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Dr. Isabel Roessler
8. Oktober 2021

Ein Navigationssystem für Innovationen

Der Anteil Sozialer Innovationen, die aus Hochschulen kommen, ist bislang noch gering. Warum das so ist und wie es sich ändern ließe, stand bislang noch nicht im Fokus der Betrachtung. Das CHE Centrum für Hochschulentwicklung beleuchtet nun, wie sich Soziale Innovationen in den Hochschulen gestalten lassen. Das Ziel ist, ein Navigationssystem zu entwickeln, durch das Hochschulen die Entwicklung Sozialer Innovationen beschleunigen können.

Ob im Bereich der Pflege, des Arbeitsmarktes oder einfach im alltäglichen Umgang miteinander – überall werden sie benötigt: Neue Konzepte, Handlungsweisen und Praktiken, die in der Lage sind, bestehende Probleme besser zu lösen als bislang geschehen. Werden die hinter diesen Konzepten oder Praktiken liegenden Ideen angewandt, wandeln sie sich zu einer Innovation. In diesem Fall einer Sozialen Innovation. Denn die Neuerungen werden nicht auf ein technisches Gerät angewandt, sondern sie wirken in (Teilen) der Zivilgesellschaft.

Die meisten Sozialen Innovationen werden von NGOs geschaffen. Doch 15 Prozent nehmen ihren Anfang in Hochschulen. Spannende Themen sind darunter. Die Bandbreite ist enorm. So überarbeiteten Hochschulmitglieder zum Beispiel die Pflegeversicherung, entwickelten Konzepte der Arbeitsgestaltung für kollaborative Team- und Projektarbeit oder zeigten auf, wie Nachbarschaft in strukturschwachen ländlichen Regionen Ostdeutschlands entwickelt werden kann, um Älteren soziale Teilhabe zu ermöglichen.

Die Hochschulen verfügen über ein nahezu unerschöpfliches Potential für die Generierung solcher Innovationen. Viele Fächer beschäftigen sich mit entsprechend relevanten Themen. Dennoch bleibt der Anteil der aus Hochschulen stammenden Sozialen Innovationen gering. Warum ist das so und wie kann man das ändern?

Diesen Fragen stellen wir uns im CHE Centrum für Hochschulentwicklung in unserem Projekt WISIH. WISIH steht für Wege und Indikatoren Sozialer Innovationen aus Hochschulen. Wir zeigen auf, wie Soziale Innovationen in Hochschulen entstehen. Zeichnen die Wege nach, die von den Forschenden beschritten werden. Fragen nach, an welchen Wegpunkten andere Akteure von außerhalb der Hochschule hinzustießen und wohin die Reise ging, als das eigentliche Forschungsprojekt abgeschlossen wurde. Das ist wichtig, denn der Weg, den Soziale Innovationen nehmen, bis sie als solche in der Gesellschaft sichtbar werden, gleicht bisher einer Fahrt ohne Navigationssystem. Darum entwickeln wir Werkzeuge, mit welchen Soziale Innovationen vom Campus für Forschende planbarer und nachvollziehbar werden.

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Im Kern steht dabei ein Set von Indikatoren, mit deren Hilfe Hochschulleitungen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Externe die Generierung Sozialer Innovationen unterstützen können. Wir sind uns sicher: Nur was sichtbar ist, kann auch gefördert und honoriert werden. Indikatoren schaffen genau das. Sie machen sichtbar, was für Vorbedingungen notwendig sind, um sozial innovativ zu sein, welche Aktivitäten oftmals Sozialen Innovationen zugrunde liegen, welche Resultate auf dem Weg zur Innovation erzielt werden müssen und sie liefern Belege dafür, ab wann die Anwendung und Wirkung eintritt, es sich also um eine Innovation handelt.

Wir konnten bereits durch eine quantitative Befragung nachweisen, dass 86 Prozent der Professorinnen und Professoren der Pflegewissenschaft und der Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie im Rahmen ihrer Arbeit aktuell an etwas arbeiteten, das im Kontext einer Sozialen Innovation steht (Roessler, Hachmeister, Ulrich, & Brinkmann, 2020).

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Zugleich stellten wir fest, dass die Abläufe der Projekte, die sich – in welcher Intensität auch immer – mit Sozialen Innovationen beschäftigen, sehr unterschiedlich sind. Dafür analysierten wir 25 Innovationsprojekte. Insgesamt fanden wir vier Typen von Projekten, die auf acht Wegen zum Ziel führen. Hier zeigte sich auch eine der großen Hürden für Soziale Innovationen aus Hochschulen. Der Förderlogik von Forschung geschuldet, enden viele Projekte in Hochschulen bereits nach einer Testphase. Es kam also nie zu einer Verstetigung oder einem Wandel. In solchen Projekten war nur das Potential für eine Soziale Innovation identifizierbar. Doch es gab auch Projekte, deren Ergebnisse immerhin verstetigt wurden, teils sogar skaliert oder – in Ausnahmefällen – für Soziale Innovationen sorgen (könnten) (Hachmeister & Roessler, 2020).

In allen Beispielen zeigte sich, dass eines unerlässlich ist, um eine Soziale Innovation zu generieren: Die Zusammenarbeit vieler verschiedener Akteure. Eigentlich liegt es auch auf der Hand, bei Fragestellungen, die sich an gesellschaftlichen oder sozialen Bedarfen orientieren, „die Gesellschaft“ auch von Anfang an mit einzubinden. Wie diese „Einbindung“ ausgestaltet ist, ist sehr variabel. Sie kann durch Zusammenarbeit mit Partnern jenseits der Hochschulmauern gelingen. Aber auch einfach nur zuhören und die Augen für die Themen zu öffnen, die die Bevölkerung gerade umtreiben, ist oftmals ein guter Start. Ist danach eine Lösung für den identifizierten Bedarf gefunden, muss sie in die Gesellschaft zurückgespielt werden. Es muss also ein Transfer stattfinden, damit die neue Praktik dort wirksam werden kann, wo sie benötigt wird.

Nachvollziehbarerweise ist es daher auch am Ende des Projektes erneut wichtig, in engem und wechselseitigem Austausch mit den Akteuren aus der Gesellschaft zu stehen. Feedback muss eingeholt werden, ob die neue Praktik den Bedarf wirklich adressiert. Vielleicht muss sie noch einmal angepasst werden, um bedarfsgerechter zugeschnitten zu werden. Wechselseitig informieren sich die Akteure und transferieren so ihre Erfahrungen, ihre Forschung und ihr Wissen. Vielleicht ist es auch hilfreich, Wirtschaftsunternehmen oder politische Instanzen einzubinden. Je nach Bedarf, Problemlage oder Fragestellung und erarbeiteter Lösung ist das sogar angeraten. Die Innovationen finden also in einem Innovationsökosystem statt, in dem verschiedene Akteure miteinander agieren.

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Darum ist es auch notwendig, dass alle Akteure gemeinsam an einem Strang ziehen, um das in den Hochschulen liegende Potential für Soziale Innovationen zu heben. Wir brauchen also mehr inter- und transdisziplinäre Projekte, die von Beginn an alle Akteure des Innovationsökosystems zusammenbringen. Dafür müssen Hochschulen geeignete Strukturen schaffen, die den wechselseitigen Austausch ermöglichen. In der Wissenschaft müssen Methoden etabliert werden, die die Partizipation von Hochschulexternen befördern. Seitens der Politik müssen geeignete Förderlinien aufgelegt werden, um Soziale Innovationen auf den Weg zu bringen.

Vor allem aber braucht es Kommunikation (Brinkmann, Roessler & Ulrich, 2021). Nicht nur über die neu entwickelten Konzepte, Handlungsweisen oder Praktiken. Die Kommunikation setzt bereits viel früher an und braucht vor allem eines: Alle beteiligten Akteure müssen eine gemeinsame Sprache sprechen. Seien sie aus der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft, der Politik oder der Wirtschaft. Sind sie erst einmal in der Lage, sich über Bedarfe, Ideen und Konsequenzen auszutauschen, können sie sich auch durch alle Hürden hindurch navigieren und den Weg zur Sozialen Innovation finden.

Vertiefende Informationen:

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