Um was es geht
Uns bleibt nur wenig Zeit, um die Klimakatastrophe abzuwenden und die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts für eine klimaneutrale Entwicklung zu bewältigen. Es ist offensichtlich, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben. Wir müssen nicht nur das Ausmaß und die Geschwindigkeit unseres gemeinsamen Handelns erhöhen, sondern auch seine Wirkung deutlich verbessern. Um diese hochgesteckten Ziele zu erreichen, hat sich in den letzten Jahren auf europäischer und jetzt auch auf nationaler Ebene die „missionsorientierte Forschungs- und Innovationspolitik“ als ein neues politisches Handlungsfeld etabliert. Die sogenannten „Missionen“ orientieren sich an den 17 Sustainable Development Goals (SDGs), den Zielen der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung. Sie sollen die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft unterstützen und begleiten.
Transformation im Krisenmodus – eine Herkulesaufgabe
Krisen haben das 21. Jahrhunderts von Anfang an begleitet, von Nine-Eleven, der globalen Finanzkrise bis hin zum Aufkommen eines europaweiten regressiven Populismus. Mit dem Krieg in der Ukraine verdichten sie sich die Signale in Richtung einer Zeitenwende. Es dominieren drei manifeste Krisen: (1) die Klima- und Biodiversitätskrise mit der Notwendigkeit einer grundlegenden Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, (2) die Corona-Krise auch als intensiver Stresstest für den Umgang mit Wissenschaft in einer veränderten Medienlandschaft, aber auch im Hinblick auf die Herausbildung unsere staatliche Ordnung delegitimierenden Bewegungen sowie (3) der russische Angriffskrieg, der unsere europäische und globale Sicherheitsarchitektur disruptiv herausfordert und mit der Energiekrise den gesellschaftlichen Zusammenhalt weiter gefährdet.
Mit der Corona-Pandemie hat Politik eine Renaissance erfahren. Heute stehen sowohl Regierungen als auch das politische System in Gänze in der Kritik. Die Erwartungen von Wirtschaft und Gesellschaft sind immens. Erwartet werden konsistente und angemessene Antworten auf Strukturbrüche und Krisen – aktuell vor allem den Angriffskrieg, die Energiekrise und sich abzeichnende soziale Verwerfungen. Angemahnt wird eine vorausschauende Steuerungsfähigkeit des Staates. Langfristig betrachtet geht es aber um mehr. Es geht darum, das Wohlstandsversprechen der Nachkriegsära angesichts der offensichtlichen Transformationsnotwendigkeiten zu erneuern und dafür ein dauerhaftes Fundament zu schaffen. Konkret bedeutet dies, ein neues Fortschrittsnarrativ durch ein vorausschauendes transformatives Handeln zu “produzieren” und damit die zentrifugalen Kräfte in einer neuen, lebendigen, vielfältigen und inklusiven Mitte zu integrieren.
Diese Aufgabe ist umso anspruchsvoller, als sie angesichts des russischen Angriffskriegs, der Notwendigkeit stärkerer Investitionen in die Sicherheit und sich abzeichnender Verteilungskonflikte in einem latenten Krisenmodus zu erfolgen hat. Es ist also eine „Herkulesaufgabe“, deren Ausgang ungewiss ist – nicht zuletzt, weil in den aufgeheizten öffentlichen Debatten das Vertrauen in die politische Entscheidungsfähigkeit merklich schwindet. Die auf Aushandlungsprozessen basierenden demokratischen Institutionen geraten in die Gefahr zum Verlierer in der Krise zu werden. Schnelle und klare und „entbürokratisierte“ Richtungsentscheidungen entfalten eine hohe Attraktivität und verheißen schnelle Lösungen, die es angesichts der Komplexität nicht geben kann.
Missionsorientierung als vernetzender Lösungsansatz
In einer Zeit derart großer Umbrüche reicht die Lösung einzelner, aktueller Systemprobleme nicht mehr aus, da sie fast zwangsläufig neue Problemfelder in der Zukunft nach sich zieht. Beispiele hierfür sind die Gasumlage oder das 9-Euro-Ticket, die jeweils unmittelbar vernetzte Systemkonflikte aufzeigen. Notwendig ist also eine grundlegende Transformation, die Entwicklung paralleler und vernetzter Lösungen, für deren Akzeptanz und Ausgestaltung neue, weitgehende Zielvorstellung entwickelt werden müssen. Diese werden als Missionen bezeichnet und von Mariana Mazzucato 2021 in den Mittelpunkt eines missionsorientierten Politikansatzes gestellt.
Verbunden ist dies mit der wieder stärkeren Rolle des Staates, der seine (Lenkungs)Aktivitäten auf die Bewältigung von „Grand Challenges“ ausrichtet. Solche Herausforderungen sind vielfach die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen, die die Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung darstellen. Kontrovers diskutiert wird die Missionsorientierung dann, wenn es um die Frage geht, ob der staatliche Einfluss auch zu mehr Bürokratie und einer Schwächung der technologischen Wettbewerbsfähigkeit führt.
Die EU-Kommission hat den missionsorientierten Ansatz mit dem „Green Deal für ein klimaneutrales Europa bis 2050″ in ein politisches Programm übersetzt. Noch die alte Bundesregierung hat mit der Klimaschutznovelle im Juni 2021 die Treibhausgasneutralität bereits für 2045 im Klimagesetz festgeschrieben. Die neue Bundesregierung ist mit diesem Ziel angetreten und setzt im Koalitionsvertrag auf eine breite Beteiligung der Zivilgesellschaft.
Forschungs- und Innovationspolitik als Ankerpunkt der Missionsorientierung
Ob wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformationen gelingen, hängt entscheidend davon ab, wie gut das Forschungs- und Innovationssystem mit den Veränderungen umgeht. Deutlich wird dies vor dem Hintergrund der anhaltenden Innovationsdefizite bei kleinen und mittleren Unternehmen sowie bei zentralen Schlüsseltechnologien. Daher kann es bei der Forschungs- und Innovationspolitik nicht allein um effizientere Prozesse und ein „Mehr-von-Bekanntem“ gehen. Gerade hier ist eine Ausrichtung an den „großen Herausforderungen“ gefragt.
So hat die Missionsorientierung auch Eingang in die Forschungs- und Innovationsstrategien der Europäischen Union gefunden – übergeordnet beim Green Deal, aber auch mit dem Papier „Industry 5.0“ für die Produktionssphäre. Auch in Deutschland ist ein solcher Politikwandel erkennbar. Eingesetzt hat er bereits 2006 mit der Formulierung der Hightech-Strategie, die sich ein Stück weg von einer reinen Ausrichtung auf Schlüsseltechnologie entwickelt hat – hin zu gesellschaftlichen Bedarfsfeldern wie Klima und Energie. Mit dem Gutachten der Expertenkommission Forschung und Entwicklung von 2021 ist Missionsorientierung als staatliche Daseinsaufgabe prominent gefordert worden. Auch in der Bundespolitik finden sich bereits einzelne Elemente – beispielsweise die Gründung einer Deutschen Agentur für Technologie und Innovation (DATI) – aber insgesamt ist noch kein schlüssiges Konzept erkennbar.
Eine solche missionsorientierte Forschungs- und Innovationspolitik steht zunächst für eine Erweiterung des Innovationsbegriffs, weg von reiner Technologieorientierung und hin zu einer Integration sozialer und organisatorischer Innovationen. So hat sich der Abschlussbericht des Hightech Forums dem Thema der sozialen Innovation erstaunlich offen zugewandt. Dies ist ein großer Schritt, aber bei seiner Umsetzung bleiben die Ansätze vielfach noch den traditionell gewachsenen Klientelbeziehungen und einem Top-Down-Ansatz verhaftet. Dies gilt auch für die neue von der Bundesregierung ins Leben gerufene „Allianz für Transformation“, die noch den Charakter sich wiederholender „Gipfel“ in sich trägt.
Aus unserer Sicht ist es mehr als geboten, die Zivilgesellschaft stärker in die missionsorientierten Ansätze der Forschungs- und Innovationspolitik zu integrieren. Gerade hier sieht auch Mazzucato ein erhebliches Potenzial: „Missionen ermöglichen es, die Teilhabe des Bürgers ins Herz der Innovationspolitik zu stellen und Forschung und Entwicklung sowie breitere politische Maßnahmen mit Problemen zu verbinden, die den Menschen wichtig sind.“
Damit rückt die Zivilgesellschaft in diesem traditionell von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik dominierten Politikfeld stärker in den Fokus. Allerdings scheint dieser beachtenswerte Bedeutungswandel für die Ausrichtung der Forschungs- und Innovationspolitik in weiten Teilen der Zivilgesellschaft noch nicht wahrgenommen worden zu sein. Für weite Teile der Zivilgesellschaft stellt die Forschungs-, Technologie- und Innovationspolitik bislang Neuland dar. Dies liegt auch daran, dass es an erprobten Verfahren, Instrumenten und Methoden für Beteiligungs- und Mitgestaltungsprozesse mangelt. Auch stellt sich die Frage, ob die Zivilgesellschaft generell ein Partner auf Augenhöhe sein will und sein kann.
D2030 nimmt die Bedeutung der Zivilgesellschaft für die Forschungs- und Innovationspolitik ins Visier
Die Initiative „D2030“ hat bereits 2017 in einem offenen und partizipativen Prozess ganzheitliche Szenarien für die zukünftige Entwicklung in Deutschland entwickelt und bewertet. In zwei Stresstests wurden zudem die Folgen der Corona-Pandemie für die verschiedenen Zukunftsbilder untersucht. Wesentliches für den Zukunftsprozesses ist das Leitmotiv „Zukunft für alle“, das auf einer Verbindung von Zukunfts- und Missionsorientierung mit zivilgesellschaftlicher Partizipation aufsetzt. Danach besteht bei einer isolierten Zukunfts- oder Missionsorientierung die Gefahr des Elitentums, während zukunftsvergessene Partizipation die Grundlage für Populismus sein kann.
D2030 hat dazu einen neuen Szenarioprozess auf den Weg gebracht. Unter dem Titel „Neue Horizonte 2045 – Missionen für Deutschland“ wollen wir uns darin trotz des gegenwärtigen Krisenmodus auf die gewünschten Transformationsszenarien fokussieren. Neben der Entwicklung eines szenariogestützten Zielkorridors 2045 wollen wir herausarbeiten, mit welchen zukünftigen Zielkonflikten wir rechnen müssen und wie dabei trotzdem dieser Korridor für eine gelingende Transformation eingehalten werden kann.
Flankierend zu dieser übergeordneten Perspektive wollen wir uns fokussiert mit der Forschungs- und Innovationspolitik befassen. Sie stellt ein zentrales Handlungsfeld für eine gelingende Transformation dar. Gerade hier – das in unsere These – werden Missionen nur dann Erfolg haben, wenn sie aktiv von der Zivilgesellschaft mitentwickelt und mitgetragen werden. Daher wollen wir helfen, einen Prozess anzustoßen, mit dem das Selbstverständnis der Akteur:innen, bisherige Rollen, künftige Anforderungen, Erwartungen und Voraussetzungen sowie auch neue Förderkonzepte, Handlungsansätze und auch Perspektiven erkundet werden. Wir beginnen dabei mit einer explorativen Umfrage und laden jetzt schon alle Interessierten ein, sich in den Prozess aktiv einzubringen.
Die Meinung der Zivilgesellschaft ist gefragt!
Die jetzt startende Online-Befragung soll dazu beitragen, die aktuelle Wissenslücke zu schließen. Ihr Ziel ist es,
- zivilgesellschaftliche Akteur:innen für das neue politische Handlungsfeld einer missionsorientierten Forschungs- und Innovationspolitik zu sensibilisieren,
- ihre bisherigen Kenntnisse und Erfahrungen zu erfragen und
- auch die vorhandenen Erfahrungen erprobter Innovationsakteur:innen zu nutzen.
Die Beteiligung an der Umfrage verleiht der Zivilgesellschaft eine weitere Stimme .
Die Antworten tragen dazu bei, einen Prozess in Gang zu setzen, der technische und soziale Innovationen als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe versteht und die Zivilgesellschaft dazu befähigt, aktiv dabei mitzuwirken.
Was passiert mit den Ergebnissen?
Die Ergebnisse der Befragung sollen in die gegenwärtige politische Debatte zur Missionsorientierung und in weiterführende Projekte in Kooperation mit Praxispartnern einfließen. Konkret:
- Die Befunde der Befragung werden in der D2030 Futures Lounge am 7. Dezember, ab 18:30 Uhr vorgestellt und diskutiert. (Termin vormerken)
- Sie fließen in das neue D2030-Projekt „Neue Horizonte 2045 – Missionen für Deutschland“ ein.
- Sie dienen als Grundlage für die Konzeption eines vertiefenden und experimentell erprobenden Projektes, das in Kooperation mit weiteren Praxispartnern entwickelt und realisiert werden soll.
Weitere Informationen und Anfragen unter: info@d2030.de
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