Aus den Transformationen der vier D’s und der Schlüsselrolle von Innovationen lässt sich ein erhöhter Bedarf an MINT-Kräften ableiten. Für Unternehmen wird es zunehmend wichtiger, auf digitale, datengetriebene Geschäftsmodelle umzusteigen. Entsprechend steigen die Bedarfe in IT-Berufen.
Allein zwischen den Jahren 2012 und 2022 ist die Beschäftigung von IT-Fachkräften um 77,6 Prozent, die Beschäftigung in IT-Expertenberufen sogar um 125,7 Prozent gestiegen. Dennoch ist die Nachfrage nach IT-Arbeitskräften keineswegs gedeckt. Wie aus der Unternehmensbefragung des IW-Zukunftspanels hervorgeht, bewerten befragte Unternehmen fehlende IT-Kräfte als eines der zentralen Digitalisierungshemmnisse für das eigene Geschäftsmodell.
Die Dekarbonisierung stellt eine weitere herausfordernde Transformation dar. Um die Treibhausgasemissionen in erforderlichem Maße zu reduzieren, bedarf es innovativer Lösungen für mehr Energie- und Ressourceneffizienz. Um diese Innovationen zu entwickeln und umzusetzen, werden Expert:innen und Fachkräfte insbesondere aus dem MINT-Bereich benötigt.
Auch die demografischen Veränderungen stellen Wirtschaft und Gesellschaft vor Herausforderungen. Bereits heute bestehen Arbeitskräftelücken in vielen Berufen. Das Problem dürfte sich künftig jedoch verschärfen, da die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in den kommenden Jahren deutlich schrumpfen wird. Dies trifft insbesondere auch auf den MINT-Bereich zu. Aktuell scheiden jährlich rund 64.700 MINT-Akademiker:innen und 274.000 MINT-Fachkräfte altersbedingt aus dem Arbeitsmarkt aus.
Schließlich nimmt auch die Bedeutung der De-Globalisierung zu. Im Rahmen der Corona-Krise forderten unterbrochene internationale Wertschöpfungsketten die Wirtschaft heraus; als Folge des Krieges gegen die Ukraine musste die Energieversorgung mit hohem Zeitdruck umgestellt werden.
Neben diesen jüngeren Beispielen lässt der Economic Policy Uncertainty Index erkennen, dass die ökonomische Unsicherheit bereits seit den 2000er Jahren unter Schwankungen zugenommen hat. Unternehmen sind folglich stark gefordert, sich durch Innovationen an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen, um ihre Krisenresilienz zu stärken.
Aufgaben der Hochschulen im Transformationsprozess
Hochschulen werden als wichtige Akteure zur Bewältigung dieser komplexen Transformationsprozesse identifiziert. Dabei übernehmen sie verschiedene Aufgaben.
Ausbildung in Engpassfächern MINT: Hochschulen leisten einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung des Transformationsprozesses, indem sie MINT-Kräfte ausbilden. Dies ist notwendig, da Innovationen, die für den Transformationsprozess in der Wirtschaft benötigt werden, MINT-Expertise erfordern.
Der bestehende Mangel an MINT-Kräften erschwert dagegen Innovationen. Qualifizierte Absolvent:innen werden dringend benötigt, um die transformativen Herausforderungen zu meistern. Wie eine Studie des ZEW zur Innovationstätigkeit im deutschen Mittelstand zeigt, ist der Mangel an Fachkräften das größte Hemmnis für Innovationen in mittelständischen Unternehmen. Bereits heute besteht eine Lücke zwischen MINT-Kräfte-Bedarf und -Angebot. Vor dem Hintergrund der vier „D’s“ wird der Bedarf in Zukunft voraussichtlich steigen.
Weiterbildung im Transformationsprozess: Der Transformationsprozess der vier „D’s“ hat zur Folge, dass sich Kompetenzanforderungen verändern, was wiederum einen erhöhten Bedarf an Weiterbildung mit sich bringt. Mithilfe von Weiterbildungsangeboten können bereits erworbene Qualifikationen an die neuen Anforderungen angepasst werden. Hochschulen kommt dabei die Verantwortung für wissenschaftliche Weiterbildungsangebote zu. Im Fokus stehen dabei nicht nur die Vermittlung neuen Wissens, sondern auch die Förderung von Innovationsleistungen.
Zuwanderung von Studierenden über die Hochschule: Hochschulen können einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung des Fachkräftemangels leisten, indem sie qualifizierte ausländische Studierende anziehen. Insbesondere im MINT-Bereich spielen zugewanderte Arbeitskräfte schon heute eine wichtige Rolle. Die Zuwanderung über die Hochschule erweist sich potenziell als besonders vorteilhaft: Einerseits entscheiden sich Zugewanderte besonders häufig für MINT-Studiengänge. Darüber hinaus sind über die Hochschule Zugewanderte besonders häufig erwerbstätig und insbesondere qualifikationsadäquat erwerbstätig.
Schließlich können durch die Zuwanderung über die Hochschule vorteilhafte Netzwerke gestärkt werden, da zugewanderte Studierende besonders häufig aus bevölkerungsreichen Drittstaaten stammen. Insgesamt kann ein verstärkter Fokus auf die Zuwanderung von qualifizierten Studierenden die Innovationskraft erhöhen.
Innovationsimpulse der Hochschulen: Hochschulen gelten als „Keimzelle des Wandels“ – sie spielen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Förderung von Innovationen. Die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und der Wirtschaft fördert den Wissenstransfer und die Entwicklung von bedarfsorientierten Innovationen. Aufgabe der Hochschule sollte es letztlich nicht nur sein, Innovationen hervorzubringen, sondern diese auch der Gesellschaft zugänglich zu machen.
Gründungen aus Hochschulen:Vor dem Hintergrund der Transformationsprozesse sollten Hochschulen Gründungsaktivitäten fördern, um wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis zu übertragen. Eine unternehmerische Kultur an Hochschulen kann Studierenden ermöglichen, innovative Ideen zu entwickeln und umzusetzen und kann Talente mit innovativen Ideen fördern. Die Anzahl der Gründungen an Hochschulen hat in den letzten Jahren zugenommen und auch gründungsfördernde Strukturen wurden ausgebaut, was positive Auswirkungen auf Innovation und Wirtschaft hat.
Innovationskennziffern an Standorten technisch orientierter Universitäten: Die Hochschulstandorte, insbesondere technische Universitäten, haben einen erheblichen Einfluss auf die Regionen, in denen sie sich befinden. Dies wird besonders deutlich, wenn die Standorte technischer Hochschulen untersucht werden. Die Wirtschaftsstruktur dieser Standorte erweist sich als besonders MINT-intensiv; auch werden hier besonders viele Patentanmeldungen und Neugründungen in innovativen Branchen registriert.
Im Vergleich: Beitrag der Hochschulen im Transformationsprozess
Deutschland hat im internationalen OECD-Vergleich einen überdurchschnittlich hohen Anteil von MINT-Studienabsolvent:innen, wenn auch ein Vergleich der Absolvierendenzahlen aufgrund unterschiedlicher Bildungssysteme nur eingeschränkt aussagekräftig ist. Verbesserungsbedarf besteht vor allem bei dem Anteil von Frauen an MINT-Absolvent:innen sowie bei der Ausbildung im IT-Bereich.
Bei der Zuwanderung über die Hochschule belegt Deutschland im internationalen OECD-Vergleich einen Platz im Mittelfeld. Auch bezogen auf die finanzielle Ausstattung des Tertiärbereichs, gemessen als Bildungsausgaben pro Bildungsteilnehmer:in, belegt Deutschland einen Platz im Mittelfeld.
Wenngleich Innovationsleistungen von großer Bedeutung für den Transformationsprozess sind, schneiden deutsche Hochschulen in Bezug auf Innovationsimpulse im internationalen OECD-Vergleich mittelmäßig ab. Während Deutschland relativ viele Forscher:innen in der Wirtschaft registriert, arbeiten relativ wenige Forscher:innen an Hochschulen. Auch die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (in Relation zum BIP) fallen in Deutschland im OECD-Vergleich mittelmäßig aus.
Handlungsempfehlungen
Deutsche Hochschulen tragen bereits bedeutend zur erfolgreichen Bewältigung der disruptiven Veränderungen von Digitalisierung, Dekarbonisierung, Demografie und De-Globalisierung bei. Dennoch gibt es weiterhin ungenutzte Potenziale. Um den Transformationsprozess zu stärken, sollten folgende Maßnahmen fokussiert werden:
MINT-Absolvierendenzahl erhöhen: Angesetzt werden sollte bereits in der Schule, die eine klischeefreie Studien- und Berufsorientierung anbieten sollte. Weiterhin sollten die MINT-Kompetenzen von Schüler:innen gestärkt werden, etwa durch eine Ausweitung von Informatikunterricht. Zentral ist dabei die Sicherstellung gut qualifizierter Lehrkräfte. An Hochschulen sollten Maßnahmen getroffen werden, um Studienabbrüche zu reduzieren – etwa durch einen Ausbau von Brückenkursen.
Vielfalt und Integration fördern: Dem Hochschulsektor gelingt es bereits besser als anderen Sektoren, die Potenziale von Frauen und Zugewanderten zu erschließen. Dennoch gilt es, die Potenziale weiter zu heben, nicht zuletzt, weil das Innovationsgeschehen von Vielfalt und unterschiedlichen Perspektiven profitiert.
Kompetenz-Weiterbildungen im Sinne der Transformationsprozesse fördern: Der Transformationsprozess führt zu sich ändernden Kompetenzanforderungen. Hochschulen können vor diesem Hintergrund eine wichtige Rolle übernehmen, indem sie (berufsbegleitende) Weiterbildungsmöglichkeiten für Akademiker:innen anbieten.
Zuwanderung über das Hochschulsystem ausbauen: Zuwanderung spielt im Rahmen der Arbeitskräftesicherung in Deutschland eine wichtige Rolle. Obwohl das Hochschulsystem als Zuwanderungsform gute Voraussetzungen bietet, hat es bisher in den tatsächlichen Zuwanderungsströmen noch nicht das volle Potenzial entfaltet, das es haben könnte. Die Zuwanderung über die Hochschule sollte daher mit entsprechenden Ressourcen und Kapazitäten ausgebaut werden.
Bildungs- und Forschungsausgaben an Hochschulen erhöhen: Die Bildungsausgaben pro Studierendem und die Forschungsausgaben an Hochschulen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt sind in Deutschland deutlich niedriger als in den führenden OECD-Ländern. Vor dem Hintergrund des Transformationsprozesses wäre es sinnvoll, insbesondere die Investitionen in Forschung im Bereich Digitalisierung und Klimaschutz an den Hochschulen zu erhöhen.
Kooperationen mit der Wirtschaft fördern: Die Förderung von Kooperationen zwischen dem Hochschulsektor und der Wirtschaft ist bedeutend, da sie die Innovationskraft steigern und Gründungsaktivitäten fördern können. Um dies zu ermöglichen, sollten potenzielle Hemmnisse, wie etwa eine unzureichende Ressourcenausstattung oder bürokratische Hürden, überprüft werden.
Gründungskultur schaffen: Hochschulen sollten Umgebungen und Rahmenbedingungen schaffen, die die Gründungsbereitschaft junger Talente fördern und sie ermutigen, innovative Ideen in Unternehmensgründungen umzusetzen.
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