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Barbara Diehl
10. April 2024

Wie sich Universitäten und Gründerteams (nicht länger) vergraulen

Bisher gelingt es nur bedingt, Forschungsergebnisse erfolgreich in Wirtschaft und Gesellschaft zu übertragen. Die Transfer-Prozesse von Intellectual Property (IP) an deutschen Hochschulen sind in den meisten Fällen zu kompliziert, um dem Bedürfnis von Gründungsteams nach Geschwindigkeit und Transparenz gerecht zu werden. Ein übergreifendes Netzwerks hat dazu einen innovativen Werkzeugkasten entwickelt, mit dem solche Verfahren standardisiert und erheblich vereinfacht werden können.

Why (as a university) would you piss off your founders…? Diese Frage bekam ein namhafter deutscher Innovationsforscher vom CEO der Wisconsin Alumni Research Foundation (WARF) gestellt. WARF ist die designierte Patent- und Lizenzierungsorganisation der University of Wisconsin at Madison und wurde vor etwas mehr als 100 Jahren als unabhängige und privatwirtschaftlich organisierte Einheit gegründet, um die Entdeckungen und Forschungsergebnisse aus der Universität in den Markt zu bringen und durch daraus erzielte Gewinne wiederum Forschung an der Universität zu unterstützen. WARF fungiert dabei als integrierte Einheit für die Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen einerseits und als Alumni- bzw. Spendenmanagement andererseits.

Natürlich sind 100 Jahre Erfahrung im Aufbau und der Professionalisierung von Technologietransfer- und Translationsstrukturen nicht im Handumdrehen aufzuholen. Denn in Deutschland hat man diesen Prozess erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts angestoßen. Genauer gesagt, im Jahr 2002 als das Hochschullehrerprivileg abgeschafft und die Forschungseinrichtungen und Hochschulen Eigentümer der aus der Forschung hervorgehenden Schutzrechte (Intellectual Property Rights, kurz IPRs) wurden. Und natürlich ist auch in den USA nicht alles Gold was glänzt; auch wenn WARF sicherlich eines der Erfolgsbeispiele für den ‚virtuous cycle‘ zwischen erfolgreichem Forschungstransfer und daraus resultierenden Rückflüssen in die Forschung ist.

Aber dennoch scheint es bisweilen so, als ob die Debatte um den Transfer von Forschung in die Anwendung in Deutschland häufig einerseits sehr globalgalaktisch („Transfer findet auf vielen unterschiedlichen Ebenen statt, von der Lehre bis zum Podcast“) und andererseits sehr verkrampft geführt wird („bloß nix falsch machen“ und „Oh jeh, wenn der Rechnungshof oder die EU-Kommission kommt“). Woher diese Aversion kommt, sich im Prozess der Translation eher übervorsichtig nach allen Seiten absichern zu wollen und nicht die daraus erwachsenden Chancen zu sehen, darüber kann man spekulieren.

Der eingangs zitierte Satz bezieht sich vor allem auf die Kurzsichtigkeit, mit der viele Forschungseinrichtungen immer noch das Transfergeschäft betreiben. Anstatt den im Erfolgsfall daraus erwachsenden wesentlich größeren finanziellen Gewinn im Blick zu haben, geht es häufig um das kurzfristige Erwirtschaften von überschaubaren Rückflüssen und das Minimieren von vermeintlichen, juristischen Risiken. Dabei stellt sich jede/r Unipräsident:in gerne mit erfolgreichen Gründer:innen auf die Bühne und betont wie wichtig ihm/ihr die Schaffung einer Gründungskultur ist.

Anstatt die Mechanismen für die wissensbasierten Gründungen so zu vereinfachen und zu standardisieren, dass der ganze Prozess, salopp gesagt, „wie das Brezelbacken“ funktioniert, agieren die Einrichtungen hier oft übervorsichtig und nervös. So gibt es bisweilen wenig Transparenz über die mit dem Gründungsprozess verbundenen IPR Lizensierungs- oder Übertragungskonditionen, weder für Investoren noch für Gründerteams. Das heißt, Gründerteams sind hier in zweifacher Hinsicht mit einer asymmetrischen Situation konfrontiert. Einerseits einer Machtasymmetrie (die Schutzrechte gehören der Einrichtung) und andererseits mit einer Informationsasymmetrie (wenig bis gar keine Transparenz über die Konditionen zur Nutzung der Schutzrechte). All diese Faktoren tragen bei, dass sich anstelle eines gemeinsamen Verständnisses im Tandem gemeinschaftlich Großes zu ermöglichen, es hier zu einer bisweilen antagonistischen Situation des ‚gegeneinander Verhandelns‘ kommt. Das führt zu Misstrauen und ‚bad vibes‘.

Internationale Studien weisen immer wieder darauf hin, dass sich die erfolgreichsten Innovationsökosysteme durch eine dynamische und sich gegenseitig befruchtende Interaktion zwischen Forschung, Startups, Industrieunternehmen und Gesellschaft auszeichnen. Insbesondere der Beitrag von Deep-Tech-Startups zu einem Innovationsökosystem ist enorm. Neben Arbeitsplätzen entstehen auf den unterschiedlichsten Ebenen Kollaborationsmöglichkeiten zwischen den jungen Unternehmen und ihrer ‚Alma Mater‘ in Form von Praktikumsplätzen für Studierende und/oder gemeinsamen Forschungsprojekten. Hinzu kommt der Reputationsgewinn als Innovationsmotor gegenüber Politik und Wirtschaft (und eventuell der eine oder andere Euro als Spende).

So, if there is so much to gain why would you piss off your founders…?

Die gute Nachricht ist, dass an der Korrektur der Ist-Situation in Deutschland tatkräftig gearbeitet und geschraubt wird. Vor allem durch die massiven öffentlichen Investitionen in den Ausbau der Gründungsunterstützung in den letzten 10-15 Jahren trifft man in den Gründerzentren häufig sehr motivierte Mitarbeiter:innen, die für ihre Gründungen über heiße Kohlen gehen. Hier gibt es viel Willen zur Veränderung. Diesen zu kanalisieren und teilweise zu bündeln, diese Aufgabe hat sich unter anderem die Initative „IP-Transfer 3.0 – Neue Wege im IP-Transfer“ gesetzt.

Die Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND), der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (Fraunhofer ISI) haben sich – unterstützt von Startup Niedersachsen – im November 2022 zusammengeschlossen, um gemeinsam mit einer Pilotgruppe von 17 Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Forschungsverbünden konkrete Empfehlungen und Werkzeuge zu erarbeiten, mit denen der Transfer von Intellectual Property Rights aus Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen in Ausgründungen beschleunigt, vereinfacht und standardisiert werden kann.

Nach 12 Monaten Arbeit wurden im November 2023 die ersten Ergebnisse vorgelegt. Diese bestehen aus einer ersten Version des Werkzeugkastens, mit Hilfe dessen einzelne Elemente des Transferprozesses standardisiert werden können. Konkret besteht der Werkzeugkasten aus drei Elementen:

  • IP Wahl-o-Meter: Ein Fragenkatalog zur Kategorisierung der IP-Situation. Damit können sich Transfereinrichtungen und Gründerteams auf den Transferprozess vorbereiten.
  • IP Scorecard: Einem Modell für eine standardisierte IP-Bewertung. Damit können Transferstellen und Gründerteams eine Basis für eine marktübliche Bewertung erarbeiten und ein gemeinsames Verständnis für die Relevanz des IP für die Geschäftsentwicklung entwickeln.
  • Musterverträge für unterschiedliche Transfermodelle (Lizensierung, virtuelle Beteiligung, Patentkauf, etc.). Damit können sich Gründerteams bereits im Vorfeld von Verhandlungen über die mögliche juristische Ausgestaltung eines entsprechenden Vertrages informieren.

Komplettiert wird der Werkzeugkasten durch eine Studie zu nationalen und internationalen ‚best practices‘ im IP-Transfer. Alle genannten Werkzeuge und Unterlagen finden Interessierte hier:

www.sprind.org/de/artikel/ip_transfer

Diese Werkzeuge sind zu diesem Zeitpunkt als Arbeitsversionen und Prototypen anzusehen, die durch kontinuierliches Testen weiterentwickelt und vereinfacht werden. Daran möchten wir gerne mit Gründerteams und Transferschaffenden in den nächsten Monaten arbeiten und bedanken uns bereits im Vorfeld für jede konstruktive Rückmeldung (ip-transfer@stifterverband.de).

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  • Roland Kirchhof schrieb am 30.04.2024

    Das Bewertungsproblem wird durch die Scorecard zum Zeitpunkt der Patentübertragung auf das Gründungsunternehmen nicht gelöst, weil immer noch zu komplex mit vielen Streitpunkten für beide Seiten. Der Grund: Ohne Nutzung des Patents gibt es für die Scorecard keine guten Bewertungsmaßstäbe. Deswegen wäre es besser, zunächst eine pauschale standardisierte Bewertung vorzunehmen, die dann durch eine nachgelagerte Bewertung zu einem bestimmten Meilenstein, wenn für die Bewertungsparameter eine bessere Datenlage vorliegt, ersetzt wird.