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Martin Lundborg
2. Oktober 2020

Digitalisierung: Das ungenutzte Potenzial für den Mittelstand

Kleine und mittelständische Unternehmen sind ein elementarer Bestandteil der deutschen Wirtschaft: Viele deutsche Unternehmen nutzen die Chancen der Innovation insbesondere durch Digitalisierung bisher nur unzureichend.

Ein Interview mit Martin Lundborg, dem Leiter der Begleitforschung des Förderschwerpunkts Mittelstand-Digital im Bundesministerium  für Wirtschaft und Energie.

 

Hat der deutsche Mittelstand in Sachen Digitalisierung international an Wettbewerbsfähigkeit tatsächlich eingebüßt?

Der deutsche Mittelstand ist traditionell sehr gut aufgestellt, auch um bei der Digitalisierung weltweit führend zu sein. Dafür sind aber deutlich mehr Investitionen in neue, digitale Technologien und Anwendungen notwendig. Zwar wurden in kleinen und mittleren Unternehmen in den vergangenen Jahren mehr Digitalisierungsprojekten umgesetzt, allerdings sind diese Projekte in der Regel eher klein, wie das repräsentative KfW-Mittelstandspanel zeigt. Demnach investierten kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland im Zeitraum von 2016 bis 2018 im Durchschnitt lediglich 17.000 Euro in Digitalisierungsprojekte. Das wird in den kommenden Jahren nicht ausreichen, um international den Anschluss zu wahren.

National hinken kleine und mittlere Unternehmen den großen Konzernen außerdem in puncto Arbeitsproduktivität hinterher, wie eine Studie der Bertelsmann Stiftung verdeutlicht. Könnte eine stärkere Digitalisierung des Mittelstands dabei helfen, diese Lücke zu schließen oder zumindest zu reduzieren?

Definitiv. Generell wurde zum Beispiel festgestellt, dass kleine und mittlere Unternehmen weniger Daten nutzen als große Unternehmen. Eine besonders große Diskrepanz ist bei der Nutzung von Daten zur Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle zu sehen: Über die Hälfte der Großunternehmen setzt ihre Daten hierfür ein, während diese Möglichkeit lediglich von jedem vierten Unternehmen aus dem Mittelstand genutzt wird. Die Unternehmen im Mittelstand beschäftigen sich aktuell hauptsächlich mit der Identifikation ihrer Datenbestände, der Transparenzmachung von internen, datenbezogenen Prozessen und deren effizienten Ausgestaltung. Nur wenige kleine und mittlere Unternehmen setzten ihre Daten gewinnbringend oder sogar in disruptiven Geschäftsmodellen ein.

Die Digitalisierung bietet in vielen Bereichen gerade für den Mittelstand Chancen und Potenziale, die bisher noch nicht ausgeschöpft wurden. So kann beispielsweise die systematische Analyse und Vernetzung großer Datenmengen eine effizientere Produktion ermöglichen, neue Produkte und Geschäftsmodelle können von den Unternehmen entwickelt und neue Vertriebswege genutzt sowie Nachhaltigkeitsmaßnahmen unterstützt werden. Das sind große Potenziale im Bereich Produktivität und Innovation, welche unbedingt ausgeschöpft werden sollten.

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Das Thema ist mittlerweile auch auf der politischen Agenda angekommen. So sind unter anderem im Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) in den vergangenen Jahren diverse Initiativen entstanden, die kleine und mittlere Unternehmen bei der Digitalisierung unterstützen sollen. Eine davon ist „Mittelstand-Digital“. Wie genau hilft die Initiative Unternehmen dabei, den technologischen Wandel voranzutreiben?

Mittelstand-Digital informiert kleine und mittlere Unternehmen über die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung. Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren in ganz Deutschland helfen mit Expertenwissen, Demonstrationszentren, Netzwerken zum Erfahrungsaustausch, Veranstaltungen und praktischen Beispielen. Interessierte Unternehmerinnen und Unternehmer können sich mit ihren Fragen zur Digitalisierung an unsere über 130 Anlaufstellen der Kompetenzzentren wenden und bekommen hier anbieterneutrale Informationen und Unterstützung bei der Umsetzung ihres Vorhabens. Das BMWi ermöglicht die kostenfreie Nutzung aller Angebote von Mittelstand-Digital. Neben den Angeboten der 26 Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren ist im September mit „Digital Jetzt“ ein neues Förderprogramm gestartet, das Zuschüsse zu den Investitionskosten bereitstellt, wenn Unternehmen sich entscheiden, auf digitale Geschäftsprozesse umzustellen.

Ein Ziel von „Mittelstand-Digital“ ist es, für Unternehmen die Risiken von Investitionen in neue Technologien zu reduzieren. Wie versuchen Sie dies zu realisieren?

Im Vergleich zu allgemeinen Investitionen finanzieren Mittelständler ihre Digitalisierungsvorhaben zu einem deutlich geringeren Anteil über externe Quellen, dafür stärker aus internen Mitteln.  Dies erklärt sich mit typischen Merkmalen von Digitalisierungsprojekten: Unsicherheit über den Erfolg, Schwierigkeiten bei der Bewertung dieser Vorhaben sowie fehlende Sicherheiten. Dem wird mit dem Investitionszuschussprogramm „Digital Jetzt“ dadurch entgegengewirkt, dass KMU aktuell zwischen 40 und 70 Prozent ihrer geplanten Investitionen im Bereich Digitalisierung fördern lassen können.

Neben diesem Investitionsrisiko: Was hält kleine und mittlere Unternehmen noch davon ab, stärker in Digitalisierung und technischen Fortschritt zu investieren?

Das hat auch mit strukturellen Hemmnissen zu tun. Kleine und mittlere Unternehmen – mit Ausnahme von IT-Start-ups – besitzen in der Regel wenig Know-how zu Digitalisierungsthemen und zum Change Management. Auch die Beschäftigten in den Unternehmen haben derzeit noch unzureichende Digitalkompetenzen. Hierbei geht es zunächst um Grundkompetenzen zum Bedienen von digitalen Arbeitsmitteln, die von 80 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen dringend benötigt werden. Darüber hinaus haben ein Viertel der kleinen und mittleren Unternehmen großen Bedarf an fortgeschrittenen Digitalkompetenzen für beispielsweise statistische Datenauswertung, Entwicklung von Anwendungen oder zum Programmieren. Rund ein Drittel aller kleinen und mittleren Unternehmen leidet unter Engpässen bei mindestens einer dieser Kompetenzkategorien.

Um diese Kompetenzengpässe zu beseitigen stehen den Unternehmen grundsätzlich drei Optionen zur Verfügung: Einstellung von Fachpersonal, Auslagerung von Tätigkeiten oder Weiterbildung der Belegschaft. Allgemeiner Fachkräftemangel und insbesondere der intensive Wettbewerb um IT-Personal erschweren die Rekrutierung. Auch Auslagerungen gehen nur in Grenzen. Mehr als zwei Drittel der kleinen und mittleren Unternehmen setzen daher auf Weiterbildungsmaßnahmen für ihre Belegschaft.

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Aktuell kann man sicherlich außerdem sagen, dass die durch die Corona-Pandemie entstandenen Unsicherheiten Investitionen in Digitalisierungsthemen weiter ausgebremst haben. Aus diesem Grund hält „Digital Jetzt“ bis 2021 eine nochmals höhere Förderquote bereit, die Anreize für Investitionen schafft. Häufig ist es auch eine mangelnde Sensibilisierung bezüglich der digitalen Möglichkeiten und auch damit einhergehende Depriorisierung von Digitalisierungsthemen in kleinen und mittelständischen Unternehmen.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier betonte zuletzt, die Corona-Krise habe vielen Unternehmen zwar einen Digitalisierungsschub gegeben, zugleich aber auch Schwächen in der technologischen Entwicklung verdeutlicht. Wieso ist es für kleine und mittlere Unternehmen gerade jetzt wichtig, in Digitalisierung und Innovation zu investieren?

Die Corona-Krise hat die Umsätze, Lieferketten und Prozesse kleiner und mittlerer Unternehmen hart getroffen. Waren sich die Unternehmen schon vorher darüber bewusst, dass eine digitale Transformation ihrer Betriebe für den nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg erforderlich ist, so legten die Pandemie-Maßnahmen zu Kontaktbeschränkungen schlagartig offen, dass Unternehmen mit digitalisierten Prozessen den Geschäftsbetrieb leichter aufrecht erhalten konnten. Dies umfasst sowohl den Kontakt auf digitalen Wegen zur Kundschaft, als auch zur Belegschaft und zu Lieferanten. Digitale Lösungen werden auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, weshalb es jetzt schon wichtig ist, die eigenen Prozesse einer digitalisierten Welt anzupassen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter frühzeitig mitzunehmen.

Die Digitalisierung und zunehmende Vernetzung der Wirtschaft betrifft alle Branchen, vom Autokonzern bis zum Handwerksbetrieb. Wie erklären Sie beispielsweise der Betreiberin eines Friseursalons, dass sie sich mit dem Thema Digitalisierung beschäftigen muss?

Friseure mit kreativen Lösungen wie beispielsweise Onlineshops für gemischte Farben oder Online-Schulungen für Frisuren konnten die Folgen der Schließungen während des Lockdowns zumindest teilweise abmildern. Aber auch außerhalb von Krisenzeiten lohnt sich für diesen Berufszweig die Auseinandersetzung mit digitalen Geschäftsmodellen, wie etwa durch Websites, die umfangreiche Informationen im Vorfeld über neue Frisuren oder Pflegeprodukte bieten oder Terminreservierungen ermöglichen.  Diese Entwicklungen sind bereits auf dem Markt vorzufinden und Kunden werden vermehrt nur mit solchen innovativen Angeboten profitieren.

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