© Artturi Mäntysaari – Pixabay
Christian Schache
12. März 2021

Alles Tulpe, oder was?

Am 17. März wählen unsere niederländischen Nachbarn ein neues Parlament. Für Deutsche sind die Niederlande vor allem ein beliebtes Reiseziel. Die meisten verbinden mit unserem Nachbarland romantische Dinge wie lange Sandstrände, Tulpen und Windmühlen. Einige denken aber bestimmt auch sofort an Treibhaustomaten. Andere wiederum nennen die Niederlande oft fälschlicherweise Holland. Dabei fehlt aber noch etwas Entscheidendes.

Denn die wenigsten werden auf die Idee kommen, dass die Niederlande zu den führenden Ländern in Europa zählen, wenn es um Innovationen geht. Dabei waren die Niederlande immer schon ein Land, das sehr kreative Lösungen hervorgebracht hat, wie sich beispielsweise am Deichbau und den Windmühlen zur Gewinnung von Neuland aus der Nordsee erkennen lässt. Auch in jüngster Zeit haben die Niederlande auf diesem Weg nicht Halt gemacht und sind zu einem interessanten, weil innovativen Partner für Wirtschaft und Forschung geworden – zu einem echten „Innovation Leader“ in Europa.

Auf dem Weg zum Innovationsführer

Die Niederlande gehören mit knapp 17,3 Millionen Einwohnern und nicht einmal einem Achtel der Fläche Deutschlands zu den kleineren Staaten der EU. Auch die Ausgaben für Forschung sind nicht besonders hoch: Sie liegen mit rund 17,8 Milliarden Euro beziehungsweise 2,2 Prozent des niederländischen Bruttoinlandsproduktes innerhalb des EU27‑Durchschnitts. Trotzdem gehören die Niederlande bereits seit 2016 zu den „Innovation Leaders“ im „European Innovation Scoreboard“ (EIS). Ähnliches gilt auch für den „Global Innovation Index“, wo das Land seit mehreren Jahren auf den vordersten Rängen zu finden ist. Die Gründe hierfür liegen laut EIS im ausgeprägten und international offenen Forschungsnetzwerk, welches Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft umfasst. Darüber hinaus können die Niederlande bei ihren Forschungsergebnissen mit einer sehr hohen Qualität punkten. Kurz: Die Niederlande sind ein attraktiver Partner für internationale Forschungskooperationen.

© Foto: Ellen26 – Pixabay

Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem europäischen Innovationsführer war der Startschuss für eine nationale niederländische Forschungsagenda (Nationale Wetenschapsagenda) im Jahr 2015. Bemerkenswert ist dabei schon der Weg dorthin, weil die Agenda „bottom-up“ in einem aufwändigen partizipativen Prozess unter Beteiligung von Wissenschaftlern sowie Vertretern aus Wirtschaft und Gesellschaft entstanden ist. Sie bildet den Ausgangspunkt für die zukünftige akademische Forschung, für die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen und für eine optimale wirtschaftliche Nutzung und Verwertung der Forschungserkenntnisse. Die Nationale Forschungsagenda deckt dabei nicht die gesamte Wissenschaftslandschaft ab und soll keine umfassende Agenda für die Forschung auf breiter Front darstellen. Der Fokus liegt speziell auf interdisziplinären und sektorübergreifenden Herausforderungen, deren Lösungen in einer Kombination aus grundlegender, angewandter oder praxisorientierter und zuweilen politikorientierter Forschung liegen. Das bedeutet auch, dass bei der praktischen Lösungsfindung oft widersprüchliche Interessen der Akteure aus Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft überwunden werden müssen – was bereits an den Themen der Agenda (Energieverbrauch, Gesundheitsversorgung, sozialer und demokratischer Fortschritt, Sicherheit und Welternährung) erkennbar ist.

Die 1932 gegründete TNO (Nederlandse Organisatie voor toegepast-natuurwetenschappelijk onderzoek opgericht) ist ein ganz prominentes Beispiel für eine nationale Forschungseinrichtung, die daran beteiligt ist, die Agenda-Ziele zu verfolgen. Trotz ihres Alters von fast 90 Jahren ist die TNO im Geist jung geblieben und agiert als eine wichtige Schnittstelle, um wissenschaftliches Know-how und Innovation in den Niederlanden zu schaffen und zu entwickeln. Die Forschungseinrichtung ist ein Bindeglied zwischen Wissenschaft und praktischen Anwendungen, das die sich ändernden Marktanforderungen berücksichtigt, und trägt aktiv zu Wirtschaftswachstum und Beschäftigung bei. Faktoren für den Erfolg der TNO sind dabei die Multi-Disziplinarität und der Fokus auf angewandte Forschung unter Berücksichtigung der Interessen der Kunden und der Partner von TNO. Doch dazu später mehr.

© Foto: djedj – Pixabay

Ausgehend von der nationalen Forschungsagenda wurde in den letzten Jahren eine Reihe weiterer wichtiger Entscheidungen getroffen, um die Niederlande weiterhin als attraktiven und innovativen Partner in Europa und der Welt zu präsentieren. Vor allem die im April 2020 veröffentlichte nationale Wasserstoffstrategie sticht dabei hervor. Diese sieht die großflächige Entwicklung einer Wasserstoffinfrastruktur vor. Besonders durch ihre zahlreichen Häfen haben die Niederlande einen entscheidenden Standortvorteil, weil diese als logistische Drehkreuze verwendet werden können. Diese Strategie fördert aber nicht nur nationale, sondern auch multinationale Projekte. Hierdurch generieren die Niederlande einen Mehrwert für sich und die involvierten Partnerländer und schaffen somit Anreize zur Kooperation.

Auf gute Nachbarschaft

Deutschland und die Niederlande profitieren seit langer Zeit von einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit. Das ist einerseits der geographischen Nähe geschuldet, andererseits dem Wissen um die Stärken des jeweiligen Nachbarlandes. Im Bildungsbereich zeigt sich die Zusammenarbeit beispielsweise in den über 800 grenzüberschreitenden Partnerschaften (Stand: August 2020) zwischen  Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Im Bereich der Forschung lassen sich eine Vielzahl gemeinsamer europäischer Projekter und Abkommen zwischen Forschungseinrichtungen nennen. Darüber hinaus sind die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern seit jeher eng miteinander verflochten. In der Summe profitieren beide Länder von einer hohen globalen Wettbewerbsfähigkeit und einem hohen Wohlstandsniveau.

© Foto: Anemone123 – Pixabay

So erscheint es folgerichtig, dass beide Länder ihre Innovationskraft noch stärker bündeln und gemeinsam voranschreiten. Das haben auch die Regierenden erkannt und deshalb bei den deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen 2019 entschieden, diese Kooperation zum Wohle beider Länder zu intensivieren. Als Ergebnis haben sie am 21. Januar 2021 den Deutsch-Niederländischen Innovationspakt unterzeichnet.

© Foto: Korneel Luth – Pixabay

Das Ziel dieses Paktes ist es, die Zusammenarbeit zwischen deutschen und niederländischen Unternehmen und Forschungsinstituten in definierten Themenbereichen wie Digitalisierung,  Nachhaltigkeit, Mobilität und Gesundheit weiter zu verbessern und auszubauen – und gemeinsam technologische und innovative Lösungen für wichtige gesellschaftliche Herausforderungen zu entwickeln. Beteiligt sind auf deutscher Seite das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) sowie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und auf niederländischer Seite unter anderem das Ministerium für Wirtschaft und Klimapolitik und das Außenministerium.

Auch auf Forschungsebene gab es bei den Regierungskonsultationen konkrete Ergebnisse: TNO und die Fraunhofer-Gesellschaft beschlossen, ihre bestehende Zusammenarbeit im Bereich der angewandten Wissenschaft, Forschung und Entwicklung durch ein gemeinsames „Memorandum of Understanding“ weiter auszubauen und zu vertiefen. Zwei erste identifizierte Forschungsthemen mit hohem Innovationspotenzial sind intelligente Energienetze und zuverlässige künstliche Intelligenz.

In diesem Kontext der engen Zusammenarbeit ist auch das Themenfeld „Elektrochemische Umwandlung & Materialien“ (ECCM) zu nennen. Hier wird die grenzüberschreitende Kooperation auch durch die Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und des BMWis weiter vertieft.

Ein anderes Beispiel für die gute nachbarschaftliche Zusammenarbeit in der jüngeren Vergangenheit war das erste „Deutsch-Niederländische Wissenschafts- und Innovationsforum“ am 9. und 10. Februar 2017. Auf der gemeinsamen Veranstaltung von BMBF und dem niederländischen Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft (OCW) wurden Potenziale und Perspektiven identifiziert, um als hochinnovative Nachbarn grenzüberschreitende Wertschöpfungsketten weiterzuentwickeln. Ein besonderer Schwerpunkt wurde dem Thema „Digitalisierung im Gesundheitswesen“ gewidmet.

Wie man an den Beispielen erkennen kann, ist Deutschland einer der wichtigsten Partner der Niederlande. Das belegen auch die gemeinsamen Projekte im Rahmen des EU-Forschungs- und Innovationförderprogramms Horizont 2020. Die Bundesrepublik war dabei mit 21.874 Projektbeteiligungen das wichtigste Kooperationsland der Niederlande. Diese stehen zwar „nur“ auf Platz sechs der Partner deutscher Einrichtungen. Dazu muss man aber wissen, dass Deutschland im Rahmen dieses Programms der aktivste Staat überhaupt war und Länder wie Frankreich (36.424, 1. Platz) oder Italien (32.946, 3. Platz) ebenfalls wichtige deutsche Partner sind.

© Foto: Markus Christ – Pixabay

Beide Länder kooperieren übrigens auch beim Thema Wasserstoff, um die Dekarbonisierung voranzutreiben. Das Anfang 2020 gestartete HY3‑Projekt zwischen dem niederländischen Ministerium für Wirtschaft und Klimapolitik, dem Landesministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein‑Westfalen und dem BMWi, untersucht die Möglichkeit der Produktion, des Transportes und der industriellen Anwendung von „Grünen Wasserstoff“.

Vergangenheit und Moderne

Wie eingangs bereits erwähnt, sind die Niederlande unter anderem für ihre wunderschönen und ikonischen Windmühlen bekannt. Obwohl nur noch einige der mehr als 1.000 niederländischen Windmühlen im Einsatz sind, ist ihr Funktionsprinzip aktueller denn je. Wie viele andere Länder weltweit haben auch die Niederlande im Zuge der Globalisierung und des technischen Fortschrittes On- und Offshore-Windkraftpark errichtet – und auch hier gibt es internationale Kooperationen: Das „North Sea Wind Power Hub (NSWPH)“-Projekt, bestehend aus niederländischen, deutschen und dänischen Partnern, strebt den Bau eines oder mehrerer Windpark-Verteilkreuze in der Nordsee an. Es unterstützt die Ziele des Pariser Klimaabkommens und soll vor allem zukünftig eine Infrastruktur für den Transport von Grünem Wasserstoff bilden. Dieses multinationale Projekt ist auch Teil der Nordsee‑Energiekooperation. Diese besteht aus neun europäischen Staaten, fokussiert unter anderem den Ausbau von Offshore‑Windparks und ist ein weiterer Beleg für die deutsch-niederländische Kooperation, da die Regierungen beider Länder beteiligt sind.

Wenn Ihnen also das nächste Mal die Niederlande in den Sinn kommen, denken Sie vielleicht neben all den romantischen Assoziationen auch einmal an ein hoch innovatives europäisches Nachbarland im Westen von Deutschland, dessen Reiz eben nicht nur in Sandstränden, Tulpen und Windmühlen liegt. Denn die Niederlande sind mehr als das.

Kommentar verfassen