Das Gründermagazin Deutsche Startups (1) hat im Januar dieses Jahres 49 durch Investoren finanzierte deutsche Unicorns gezählt. Hinzu kommen 18, die bereits an der Börse gelistet sind. Insgesamt also 67 (2) Unicorns. Als solche werden Start-ups bezeichnet, die eine Unternehmensbewertung von mehr als eine Milliarde Dollar erreicht haben.
Sieht man sich die Unternehmen näher an, dann wird erkennbar, dass es sich bei den meisten Einhörnern um Dienstleistungen handelt, die mittels Plattformen digital organisiert werden. Die Innovation liegt in diesen Fällen vorwiegend in der Digitalisierung des Geschäftsmodells. Die eigentliche Dienstleistung – wie Handel, Lieferung von Waren, Vermittlung von Finanzdienstleistungen – gab es schon immer. Kunden sind meist wir alle (B2C bzw. beim Direktvertrieb ab Fabrik D2C). Weitere Fälle sind Softwarelösungen – entweder für Unternehmen oder für eine ganze Branche (in zwei Fällen für Logistik). Gemeinsam ist allen diesen Unicorns, dass der Unternehmensaufbau relativ schnell möglich ist und dass die Geschäftsmodelle leicht und gut skalierbar sind, so dass schnell Größe erreicht werden kann. Das macht sie besonders interessant für Venture Capital und Private Equity Investoren.
Kaum wissenschaftliche Innovationen
Interessant ist, dass Unternehmen aus dem Pharma- und Life Science Bereich wie BioNTech oder CureVac nur am Rande erwähnt werden, weil sie sich außerhalb der Digitalszene bewegten. Nur jedes zehnte der 67 Unicorns hat ein Geschäftsmodell, das wesentlich auf wissenschaftlich basierten Innovationen oder ingenieurmäßigen Innovationen beruht: die drei LifeTech und Pharmafirmen atai, BioNTech und CureVac, die beiden Luftfahrtfirmen Lilium und Volocopter sowie in Grenzen Infarm und DeepL.
Unsere These lautet daher: Unternehmen mit einem besonders hohen wissenschaftlich basierten oder ingenieurmäßigen Innovationsgrad, die noch dazu Hardware-lastig sind, haben es viel schwerer, erfolgreich groß zu werden – schwerer als Unternehmen, die klassische Handels- oder Dienstleistungsmodelle digital neu organisieren.
Das Problem: Zur Bewältigung des Klimawandels und der Energiewende, zur Lösung des Rohstoffproblems, für neue Mobilitätsformen, zur Bekämpfung der großen Krankheiten oder zur Schaffung einer Ernährungsbasis für immer mehr Menschen benötigen wir genau die ersteren innovativen Unternehmen. Die Frage ist, wo die Hindernisse und Blockaden liegen und was getan werden kann, um diese zu beseitigen. Das kann im Rahmen dieses Blogs nur angerissen werden. Wir beschränken uns notgedrungen auf einige Punkte aus unserem Erfahrungshorizont.
Was sind Science DeepTech Start-ups?
Die Start-ups, die hier angesprochen sind, möchten wir unter dem Begriff „Science DeepTech“ zusammenfassen. Wohl wissend, dass der Begriff DeepTech unscharf ist. Da er Eindruck macht, wird er gerne auch für Technologien benutzt, die damit allenfalls im weitesten Sinne zu tun haben. Zu den DeepTech Technologien zählt man zu Recht meistens (3)
- Künstliche Intelligenz und Machine Learning,
- Sprach- und Bildverarbeitung,
- Biotechnologie, Robotik, Elektronik und Photonik,
- Quantencomputing,
- Applikationen in den Bereichen Materialwissenschaft und Energie.
Uns geht es im Folgenden um die letzten drei der Aufzählungen, die wir unter Science DeepTech zusammenfassen. Auf Künstliche Intelligenz, Machine Learning, Sprach- und Bildverarbeitung treffen nicht alle Probleme zu, die sich für Start-ups des Science DeepTech auftun. Dass sie es offenkundig aber auch schwerer haben als die gängigen IT Anwendungen, zeigt sich daran, dass mit DeepL nur eines der Unicorns eindeutig in diese Kategorie fällt.
Hindernisse für Science DeepTech Start-ups
Im Folgenden möchten wir in erster Linie näher auf das Finanzierungsproblem von Science DeepTech Start-ups eingehen. Zwar gibt es auch andere Gründe, warum es diese Start-ups schwerer haben, wie zum Beispiel die Forschungslastigkeit. Nicht jeder Wissenschaftler ist zugleich ein geborener Unternehmer oder in der Lage, dies zu werden. Oft ist auch festzustellen, dass Gründungsteams nicht in allen Positionen sachgerecht besetzt sind. Es fehlen die Kaufleute und die Vertriebsspezialisten, deren Relevanz nicht unterschätzt werden darf.
Immer noch ein Ärgernis sind in Deutschland mannigfache Schwierigkeiten bei der Übertragung geistigen Eigentums, auch IP-Transfer, aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Das IP muss im Eigentum des Gründungsunternehmens liegen. Eine Lizenz genügt nicht, denn es muss dem jungen Unternehmen möglich sein, die IP weiterzuentwickeln. Eigentum am IP ist Voraussetzung für eine Finanzierung durch Investoren. Bei der Bewertung des IP muss berücksichtigt werden, dass dieses erst durch die Nutzung durch das Unternehmen an Wert gewinnt. Und die Gegenleistung muss so ausgestaltet sein, dass keine Liquidität vom Start-up abfließt, weil es diese dringend für seine eigene Entwicklung braucht. Am besten eignen sich virtuelle Unternehmensanteile. Häufig dauert es auch unangemessen lange von der ersten Verhandlung bis zum IP-Transfer. Hilfreich wären Standardverträge oder zumindest Standardklauseln, die die Bundesregierung zu Recht in ihrer Start-up Strategie (4) angekündigt hat. Bislang ist aber noch wenig zur Realisierung unternommen worden.(5)
Hauptproblem Finanzierung
So sehr auch die genannten und andere Probleme Science DeepTech Start-ups Schwierigkeiten bereiten können: Hauptproblem ist die Gestaltung der Finanzierung. Dabei scheinen es Forschungsmittel und das EXIST-Programm des Bundeswirtschaftsministeriums für Hochschulangehörige den Science DeepTechs zunächst einmal relativ einfach zu machen, die ersten Schritte zu tun. Der Lackmustest und das leider oft böse Erwachen kommen anschließend.
Finanzierungen von Start-ups laufen in mehreren Runden ab. Beginnend mit der Pre-Seed oder Seed-Finanzierung, über A-, B- und C- Runden. Die Investoren all dieser Runden finanzieren mittels Eigenkapital; sie erwerben demnach Anteile am Unternehmen im Wege der Eigenkapitalerhöhung. Die Höhe der Finanzierung bemisst sich nach dem anteiligen Wert des Unternehmens.
Die Erwartung ist, dass das Unternehmen in der Folge ein Mehrfaches an Wert gewinnt und die spätere Veräußerung der Anteile, der sog. Exit, somit mit großem Gewinn möglich ist. In der Regel wird dann das ganze Unternehmen an einen anderen Marktteilnehmer (strategischer Investor) oder an einen Finanzinvestor verkauft (sog. Trade Sale). Die seltenere Alternative besteht im Börsengang des Unternehmens.
- Pre-Seed und Seedphase
In der Pre-Seed und Seedphase werden Start-ups vor allem von Business Angels finanziert. Das sind vermögende Privatpersonen mit unternehmerischer Erfahrung. Ihr finanzieller Beitrag zum Aufwuchs junger Unternehmen in Deutschland beläuft sich pro Jahr auf etwa 2, 5 Mrd. Euro (6) . Außerdem helfen sie mit ihrer Erfahrung und ihrem Netzwerk, was besonders in der frühen Phase von hohem Wert ist. Science DeepTechs haben aus der Sicht von Business Angels aber drei zusätzliche Herausforderungen:
- Es dauert in der Regel sehr lange, oft mehr als 10 Jahre, bis ein Exit in Sicht ist.
- Oft wird schon in frühen Runden viel Kapital benötigt, weil Prototypen oder Versuchsanlagen zu bauen sind (ein kürzlich bekannt gewordenes extremes Beispiel ist Proxima Fusion, ein Spin-out aus dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP), das Fusionsreaktoren entwickelt. Bereits die Pre-Seed Finanzierung beläuft sich auf 7 Mio. Euro (7).
- Der Erfolg ist besonders ungewiss, denn das Vorhaben ist im doppelten Sinne disruptiv, da sowohl die Technologie als auch das Geschäftsmodell Neuland sind.
Erfreulicherweise gibt es dennoch Business Angels, die in Science DeepTechs investieren, entweder weil sie über „Deep Pockets“ verfügen, wie es im Jargon heißt, oder sich mit mehreren oder gar vielen anderen gemeinsam an dem Start-up beteiligen. Es gibt nur einige Venture Capital Fonds, die sich auf diese Phase spezialisiert haben und die Chance bieten, gemeinsam mit den Angels zu finanzieren. Meist handelt es sich um öffentliche oder teilöffentliche Fonds, wie der High-Tech Gründerfonds oder die Fonds der Landesinstitutionen.
2. Weitere Finanzierungsrunden
Das Dilemma setzt sich in den weiteren Finanzierungsrunden fort, wo es um zunächst einstellige, dann schnell mehrstellige Millionenbeträge geht. Das ist das eigentliche Feld der Venture Capital Fonds. Auf dem deutschen Markt gab es lange Zeit zu wenige Fonds, die sich in ein solch schwieriges Feld wagten, in dem spezielle Expertise nötig ist– und dann oft solche mit zu geringem Fondsvolumen.
Auch haben VC-Fonds meist einen begrenzten zeitlichen Spielraum: Einer fünfjährigen Investitionsphase folgt eine fünfjährige De-Investitionsphase. Dann „muss alles raus“, um es mit der Teppichhändlersprache auszudrücken. Die Folge ist, dass auch in den Folgerunden die Finanzierung von Science DeepTechs schwierig wird, da es nötig ist, größere Konsortien von Fonds zu bilden. Dennoch ist sehr frühzeitig der Einstand ausländischer Fonds, die über mehr Spielraum verfügen, unabdingbar.
Dieser fondsspezifische Zwang, die Anteile an dem Unternehmen zu veräußern, hat gerade angesichts der langen Entwicklungszeiten von Science Deep Techs Folgen. Da ein Börsengang des Unternehmens meist noch nicht in Betracht kommt, ist der Trade Sale, der Verkauf an ein anderes Unternehmen, das Mittel der Wahl. Nicht selten kaufen sich dann kapitalkräftige angelsächsische Unternehmen oder solche aus Fernost oder amerikanische Private Equity- Firmen ein. Meist wird irgendwann dann auch die Produktionsstätte verlegt.
Dagegen gibt es in einer offenen Welt an sich nicht viel zu sagen, nur sollte auch der umgekehrte Weg häufiger vorkommen. Insbesondere bei deutschen BioTech Start-ups ist dieser Start-up Drain zu beobachten. Unabhängig davon hat der Verkauf der Start-ups für Gründerinnen und Gründer die Folge, dass sie zwar noch ein oder zwei Jahre in Führungsfunktionen bleiben, um den Übergang zu gewährleisten, dann aber ersetzt werden.
3. Börsengang
Ideal wäre daher der Börsengang, wie er BioNTech vorbildhaft, wenn auch in einer Ausnahmesituation, gelungen ist. Vorteile sind, dass Sitz- und Produktionsstättenverlagerungen nicht so wahrscheinlich sind und dass die Gründerinnen und Gründer die Chance haben, ihr Unternehmen weiterhin zu führen. Vor allem bringt die Kapitalerhöhung im Rahmen des Börsengangs sehr viel Geld in die Kasse des Unternehmens. Allerdings sind Börsengänge von Start-ups in Deutschland generell sehr selten – das gilt auch für Science DeepTech Start-ups.
Lösungsansätze
Um in der frühen Phase die Finanzierungssituation von Science DeepTech Start-ups zu verbessern, sollten gezielt Maßnahmen ergriffen werden, um den Handlungsspielraum von Business Angels zu erweitern. Leider wirkt sich für dieses Ziel eine Änderung beim staatlichen INVEST Zuschuss für Wagniskapital (8) von Anfang 2023 eher ungünstig aus. Der Zuschuss von 25 Prozent auf eine Investition in innovative Start-ups kommt nun nur noch den eher unerfahrenen Business Angels, insbesondere First-Time-Angels, zugute. Erfahrene Angels verfügen jedoch in der Regel über mehr Kapital und können auch eine größere persönliche Unterstützung in das Start-up einbringen, was gerade bei Science DeepTech besonders relevant ist.
Für das Ziel, den Investitionsspielraum von Business Angels zu verbessern, sehen wir vor allem zwei Wege.
- Seitens des Staates sollten mehr Angel-Co-Investitionsfonds eingerichtet werden, wobei die Wahrung der Gesellschaftsrechte im Start-up den Business Angels als Partnern überlassen sein sollte. Das würde die Investitionspower erhöhen und gleichzeitig die staatliche Seite personell entlasten.
- Des Weiteren braucht Deutschland einen Secondary Markt, d.h. eine Möglichkeit für Frühphasen-Investoren, ihre Beteiligung schon vor dem Exit an Finanzinvestoren zu veräußern. Dies hätte zur Folge, dass mehr Liquidität für neue Investitionen zur Verfügung steht. In den USA gibt es solche auf Secondaries spezialisierte Fonds seit langem, während Deutschland Entwicklungsland ist. Wenn der Staat, beispielsweise aus Mitteln des Zukunftsfonds, einen solchen Fonds aufbauen würde, hätte dies sicher bald private Nachahmer zur Folge.
Generell besteht die Hoffnung, dass der 10 Milliarden schwere Zukunftsfonds (9) des Bundes einiges zum besseren richten könnte. Hauptziel dieses aus mehreren Teilmaßnahmen bestehenden staatlichen Finanzierungsprogramms ist, die Wachstumsphase von Start-ups durch neue Instrumente zu stärken. Dazu zählen neben Dachfonds für Venture Capital auch Venture Debt Fonds (Venture Tech Growth Financing – VTGF). Diese reichen für eine späte Phase der Start-ups- Darlehen aus und es wird erwartet, dass sie zusätzliches Kapital von den großen Kapitalsammelstellen wie Versicherungen und Pensionsfonds anlocken werden.
Im Zusammenhang mit Science DeepTechs ist besonders der im Rahmen des Zukunftsfonds gegründete DeepTech & Climate Fonds (DTCF) zu nennen10. Er hat ein Fondsvolumen von einer Milliarde Euro, eine 25-jährige Laufzeit und kann bis zu 30 Millionen Euro in ein Unternehmen investieren, wobei private Investoren zusätzlich mindestens 30 Prozent investieren sollen. Eine gute Nachricht für Venture Capital Fonds enthält der im Mai 2023 vorgelegte Referentenentwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes (11). Danach wird die Verwaltung von Venture Capital Fonds von der Umsatzsteuer befreit, so dass sich Deutschland an internationale Gepflogenheiten anpasst.
Auch für das Start-up Traumziel Börsengang besteht etwas mehr Hoffnung. Der Entwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes sieht eine Reihe von Verbesserungen vor, die vermutlich noch in diesem Jahr in Kraft treten werden. So soll die Mindestmarktkapitalisierung für Börsengänge von 1,25 Millionen Euro auf 1,0 Million Euro gesenkt werden. Um den Einfluss von Gründern auf die strategische Ausrichtung des Unternehmens nach dem Börsengang zu stärken, sollen Namensaktien mit Mehrstimmrechten (Dual Class Shares) bis zum zehnfachen der einfachen Stimme ausgestattet werden können. Börsenmantelaktiengesellschaften (SPACS) werden auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Auch die im Entwurf vorgesehenen steuerlichen Verbesserunen bei Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen mittels direkter Beteiligungen könnten hilfreich sein.
Wird also künftig der Anteil der Science DeepTech Start-ups an den Unicorns steigen? Nicht unbedingt. Denn eine der Vorrausetzungen für das Entstehen von Unicorns ist der Glaube der Investoren an riesige zukünftige Umsätze und Wertsteigerungen des Unternehmens. Diese Erwartungen kann der Großteil der Science DeepTech Start-ups nicht erfüllen, weil er sich nicht an einem Massenmarkt richtet. Wenn wir jedoch künftig, ob Unicorn oder nicht, insgesamt mehr Science DeepTech Start-ups sehen sollten, wäre dies ein riesiger Gewinn für die Zukunft.
(1) https://www.deutsche-startups.de/deutschland-unicorn-startups/
(2) In dem Artikel von Deutsche Startups sind auch Unternehmen aufgeführt, die nicht mehr als Start-ups angesehen werden können oder die von Großkonzernen abgespalten wurden. Diese sind in unserer Zählung nicht berücksichtigt.
(3 ) Vgl. Josh Fruhlinger, Was ist Deep Tech? (computerwoche.de)
(5) Zum Stand der Diskussion: BAND Thema im Fokus 01/2022: „Immer Ärger mit den Patenten“ – Business Angels Deutschland e.V. (business-angels.de)
(7) https://www.htgf.de/de/htgf-seed-proxima-fusion/
(8) https://www.business-angels.de/invest-zuschuss-fuer-wagniskapital/
(10) https://dtcf.de/
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