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Norbert Osterwinter
13. September 2021

Investoren aller Länder beteiligt Euch“: Die Innovationsrevolution des Mr. Gates

Mit einem umfassenden Plan zur Verhinderung des Klimakatastrophe sorgte Bill Gates vor einigen Monaten für internationales Aufsehen und auch Kritik. Von den meisten übersehen wurde dabei ein notwendig neuer ökonomischer Ansatz für die Realisierung . In der Nachlese hier noch einmal das revolutionäre Manifest im Kleingedruckten. Marktgläubige Top-Manager dürften sich die Augen reiben und klassischen Ordnungspolitikern vielleicht der Atem stocken.

 

Wenn einer der reichsten Philanthropen der Welt seine eigenen Zukunftsvisionen bereits verwirklicht sehen möchte, dann sollte Bill Gates heute schon in die jütländische Stadt Esbjerg fahren. Die alte Fischereistadt erlebt derzeit eine Revolution im Kleinen, wie sich Gates diese wohl für den gesamten Globus wünscht. Im Hafengebiet entsteht derzeit ein innovatives Großkraftwerk mit über einem Gigawatt Leistung, was etwa der eines deutschen Atommeilers entspricht. Seine Energiequellen werden aber nicht Uranatome sein, sondern der frische Wind von der offenen Nordsee. Dieser wird eingefangen u.a.  in einer neuen 100 GW Offshore Windkraftanlage und hier zu Strom umgewandelt anlanden, um im Kampf gegen Treibhausgase zum Einsatz kommen. Ein erstes Opfer wird das noch vorhandene 380 Megawatt starke Kohlekraftwerk der Stadt mit dem höchsten Kamin Dänemarks werden. Es wird bereits in zwei Jahren abgeschaltet und ist damit das nächste dänische Kohlekraftwerk, das vom Netz geht – für das letzte ist spätestens 2030 Schluss.  Die Abwärme des Kraftwerks wird ebenfalls genutzt und die junge Universitätsstadt Esbjerg mit umweltneutraler Fernwärme versorgen. Innovativ auch eine neuartige 50 Megawatt Großwärmepumpe von MAN, die dem Meerwasser der Nordsee zusätzlich Energie entzieht.

Neben dem neuen Kraftwerk wird zusätzlich ein gigantischer Elektrolyseur entstehen, der synthetische Treibstoffe für Containerschiffe produziert und der den Windstrom in Ammoniak verwandelt, aus dem wiederum Düngemittel entstehen. Diese Power-to-X-Anlage wird ab 2026 die dänische Landwirtschaft mit CO2-neutralem Ammoniakdünger beliefern. Daneben entsteht eine zweiter Elektrolyseur des Erneuerbare-Energien-Entwicklers H2 Energy Europe aus der Schweiz. Die ebenfalls 1 GW starke Anlage wird Windstrom in Wasserstoff umwandeln, der ab Mitte des Jahrzehnts zukünftig 10.000 LKW auf Dänemarks Straßen antreibt. Ganz nebenbei werden im Hafen, der Windkraftwerke in alle Welt exportiert 2.000 neue und moderne Arbeitsplätze entstehen.

Apokalypse oder Utopie?

Ein derart innovatives industrielles Großprojekt dürfte Bill Gates tatsächlich begeistern. Denn er denkt sie in unzähligen Varianten und vor allem im Weltmaßstab. Neben seinem bisherigen Engagement zur Impfung gegen die wichtigsten Massenerkrankungen in Schwellen- und Entwicklungsländern treibt den schwerreichen Unternehmer und Philanthropen schon seit zwei Jahrzehnten die Sorge um den Klimawandel. Der Informatiker hat zusammen mit einer kleinen Armada von Wissenschaftlern nachgerechnet: Zum einen, wie unweigerlich der Klimawandel in den kommenden drei Jahrzehnten die Menschheit treffen wird und zum zweiten, wie er dennoch abzuwenden ist.

In seinem Buch*, das im Frühjahr in Deutschland sogar Barack Obama von den Bestsellerplätzen verdrängte, analysiert er nüchtern die Lage. Vor allem einem weiterhin klimaskeptischen Publikum in den USA rechnet der Informatiker schonungslos die schon bald unweigerlich drohenden Konsequenzen vor: Hurrikane und durch Meeresanstieg unbewohnbar gewordene Küstenstädte wie New York sowie am US-Pazifik bis zum Mexiko-Golf. Dürren, die Farmer ihrer Existenzgrundlagen berauben, weil etwa in Nebraska die Temperaturen an über 70 Tagen im Jahr über Wüstenniveau steigen. Bill Gates, der zupackende amerikanische Optimist, gibt unumwunden zu: „Es wird schwierig werden.“

Zu den besten Seiten dieses Buches gehört die anschauliche quantitative Schilderung der Dimensionen. Dies zeigt, wie schwierig es werden wird, die globale Katastrophe tatsächlich noch abzuwenden. Es geht um nicht weniger als 51 Milliarden Tonnen CO2 und deren Äquivalente, die wir jährlich in die Atmosphäre blasen. Und die wir in weniger als 30 Jahren auf netto Null bringen müssen. Das zweite große Verdienst dieser Abhandlung: Sie räumt gnadenlos auf mit der Illusion, dass eine graduelle Verringerung der Emissionen eine umfassende Lösung bringen könnte; etwa mit ein paar mehr Elektroautos und Windrädern, etwas weniger Urwaldrodung im Amazonas, Veganismus und mehr Fahrradwegen. Die Illusion, dass etwas weniger von allem den exponentiellen Prozess stoppen könnte, sei schlichtweg trügerisch.

Decarbonisierung  auf Null in einer Generation

Der Marketing-Experte Gates kreiert deshalb für den Nicht-Naturwissenschaftler ein passenderes Bild: Bei einer Badewanne, die sich fortlaufend füllt, hilft es nicht, die Geschwindigkeit des Wasserzulaufs etwas zu drosseln. Er muss schnellstmöglich gestoppt werden, bevor sie überläuft. Um die Vielzahl der drohenden Katastrophen zu verringern, wäre jeder Zentimeter weniger von unermesslichem Gewinn

Stattdessen steigt der Wasserstand gerade weiter ungebremst an. Auf über 150 Seiten werden die schwer vorstellbaren Größenordnungen und Quellen der Erderwärmung minutiös ausgeleuchtet: Verkehr, Transport, Stromerzeugung, Landwirtschaft, Industrieproduktion, Heizen, Kühlen oder Bauen. Oft übersehen werden die weiterhin stetig zunehmenden Produktionszahlen und Steigerungsraten etwa bei Stahl, Aluminium, Glas oder Zement. So wird in den kommenden 40 Jahren auf der Welt das Äquivalent einer Stadt wie der City von New York verbaut werden – jeden Monat.

Der Hafen von Esbjerg in Jütland: Wenig bekanntes Reallabor einer neunen industriellen Weltrevolution?

Die Ursache ist vor allem ein weiterhin gnadenlos verschwenderischer Produktions- und Konsumstil der Industrieländer, in denen fossile Energie deutlich günstiger bleiben als die Alternative, wie etwa mit 0,25 Cent für einen Liter Benzin in den USA. Zum anderen eine wachsende Weltbevölkerung mit ihrem berechtigten Wohlstandsverlangen. Aus dem Engagement für seine Stiftungen heraus weiß Gates um die Lebenswirklichkeit von zwei Dritteln der Menschheit. Glaubwürdig kann er akademische Rezepte für Wachstumsverzicht und Wohlergehen oder allgemeinen Gebote zum Konsumverzicht an diese Menschen zurückweisen. Ohnehin dürften diese jeden Appell aus den Industriestaaten ignorieren (müssen). Und solange die Rohstoffproduzenten aller Erdteile die ungeheure Nachfrage nach fossiler Energie und Ressourcen erreicht, werden sie liefern, bis die Reserven nichts mehr hergeben. Kaum realistische Chancen zur Bekämpfung des Klimawandels sieht er auch in punktuellen Änderungen des Lebensstils in Konsumgesellschaften, der von nur Wenigen, nur sehr langsam und allenfalls freiwillig praktiziert werde.

Eine nachhaltige Lösung mit Wirtschaftswachstum und Wohlstandversprechen kann es für Gates nur durch eine vollständige Dekarbonisierung des gesamten globalen Wirtschafts- und Konsumlebens geben – und zwar bis auf Null und innerhalb von nur einer einzigen Generation. Der entscheidende Schlüssel hierzu sind zahllose technische und politische Innovationen. Nach dem Analytiker tritt auf den folgenden Seiten dann der jahrzehntelang erfolgreiche Investor und Top-Manager Bill Gates auf den Plan. Über die nächsten Kapitel seines Buches entfaltet er einen technischen Generalstabsplan für eine neue industrielle Revolution, zunächst unter weitgehender Beibehaltung der vorherrschenden Wirtschaftsparadigmen der vergangenen Jahrzehnte.

Atomkraftwerke und CO2-Speicher als Lösung?

Für beinahe jede Emissionsquelle rechnet Bill Gates faktenreich die notwendigen CO2-Einsparungen vor, um gleich auch mögliche Innovationen vorzuschlagen. Viele davon sind aus europäischer Sicht bereits Realität oder in greifbarer Nähe: Offshore-Windkraftwerke, Überlandverbundnetze, Elektro-PKW, Wärmepumpen, elektrische Speicher und Speicherkraftwerke sowie Biokraftstoffe. Andere Innovationen werden dagegen bislang nur wenig genutzt oder sind nur ansatzweise entwickelt, wie zum Beispiel grüner Wasserstoff, seine Produktion und Anwendung in der Schwerindustrie, synthetische Kraftstoffe für LKW, Busse, Schiffe und Flugverkehr, Geothermie, CO2-neutraler Zement, Fleisch und Milchprodukte auf Pflanzen- und Zellbasis, CO2-freier Dünger und Baustoffe, Alternativen für Palmöl usw.

Und schließlich dürften einige der von Gates emphatisch vorgeschlagenen Innovationen kaum die Zustimmung der Bevölkerung, geschweige denn politische Unterstützung finden. In Teilen der Umweltbewegung verpönt sind etwa Techniken zur Carbonabscheidung und Speicherung (CCS). Noch weniger die neue Generation von Atomkraftwerken, für die sich Gates stark macht, und in die er bereits selbst investiert. Diese neu entwickelten Laufwellenreaktoren seien technisch absolut sicher und könnten sogar das Problem des vorhandenen Atommülls deutlich reduzieren. Auch könnten nur sie die Grundlastversorgung für den weltweit wachsenden Bedarf an elektrischem Strom bis zur späteren Realisierung der Kernfusion ermöglichen.

Sorgte  Aufsehen, Furore, Hoffnung und Kritik, zurecht? Bill Gates weit beachtete Publikation zum Klimawandel © Coverillustration: Piper Verlag + Graphik: Hitesh Sharma auf Pixabay

Zurecht sind Gates Vorstellungen und Ideen zur Revitalisierung der Atomindustrie von den meisten Experten in den vergangenen Monaten als wenig geeignet und realisierbar eingestuft worden. Die technische Entwicklung und flächendeckende globale Implementierung dürfte viel zu lange dauern, um sie rechtzeitig wirksam werden zu lassen, außerdem sind sie teurer und zu komplex gegenüber bereits entwickelten Lösungsansätzen. Allenfalls geeignet, um US-amerikanische und chinesische Anlagenentwickler oder Investoren zu inspirieren und die kommerziellen Interessen von Gates zu unterstützen. Ist das ganze Werk also nurmehr eine geschickt getarnte Marketingkampagne für die diversen eigenen innovativen Risikoinvestments – und eben kein philanthropischer Plan zur Verhinderung der Klimakatastrophe?

Fast reflexartig fokussierte sich die Rezeption und mediale Debatte über das Buch auf diese Konstellation und die Atomenergiefrage. Viele deutsche und europäische Rezensenten und Institutionen stiegen bei der ersten ernsthaften Beschäftigung mit dem Plan bereits hier aus – zumeist mit einem wohlwollendem Schulterzucken. Bedauerlicherweise etwas voreilig und unüberlegt.

Vom De-Regulierer zum Anwalt des Staates

Denn die viel interessanteren Aspekte seiner Abhandlung kommen erst am Schluss, wenn es um die Frage geht: Wie kann eigentlich die Vielzahl der notwendigen Innovationen hervorgebracht, finanziert und global flächendeckend implementiert werden? Überraschend „outet“ sich der einstige De-Regulationsanhänger, Microsoft- Kartellverfechter und marktgläubige Investor als gewandelter Paulus. Bei einem Vorhaben wie dem Bau einer kontinentalen Infrastruktur, der globalen Impfung gegen Krankheiten oder dem Kampf gegen den Klimawandel hätten Staat und Politik nicht nur den Vorrang; nur sie könnten vielmehr „die entscheidende Rolle übernehmen, um die richtigen Anreize zu schaffen und sicherstellen, dass das System allen Beteiligten gerecht wird.“

Denn ebenfalls gestützt auf die eigenen Erfahrungen beschreibt Gates hier die eigentlichen Triebkräfte, Erfolgsfaktoren oder Eigendynamiken von disruptiven Innovationen und erkennt im Staat letztlich den eigentlichen Schlüsselakteur. Ausgangspunkte seien der politische Wille sowie Regierungen, die ein globales Ziel festlegen und die entsprechenden Planungen initiieren. Es bedarf der Innovationen, die einer klaren Mission und Vision folgen, wie etwa Kennedys Moonshot-Projekt. Um den Klimawandel erfolgreich durch Innovationen zu bekämpfen, hält Gates zunächst die Verfünffachung der Ausgaben der USA für Forschung und Entwicklung für notwendig, mindestens ähnlich hoch wie bei der medizinischen Entwicklungsforschung. Weiterhin sei die getrennte und parallele Förderung von Grundlagenforschung und angewandter Wissenschaft kontraproduktiv und besser zu verzahnen. Als Beispiel werden die Rolle der DARPA, der US-amerikanischen Innovationsagentur, bei der Entwicklung des Internets, bei Microchips und Weltraumforschung angeführt.

CO2-freier Dünger statt Gülle: Keine Illusion mehr, sondern eine realitätsnahe Zukunftsvision ©Foto Kurt Bouda auf Pixabay

Erforderlich sind danach auch gezielte frühzeitige Partnerschaften zwischen Industrie und Regierungen. Da grundlegende Innovationen für private Investoren zu risikoreich sind, ist hier ebenfalls die Führungsrolle des Staates gefordert. In der Erprobungs- und Frühphase und bei der Markteinführung sind Anschubfinanzierungen unerlässlich, in der Expansion und im „Tal des Todes“ öffentliche Absicherungen unabdingbar. Und um die richtigen Signale an die Märkte zu senden und Planungssicherheit für Unternehmen zu schaffen, sind ein langfristiges Engagement und Finanzierungsverpflichtungen nicht zuletzt bei risikoreichen Investitionen erforderlich. Als Instrumente zählt Gates hier zahlreiche – nicht immer marktklassische – Incentives auf: von Steuererleichterungen über Subventionen, Kreditbürgschaften, Abwrack- und Innovationsprämien bis hin zu harten Marktregulierungen. Als erfolgreiches Vorbild werden vor allem auch die europäischen EEG-Richtlinien angeführt.

Weltweite Diffusion von klimaneutraler Technik

Um die Skalierung und den Markthochlauf von Produkten zu ermöglichen, solle der Staat als mächtigster Beschaffer neue Normen und hohe Standards festlegen und gleichzeitig die Nachfrage nach ökologisch vorteilhaften Produkten – vom Zement, über Stahl bis zu Kunststoffen – garantieren. Um Trittbrettfahrer auszuschalten, werden entgegen aller Freihandelsbekenntnisse auch Zuschläge und Grenzausgleichsabgaben auf Importgüter und Dienstleistungen sowie entsprechende Handelsverträge legitimiert. Unbedingt angeraten sind danach eine CO2-Bepreisung, ob in Form von Aufschlägen oder als Zertifikatehandel, um die Kosten so hochzutreiben, bis diese einer industriellen Abscheidung und Einlagerung von Kohlenstoff entsprechen. Grundsätzlich sollten zukünftig alle Waren und Dienstleistungen die tatsächlichen Kosten und ökologischen Auswirkungen in wahrhaftigen Preisen abbilden.

Auf diesem Weg könnten dann zunächst die USA, Europa oder Japan die Durchbrüche in der Wissenschaft garantieren und marktfähige Produkte generieren, um so zuvorderst in den eigenen Ländern Produkte und Nachfrage zu entwickeln und dadurch neue Unternehmen und Arbeitsplätze, internationale Marktchancen, Gewinne und neuen Wohlstand hervorbringen. Über Exporte, Investitionen, Kredite von Welt- und Entwicklungsbanken sowie die Verringerung der Ökoaufschläge könnten sich die Preise der Produkte fortlaufend verringern, sich schließlich auch in Schwellen- und Entwicklungsländer durchsetzen und dort umweltschädliche Produktionsprozesse verdrängen. Zögerliche Unternehmen und Staaten warnt Gates daher auch nachdrücklich, die Zeichen der Zeit, die agilen Wettbewerber und unwiederbringliche Chancen zu übersehen: „Irgendjemand wird die erwähnten Technologien erfinden und vermarkten. Es ist nur die Frage, wer es sein und wie schnell es geschehen wird.“ **

Schwachstelle: Neo-liberale Wirtschaftspolitik

Kritiker könnten bei diesen Vorschlägen wiederum einwenden, dass der Investor Gates mit diesem Klimaplan wiederum nur in bewährter Weise Risiken sozialisieren wolle, um die privaten Renditen daraus zu steigern. Ein berechtigter Vorwurf? Zustimmen wird man Gates ohne Frage bei der Feststellung, dass die notwendigen Mittel für die nächste industrielle Revolution und die Überwindung der zu erwartenden Schäden „gewaltig aufgestockt und langfristig aufgebracht werden müssen. Die Regierungen und multilateralen Banken müssen viel bessere Wege finden, privates Kapital anzulocken. Allein mit den eigenen Mitteln können sie diese Aufgabe nicht stemmen.“

Damit verweist Gates indirekt auch auf die zentrale Schwachstelle neoliberaler und US-amerikanischer Wirtschaftspolitik im Kampf gegen den Klimawandel. Ein bewusst geschwächter Staat, der nur mit Mühe die öffentliche Infrastruktur aufrechterhalten kann, verfügt kaum mehr über die Instrumente und Ressourcen, um die unabweisbaren Herausforderungen durch den Klimawandel zu stemmen, wie Gates selber feststellt: „Es wird gewiss nicht einfach, öffentliche und private Mittel in derart großem Maßstab zu kombinieren, aber anders wird es kaum zu machen sein. Wir brauchen unsere besten Köpfe in der Finanzwirtschaft, um dieses Problem in den Griff zu bekommen.“ Noch immer aber scheinen die besten Köpfe der USA nicht einmal erkannt zu haben, was auf dem Spiel steht. Aus dem Billionen-Infrastrukturpaket von Joe Biden haben die Kongressabgeordneten von den für den Klimaschutz vorgesehenen 520 Mrd. Dollar in den Verhandlungen der letzten Monate einen großen Teil wieder gestrichen.

Containerschiff der Maersk-Linie: Der größte Reeder der Welt befördert fast jede fünfte Fracht auf den Weltmeeren. Mit seinem ersten klimaneutralen Frachter wird er in zwei Jahren den Anfang machen. Gelingt so auch ein globaler Handel ohne CO2?

Klimaschutz wird Wirtschaftsmotor

An dieser Stelle spätestens wird deutlich, dass sich der Gate‘sche Appell vor allem an ein Publikum und das Politikverständnis in den USA richtet, aber dort umso wichtiger ist. In einigen Bereichen sind manche Europäer, auch bei der ökonomischen Realisierung seiner solcher Innovationsvisionen, bereits ein Stück weiter. Anders als in den USA oder in Deutschland begreifen Politik und Wirtschaft etwa in Dänemark den Klimaschutz nicht länger als Belastung, sondern als den Wirtschaftsmotor der Zukunft. Wie die ökonomische Mobilisierung der Finanzressourcen auch in größerem Umfang funktionieren könnte, zeigt wiederum der Blick in das kleine Esbjerg an der Nordsee.

Die Kosten der innovativen „Klimawendefabrik“ der Dänen betragen immerhin  eine Milliarde Euro. Und die Finanziers in Esbjerg sind nicht der umweltbewusste dänische Steuerzahler, sondern eine intelligente Kombination aus ökonomisch rational kalkulierenden Investoren, fortschrittlichen Unternehmen und gemeinnützigen Bürgerfonds. Koordinator ist die private dänische Infrastruktur-Investmentgesellschaft Copenhagen Infrastructure Partners (CIP). Sie ist einer der weltweit größten spezialisierten Fondsmanager für nachhaltige Investitionen zur Entwicklung von Infrastrukturen im Bereich der erneuerbaren Energien. Weiterhin dabei ist die dänische Agrarhandelsgruppe DLG, die sich im Besitz der Landwirte befindet, der Milchriese Arla und die Großschlachterei Danish Crown. Des Weiteren der kapitalstarke dänische „Pensiondanmark“, ein Pensionsfond im Eigentum von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, der sich den SDG-Zielen verpflichtet fühlt und gute Renditen mit nachhaltigen Investitionen erzielt. Und schließlich auch noch die Reedereien Møller-Maersk und DSDF-Seaways. Møller-Maersk hat angekündigt, in Esbjerg kohlenstoffneutrale Treibstoffe zu produzieren. Ammoniak und Methanol aus dem Wind der Nordsee sollen zukünftig die riesige Schiffsflotte des Reeders über die Weltmeere treiben. Das erste CO2-neutrale Schiff wird bereits 2023 auf dem Wasser schwimmen, sieben Jahre früher als geplant. Der weltgrößte Containerreeder wird anschließend schrittweise seine gesamte Flotte vollständig umrüsten.

 

* Bill Gates: Wie wir die Klimakatastrophe verhindern. Welche Lösungen es gibt und welche Fortschritte nötig sind (2021). Erschienen bei Piper.

** Nach Schätzungen von Roland Berger und dem Umweltbundesamt umfasst das globale Marktvolumen für Umwelttechnik und Ressourceneffizienz bereits heute 4,6 Billionen Euro, in acht Jahren dürfte es bereits knapp 10 Billionen ausmachen. Allein für den deutsche Maschinen- und Anlagenbau könnte sich der potenzielle globale Markt nach Berechnungen des VDMA bis 2050 ebenfalls auf 10 Billionen Euro entwickeln. Deutschland belegt in dieser Branche nach den USA und China Platz 3.

 

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