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Julia Scheerer
17. Juni 2025

Gründen hat viele Gesichter: Warum wir inklusive Gründungsökosysteme brauchen

In gesellschaftlicher Vielfalt liegt ein enormes Potenzial für Innovation und gesellschaftlichen Wandel. Inklusive Gründungsökosysteme können dieses Potenzial aktivieren.

In der deutschen Start-up-Landschaft ist die gesellschaftliche Vielfalt weiterhin unterrepräsentiert. Frauen, Menschen mit Migrationsbezug, Personen aus sozioökonomisch benachteiligten Milieus oder besonders junge oder alte Menschen begegnen im Gründungsprozess oft strukturellen Hürden. Dabei liegt gerade in dieser Vielfalt ein enormes Potenzial für Innovation und gesellschaftlichen Wandel.

Inklusive Gründungsökosysteme können dieses Potenzial aktivieren, indem sie gezielt auf bestehende Barrieren eingehen und neue Zugänge schaffen. Doch wie genau gelingt das – und warum ist der Fokus auf Inklusion in Start-up-Ökosystemen heute so entscheidend?

Systemische Hürden erkennen – und wirksam überwinden

Gründen ist nie einfach – aber für bestimmte Gruppen ist es besonders herausfordernd. Die Hürden beginnen häufig bereits bei der Finanzierung: Laut dem Female Founders Monitor 2025 der Bertelsmann Stiftung erhalten Start-ups, die ausschließlich von Frauen gegründet wurden, in Deutschland nur rund 2 Prozent des verfügbaren Wagniskapitals – ein Indiz dafür, dass der Zugang zu Kapital nicht nur vom Geschäftsmodell abhängt, sondern häufig auch vom Geschlecht der Gründer:innen.

Unsere Studie She’s got wings (2024) verdeutlicht zudem, dass viele Gründerinnen bereits in der frühen Gründungsphase mit spezifischen Herausforderungen kämpfen – etwa beim Zugang zu Netzwerken, bei der Wahrnehmung als „ernstzunehmende Unternehmerin“ oder im Umgang mit Rollenerwartungen. Besonders hervorgehoben wird dort, wie wichtig gezielte Förderstrukturen, weibliche Vorbilder und Empowerment-Formate sind, um Selbstwirksamkeit zu stärken und strukturelle Hürden zu überwinden.

Auch Menschen mit Migrationsgeschichte sehen sich mit erheblichen Hindernissen konfrontiert. Der Migrant Founders Monitor 2022 zeigt, dass etwa ein Drittel der Gründer:innen mit Migrationshintergrund in Deutschland rassistische Diskriminierung erfahren hat – sei es im Austausch mit Investor:innen, bei Netzwerkveranstaltungen oder im Kontakt mit Behörden.

Unbewusste Vorurteile verstärken diese Effekte zusätzlich. Eine vielzitierte Studie von Kanze et al. (2018) verdeutlicht, dass Investor:innen Männern tendenziell chancenorientierte Fragen stellen (Wie skalieren Sie Ihr Unternehmen?) und Frauen dagegen risikovermeidende Fragen (Wie verhindern Sie, dass Sie scheitern?). Dieses Framing beeinflusst nachweislich die Förderentscheidung und schränkt die Erfolgschancen von Gründerinnen systematisch ein.

Hinzu kommt: Gründung bleibt häufig ein Thema für privilegierte Gruppen. Der Policy Brief Soziale Mobilität und Gründung zeigt eindrücklich, dass insbesondere junge Menschen aus Haushalten mit niedrigem Einkommen seltener unternehmerische Ambitionen entwickeln – selbst dann, wenn sie über vergleichbare Qualifikationen verfügen.

Innovatives Gründen durch Menschen mit Migrationsbezug

Ein häufig unterschätzter Innovationsmotor sind migrantische Perspektiven. Die Studie Innovatives Gründen durch Menschen mit Migrationsbezug (2025) der Bertelsmann Stiftung zeigt, wie vielfältig, ressourcenreich und gesellschaftlich relevant migrantisches Unternehmertum in Deutschland ist.

Gründer:innen mit Migrationsbezug bringen nicht nur sprachliche und interkulturelle Kompetenzen mit, sondern oft ein besonderes Gespür für Marktnischen, transnationale Geschäftsmodelle und sozialunternehmerische Ansätze. Viele entwickeln Lösungen für Herausforderungen, die aus ihrer Lebensrealität erwachsen: etwa Bildungsangebote für mehrsprachige Kinder, Plattformen für internationale Lieferketten oder Dienstleistungen mit Fokus auf Inklusion.

Die Studie verdeutlicht aber auch: Das Potenzial dieser Gründungen entfaltet sich nicht automatisch. Fehlen Zugänge zu Kapital, Beratung oder Netzwerken, bleiben viele innovative Ideen unsichtbar. Hinzu kommen rechtliche Unsicherheiten, Sprachbarrieren oder mangelnde Anerkennung im bestehenden Fördersystem – insbesondere für intersektional diskriminierte Gruppen, etwa Frauen mit Migrationserfahrung.

Was inklusive Gründungsökosysteme leisten können

Inklusive Ökosysteme setzen genau an diesen strukturellen Problemen an. Sie schaffen nicht nur mehr Zugang, sondern verändern die Spielregeln.

Ein zentraler Hebel ist der Zugang zu Finanzierung: Initiativen wie die Digital Hub Initiative der Bundesregierung unterstützen gezielt Gründer:innen mit internationaler Geschichte – etwa durch Matching-Programme, Coaching oder Investor:innenkontakte. Auch das europäische Projekt MOSAIC entwickelt neue Fördermechanismen für diverse Gründungsteams.

Daneben spielt Mentoring und Coaching eine entscheidende Rolle. Erfolgreiche Programme erkennen die Heterogenität der Zielgruppen an: Flexible Formate, mehrsprachige Angebote und Mentor:innen mit ähnlichem Hintergrund fördern Identifikation und Selbstwirksamkeit. Studien zeigen: Mit persönlicher Begleitung steigt die Erfolgswahrscheinlichkeit gerade für Gründer:innen ohne bestehende Netzwerke signifikant.

Repräsentation ist ein weiterer Schlüssel: Sichtbare Vorbilder, die nicht dem klassischen Gründungsnarrativ entsprechen, verändern unsere Vorstellungen von Unternehmertum. Eine schwarze Frau als Tech-CEO, ein nicht-binärer Gründer im KI-Bereich oder ein Start-up aus einer strukturschwachen Region – sie alle machen Mut und zeigen, dass Erfolg viele Gesichter hat.

Zudem schaffen inklusive Ökosysteme neue Räume der Begegnung: Community-basierte Ansätze – etwa in Impact Hubs, migrantischen Netzwerken oder Gründungszentren in sozialen Brennpunkten – setzen auf Co-Kreation, kulturelle Sensibilität und Austausch auf Augenhöhe. Sie fördern nicht nur Innovation, sondern auch Vertrauen und Zugehörigkeit.

Drei Empfehlungen für ein inklusives Gründungsökosystem

Strukturelle Barrieren abbauen: Förderlogiken, Zugänge zu Behörden oder juristische Anforderungen müssen an die Lebensrealitäten der Zielgruppen angepasst werden. Digitale Plattformen können barrierearm Informationen und Tools bereitstellen – etwa mehrsprachig oder mobilfreundlich.

Diversität in Entscheidungspositionen stärken: Mehr Vielfalt unter Investor:innen, Jury-Mitgliedern und in Fördergremien ist zentral, um unbewusste Vorurteile zu minimieren und gerechtere Auswahlprozesse zu etablieren. Divers zusammengesetzte Panels treffen inklusivere Entscheidungen.

Ressourcen und Netzwerke öffnen: Ob durch Mentoring, Austauschformate oder niedrigschwellige Infrastruktur – inklusives Gründen braucht gemeinschaftliche Orte und solidarisches Teilen von Wissen. Programme wie Women Who Tech, Afropreneurs oder Start-up Teens zeigen, wie Vertrauen entsteht und Gründungszahlen steigen können.

Fazit

Inklusive Gründungsökosysteme sind kein „Nice-to-have“, sondern ein Muss für eine zukunftsfähige Wirtschaft. Wenn wir Gründertum fördern wollen– in Förderstrukturen, Entscheidungsprozessen und öffentlichen Bildern von Unternehmertum – dann müssen wir  mehr Menschen die Chance eröffnen, ihre Ideen zu realisieren. Innovation entsteht dort, wo Unterschiedlichkeit Raum bekommt. Und genau hier beginnt die Transformation, die wir als Gesellschaft brauchen.

 

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