymisierten Auswahlverfahrens (bei dem die Namen der Bewerber nicht sichtbar waren) auf die Chancen von Frauen in Orchestern auswirkte. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen erfolgreich waren, stieg deutlich, als die Identitäten anonymisiert wurden.

Wo immer es möglich ist, sollten persönliche Informationen über die Gründer:innen anonymisiert werden, bevor die Pitches bewertet werden. Dies könnte durch die Verwendung von Codewörtern oder durch die Erstellung eines anonymen Dossiers erfolgen, das nur die wesentlichen Informationen zur Geschäftsidee enthält.

4. Diversität in der Jury sicherstellen

Die Zusammensetzung der Jury spielt eine entscheidende Rolle dabei, wie Entscheidungen getroffen werden. Eine divers zusammengesetzte Jury kann unterschiedliche Perspektiven einbringen und so das Risiko von Vorurteilen verringern.

Page (2007) zeigte, dass Gruppen mit höherer Diversität in der Regel bessere Entscheidungen treffen, da sie unterschiedliche Perspektiven und Ansätze einbringen. Diese Vielfalt in der Denkweise trägt dazu bei, die kollektive Intelligenz der Gruppe zu erhöhen und unbewusste Vorurteile zu verringern.

Unsere eigene Studie „She´s got Wings“ zeigt, dass Frauen als Business Angels ähnlich entscheiden wie Männer. Kurz gesagt: Wenn Thomas (65) gerne Christian (38) fördert, dann trifft das auf Christiane (65) auch zu, die gerne Christine (38) fördert. Allerdings fördert laut unserer Studie Christiane auch gerne gemischte Teams und legt Wert auf Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells.

Die Jury sollte also so zusammengestellt werden, dass sie eine breite Palette an Perspektiven und Erfahrungen abdeckt. Dies könnte durch die Einbeziehung von Mitgliedern unterschiedlicher Geschlechter, ethnischer Hintergründe, Altersgruppen und Fachgebiete erreicht werden. Eine vielfältige Jury ist kein nice-to-have mit Quoten-Entscheiderinnen, sondern eine Voraussetzung dafür, ein ausgewogeneres Urteil zu fällen und das Risiko von Gruppenverhalten (Groupthink) zu reduzieren.

5. Feedback-Mechanismen und kontinuierliche Verbesserung

Es ist wichtig, dass die Jury ihre Prozesse überprüft und nach Möglichkeiten sucht, diese zu verbessern. Auch wenn eine Jury nur für eine Entscheidungssituation zusammenkommt, ist es wichtig, sich vor der Entscheidungssituation zusammenzufinden: Die Jury sollte sich kennenlernen, Feedback- Mechanismen einbauen sowie einen Konsens darüber herstellen, wie sie entscheiden will.

Vor und nach jedem Pitch-Event sollte die Jury eine Brechung durchführen, in der sie den gesamten Prozess reflektiert. Johnson et al. (2008) haben gezeigt, dass Feedback eine Schlüsselrolle bei der Verbesserung der Entscheidungsfindung spielt. Durch gutes Feedback können Juror:innen ihre eigenen Urteilsprozesse reflektieren und daraus lernen, was wiederum zu einer besseren Entscheidungsqualität führt. Bei der Nachbesprechung sollten insbesondere Fragen diskutiert werden wie: „Wurden alle Start-ups fair und objektiv bewertet?“, „Woran erkennen wir, dass wir fair und objektiv bewerten?“ Auch anonymes Feedback von den Start-ups selbst kann wertvolle Einblicke bieten.

Klar, regelmäßige Schulungen zu unbewussten Vorurteilen und bewusster Entscheidungsfindung wären super, um die eigenen Fähigkeiten kontinuierlich zu verbessern. Selten genug kommen Jurys jedoch so kontinuierlich zusammen, dass der Aufwand gewagt wird.

Eine erfolgreiche Start-up-Landschaft erschaffen

Vorurteilsgeleitete Entscheidungen sind eine echte Gefahr bei der Bewertung von Start-up-Pitches, aber sie können durch gezielte Maßnahmen erheblich reduziert werden. Der Schlüssel liegt darin, sich der eigenen Vorurteile bewusst zu werden und diese aktiv zu hinterfragen. Strukturiertes und anonymisiertes Bewerten, Diversität in der Jury und konstruktives Feedback sind wesentliche Strategien, um faire und objektive Entscheidungen zu treffen. Indem diese Maßnahmen in den Bewertungsprozess integriert werden, kann die Qualität der Entscheidungen verbessert und gleichzeitig die Chancengleichheit für alle Gründer:innengruppen gefördert werden.

Diese Strategien helfen nicht nur dabei, gerechtere Entscheidungen zu treffen, sondern stärken auch das Vertrauen in den Bewertungsprozess. Sie tragen also dazu bei, dass die besten und innovativsten Start-ups die Unterstützung erhalten, die sie verdienen. In einer Zeit, in der Ressourcen knapper werden und die Wirtschaft stark unter Druck gerät, ist es mehr als angemessen, zu fragen, ob wir den Richtigen und Wichtigen eine Chance geben oder uns von dem leiten lassen, was uns vertraut erscheint. In einer Zeit, in der Vielfalt und Inklusion Neuerungen in die Wirtschaft bringen, ist es entscheidend, dass auch die Bewertung von Start-ups diese Werte widerspiegelt. Indem wir bewusst und proaktiv gegen Vorurteile vorgehen, schaffen wir eine fairere und erfolgreichere Start-up-Landschaft.

 

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