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Victoria Hasenkamp
25. Juli 2023

Bürgerbeteiligung goes Innovation – kreativitätsfördernde Beteiligungsformate

Ein enormes Potenzial für Innovationen zur Bewältigung vieler Herausforderungen bietet die Beteiligung von Menschen, die scheinbar zunächst keine Akteure sind: Bürgerinnen und Bürger. Durch Partizipation und Kokreation entstehen zahllose Ideen, Lösungen und Produkte, die bis dahin kaum im Blickfeld oder entwickelt waren.

Bürgerbeteiligung ist in. Auf vielen Ebenen und zu diversen Themen finden Bürgerdialoge, Diskussionen oder Planungsprozesse statt. Der neue Spielplatz um die Ecke, die Gestaltung des Neubaugebiets oder der kommunale Haushaltsplan, aber auch die Entwicklung und Umsetzung von politischen Strategien zu gesellschaftlichen Herausforderungen wie Klimaschutz oder Digitalisierung sind Beispiele für Beteiligungsprozesse. Der Input und die Kreativität von BürgerInnen bzw. KundInnen können darüber hinaus bei der Entwicklung oder Verbesserung von neuen Produkten oder für die Lösung von konkreten Problemen hilfreich sein, im privaten sowie im öffentlichen Sektor.  Aber wie wird eigentlich ein erfolgreicher Partizipationsprozess gestaltet? 

Mobilisierung von Teilnehmenden  

Ohne Bürgerinnen und Bürger keine Beteiligung. Daher ist der zunächst wichtigste Schritt in der Vorbereitung, bei den potenziellen Teilnehmenden Interesse für das Thema und Lust aufs Mitmachen zu wecken. Das kann über Marketingmaßnahmen auf unterschiedlichen Kanälen (online und analog) geschehen, aber auch durch direkte Ansprache von Zielgruppen vor Ort, durch persönliche Einladungen per Post oder Multiplikatoren.  Soll sich das Teilnahmefeld für eine Veranstaltung nach bestimmten sozio-demografischen Kriterien wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad zusammensetzen, kann es sinnvoll sein, ein Bewerbungsverfahrungen durchzuführen. Damit können Organisatoren aus der Grundgesamtheit der Rückmeldungen ein entsprechendes Teilnehmendenfeld zusammensetzen.  

© Foto: Valeska Achenbach

Passgenaues Format wählen  

Die Wahl des passenden Formats ist ein entscheidender Faktor, um Beteiligungsprozesse so zu gestalten, dass sie Kreativität und Austausch fördern. Je nach Zielsetzung kann es sinnvoll sein, entweder digitale oder Präsenzveranstaltungen oder eine Kombination aus beidem zu wählen. Hier gilt es abzuwägen, um die Bevorzugung einzelner Gruppen (z.B. onlineaffine Personen) zu vermeiden.  

  • Digitale Optionen wie Diskussionsplattformen, Webkonferenzen oder gestreamte Live- Veranstaltungen haben den Vorteil, dass eine Vielzahl an Personen orts- und teils zeitunabhängig teilnehmen können.  
  • Präsenzformate ermöglichen über direkten Austausch intensiveren Dialog und auch Gestaltungs- oder Kreativprozesse sind vor Ort häufig produktiver.  
  • Um Innovationen zu generieren, sind auch Ideenwettbewerbe, Hackathons, Design-Thinking-Workshops oder Zukunftswerkstätten geeignet.  
  • Formalisierte Bürgerräte sind ebenfalls ein Format, das zwar geschlossen hinsichtlich der Teilnehmendenschaft ist, jedoch eine garantierte beratende Funktion politischer Entscheidungsträger besitzt.  

Wichtig sind zudem niedrigschwellige, ansprechende Angebote, die Interessierte abholen und nicht überfordern. 

Regeln und Anleitung

Die Begleitung von Beteiligungsformaten durch unabhängige Moderatoren ist ein wichtiger Bestandteil erfolgreicher Partizipationsprozesse. Eine Moderation ist besonders bei Onlineplattformen wichtig, um für die Einhaltung grundlegender Kommunikationsregeln zu sorgen und um Konflikte beizulegen, die durch die schützende Anonymität des Internets schnell eskalieren können.  

Aber auch bei anderen Formaten ist die Gewährleistung von Vertrauen und die Schaffung eines geschützten Arbeitsraums („safe spaces“) wichtig für einen gelungenen Beteiligungsprozess. Idealerweise hat der Moderator auch einen fachlichen Hintergrund, so dass Rückfragen durch die Teilnehmenden beantwortet werden können. Die Moderation begleitet den gesamten Prozess und sorgt so für den „roten Faden“, an dem sich die Teilnehmenden orientieren können. 

Information und Wissen vermitteln  

Die wenigsten Partizipationsprozesse finden zu selbsterklärenden Themen statt. Daher steht zu Beginn des Prozesses immer eine mehr oder weniger aufwändige Phase der Informations- und Wissensvermittlung. Auch wenn das Ziel eines Beteiligungsformats die Erarbeitung von Innovationen in Form eines Kreativprozesses ist, ist dennoch eine inhaltliche Einführung zum Hintergrund notwendig, damit die entwickelten Ideen in das thematische Gesamtkonzept passen.  Gerade bei komplexen Themen kann die Wissensvermittlung auch aufwändiger ausfallen. Dabei ist es wichtig, den relevanten Gegenstand in möglichst vielfältigen Perspektiven und Sichtweisen zu präsentieren, um den Teilnehmenden eine Basis für eine offene Meinungsbildung bzw. einen offenen Kreativprozess zu liefern.  

Um möglichst viele Lerntypen anzusprechen, aber auch um kurzweilige Informationen zu vermitteln, sind interaktive Methoden zu empfehlen. Beispiele hierfür sind Experteninputs, Videos, Selbstlernelemente, z.B. durch Textarbeit, spielerische Gamification-Elemente wie Apps oder Memory- und Kartenspiele. Etwas aufwändiger sind thematisch passende Führungen oder die Konzeption von Ausstellungen (sog. Gallery Walks). Alle Informationen und Wissenselemente sollten leicht verständlich sein. In jedem Fall gilt: So viel Information wie nötig, so wenig wie möglich, damit keine (un)bewusste Beeinflussung der Teilnehmenden entsteht. 

Einfluss der Ergebnisse in politischen Prozessen  

Die Möglichkeit, Politik aktiv (mitzu-)gestalten ist einer der Hauptgründe, weshalb Bürger*innen sich in Beteiligungsprozessen engagieren. Daher ist es wichtig, auf der einen Seite im Voraus ein klares Erwartungsmanagement zu betreiben, was die Nutzung der Ergebnisse im Rahmen von politischen Entscheidungsprozessen angeht.  

Werden diese beispielsweise auf sichtbare Weise 1:1 in ein Planungsmodell, eine Strategie oder einen Handlungsrahmen übernommen? Oder fließen die Erkenntnisse lediglich in Überlegungen ein und verschwinden nach dem Prozess aus dem Blickfeld? Auf der anderen Seite ist nicht immer planbar, wie sich politische Prozesse und Entscheidungen entwickeln. Daher sollte auch diese Möglichkeit kommuniziert werden, um Frustration zu vermeiden. Frustration auf Seiten der Bürger beeinträchtigt nicht nur das Vertrauen in politische Institutionen, sondern blockiert auch Kreativität und innovatives Denken. 

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Wie kann Bürgerbeteiligung erfolgreich Innovationen anstoßen? 

Formate, die gemeinsam mit Bürger*innen und anderen Stakeholdern Kokreation (auch Koproduktion) anstoßen, sind gut dazu geeignet, innovative Ideen oder Produkte hervorzubringen. Dabei wird unter Koproduktion die Zusammenarbeit von öffentlichen und bürgerschaftlichen Akteuren verstanden, die partnerschaftlich und auf freiwilliger Basis öffentliche Aufgaben, z.B. für die kommunale Verwaltung, umsetzen und Dienstleistungen verbessern (Abt 2022).  Die Mitwirkung von Bürgern kann dabei in mehrere Ebenen unterteilt werden:  

  • Mit-Steuern (Bürger werden als Planer tätig)  
  • Mit-Entwickeln (konkrete Lösungen werden in Zusammenarbeit mit der Verwaltung entwickelt, indem in einem Kreativitätsprozess durch die Kombination von Fach- und Alltagswissen Innovationen entstehen, die Antworten auf Herausforderungen geben),  
  • Mit-Umsetzen (Nutzung von öffentlichen und bürgerschaftlichen Fähigkeiten, um die kommunale Lebensqualität zu steigern)  
  • Mit-Bewerten (gemeinsame Bewertung von Angeboten hinsichtlich realer Nutzerorientierung für Bürger) (Löffler und Timm-Arnold 2013).  

Kokreation-Ansätze kommen ursprünglich aus der Unternehmenswelt. So beteiligt der Spielzeughersteller Lego seine Kunden über eine Onlineplattform an der Entwicklung neuer Produkte. Ideen für Spielsets werden von der Community diskutiert und bewertet. Erhält eine Idee mehr als 10.000 Stimmen, wird die Idee geprüft und ggf. umgesetzt. Die Ideengeber werden mit einem kostenlosen Spielset und einer prozentualen Beteiligung am Verkaufserlös belohnt (Tams 2018).  

Design-Thinking und Open Innovation 

Eine weitere Methode zur Generierung von Innovationen beschreibt einen agilen, problemorientierten Ansatz, der den Schwerpunkt auf den Benutzer legt und einen iterativen Prozess zur Entwicklung innovativer Lösungen betont. Design-Thinking geht davon aus, dass sich eine inter- und multidisziplinäre Gruppe von Akteuren in die Bedürfnisse und Erfahrungen der Benutzer einfühlt, das Problem oder die Herausforderung klar definiert, kreative Ideen generiert, potenzielle Lösungen prototypisiert und testet und die Entwürfe basierend auf Feedback iteriert. Design Thinking fördert Zusammenarbeit, interdisziplinäre Perspektiven sowie kontinuierliches Lernen und Verbessern (Thoring und Müller 2019).  

Schließlich bieten Open Innovation-Ansätze die Möglichkeit, Bürgerbeteiligung mit externen Akteuren wie Startups, Forschungseinrichtungen oder NGOs zusammenzubringen. Durch den Austausch von Wissen und Ideen zwischen den unterschiedlichen Stakeholdern soll ein „Out of the Box“-Denken ermöglicht werden, in dem innovative Lösungen entstehen, die über traditionelle, fachliche Grenzen, z.B. einer Verwaltung hinausgehen und die Organisation nach außen öffnen.  

Ein konkretes Beispiel liefert das „OecherLab“ (https://oecherlab.de/ ) in Aachen. Es basiert auf Open Innovation Ansätzen und vernetzt die Kommune mit der Bürgerschaft an einem physischen Ort, um innovative, digitale Lösungen zu entwickeln, die die Stadt smarter und zukunftsfähig machen sollen. So fanden zum Beispiel schon Kreativprozesse zu Gesundheit der Zukunft, smarter Handel und lebenswerte Innenstadt oder Zukunftsvisionen der Stadt statt. Gleichzeitig wird über verschiedene Ausstellungen Wissen und Information zu den Diskussionsthemen bereitgestellt.  

Verschiedene Beteiligungsformate können auf vielfältige Weise Innovationen anstoßen. Eins ist jedoch allen Ansätzen gemeinsam: Ohne Dialog geht es nicht. Erfolgreiche Partizipationsprozesse bieten daher vor allem Ermöglichungsräume für eine freie, vertrauensvolle Kreativitätsentfaltung. 


Literatur 
Abt, J. (2022). Koproduzieren – eine lebenswerte Stadt gemeinschaftlich entwickeln, umsetzen und bewahren. In: Abt, J., Blecken, L., Bock, S., Diringer, J., Fahrenkrug, K. (eds) Von Beteiligung zur Koproduktion. Stadtforschung aktuell, Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-36181-5_10 
Löffler, Elke, und Peter Timm-Arnold. 2013. BürgerInnen in der Mitgestaltungs-Kommune. Aktuelle Tendenzen, Ansätze und Perspektiven von Koproduktion in deutschen Kommunen, Ein Diskussionspapier für den Kommunalkongress 2013 im Auftrag der Bertelsmann Stiftung Gütersloh. 
Tam, C. (2018) The Co-Creation Imperative: How To Make Organizational Change Collaborative. Forbes. Forbes Media LLC. https://www.forbes.com/sites/carstentams/2018/02/11/the-co-creation-imperative-how-to-make-organizational-change-collaborative/ (letzter Zugriff am 24.05.2023) 
Thoring, K., & Müller, R. M. (2019). Design Thinking verstehen und anwenden: Grundlagen, Methoden und Checklisten für ein erfolgreiches Ideen- und Innovationsmanagement,  Springer Vieweg. 
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  • Björn Knobloch schrieb am 28.09.2023

    Aktuell brauchen wir unbedingt in den Kommunen durch das Stadtmarketing offene Bürgerbeteiligungsmodelle (Crowdfunding) als Innovationsmotor mit entsprechend ergänzender schlanker unbürokratischer Förderung(Investitionszuschüsse und zinsgünstige Kredite für kommunale Projektentwicklungsgesellschaften/Innovationskonsortien). Speziell vor der Kulisse des komplexen Zusammenspiels von Krise, Transformation, Geldschwemme/Inflation, Wohnraummangel, SDGs in Kommune, Demografie, Sanierungsbedarf von Bestandsimmobilien etc. sollten solche „SDG-Innovations- und Impulsmodelle“ so attraktiv für die monetäre Partizipation einer zunehmend alternden Gesellschaft gemacht werden. D.h. Ältere können gezielt , gerade auch auf Basis von Immobilien- und Wohnraumkonzepten (v.a. Pflege, Mehrgenerationenwohnen etc.) gemeinnützige Anlage- und Investitionsentscheidungen für Ihre Heimatstadt/Kommune oder das Quartier treffen.(vgl. auch Daten aus anderen Branche: Naturschutz (Spenden Stiftungen etc.), Erneuerbare (klassisches Investment) ) Durch die Kreativ- Bündelung der SDGs in solchen SDG- Innovations- und Impulsmodellen, möglichen Förderungen, die Integration von Innovatoren und Startups in den Innovationsprozess können auch entsprechende zeitgemäße Renditen erzielt werden. Im Prinzip da was wir klassisch schon bei Energiebürgergenossenschaften hatten, nur hier eben in einer Wende 2.0 erweitert in einer breiten Facette einer Kreativ-Bündelung der SDGs. ( Beispiel: Projekt- Bündelung der Themen: KWK, Nahwärmenetze, Glasmehrweg(Industrie- und Handelskooperation Mehrweglogistik), Konzeption Neubaugebiete mit Holzmodulhauskonzepten bis hin zu neuen Wohn- und Lebensformen ). Das sind auch die krisenkonformen Konzepte und staatl. Förderansätze die wir für Investitionen in den Kommunen benötigen. Tendenziell weg von isolierten Vorhaben rein in die Innovationskonsortien wo wirklich Modelle entstehen können die in einer Breite die SDGs im Schulterschluss mit Innovationen voranbringen.