Das Coronavirus setzt dem deutschen Leitindex stark zu: Am Beginn der Woche fiel der Dax zum Handelsstart unter die Marke von 9000 Punkten. Er hat damit innerhalb von nur vier Wochen mehr als 30 Prozent verloren. Der Absturz an den Börsen hat historische Dimensionen, worunter auch Wachstum, Produktivität und Innovationskraft in Deutschland leiden werden. Die Erfahrungen aus der Krise könnten in Zukunft aber durchaus auch positive Effekte haben: Der Wirtschaftsjournalist Ben Schröder im Interview mit Dr. Detlev Landmesser, dem Chef vom Dienst der ARD-Börse.
Ben Schröder: Herr Dr. Landmesser, das Coronavirus setzt dem deutschen Leitindex momentan stark zu. Am Montagmorgen fiel der Dax zum Handelsstart unter die Marke von 9.000 Punkten. Er hat damit innerhalb von nur vier Wochen mehr als 30 Prozent verloren. Wie würden Sie die aktuelle Stimmung an der Börse in Frankfurt beschreiben?
Dr. Detlev Landmesser: Es herrscht massive Unsicherheit. Die Kursverluste der vergangenen Tage klingen ohne Zweifel dramatisch. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass wir uns in Deutschland in den vergangenen Jahren in einer beispiellosen Boomphase befunden haben – maßgeblich getrieben durch eine entsprechende Geldpolitik. Tatsächlich ist es an den Börsen in den vergangenen Jahren sicher auch zu Überbewertungen gekommen, die jetzt – im Zuge der Entwicklungen rund um das Coronavirus – abgebaut werden. Vor allem aber preisen die Märkte derzeit zumindest eine weltweite Rezession, wenn nicht gar eine Finanzkrise ein.
Der Absturz an den Börsen hat durchaus historische Dimensionen: In der vergangenen Woche verlor der Dax rund 20 Prozent. Einen höheren Verlust binnen einer Woche hatte es bisher nur während der Finanzkrise im Jahr 2008 gegeben…
Das ist richtig. Die aktuelle Situation ist von ihrer potenziellen Tragweite her meiner Meinung nach ernster als die Finanzkrise im Jahr 2008. Es ist davon auszugehen, dass viele europäische Staaten – allen voran vermutlich Italien – in den kommenden Wochen und Monaten an ihre finanzielle Leistungsgrenze stoßen werden. Das gilt letztlich auch für Deutschland. Schon jetzt verzeichnet der Staat viele Anfragen von Unternehmen und Berufsgruppen, die finanzielle Unterstützung benötigen, weil ihnen aufgrund der Krise Einnahmen und damit Liquidität fehlen.
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Um der momentanen Situation zu begegnen, hat die US-Notenbank Fed den Leitzins um einen Prozentpunkt auf nahe null Prozent gesenkt. Außerdem kündigte sie ein umfangreiches Maßnahmenpaket an, um die Wirtschaft zu stützen. Auch die EZB und andere Notenbanken haben zuletzt Gegenmaßnahmen angekündigt. Erwarten Sie, dass sich die Lage an den Märkten dadurch in den kommenden Tagen wieder etwas beruhigt?
Bisher ist an den Märkten keine Beruhigung spürbar, daran ändern die von den Notenbanken verabschiedeten Maßnahmen noch nichts. Mehr Ruhe wird wohl erst wieder einkehren, wenn die Nachrichten zum Coronavirus an Dramatik verlieren, die Zahl der Neuinfektionen also nicht mehr so rapide steigt wie das momentan in Europa vor allem in Italien der Fall ist. Es bleibt zu hoffen, dass die von den Regierungen in Europa beschlossenen Maßnahmen zur Einschränkung des öffentlichen Lebens möglichst schnell greifen, was den Märkten bei der Bodenbildung helfen würde.
Wie bewerten Sie das Verhalten der EZB, die – anders als die Fed – momentan keine Zinssenkungen vorsieht und stattdessen auf Liquiditätshilfen und eine Ausweitung der Anleihenkäufe setzt?
Aus Stabilitätssicht sind die Maßnahmen der EZB sicher sinnvoll – auch wenn Frau Lagarde in der vergangenen Woche mit ihrem etwas ungeschickten Auftritt nicht wirklich zur Beruhigung an den Märkten beigetragen hat. Durchaus problematisch ist, dass das Instrumentarium der EZB – abgesehen von dem geringen Spielraum, den es hinsichtlich Zinssenkungen noch gibt – fast ausgeschöpft ist. Sie hat also nicht mehr viel in der Hand, um die Situation an den Märkten zu stabilisieren. Umso wichtiger ist, dass Geld- und Fiskalpolitik jetzt sinnvoll aufeinander abgestimmt werden. Geldpolitik allein kann nicht mehr viel erreichen. Sie kann fiskalpolitische Maßnahmen lediglich flankieren und unterstützen.
Die Bundesregierung reagiert auf die aktuelle Situation mit einem „Schutzschild für Beschäftige und Unternehmen“, der unter anderem Kredite und steuerliche Hilfen für Unternehmen und eine Flexibilisierung des Kurzarbeitergeldes beinhaltet. Reichen diese Maßnahmen aus?
Das ist momentan schwer zu sagen. Fest steht, dass die Politik vor einer enormen Herausforderung steht und die handelnden Personen nicht zu beneiden sind. Wichtig ist, dass es – wie zuvor angesprochen – zu einer Koordinierung zwischen Geld- und Fiskalpolitik kommt. Die erachte ich momentan als nicht ausreichend, um der Krise zu begegnen.
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Nicht nur an den Börsen, auch in Unternehmen herrscht momentan Ausnahmezustand. Die exportorientierte deutsche Wirtschaft könnte unter den Folgen des Coronavirus besonders leiden. Welche kurzfristigen Folgen der Krise sind zu erwarten?
Das muss sehr branchenspezifisch betrachtet werden. Wir sehen schon jetzt, dass bestimmte Unternehmen – vor allem aus der Reise- und Luftfahrtbranche – sehr unter den aktuellen Entwicklungen leiden. Es gibt aber auch einige wenige Branchen, die profitieren, wie zum Beispiel der Lebensmitteleinzelhandel. Allgemein ist aber davon auszugehen, dass wir als Folge der Krise einen signifikanten Anstieg von Unternehmensinsolvenzen mit den entsprechenden Folgen für die Beschäftigten erleben werden. Für die deutsche Regierung wird es nun darum gehen, zu entscheiden, wem finanziell geholfen werden kann und in welchem Maße. Da stehen wir erst am Anfang der Überlegungen. Klar ist aber, dass auch ein Staat irgendwann das Ende seiner Leistungsfähigkeit erreicht. Alle Folgen der Krise werden dementsprechend wohl kaum aufgefangen werden können.
Welche Konsequenzen könnte die aktuelle Situation für die langfristige Entwicklung von Produktivität, Innovationskraft und Wachstum in Deutschland haben?
Es wird sicher eine Wachstumsdelle in Deutschland geben, eine Rezession erscheint mir unausweichlich. Zu erwarten sind allerdings auch gewisse Effekte, die künftig positiv auf die Produktivität und das Wachstum in Deutschland wirken könnten. So sind viele Unternehmen momentan gezwungen, Heimarbeit im großen Stil zu forcieren. Die Erfahrungen daraus könnten in Zukunft durchaus einen positiven Beitrag zur Produktivität in Deutschland leisten. Auch werden sicher viele Unternehmen daran arbeiten, ihre Wertschöpfungsketten stabiler und unabhängiger zu machen und bestimmte Produktionsprozesse ins Inland zurückzuverlegen. Das gilt insbesondere für die Pharmaindustrie, die zum Teil in China produziert, was ihr nun zusetzt. Das bietet das Potenzial für die Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland.
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