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Prof. Dr. Achim Walter
13. Februar 2024

Plädoyer für die gezielte Gründungsförderung in der Promotions- und Postdoc-Phase

Ausgründungen aus öffentlichen Forschungseinrichtungen sind ein besonders vielversprechender Weg der Kommerzialisierung von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Durch die Spin-offs können wichtige Impulse für die Wirtschaft und Innovationsdynamik einer Region entstehen. Dabei sind Promovierende und Postdocs, also nachrückende und in ihrer Karriere bereits fortgeschrittene Forscherinnen und Forscher, oftmals von entscheidender Bedeutung.

Prominente nationale und internationale Beispiele wie Menlo Systems (optische Messtechnik), Genentech (Biotechnologie), Oxford Nanopore (DNA-Sequenzierung), OpenText (Software für das Informationsmanagement von Unternehmen) oder Qiagen (Pharma/Diagnostik) unterstreichen dies eindrucksvoll.

Junge Forschende bringen nicht nur frisches Wissen und innovative Ideen in Forschungseinrichtungen. Sie sind vielfach auch die treibenden Kräfte, wenn es darum geht, Forschungsergebnisse mittels Unternehmensgründung in marktfähige Produkte oder Dienstleistungen zu verwandeln. Es sollte daher niemanden überraschen, dass öffentliche Forschungseinrichtungen zunehmend mit dem pauschalen Vorurteil des Elfenbeinturms oder Wissenssilos aufräumen, weil sie erfolgreich unternehmerischen Nachwuchs hervorbringen.

Fachliche Expertise und Anwendungswissen: Die Förderung von Ausgründungen ist weithin zu einem zentralen Anliegen von Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen geworden. Ihre Promovierenden und Postdocs spielen in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle. Aufgrund ihrer wissenschaftlichen Ausbildung und Forschungstätigkeit verfügen sie über ein umfassendes Fachwissen und – was viele nicht erwarten – auch über ein tiefes Verständnis für mögliche praktische Anwendung ihrer Forschungsergebnisse. Dieser Kompetenzmix ist notwendig, um sehr neuartiges Wissen und noch „rohe“ Technologien in wertschaffende Anwendungen zu bringen.

Unternehmerische Chancen erkennen: Die Umsetzung sehr innovativer Forschungsergebnisse in industriell nutzbare Anwendungen ist eine aufwändige und risikoreiche unternehmerische Aufgabe, auf die sich etablierte Unternehmen oft nicht einlassen. Umso wichtiger ist es, dass geistige Schöpfer und Schöpferinnen selbst aktiv werden, d.h. tragfähige Geschäftsmodelle für Innovationsideen entwickeln und Stakeholder davon überzeugen, finanzielle Mittel in sie zu investieren. Eine Forschungsarbeit am Kiel Institute for Responsible Innovation der Universität Kiel hat kürzlich gezeigt, dass Promovierende und Postdocs das in ihren Forschungsergebnissen schlummernde Innovationspotenzial auch mit Blick auf internationale Märkte heben können.

Gründungen vorantreiben: Die Kompetenz, wissenschaftliche Expertise mit unternehmerischem Denken zu verbinden, macht Promovierende und Postdocs zu wichtigen Akteuren für innovative Unternehmensgründungen. Neben der Identifizierung und Ausarbeitung vielversprechender Forschungsergebnisse spielen sie als Schlüsselakteure nicht selten auch eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung und Gründung wissens- und technologiebasierter Unternehmen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass der aufstrebende Nachwuchs in den Wissenschaftsbetrieben noch während seiner Ausbildungszeit die treibende Kraft hinter einer Ausgründung ist und die Entschlossenheit und das Engagement mitbringt, die für die Herausforderungen des Unternehmertums erforderlich sind. 

Innovative Produkte für internationale Märkte

Akademische Spin-offs, also Ausgründungen aus Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen wie die Fraunhofer- und Max-Plank-Gesellschaft oder die Leibnitz- und Helmholz-Gemeinschaft, bieten häufig hochspezialisierte Produkte an. Ihr nationaler Markt wird ihnen daher schnell zu klein. Zusammen mit ihrem anfangs noch geringen Bekanntheitsgrad führt das zu einem hohen Druck, sich frühzeitig auf internationalen Märkten nach Kunden umzusehen. Die ersten Jahre sind daher für junge Unternehmen entscheidend. Sie müssen schnell zeigen, was sie können, international bekannt werden und idealerweise auch in Bezug auf Gewinn, Umsatz und Mitarbeiterzahl wachsen.

Akademische Gründer und Gründerinnen haben meist den größten Teil ihrer bisherigen Berufserfahrung in der Wissenschaft gesammelt.  Sie werden von etablierten Unternehmen und Investoren oft als vielversprechende „Jungunternehmer“ angesehen, aber es herrscht immer noch Skepsis, weil angenommen wird, dass sie mit den Kundenanforderungen und Geschäftspraktiken nicht vertraut sind. 

Ein prägnantes Beispiel dafür ist die ibidi GmbH, eines der in der Kieler Studie untersuchten Spin-offs mit Sitz in München. Sie produziert technologische Lösungen für die Darstellung von Zellbewegungen. Dr. Valentin Kahl, CEO von ibidi, erklärte: 

„Wichtig war für uns auch, [nach der Gründung 2001] möglichst schnell in die USA zu liefern. In Deutschland war es zunächst schwer, etwas zu verkaufen. Bekanntlich gilt ja der Prophet nichts im eigenen Land. Hinzu kam, dass Kunden in Deutschland bei neuen Produkten sehr zurückhaltend sind. In den USA war man da neugieriger und wollte von uns lernen.“

ibidi hat den Sprung in den internationalen Markt mit seinem hochspezialisierten Produkt hervorragend bewältigt. Das Unternehmen beschäftigt mittlerweile fast 110 Mitarbeitende und ist in mehr als 40 Ländern aktiv. Das vierköpfige Gründerteam fand sich an der TU München. Es bestand aus drei promovierten Absolventen und ihrem wissenschaftlichen Gruppenleiter. Gemeinsam setzten sie ihre eigenen Erkenntnisse aus der Forschung in sehr innovative Produkte um. Sie hatten bereits Erfahrung in Forschungs- und Entwicklungskooperationen, aber auch mit internationalen Partnerschaften gesammelt. 

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Wichtige Voraussetzungen für Internationalisierung

So zeigt die Kieler Studie einen weiteren wichtigen Punkt auf, der bei der gezielten Ermöglichung von akademischen Ausgründungen eine wichtige Rolle spielt. Eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Internationalisierung von akademischen Spin-offs ist die internationale Erfahrung der Gründerinnen und Gründer. Promovierende und Postdocs, die während ihrer Zeit an Forschungseinrichtung intensiv in wissenschaftliche Kooperationen mit Forschenden im Ausland eingebunden waren, erwerben bereits wertvolle Kompetenzen für eine frühzeitige und erfolgreiche Internationalisierung ihrer Geschäftstätigkeit. Berufserfahrungen (national wie international), die vor dem wissenschaftlichen Berufsabschnitt gesammelt wurden, waren hingegen für eine frühzeitige Internationalisierung nicht relevant. 

Eine zweite wichtige Voraussetzung dafür, dass junge, an unternehmerischer Selbständigkeit interessierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Talente international entfalten können, ist ein guter institutioneller Rahmen für eine enge Zusammenarbeit zwischen ihren öffentlichen Forschungseinrichtungen und Partnern aus der Wirtschaft. Promovierende und Postdocs, die oft an Kooperationsprojekten mit Unternehmen beteiligt sind, erhalten einen umfassenden Einblick in die Anforderungen und Bedürfnisse der Industrie und ihre Geschäftspraktiken. Diese Erfahrungen sind von unschätzbarem Wert, um Technologien zu entwickeln, die auf die Bedürfnisse des Marktes zugeschnitten sind und ein hohes Potenzial für die unternehmerische Kommerzialisierung aufweisen.

Welches Umfeld für akademische Ausgründungen nötig ist

Um das volle Potenzial von Promovierenden und Postdocs für Ausgründungen aus öffentlichen Forschungseinrichtungen auszuschöpfen, ist daher eine gezielte Unterstützung seitens der Forschungseinrichtungen und ihrer öffentlichen Träger unerlässlich. Diese Unterstützung sollte vor allem die Realität vieler Promovierenden und Postdocs widerspiegeln, nämlich dass sie oft noch unklare Karrierevorstellungen und -perspektiven haben und mit dem, was sie haben, unternehmerisch starten müssten. Sie sollten daher die Möglichkeit erhalten, ihre noch unscharfen beruflichen Interessen abzuwägen und bei Interesse ihre wissenschaftlichen Leistungen unternehmerisch auf Anwendbarkeit und nachhaltigen Nutzen zu prüfen.

Seit den 1990er Jahren sind vielerorts gute Voraussetzungen in dieser Richtung geschaffen worden. In der Nachbarschaft von Forschungseinrichtungen finden sich spezialisierte Technologieparks, an den Einrichtungen selbst gibt es Transfer- und Gründerzentren, die gezielt in einem mehrstufigen Prozess beraten und finanzielle Unterstützung für Gründungen und Forschungstransfer vermitteln. Ein weiterer Schritt zur individuellen Gründungsförderung sollte zudem sein, dass Mentoring-Programme an Forschungseinrichtungen mit speziellen Angeboten für Promovierende und Postdocs diese nicht nur bei der Entwicklung von Karriereplänen unterstützen, sondern sie insbesondere auch hinsichtlich der Ausbildung und Schärfung von unternehmerischen Kompetenzen fördern. Dies könnte bspw. im Rahmen von Entrepreneurial Internships geschehen.

Akademische Spin-offs bestehen am Markt

Und noch eine dritte wichtige Erkenntnis fördert die Studie am KIRI in Kiel zu akademischen Spin-offs zu Tage: Derartige Ausgründungen haben grundsätzlich gute Chancen, am Markt zu bleiben. 

  • 106 der insgesamt 163 Unternehmen (ca. 65 Prozent) haben während des Untersuchungszeitraumes von über einem Jahrzehnt überlebt.
  • 10 wurden von anderen Firmen übernommen (ca. 6 Prozent). 
  • Nur 47 sind aus dem Markt ausgeschieden (ca. 29 Prozent). 

Auch internationale Studien bescheinigen akademischen Spin-offs eine sehr hohe Überlebensrate, die innerhalb der ersten fünf Jahre bei rund 80 Prozent und höher liegen kann. Es zahlt sich offensichtlich aus, dass neben innovativen Forschungsergebnissen häufig die Formulierung eines tragfähigen Geschäftsmodells der Ausgangspunkt von akademischen Ausgründungen ist und in diesen Fällen durch Förderprogramme (z.B. EXIST-Gründerstipendium) oder Business Angels finanziell unterstützt wird.

Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft

Insgesamt zeigen Promovierende und Postdocs eine beeindruckende Kombination aus wissenschaftlicher Exzellenz, unternehmerischem Denken und praktischer Erfahrung, die sie nicht selten zu idealen Kandidaten für die Gründung von Unternehmen aus öffentlichen Forschungseinrichtungen macht. Ihre Rolle als „Innovation Champions“ und Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, wie zahlreiche Beispiele bereits zeigen, ist von unschätzbarem Wert und trägt maßgeblich dazu bei, dass Forschungsergebnisse in innovative Produkte und Dienstleistungen umgewandelt werden, die auch einen positiven Beitrag für die Gesellschaft leisten. 

Der überall sicht- und spürbar werdende Klimawandel schreit förmlich nach innovativen Problemlösungen, die dessen besonderen Herausforderungen an Schadensbegrenzung und Prävention gewachsen sind. Eine geeignete Förderung und Unterstützung von Promovierenden und Postdocs ist daher von entscheidender Bedeutung, um verantwortungsbewusst die Innovationskraft von öffentlichen Forschungseinrichtungen zu stärken und den Technologietransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft im besten Sinne für eine lebenswerte Zukunft voranzutreiben. Dazu ist aus Perspektive der Forschungseinrichtung ein ganzheitlicher Ansatz in Form von Kooperation und Beteiligung verschiedener Stakeholder (z.B. Industriepartner, Wirtschaftsförderer, Behörden und Politik, Investoren und Risikokapitalgeber) in einer Art Ökosystem unerlässlich, sowohl regional als auch überregional. 

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