Ob in einzelnen Ländern oder auf EU-Ebene: landauf und landab hat die Debatte um Missionsorientierte Innovationspolitiken – also Ansätze, die Innovation als Hebel zur Lösung gesellschaftlicher Probleme verstehen – in den vergangenen Jahren erheblich an Fahrt aufgenommen. Dies ist eine gleichermaßen erfreuliche wie wichtige Entwicklung, bedürfen thematisch querliegende Herausforderungen wie der Klimawandel oder globale Pandemien doch zügig neuer Lösungsansätze. Denn mittels althergebrachter Denk- und Handlungswege lassen sich diese ganz offensichtlich nicht lösen. Das Versprechen der Missionsorientierung, wie es etwa Mariana Mazzucato eindringlich propagiert, erscheint da als äußerst verheißungsvoll. Oder wäre es nicht ein großer, vielleicht gar entscheidender Schritt, das Streben nach Wettbewerbsfähigkeit und die Entwicklung neuer Technologien synergetisch mit dem gesellschaftlichen Fortschrittswunsch zu verbinden?
Der Gedanke ist gesetzt, doch die Umsetzung bleibt weiter offen
Doch, das wäre es, und endlich findet diese Einsicht auch konkreteren Niederschlag in hiesigen Überlegungen zur Zukunft der Innovationspolitik. Der Koalitionsvertrag der Ampel sprach davon, „Programmlinien, Hightech-Strategie und Ressortforschungen missionsorientiert weiter[zu]entwickeln“, und auch die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) setzte sich in ihrem letztjährigen wie auch im aktuellen, durchaus kritischen Jahresgutachten für eine stärkere Missionsausrichtung ein. Folgerichtig definiert die kürzlich verabschiedete „Zukunftsstrategie Forschung und Innovation“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sechs zentrale Missionen, deren Bearbeitung die sozial-ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft voranbringen sollen: Industrie/Mobilität, Klima/Biodiversität, Gesundheit, Technologische Souveränität/Digitalisierung, Weltraum/Meere, Resilienz/Vielfalt/Zusammenhalt.
So weit, so gut. Bei allen Fortschritten gerade gegenüber der nun obsoleten Hightech-Strategie bleiben jedoch grundlegende Fragen offen, vor allem mit Blick auf die Umsetzung der Pläne. Zum einen regt sich diesbezüglich Kritik ob der recht vagen Formulierung von Zielen und notwendigen Handlungsschritten. Zum anderen drängt sich die Frage auf, ob die vorgesehenen Implementierungsmechanismen (wie etwa die „Missionsteams“) den großen Zielen angemessen sind – und ob damit nun endlich jene systemischen Hindernisse überwunden werden können, die einem missionsorientierten Arbeiten zuletzt im Wege standen.
Die Mängelliste, wie sie bspw. hier mit Blick auf das bisherige Governance-System aufgeführt ist, liest sich dabei umfassend: Silodenken, sektorale Fragmentierung und Ressortkonkurrenzen in Regierung und Ministerien erschweren die notwendige Koordination und Kooperation zwischen den politischen Stellen. Aufgrund der inneren Funktionslogiken ist man dort kaum in der Lage, themenfeldübergreifend Lösungen zu entwickeln. Gerade die gegenwärtigen Strukturen und Kapazitäten der bundesdeutschen Ministerialverwaltungen sind den Analysen zufolge allenfalls bedingt geeignet, komplexe Systemtransformationen erfolgreich zu initiieren und umzusetzen. Zu kurz kommt auch die Mobilisierung von Beteiligten aus allen (!) relevanten Bereichen, obwohl eine solche für die Adressierung thematisch querliegender, komplexer Herausforderungen unbedingt erforderlich ist. Unterm Strich kann man festhalten: Es mangelt bislang an den geeigneten Werkzeugen und Institutionen für die Umsetzung einer Innovationspolitik, die sich im Kern an gesellschaftlichen Zielen orientiert, und die uns in die Lage versetzen, zeitnah innovative Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu entwickeln.
Der in der Zukunftsstrategie formulierte und von der EFI beschriebene Ansatz, mittels „Missionsteams“ – die aus den jeweils von der Mission betroffenen Ministerien besetzt werden und sich um die Umsetzung kümmern sollen – und einem beratenden „Forum Zukunftsstrategie“ nun Abhilfe zu schaffen, kann vor diesem Hintergrund als ein Schritt in die richtige Richtung gelesen werden. Mehr interministerielle Abstimmung und eine Bündelung der Kräfte sind sicherlich wünschenswert. Allerdings bleibt weiterhin unklar, welche Kompetenzen genau die Teams haben sollen. Und auch steht zu befürchten, dass weder das politische Mandat noch die vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen ausreichen werden, um die Transformation voranzutreiben.
Lücken in Missionsumsetzung durch neuartige Institution füllen
Um diesen Schwachstellen zu begegnen, schlägt die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung eine gänzlich neuartige institutionelle Lösung vor, nämlich den Aufbau von spezialisierten „Missionsagenturen“.
Die Grundidee: Missionsagenturen …
- …spezialisieren sich je auf eine Mission und begleiten diese als fach- und umsetzungskompetenter „Change Agent“ von der Zielformulierung über das Design des Instrumentenmixes bis hin zur Umsetzung;
- …werden als politische Chefsache direkt beim Bundeskanzleramt angesiedelt, was der Missionsbearbeitung die nötige Sichtbarkeit und Priorität verleiht. Dabei ist es wichtig, auf Basis einer öffentlich nachvollziehbaren, demokratischen Legitimation durch Regierung und Parlament, aber unabhängig vom politischen Tagesgeschäft agieren zu können;
- …tragen dafür Sorge, dass alle erforderlichen Kompetenzen gebündelt und die relevanten Stakeholder in ein gemeinsames Tun gebracht werden.
Die positiven Effekte eines solchen Ansatzes lägen dabei auf der Hand. Ein starker Change Agent für eine spezifische Mission, wie z.B. der Umsetzung der Kreislaufwirtschaft, verhindert eine Verantwortungsdiffusion zwischen verschiedenen politischen Stellen sowie eine Engführung entlang einzelner Sektorpolitiken und reduziert gleichzeitig die derzeit bestehenden Koordinationsdefizite. Eine breite und durchgängige Stakeholder-Einbindung sorgt für eine hohe gesellschaftliche Legitimation und ein „burden sharing“, während die Ministerialstrukturen – deren Kerngeschäft ja nicht unbedingt die Missionsumsetzung ist – entlastet werden. Und zu guter Letzt würde ein wirklich problemorientierter Zugang – also Outcome- statt Input-orientiert – das Durchbrechen von Pfadabhängigkeiten erleichtern.
Um Missionen gestalten, Akteure verknüpfen und agil vorgehen zu können, müssten die Missionsagenturen mehrere ineinandergreifende Fähigkeiten und Kompetenzen mitbringen:
„Mission Ownership“: Die politischen Entscheidungsträger beim Missionsformulierungsprozess unterstützen, einen zielgerichteten Instrumentenmix entwickeln, Missionsfortschritte in die Öffentlichkeit kommunizieren und so das „Missionsnarrativ“ prägen:
Strategieführerschaft: Missionsziele konkretisieren und operationalisieren, den Instrumentenmix stetig fortentwickeln und die Zielerreichung evaluieren;
Aktivierung der Stakeholder: neue und etablierte Stakeholder einbinden, gemeinschaftlich an der Zielformulierung arbeiten, Bottom-up-Dynamiken fördern, bestehende Ökosysteme aus- und neue Ökosysteme aufbauen;
Reflexive Missionsgovernance: Arbeitsfortschritte kontinuierlich monitoren, experimentelle Ansätze weiterentwickeln und ein stetes Lernen aus der Missionsbearbeitung sicherstellen.
Wichtig ist dabei, dass die genaue Rollenausprägung von der jeweiligen Mission abhängig wäre. Im Fall einer „Mission Kreislaufwirtschaft“ (wie sie in unserem Papier exemplarisch aufgegriffen wird) wären Ausgangslage und Handlungsnotwendigkeiten vermutlich andere als in einer „Mission grüner Wasserstoff“ oder den in der Zukunftsstrategie genannten Feldern. Was es jedoch in jedem Fall bräuchte, wären ein hoch aufgehängtes, klar formuliertes politisches Mandat; ein hohes Maß an Verbindlichkeit und eine Rechenschaftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit,; ein Zeithorizont, der über eine Legislaturperiode hinausreicht; ein Bekenntnis zu risikoaffinen Ansätzen,; eine ausreichende Budgetausstattung sowie ausgeprägte Kompetenzen in den oben genannten Bereichen. Um letztere anwerben zu können, wäre eine Personalrekrutierung nicht nur aus den Ministerien, sondern auch aus Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft vonnöten. Und eine Tätigkeit bei einer Missionsagentur müsste als ein attraktiver Karrierebaustein wahrgenommen werden.
Mutig sein und auf dem Weg lernen
Zugegeben: ein solcher Vorschlag ist leichter formuliert als umgesetzt. Doch so umfassend und teils neuartig die Transformationsherausforderungen unserer Zeit sind, so ambitioniert sollte man systemische Veränderungen anstreben. Zwar herrscht Krise, dennoch ist der Moment günstig: Mit der Etablierung von SPRIN-D und den DATI-Plänen beweist die Politik Veränderungsbereitschaft, die Zukunftsstrategie setzt einen geeigneten Denkrahmen und langsam, aber sicher setzt sich die Erkenntnis durch, dass „Innovation“ nicht nur ein Baustein von Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten ist, sondern auch ein Treiber der Transformation unserer Gesellschaft. Nimmt man Werden diese Funktion ernstgenommen, so stellt sich unmittelbar die Frage nach grundlegenden Neukonfigurationen der innovationspolitischen Governance.
Dabei gilt es natürlich weiterführende Umsetzungsfragen zu klären: Wer beschließt solche Veränderungen? Wie steht es um die politische Bindungswirkung? Und welche rechtlichen Anpassungen wären vonnöten? Doch derlei Fragen lassen sich klären. Diskutiert werden muss sicherlich auch die konkrete organisationale Ausgestaltung. Bei allen vorhandenen Spielräumen bleibt dabei die fundamentale Erkenntnis, dass neues Handeln neue Kompetenzen nötig macht – diese müssen abgebildet werden. Die Form ist dabei zweitrangig. In diesem Sinne soll unser Vorschlag dazu anregen, konsequent jene Kompetenzen und Fähigkeiten aufzubauen, die die Umsetzung missionsorientierter Politiken erfordert. Und vor allem dazu ermuntern, endlich ins Tun zu kommen, also die Missionen mit klaren Handlungsschritten und Zielen zu versehen, mit der Umsetzung zu beginnen und dann auf Basis der auf dem Weg gesammelten Erfahrungen das Vorgehen zu verbessern. Der Aufbau einer Missionsagentur in einem bestimmten Themenbereich wäre ein mutiger und sicherlich aufwändiger, jedoch sicherlich auch lohnenswerter Schritt in diese Richtung.
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