Seit dem Beginn der Covid-19-Pandemie haben viele Berufstätige gelernt, digitale Instrumente bei ihrer Arbeit einzusetzen, sei es indem sie Videokonferenzsysteme nutzen oder auf Onlineplattformen miteinander arbeiten. Doch auch schon zuvor hat sich die Arbeitswelt unter dem Einfluss der Digitalisierung spürbar gewandelt – was auch die Anforderungen an die Kompetenzen der Arbeitskräfte verändert hat. Doch welche digitalen Kompetenzen werden bereits heute und zunehmend von Stellensuchenden in Deutschland erwartet? Antworten auf diese Frage gibt eine Big Data-gestützte Analyse von Online-Stellenanzeigen im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Um neue Erkenntnisse über die Entwicklung der digitalen Kompetenzbedarfe auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen, hat die Bertelsmann Stiftung das US-amerikanische Analyseunternehmen Burning Glass Technologies beauftragt, eine solche Analyse von Online-Stellenanzeigen durchzuführen.
Digitale Kompetenzen am Arbeitsmarkt immer selbstverständlicher
Die Digitalisierung kommt in der Breite der Arbeitswelt an und wirkt sich spürbar darauf aus, welche Kompetenzen Arbeitgeber von Stellenbewerbern erwarten: 79 Prozent aller Stellenanzeigen beziehen sich im Jahr 2018 auf Berufe bzw. berufliche Tätigkeitsfelder, in denen digitale Kompetenzen eine Grunderwartung an Stellenbewerber darstellen. Dabei zeigen sich erhebliche Unterschiede, wenn man nach Qualifikationsanforderungen differenziert: In 95 Prozent aller Stellenausschreibungen, die üblicherweise von Hochqualifizierten (Hochschulstudium oder Meisterprüfung) besetzt werden, sind digitale Kompetenzen Grundvoraussetzungen. Bei Beschäftigungsangeboten für Geringqualifizierte, also z. B. Helfertätigkeiten in der Logistik oder der Gastronomie gilt dies lediglich für 62 Prozent.
Im Vergleich der Jahre 2014 und 2018 hat die Bedeutung digitaler Kompetenzen in Stellenanzeigen erheblich zugenommen. Durchsucht man alle gesammelten Stellenanzeigen daraufhin, in wie vielen von ihnen mindestens eine digitale Kompetenz nachgefragt wird, so traf dies im Jahr 2014 für 38 Prozent zu. Im Jahr 2018 verlangten demgegenüber bereits 48 Prozent aller Stellenanzeigen mindestens eine digitale Kompetenz.
Wachsende Nachfrage vor allem nach grundlegenden digitalen Kompetenzen
Die Nachfrage nach verschiedenen Arten von digitalen Kompetenzen im Zeitraum von 2014 bis 2018 hat unterschiedlich stark zugenommen (vgl. Abbildung 1). Vor allem bei grundlegenden digitalen Kompetenzen war ein besonders ausgeprägtes Nachfragewachstum zu beobachten. Am stärksten – nämlich mit 17 Prozent – nahm in diesem Zeitraum die Anzahl der Stellenanzeigen zu, in der die Kompetenz erwartet wird, einen Computer bedienen zu können. Diese grundlegende Kompetenz wird in zahlreichen Tätigkeiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt gefordert – nämlich in Stellenanzeigen für 318 der 425 untersuchten beruflichen Tätigkeiten. Dagegen kommen stärker spezialisierte digitale Kompetenzen wesentlich seltener vor. Beispielsweise wird die Fähigkeit, Computer zu programmieren nur in Stellenanzeigen für 59 der 425 untersuchten beruflichen Tätigkeiten nachgefragt.
Digitalisierung wächst besonders stark in bislang größtenteils analog geprägten Tätigkeiten
Im Vergleich der Jahre 2014 und 2018 ist die Nachfrage nach digitalen Kompetenzen in allen Berufsgruppen gewachsen. Dabei zeigt sich, dass der Digitalisierungsindex vor allem in jenen Berufsgruppen zugenommen hat, in denen digitale Kompetenzen zuvor noch vergleichsweise wenig nachgefragt waren. Besonders ausgeprägt ist die Zunahme des Digitalisierungsindex bei Service- und Verkaufskräften sowie bei Hilfsarbeitskräften.
Große Unterschiede bei der Digitalisierung im Branchenvergleich
Im Vergleich zwischen einzelnen Wirtschaftsbranchen zeigen sich deutliche Unterschiede bei der Digitalisierung. Spitzenreiter bei dem Ausmaß, in dem digitale Kompetenzen in den Stellenanzeigen für berufliche Tätigkeiten nachgefragt werden, ist die Informations- und Kommunikationsbranche, gefolgt von der Finanz- und Versicherungsbranche. Besonders geringe Werte beim Digitalisierungsindex hat beispielsweise das Hotel- und Gaststättengewerbe. Auch für das Gesundheits- und Sozialwesen wird nur ein unterdurchschnittlicher Wert bei der Berechnung des Digitalisierungsindex ausgewiesen.
Bezogen auf einzelne Berufsfelder, in denen eher Männer oder Frauen die Mehrheit der Beschäftigten stellen, zeigen sich große Unterschiede beim Grad der Digitalisierung. Es gibt berufliche Tätigkeitsfelder, in denen die Nachfrage nach digitalen Kompetenzen besonders stark ausgeprägt ist, dazu zählen etwa Entwickler:innen von Web- und Multimedialösungen, Systemadministrator:innen, Datenbankprogrammierer:innen oder Netzwerkmanager:innen. Hier haben Männer einen deutlich höheren Anteil als Frauen. Insgesamt fällt auf, dass in den zehn Berufen mit den höchsten Werten beim Digitalisierungsindex jeweils mindestens 7 von 10 Beschäftigten männlichen Geschlechts sind. Umgekehrt haben bei beruflichen Tätigkeiten mit den geringsten Werten beim Digitalisierungsindex Frauen den höheren Beschäftigungsanteil – hierzu zählen beispielsweise Servicekräfte in Hotels und Restaurants, Haushaltshilfen, Reinigungskräfte und Friseur:innen.
Empfehlung zur Weiterbildung
Mit dem neuartigen methodischen Ansatz der Big Data-Auswertung von Online-Stellenanzeigen werden detailliertere Betrachtungen möglich. Die Fähigkeit zur Analyse von Kompetenzbedarfen auch auf der Ebene von Regionen und Branchen öffnet Verantwortlichen in der Politik und bei den Sozialpartnern neue differenziertere Einblicke. Wenn die spezifischen Bedarfe an digitalen Kompetenzen in einzelnen Branchen oder Regionen erfasst werden, ermöglicht dies die Entwicklung gezielter Strategien zur Vermittlung relevanter digitaler Kompetenzen und leistet so einen Beitrag zur systematischen Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit und einer vorausschauenden Vermeidung von Kompetenzlücken.
Politische Anstrengungen sollten sich vor allem auf heute noch benachteiligte Gruppen konzentrieren – einschließlich Frauen und Personen ohne akademische Qualifikation. Ohne gezielte Maßnahmen in diese Richtung droht eine verstärkte Ungleichverteilung zukünftiger Beschäftigungschancen, indem vor allem hochqualifizierte, oftmals männliche Personen in ohnehin guten Jobs besonders von der Digitalisierung profitieren.
Weiterführende Informationen:
Autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.), Bildung in Deutschland 2020
Bundesministerium für Bildung und Forschung, Nationale Weiterbildungsstrategie
Bertelsmann Stiftung: Projekt Kompetenzen für die Arbeit von morgen
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