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Unter der Lupe: Wissenschafts-Praxis-Kooperationen für eine nachhaltige Entwicklung

Die Themen und Fragen nachhaltiger Entwicklung stellen unsere Gesellschaft vor besondere Herausforderungen. Diese Probleme kann keine gesellschaftliche Gruppe für sich allein lösen. Daher sind innovative Formen der Kooperation gefragt.

Die Herausforderungen sind vielfältig: Es geht darum, faire und enkeltaugliche Lösungen für Probleme wie Klimawandel, Artenschwund, Bodendegradation und ungerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen zu entwickeln und umzusetzen. Nur dann kann eine Industriegesellschaft wie Deutschland kommenden Generationen eine Zukunftsperspektive bieten. 

Dieser Beitrag zeigt, welche Rolle Hochschulen bei der Entwicklung und Implementierung von Innovationen für nachhaltige Entwicklung spielen (können) und wirft die Frage auf, wie dafür Praxis-Hochschul-Kooperation gestaltet werden sollte.

Welchen Beitrag Hochschulen leisten 

Welchen Beitrag Hochschulen – also Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften – für die Gesellschaft leisten können und sollen, darüber wird in der Gesellschaft verstärkt diskutiert (WR 2016, S. 6). Ein Großteil der Hochschulleitungen positioniert sich im Hochschulbarometer 2022 deutlich: 

„Hochschulen sollten aktive Gestalter in der Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft sein – davon sind 96,2 Prozent der Hochschulleitungen überzeugt.  Dabei sind gesellschaftliche Herausforderungen für die Profilbildung der Hochschulen aus Sicht der Präsidentinnen und Präsidenten sowie Rektorinnen und Rektoren wichtiger als wissenschaftliche oder förderpolitische Faktoren.“ (Stifterverband 2022) 

 

Diese Wirkung der Hochschulen in die Gesellschaft wird unter dem Begriff Transfer verhandelt, also dem Austausch von Wissen, Technologien, Ideen und Erfahrungen zwischen Hochschulen und Gesellschaft. Solch ein Transfer kann unterschiedlich, mono- bi- oder multidirektional gestaltet werden. Nölting und Kollegen unterscheiden daher zwischen unterschiedlichen Komplexitätsgraden, die einen Eindruck von der Vielfalt an Transfergestaltungsmöglichkeiten geben: 

Abbildung 1: Darstellung unterschiedlicher Komplexitätsgrade bei Transfer; Nölting et al. 2021, S. 32

Ergebnisse von Nachhaltigkeitstransfer

Vor dem Hintergrund der oben skizzierten Rolle von Hochschulen in der Gesellschaft bietet die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) ein interessantes Beispiel. Diese vergleichsweise kleine Brandenburger Hochschule für angewandte Wissenschaften mit rund 2.300 Studierenden etwa 60 km nördlich von Berlin hat sich klar in Sachen Nachhaltigkeit positioniert.

In ihren Grundsätzen beschreibt die HNEE einen sogenannten starken Nachhaltigkeitsbegriff, indem sie den Erhalt von funktionstüchtigen Ökosystemen als „Voraussetzung für jegliches menschliches Leben und Wirtschaften“ beschreibt und auf dessen Grundlage erst ökonomische und soziale Nachhaltigkeit bestehen können. Die Hochschule zielt vor diesem Hintergrund darauf ab „anwendungsorientierte Lösungen für eine zukunftsfähige Verknüpfung von Gesellschaft und Umwelt“ zu entwickeln. 

Dieser Anspruch spiegelt sich auch in der Transferstrategie der Hochschule wider. Danach wird Transfer nicht losgelöst von Forschung und Lehre, sondern als Querschnittselement innerhalb der drei zentralen Funktionen von Hochschulen – Lehre, Forschung und Third Mission – gesehen (s. Abb. 2). Das Konzept Nachhaltigkeitstransfer – als eine besondere, zielgerichtete Form von Transfer – wird dabei in den Mittelpunkt gestellt: 

Nachhaltigkeitstransfer ist charakterisiert durch (explizite) Nachhaltigkeitsziele der einzelnen Transferaktivitäten und eine Beschreibung der jeweils angestrebten Nachhaltigkeitswirkung. Ergebnisse von Nachhaltigkeitstransfer sind 

  1. a) Beiträge zu nachhaltiger Entwicklung wie Modelle, Projekte, Technologien, Konzepte, Lösungen, Tests oder Diskussionen über Nachhaltigkeit und 
  2. b) die Stärkung der Kernkompetenz aller Beteiligten für nachhaltige Entwicklung durch gemeinsame Lernprozesse.“ 

Abbildung 2: Abbildung 2: Einbettung von Nachhaltigkeitstransfer in die Funktionen der Hochschule (Nölting et al. 2021, S. 24)

Gleiches Verständnis zwischen Transferpartnern

Das Forschungszentrum [Nachhaltigkeit – Transformation – Transfer] an der HNEE befasst sich tiefergehend mit der konzeptionellen Weiterentwicklung von diesem Transfer für eine nachhaltige Entwicklung. 

Bei Nachhaltigkeitstransfer geht es also um wechselseitige Wissens- und Technologieproduktion mit einem gesellschaftlichen Mehrwert. Er umfasst verschiedene Wissensarten und bezieht Expertise und Erfahrungswissen sowohl aus der Wissenschaft als auch der Praxis ein. Durch diese normative Ausrichtung auf Nachhaltige Entwicklung drängt sich zunächst die Frage auf, wie Nachhaltigkeit an Hochschulen definiert wird. 

Im Projekt HOCHN wurde in hochschulübergreifender Zusammenarbeit ein Nachhaltigkeitsverständnis entwickelt, das speziell auf Hochschulen zugeschnitten ist und hier einen Anhaltspunkt bieten soll. Demnach wird Nachhaltigkeit als sozial-ökologische, ökonomische und kulturelle Aufgabe verstanden, die natürlichen Lebensgrundlagen für alle Menschen weltweit einschließlich der nachfolgenden Generationen zu erhalten. 

Nachhaltige Entwicklung ist als normatives Prinzip der Maßstab einer globalen und intergenerationellen Gerechtigkeit und zielt auf eine umfassende Veränderung des Verhältnisses des Menschen zur Natur. Es sei daher betont, dass Innovationen, die nach diesem Nachhaltigkeitsverständnis entwickelt werden, nicht auf wirtschaftstaugliche Technologie- und Dienstleistungsentwicklungen beschränkt sind. Aus Sicht des Forschungszentrums [Nachhaltigkeit – Transformation – Transfer] sind zur Erreichung einer Nachhaltigen Entwicklung auch soziale Innovationen, also neue, kreative Handlungsmuster und kooperative Lösungen zum Erhalt oder Erhöhung der Lebensqualität und -vielfalt unabdingbar. 

Es kann daher helfen, gemeinsam mit den Transferpartner*innen zu definieren, welches Nachhaltigkeitsverständnis für die jeweilige Transferaktivität zu Grunde liegt, um ein erhöhtes Verständnis von den gewünschten Wirkungen bei den unterschiedlichen Akteuren zu erzielen.  

Wie kann Nachhaltigkeitstransfer an Hochschulen umgesetzt werden?

Um Nachhaltigkeitstransfer an der HNEE beschreib- und sichtbar zu machen, hat das Forschungszentrum [Nachhaltigkeit – Transformation – Transfer] in einer explorativen Studie die entsprechenden Aktivitäten der Hochschule untersucht und festgestellt, dass dort Nachhaltigkeitstransfer in allen drei zentralen Funktionen der Hochschule erfolgt: in Lehre, Forschung und Third Mission. 

Tabelle 1 zeigt, in welchen Formaten insbesondere in Lehre und Forschung Nachhaltigkeitstransfer an der HNEE in unterschiedlichen Komplexitätsgraden umgesetzt wird: 

 Außerdem zeigt sich eine hohe Vielfalt von Praxispartner*innen aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik, die in solche Transferaktivitäten involviert sind. Dies spiegelt die gesellschaftliche Breite an Akteursgruppen wider, die für eine nachhaltige Entwicklung gebraucht werden (s. Abb. 3):

Abbildung 3: Praxispartner*innen bei Transferprojekten (Mehrfachnennungen möglich, n= 35 Teilnehmende (Roose et al. 2020)

Die Studie machte aber auch Herausforderungen für Nachhaltigkeitstransfer deutlich. Zum einen wird Nachhaltigkeitstransfer zu einem sehr hohen Anteil von Lehrenden und Forschenden freiwillig – also aus intrinsischer Motivation – initiiert. Da Nachhaltigkeitstransfer in der Regel aufwändig ist, mangelt es häufig an finanziellen und zeitlichen Ressourcen, weil solche Aktivitäten als Querschnittsaufgabe an Hochschulen generell (noch) nicht (ausreichend) honoriert werden. 

Innovationsteams beim Nachhaltigkeitstransfer in der Regionalentwicklung 

Das Konzept Nachhaltigkeitstransfer verdeutlicht: Transformation gelingt keinem Akteur – sei es Hochschule, Unternehmen oder Verein – allein. 

Vor diesem Hintergrund hat sich die HNEE im Verbundprojekt „InNoWest – Einfach machen! Gemeinsam nachhaltig und digital in Nord-West-Brandenburg“ mit der Fachhochschule Potsdam und der Technischen Hochschule Brandenburg zusammengeschlossen, um Transfer gezielt in der hochschulfernen Region Nord- und Westbrandenburgs zu gestalten. 

Dafür haben die drei Hochschulen interdisziplinäre Innovationsteams gebildet, in denen die fachlich-disziplinären Kompetenzen aus allen drei Hochschulen kombiniert werden, um im Paket eine größere Gesamtleistung zu erbringen. 

Zusammen mit Praxispartner*innen, insbesondere aus den hochschulfernen Räumen Nord-West-Brandenburgs, werden folgende Themen bearbeitet:

Nutzer*innenzentrierte Digitalisierung in Kommunen: Ziel ist es, Kompetenzen insbesondere von Kommunen für die Entwicklung nutzer*innenzentrierter Digitalisierungsstrategien zu stärken. Beispielsweise durch den gemeinsamen Aufbau von und Austausch zu digitalen Plattformen zum Thema Daseinsvorsorge. 

Innovationsteam: Nachhaltiger Umbau und Sanierung: Dieses Team arbeitet an der Entwicklung und Vermittlung bedarfsorientierter und wissenschaftlich fundierter Lösungsansätze zu performance-optimiertem Sanieren, Umbauen und Um-Nutzen von Gebäuden. 

Innovationsteam: Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) und Partizipation: Dieses Vorhaben strebt an, regionale Akteure dabei zu unterstützen bzw. zu befähigen, nachhaltige und digitale Transformationsprozesse aktiv zu gestalten. Dies geschieht durch Teilprojekte etwa zum Thema Gemeinwohlökonomie, Citizen (Social) Science und die Einbindung von Studierenden. 

Transferorte und wissenschaftliche Begleitung

Die Innovationsteams werden strukturell unterstützt, indem jenseits der Hochschulen physische Transferorte zur gemeinsamen Nutzung geschaffen werden. Eine wissenschaftliche Begleitung analysiert die – häufig impliziten – Erfahrungen und Lernprozesse in den Innovationsteams und mit den Praxispartner*innen, um die „Lessons learned“ für weitere Akteure nutzbar zu machen. So soll über die Arbeit der Teams und möglichst über das Projekt InNoWest hinaus die regionale Innovationskraft in Nord-West-Brandenburg gestärkt werden. 

Vor dem Hintergrund des Konzepts Nachhaltigkeitstransfer wird es daher spannend zu sehen, welches Nachhaltigkeitsverständnis zusammen mit den Praxisakteuren vor Ort (weiter)entwickelt und gelebt werden kann.  Langfristig gilt es zu untersuchen, ob und wie die Erfahrungen aus diesem gemeinsamen Arbeiten und Lernen dann in die Weiterentwicklung der Hochschulstrukturen fließen, um auch über das Projekt hinaus Innovationen in Richtung Nachhaltigkeit in der Region gemeinsam zu stärken.

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