Gleichzeitig zu dem exponentiell ansteigenden Interesse am Thema Künstliche Intelligenz (KI) stieg auch die Bekanntheit von Tim Dutton. Der wurde weltweit für seine umfassende Übersicht von nationalen KI-Strategien bekannt, die für eine erhebliche Überraschung sorgte: Kanada stand an erster Stelle. Denn bereits im März 2017 hatte die kanadische Regierung als erstes Land der Welt mit der Pan-Canadian Artificial Intelligence Strategy eine entscheidende Weiche für die Förderung von KI gestellt, indem sie dem Canadian Institute for Advanced Research (CIFAR) für die Umsetzung umgerechnet 87 Millionen Euro zusprach.
Nordamerika und Innovation, da wird eher an das Silicon Valley an der US-amerikanischen Westküste gedacht. Doch in den vergangenen Jahren hat sich auch die kanadische Ostküste zu einem vielversprechenden Standort für technologische Forschung und unternehmerische Entwicklungsfreude gemacht. Dies erkennt man auch im Bereich KI, in dem ein vergleichsweise kleines Budget zu bisher schon großem Erfolg geführt hat. Dafür nutzt das Land seine Stärken und treibt in zielgerichteter Entschlossenheit eine spannende Innovationsagenda voran.
Während einer Roadshow des Forum Digitale Technologien unter Leitung des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie nach Montreal, Ottawa, Toronto und Waterloo im September 2019 konnten die Mitreisenden erleben, welche Auswirkungen die strategischen Bemühungen bei den Forschungseinrichtungen, Startups und Universitäten bereits hatten. In fast allen Gesprächen wurde die Priorität darauf gelegt, die weltweit besten Talente nach Kanada zu locken. Außerdem wurde immer wieder die Stärke der drei national geförderten KI-Institute sowie der Spitzenuniversitäten hervorgehoben. Sowohl die Talentakquise als auch die Forschungsförderung im Bereich KI sind zwei Aspekte, die bereits von Anfang an als primäre Ziele festgelegt waren – und sehr erfolgreich umgesetzt werden.
Stärken stärken: Kanada und seine „Godfathers of AI“
Kanada hat allerdings auch bereits eine lange Tradition in der Erforschung und Weiterentwicklung von Methoden der KI. Die drei in Kanada ausgebildeten oder dort aktuell lebenden Forscher Geoffrey Hinton, Yoshua Bengio und Yann LeCun sind, spätestens seit sie im Jahr 2018 mit dem renommierten Turing Award ausgezeichnet wurden, weltweit als die „Godfathers of AI“ bekannt. Ihre wegweisenden Arbeiten im Bereich des Deep Learning haben die Grundlagen für den modernen KI-Einsatz ermöglicht, der sich heutzutage hinter Gesichtserkennung, medizinischen Diagnosen oder automatisierten Fahrzeugen verbirgt.
© Foto: Scott Webb – Pixabay
Zwei der drei Forscher stehen in enger Verbindung zu den drei wichtigsten außeruniversitären KI-Instituten des Landes, die 2017 durch die nationale Strategie etabliert wurden. Während Geoffrey Hinton als Chief Scientific Advisor am Vector Institut in Toronto arbeitet, ist Yoshua Bengio das Gesicht vom Montreal Institute for Learning Algorithms (mila). Etwa 3000 Kilometer landeinwärts befindet sich in Edmonton mit dem Alberta Machine Intelligence Institute (amii) das dritte KI-Institut, an dem insbesondere Richard Sutton als „Vater“ des Reinforcement Learnings große Bekanntheit erlangt hat. Durch die prominenten Namen haben das Vector Institute, mila und amii sehr schnell große Anerkennung erlangt und ziehen international weitere Spitzenforscherinnen und -forscher an. In den Gesprächen während der Roadshow wurde immer wieder gerne darauf hingewiesen, dass weder Hinton, Bengio noch LeCun in Kanada geboren wurden, sondern vor Ort einfach die besten Bedingungen vorfinden. Der Stolz darüber, dass Kanada anderen innovativen Ländern vorgezogen wird, war kaum zu übersehen.
Attraktive Gründerszene in vernetzter Umgebung
Bei der Roadshow wurde auch deutlich, dass Talente nicht nur in der Forschung stark gefördert werden. Auch die Gründerszene entwickelt sich unter den guten Bedingungen dynamisch: Die Finanzierungsmöglichkeiten für Startups nehmen stetig zu, die Gründermentalität wird gefördert und es gibt tolle Orte, an denen sich beides trifft. So bringt zum Beispiel das Creative Destruction Lab junge, skalierbare Startups mit erfahrenen Gründerinnen und Gründern zusammen, um die erdachten Geschäftsmodelle in sechswöchigen Sprints auf Herz und Nieren zu prüfen. Außerdem sitzt mit dem MaRS Discovery District einer der weltweit größten Startup-Acceleratoren mitten in Toronto. Gleich nebenan hat das Vector Institute seine modernen Büros und auch die hervorragende Universität von Toronto ist nur einen Steinwurf entfernt. Wie Synergieeffekte geschaffen werden, haben Kanadier offensichtlich verstanden.
False Creek Vancouver – © Foto: ArtTower – Pixabay
Der Phönix aus der Asche: Blackberry und der Digital Corridor
Aber auch in Kanada gibt es nicht nur Erfolgsgeschichten. Während Blackberry für eine Zeit der unangefochtene Pionier der Mail-Kommunikation war, ist die Firma heute fast vollständig vom Handymarkt vertrieben. Dabei war Blackberry mit seinem Firmensitz in dem eine Stunde von Toronto entfernten Waterloo zentrale Identifikationsfigur und wichtiger Arbeitgeber in der Region. Der Absturz setzte allerdings trotz des wirtschaftlichen Einbruchs ganz neue innovative Kräfte frei: Viele Mitarbeitende haben ihre Abfindungen in neue Startups investiert und so ein Ökosystem geschaffen, was Waterloo zu einem florierenden Ort im Digitalen Korridor macht. In der Gegend sind auch viele andere große Unternehmen niedergelassen, die sich auf die gut ausgebildeten Studierenden von der Universität Waterloo freuen, die insbesondere im Bereich Robotik und im Ingenieurwesen spannende Forschung vorantreiben.
Gesellschaftliche Herausforderungen sind mehr als nur Nachklapp
So kommt man nach einer Woche in Kanada nicht umhin, begeistert zu sein von der dynamischen, aufgeschlossenen und vielfältigen Innovationslandschaft. Die Selbstverständlichkeit der Interdisziplinarität fördert spannende neue Ideen, die aus dem Zusammenspiel von technologischen Entwicklungen und geistes- sowie sozialwissenschaftlicher Perspektiven entstehen. Das passt auch zur grundsätzlichen Haltung in Kanada, bei der Diversität aktiv gefördert wird – was man auf den Straßen genauso sieht wie in den Unternehmen und Universitäten.
Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum in Kanada gesellschaftliche Herausforderungen bei Innovationsthemen immer zentral mitgedacht werden. Es wird an vielen Stellen glaubwürdig vermittelt, dass der strategische Fokus nicht nur auf wirtschaftlichem Wachstum und neuen Arbeitsplätzen liegt, sondern drängende Zukunftsfragen und gesellschaftliche Probleme im Fokus stehen. So ist eine der wichtigsten Initiativen von CIFAR das AI & Society Programm. Generell blickt Kanada stark nach Europa, wo es Verbündete in Mentalität und Haltungsfragen sieht. So wurde mit Frankreich frühzeitig eine Global Partnership on AI for Humanities ins Leben gerufen, die nun auch im Kreis der G7-Staaten mehr und mehr Zuspruch findet.
Wie Europa setzt sich Kanada für einen „dritten Weg“ zwischen Asien und den Vereinigten Staaten von Amerika ein, der eine wirtschaftliche wie technologische Unabhängigkeit bewahren soll. Mit der strategischen Ausrichtung im Bereich KI hat Kanada dafür wichtige Pflöcke eingeschlagen. So ist Kanada in der Innovationspolitik für Deutschland und Europa ein inspirierendes Vorbild und zugleich ein Partner auf Augenhöhe.
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