Europakarte mit Pins
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Natascha Hainbach
Natascha Hainbach
4. August 2020

Europas Resilienz wird von Innovationen mitbestimmt

Europa braucht mehr Politikmaßnahmen, welche Innovationen fördern, neue Technologien schaffen und den Digitalisierungsprozess vorantreiben.

Bereits vor dem Ausbruch von COVID-19 zeigten die EU-Regionen Unterschiede in ihren strukturellen Merkmalen, welche entscheidend für Krisenresistenz und Resilienz sind, auf. Dabei spielen neben der Diversifikation, den Fähigkeiten der Erwerbsbevölkerung und der Qualität der Regierung vor allem auch Innovationen eine Rolle.

Die Bedeutung von ökonomischer Resilienz

Die Europäische Union leidet unter der anhaltenden Corona-Krise. Viele Mitgliedstaaten haben ihre Wirtschaft über mehrere Wochen fast vollständig heruntergefahren. Obwohl die meisten Länder die Restriktionen mittlerweile gelockert haben, herrscht immer noch große Unsicherheit in der Gesellschaft über die Zukunft mit und nach Corona. Da die Anfälligkeit und die bisher ergriffenen Maßnahmen in den einzelnen Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich ausgeprägt sind, ist eine größere wirtschaftliche und soziale Divergenz mehr als wahrscheinlich. In diesem Zusammenhang ist es wichtiger denn je, dass sich die Länder und Regionen in Europa als resilient erweisen. Dies wird zu einer schnelleren Erholung von der aktuellen Krise und zur besseren Bewältigung künftiger Schocks führen.

Aufbauend auf Konzepten aus anderen Disziplinen kann wirtschaftliche Resilienz definiert werden als die Fähigkeit einer Region, sich erfolgreich von Schocks, die die Wirtschaft von ihrem Wachstumspfad entweder abbringen oder das Potenzial dazu haben, zu erholen. Widerstandsfähige Volkswirtschaften sollten in der Lage sein, Verwundbarkeiten zu verringern, Schocks durchzustehen und sich schnell zu erholen. Daher ist ökonomische Resilienz in Krisenzeiten von besonderer Bedeutung.

Die Ausprägung von Resilienz-Merkmalen in Europas Regionen vor COVID-19

Da klassische makroökonomische Kennzahlen wie das BIP pro Kopf nicht ausreichen, um die Resilienzfähigkeit einer Volkswirtschaft vollständig abzubilden, ist es notwendig, auch strukturelle Merkmale zu erfassen. Wie aus der Literatur hervorgeht, ist neben dem Diversifikationsgrad, den Fähigkeiten der Erwerbsbevölkerung und der Qualität der Regierungsführung vor allem auch ein hoher Innovationsgrad Voraussetzung für resiliente Regionen.

Innovationen

Regionen mit einer höheren Innovationskraft, beispielsweise in Form von vielen Patenten oder hohen Ausgaben für Forschung & Entwicklung, neigen dazu, positiver als andere auf Schocks zu reagieren. Niedrige Innovationsausgaben korrespondieren mit weniger Know-how und geringeren Ressourcen, um den Auswirkungen einer Krise zu begegnen und diese zu bewältigen. Gerade in Zeiten des fortschreitenden technologischen Wandels und der Digitalisierung benötigen die EU-Regionen eine ausgeprägte Innovationsfähigkeit, um mit der Zeit Schritt zu halten.

Die regionalen F&E-Ausgaben anteilig am BIP sind in den meisten deutschen und österreichischen Regionen sowie in Teilen Frankreichs und Skandinaviens hoch (siehe Abbildung). Es profitieren einige eher ländliche Regionen von ihrer geographischen Nähe zu einer Metropole, wie die Regionen um London, Stuttgart oder Stockholm. Viele Regionen in Spanien, Portugal und Süditalien geben eher weniger für F&E aus. Mit Ausnahme der skandinavischen Länder scheinen die EU-Regionen insgesamt weniger in F&E zu investieren, je weiter sie von Kerneuropa entfernt sind. Die territoriale Lage in Europa scheint daher für die Innovationskraft von Regionen eine Schlüsselrolle zu spielen. Viele Regionen geographisch am Rand der EU könnten möglicherweise nicht über genügend Innovationskraft verfügen, um der aktuellen Krise langfristig zu begegnen und ihre Resilienzfähigkeit nachhaltig auszubauen.

Diversifikation

Diversifizierte Regionen kennzeichnen sich dadurch, dass sie weniger von bestimmten Unternehmen oder Sektoren abhängig sind, sondern mehrere Marktsegmente abdecken. Vielfältige Volkswirtschaften sind in der Regel resilienter, da sie sich während und nach Schocks besser an veränderte ökonomische Bedingungen anpassen können.

Insgesamt ist die sektorale Vielfalt in Europa im Allgemeinen hoch. Einige Regionen in Spanien und Italien sowie die meisten osteuropäischen Regionen weisen jedoch ein relativ geringes Maß an Diversität auf. Insbesondere Groß- und Hauptstädte weisen andere Diversifikationsgrade auf als andere Teile Europas. Ihre sektorale Zusammensetzung ist meist deutlich heterogener. Diese ungleiche Verteilung der Sektoren zwischen einigen EU-Regionen könnte den Kohäsionsprozess (Angleichung der Lebensverhältnisse etc.) und die Resilienzfestigung behindern.

Fähigkeiten der Erwerbsbevölkerung

Länder und Regionen mit höher qualifizierten Arbeitskräften haben sich als widerstandsfähiger gegenüber Schocks erwiesen. Höherqualifizierte Arbeitskräfte haben in der Regel Arbeitsplätze, die krisenresistenter und durch neue Technologien weniger substituierbar sind. In der aktuellen COVID-19-Krise sind vor allem Berufe mit geringerer Qualifikationsvoraussetzung, die nicht von zu Hause ausgeübt werden können, von Kurzarbeit oder Entlassungen betroffen.

In Bezug auf die Qualifikationsgrade zeigt sich in Europa ein Nord/West- versus Süd/Ost-Gefälle. Während Regionen in Osteuropa weniger Arbeitskräfte mit tertiärer Ausbildung oder wissensintensive Sektoren haben, weisen insbesondere Skandinavien und Großbritannien hohe Zahlen auf. Auch hier scheinen hohe Qualifikationsniveaus vor allem in Hauptstädten und den umliegenden Gebieten zu finden zu sein. Diese Regionen könnten sich schneller von der Corona-Krise erholen. Das von der Pandemie besonders schwer betroffene Italien weist in all seinen Regionen einen deutlich unterdurchschnittlichen Anteil an Hochqualifizierten auf. Dieser Aufholbedarf bezüglich Bildung und Fertigkeiten in Italien sowie in den meisten osteuropäischen Regionen wird den Prozess, widerstandsfähiger und krisenresistenter zu werden, verlangsamen.

Qualität der Regierungsführung

Die Qualität der Regierungsführung, meist verstanden als ein geringes Maß an Korruption, unparteiische Rechtsstaatlichkeit, Effektivität und Rechenschaftspflicht, ist ein weiteres Merkmal für resiliente Ökonomien. Es besteht eine starke positive Korrelation zwischen der Qualität der Regierung und der Fähigkeit einer Gesellschaft, wirtschaftlichen Schocks effektiv zu begegnen. Im Hinblick auf die COVID-19-Krise geht eine höhere Regierungsqualität einher mit wirksameren Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, da die Bevölkerung Anweisungen oder Empfehlungen eher folgen wird.

Es zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen Kern-/Nordeuropa auf der einen Seite und Ost-/Südeuropa auf der anderen Seite. Während die meisten Regionen in Deutschland und Skandinavien eine sehr hohe Regierungsqualität aufweisen, liegt die Ausprägung in Rumänien, Griechenland und Bulgarien deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Vor allem Italien scheint eine ungünstige Kombination aus schwerer Betroffenheit von der Corona-Krise und relativ niedriger Regierungsqualität aufzuweisen. Dies könnte ein Risiko für die Erholung von der aktuellen Krise und die Widerstandsfähigkeit gegenüber künftigen Schocks darstellen.

Lehren für die Politik in Zeiten von Corona und darüber hinaus

Das „Next Generation EU“-Paket mit seiner „Recovery and Resilience Facility“, das diesen Monat beim Gipfel des Europäischen Rats beschlossen wurde, ist ein wichtiger Schritt, um den Mitgliedstaaten bei der Bewältigung der aktuellen Krise zu helfen. Insbesondere die Direktzahlungen haben – wenn sie effektiv verteilt werden – das Potenzial, die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit Europas zu stärken, da für ihre Rückzahlung nicht gespart werden muss. Diese kurzfristigen Maßnahmen sind vor allem für die am stärksten vom Coronavirus betroffenen Länder mit geringerem fiskalischem und strukturellem Spielraum wie Spanien und Italien unverzichtbar. Da jedoch bereits vor COVID-19 Differenzen und schwache strukturelle Ausprägungen mit Blick auf Resilienz bestanden, sollten auch langfristige Maßnahmen gefestigt werden. Neben der Bereitstellung von Soforthilfe zur Erholung von der Corona-Krise sollten vor allem die Struktur- und Kohäsionsfonds der EU aufgestockt und in strukturell fragileren Regionen in Osteuropa sowie ländlichen Regionen effizienter eingesetzt werden.

Es sollten vor allem Politikmaßnahmen, die Innovationen auf Unternehmensebene fördern, neue Technologien schaffen und den Digitalisierungsprozess vorantreiben, auf EU-Ebene unterstützt werden. Auch die Schaffung besserer Bildungsmöglichkeiten sowie die Umstrukturierung und Umschulung von Arbeitskräften spielen eine Rolle, um Europas Regionen resilienter zu machen. Schließlich ist die Etablierung langfristiger und vertrauenswürdiger Regierungsstrukturen und -institutionen von großer Bedeutung.

Dieser Blogbeitrag basiert auf einer Studie des Projekts „Repair and Prepare: Strengthening Europe“ der Bertelsmann Stiftung. Hier finden Sie die vollständige Studie.

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