Vom Automobil bis zum MP3-Format – viele bahnbrechende Erfindungen stammen aus Deutschland oder wurden hier maßgeblich weiterentwickelt. Das Land blickt auf eine lange Tradition als Technik- und Innovationsstandort zurück. Doch in den letzten Jahren geriet Deutschlands Innovationskraft zunehmend unter Druck.
Das aktuelle Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) zeigt auf, dass bürokratische Hürden, langsame Entscheidungsprozesse und unzureichende Investitionen in Schlüsseltechnologien die Wettbewerbsfähigkeit gefährden. Jetzt sind entschlossenes Handeln und konkrete Maßnahmen erforderlich, um Deutschland wieder an die Spitze zu bringen. Wie kann die Innovationskraft gestärkt werden? Und welche Herausforderungen gilt es zu bewältigen? Eine entscheidende Rolle spielen Ingenieurinnen und Ingenieure.
Innovationspolitik: Viel Potenzial, zu wenig Umsetzung
Deutschland muss seine Innovationspolitik neu ausrichten, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Zwar gibt es bereits zahlreiche ambitionierte Ziele und Ideen – wie z.B. den Mittelstand bei Innovation und Digitalisierung voranzubringen. Doch die Umsetzung stockt. Die Innovationspolitik wirkt zu langsam und ineffektiv. Überbordende Bürokratie, zu lange Genehmigungsverfahren oder jahrelange Pilotprojekte verhindern, dass wir in Deutschland schnell genug vorankommen.
Ingenieurinnen und Ingenieure aus der Praxis sehen dringenden Handlungsbedarf: Eine Umfrage des VDI unter seinen Mitgliedern ergab, dass fast 96 Prozent eine gestärkte Innovationskraft als Schlüssel zur Sicherung der industriellen Basis betrachten. Ein unverzichtbarer Schritt ist die Förderung von Forschung und Entwicklung sowie die Schaffung attraktiver Standortbedingungen. Der Trend, dass Unternehmen ihre Forschungsabteilungen ins Ausland verlagern, weil sie dort auf mehr Innovationsoffenheit und weniger Bürokratie stoßen, muss gestoppt werden.
Innovationsbremse Bürokratie lösen
Ein zentrales Hemmnis für Innovationen in Deutschland ist teils überbordende Bürokratie. Besonders für Start-ups und kleine Unternehmen, die oft die treibenden Kräfte neuer Technologien sind, stellen regulatorische Hürden, komplizierte Verwaltungsprozesse und langwierige Genehmigungsverfahren eine große Belastung dar. Auch mittelständische und größere Unternehmen kämpfen mit hohen Zeit- und Kostenfaktoren.
Eine spürbare Entlastung der Verwaltung ist essenziell, um Innovationen schneller auf den Markt zu bringen. Wichtig ist hier, bürokratische Prozesse effizienter und praxisorientierter zu gestalten, ohne dabei Sicherheits- und Qualitätsstandards zu gefährden. Deutschland muss sicherstellen, dass Unternehmen ihre Ideen zügig umsetzen können – bevor ihnen die internationale Konkurrenz zuvorkommt.
Innovationsdynamik: Aufholen statt Ausruhen
Laut EFI-Gutachten ist die Zahl der angemeldeten Patente aus Deutschland seit 2018 rückläufig. Jüngste Zahlen für das Jahr 2024 zeigen erfreulicherweise eine leichte Erholung, dennoch bleiben die USA mit nahezu doppelt so vielen Patentanmeldungen in Europa unangefochten führend. Deutschland darf sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen.
Unsere Umfrage unter VDI-Mitgliedern bestätigt diesen Trend: Die Mehrheit der befragten Ingenieurinnen und Ingenieure sieht eine stärkere Förderung von Forschung und Entwicklung als dringend notwendig – insbesondere in Schlüsseltechnologien wie Künstlicher Intelligenz (KI) und Biotechnologie. Länder wie China, Südkorea und die USA investieren massiv in diese Bereiche und setzen Deutschland zunehmend unter Zugzwang. Notwendig sind gezielte, langfristige Investitionen, die nachhaltig wirken.
Deutschland und die Schlüsseltechnologien
Deutschland steht insbesondere in den Bereichen KI, Biotechnologie und Materialwissenschaften unter starkem Wettbewerbsdruck. Die Innovationsführerschaft liegt zunehmend bei den USA, China und Südkorea.
Um den Anschluss nicht zu verlieren, sind verstärkte Anstrengungen in Forschung und Entwicklung erforderlich. Eine klare langfristige politische Strategie ist nötig, um in diesen Schlüsseltechnologien wettbewerbsfähig zu bleiben. Das bedeutet nicht nur eine verstärkte Finanzierung von Forschungsprojekten, sondern auch die Förderung internationaler Kooperationen und die Schaffung von Innovationsclustern, in denen Unternehmen und Forschungseinrichtungen enger zusammenarbeiten.
Ingenieurberufe als Treiber der Innovation
Ingenieurinnen und Ingenieure spielen eine zentrale Rolle in der Innovationsförderung. Ohne ihre Expertise bleiben viele Ideen und Reformansätze bloße Theorie. Sie entwickeln nicht nur neue Technologien, sondern optimieren auch bestehende Prozesse und machen visionäre Projekte erst realisierbar – ob in der Energiewende, der Digitalisierung oder der Medizintechnik.
Der VDI fordert daher eine bessere, zukunftsorientierte Ausbildung und Qualifikation im Ingenieurwesen. Ebenso wichtig ist die Anerkennung von Berufserfahrung bei Quereinsteigenden sowie attraktive Arbeitsbedingungen, um den Ingenieurnachwuchs zu sichern.
Vielfalt als Innovationsmotor
Diverse Teams sind nachweislich innovativer und wirtschaftlich erfolgreicher – das belegen zahlreiche Studien. Und Vielfalt ist gerade in technischen Berufen ein entscheidender Erfolgsfaktor.
Ältere Beschäftigte sollten länger im Beruf gehalten werden, um ihr Wissen weiterzugeben. Gleichzeitig muss der Ingenieurberuf für junge Menschen – insbesondere für Frauen – attraktiver werden, sonst verschenkt Deutschland wertvolles Potenzial. Dies beginnt mit technischer Bildung bereits im Kindergarten und reicht bis zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auch die erfolgreiche Integration ausländischer Fachkräfte ist ein zentraler Baustein für eine nachhaltige Innovationsstrategie.
Langfristige Perspektive notwendig
Ein weiteres zentrales Problem ist das Fehlen einer langfristigen Standortpolitik. Ohne eine klare Vision für die Zukunftstechnologien, in denen Deutschland führend sein möchte, bleibt die Politik fragmentiert und inkonsistent. Der VDI fordert daher eine stärkere Fokussierung auf die Technologien, die für die industrielle Basis Deutschlands entscheidend sind.
Besonders wichtig sind langfristige Strategien in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Nachhaltigkeit und digitale Transformation. Deutschland muss sich fragen, welche Technologien in den kommenden Jahrzehnten den entscheidenden Wettbewerbsvorteil bieten werden. Nur mit einer durchdachten und langfristig ausgerichteten Strategie kann das Land seine Innovationskraft nachhaltig stärken.
Fazit: Jetzt ist die Zeit für Taten
Die Innovationskraft Deutschlands steht auf dem Prüfstand. Wenn das Land im globalen Wettbewerb bestehen will, muss es jetzt handeln. Der VDI hat im Rahmen seiner Initiative „Zukunft Deutschland 2050“ klare Handlungsempfehlungen formuliert, die nicht nur den Bürokratieabbau, sondern auch die Förderung von Schlüsseltechnologien und die Stärkung der Ingenieurbranche umfassen:
- Förderung von Innovationen: Verstärkte politische Unterstützung für Forschung und Entwicklung in Schlüsseltechnologien wie KI, Biotechnologie und Materialwissenschaften.
- Bürokratieabbau: Vereinfachung von Genehmigungsverfahren und Abbau regulatorischer Hürden, um Innovationen schneller auf den Markt zu bringen.
- Stärkung der Ingenieurausbildung: Ausbau von Aus- und Weiterbildungsprogrammen sowie bessere Integration von Quereinsteigenden und internationalen Fachkräften.
- Langfristige Standortpolitik: Entwicklung einer klaren Vision für die Zukunftstechnologien, in denen Deutschland führend sein möchte.
Nur mit einer entschlossenen und langfristig ausgerichteten Innovationsstrategie kann Deutschland seine Stellung als führender Innovations- und Technikstandort behaupten.
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