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Christopher Oppermann
7. September 2022

Vorurteile: Warum Gründerinnen sich mit Kleingeld begnügen müssen 

Startup-Gründerinnen erhalten im Vergleich zu Startup-Gründern signifikant weniger Wagniskapital. Ein pädagogisches Experiment bestätigt die Erkenntnisse einer wissenschaftlichen Studie aus den USA: Startup-Gründerinnen werden mit unbewussten Vorurteilen von Investor:innen konfrontiert und dadurch stark benachteiligt.   

Die Zahlen sind nüchtern betrachtet ein Trauerspiel. Gemeint ist der Anteil der Frauen, die in Deutschland ein innovatives und wachstumorientiertes Unternehmen gegründet haben. Trotz ihres 50-Prozentanteils in der Bevölkerung kann die Statistik nur 18 Prozent Startup-Gründerinnen ausweisen. Die erkennbare leichte Tendenz nach oben ist kaum der Rede wert. Ihr Anteil ist in den vergangenen vier Jahren um gerade mal drei Prozent angewachsen. Bei gleichbleibender Entwicklung ist also frühestens 2060 von einer paritätischen Startup-Welt auszugehen. Das ist nicht akzeptabel. Wo muss angesetzt werden, damit mehr Frauen erfolgreich gründen?  

Im ersten Moment fällt der Blick auf die schwierigen Rahmenbedingungen und deren Grundzutat: die Finanzierung. Wagniskapitalgesellschaften und Business Angels stellen für stark wachstumsorientierte Startups ideale Finanzierungsquellen dar, weil sie sowohl den großen Hunger auf Kapital stillen und darüber hinaus noch wertvolle Netzwerke bieten können. Allerdings dominiert das Angebot die Nachfrage. Es werden bei weitem nicht alle Startups bedient und gerade Startup-Gründerinnen gehen oft leer aus. Männliche Startup-Gründer finanzieren sich zu knapp 26 Prozent durch Business Angels und 18 Prozent durch Wagniskapitalgesellschaften. Davon können Startup-Gründerinnen nur träumen. Lediglich 8 Prozent werden durch Business Angels und weniger als 2 Prozent durch Wagniskapitalgesellschaften finanziert. Wie kommt es zu diesen eklatanten Unterschieden? 

Der Antwort bringt uns ein kleines gedankliches Experiment näher. Stellen wir uns zwei Startup-Gründer:innen vor: Tom und Lisa. Beide verfolgen eine schnelle Skalierung ihres jeweiligen Geschäftsmodells und benötigen dafür Wagniskapital. Früher oder später müssen sie einem Investor Rede und Antwort stehen – it’s time to pitch. Tom kann sich dafür auf folgende klassische Fragen durch einen potenziellen Investor vorbereiten: „Welche Strategie fahrt Ihr, um noch mehr Kund:innen zu gewinnen? Welches Wachstum strebt Ihr in den nächsten Jahren an? Was ist Euer USP?“  

Lisa dürfte dagegen mit folgenden Fragen konfrontiert werden: „Welche Strategie fahrt Ihr, um eine Kund:innenabwanderung zu verhindern? Wie schätzt Ihr Euren Marktanteil realistisch ein, in Anbetracht der zahlreichen Player, die auf den Markt drängen? Wo sind Eure möglichen Schwächen gegenüber Euren Wettbewerbern?“ 

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Wer fragt, der führt – auch mit Vorurteilen 

Im direkten Vergleich ist der Unterschied schnell erkannt, er liegt im Fragetypus. Die Fragen an Tom legen einen Fokus auf mögliche Gewinne oder Chancen seiner unternehmerischen Tätigkeit und werden gemeinhin als „Promotionsfragen“ bezeichnet. Die Fragen an Lisa adressieren eher potenzielle Risiken bzw. Verlustvermeidung und laufen unter der Bezeichnung „Präventionsfragen“. Belegt sind solche Frage- und Interviewmuster sowie ihre Auswirkungen nicht zuletzt durch eine wissenschaftliche Studie aus den USA mit dem Titel: „We ask men to win and women not to loose“. Die Autor:innen zeigen darin, wie anfällig Investor:innen für Gender Biases sind, also unbewusste Vorurteile aufgrund traditioneller Geschlechterrollen. Letzteres äußerst sich darin, dass Investor:innen Startup-Gründerinnen andere Fragen stellen als Startup-Gründern. Startup-Gründerinnen müssen überwiegend Antworten auf Präventionsfragen finden (66 Prozent) – während Startup-Gründer hauptsächlich Promotionsfragen beantworten dürfen (67 Prozent). Dabei lenkt der Fragetypus den Antworttypus – es wird oft analog geantwortet (85 Prozent). Dies wirkt sich wiederum auf die Höhe des investierten Wagniskapitals aus. Präventionsantworten, die meistens aufgrund von Präventionsfragen gegeben werden, wirken sich negativ auf die investierte Wagniskapitalsumme aus (s. Abbildung 1: Auswirkungen des Fragetypen). So erhalten Gründer:innen, die überwiegend Präventionsfragen beantworten müssen, durchschnittlich nur knapp ein Siebtel der Summe, die Gründer:innen mit überwiegend Promotionsfragen erhalten. 

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Probieren geht über studieren – ein pädagogisches Experiment  

Ortswechsel: Die Startup-Konferenz der Founders Foundation in Bielefeld ist seit Jahren ein angesagter Treffpunkt für Gründer:innen und Investor:innen auch über Ostwestfalen hinaus. Der ideale Experimentierplatz, um die genannte Studie aus den USA zu überprüfen. Gesagt, getan: encourageventures e.V., ein Investorinnen-Netzwerk für Gründerinnen, und die Bertelsmann Stiftung haben ein pädagogisches Experiment als Side-Event der Startup-Konferenz durchgeführt. Hier sollte nicht unbedingt die genannte Studie überprüft werden, denn aufgrund einer kleinen Stichprobe wäre eine aussagekräftige wissenschaftliche Verifikation natürlich nicht möglich gewesen. Vielmehr galt es die Beteiligten – darunter viele Investor:innen – hinsichtlich der Wirkung von Geschlechtervorurteilen bei Startup-Pitches zu sensibilisieren.  

Das Experiment umfasste zwei fiktiv konstruierte Pitch-Konstellationen. Im ersten Pitch wurden durch das Organisationsteam Präventionsfragen an Startup A und im zweiten Pitch Promotionsfragen an Startup B gestellt. Beide Gründungsteams wurden geschlechterparitätisch besetzt. Zur Vorbereitung diente den Gründungsteams ein One-Pager mit Details über ihr fiktives Startup. Die übrigen Teilnehmer:innen agierten als beobachtende Investor:innen. Dafür erhielten sie einen Kriterienkatalog, um die beiden Startups zu beurteilen und anschließend 100.000 Euro zu allokieren. Insgesamt ging es für die beiden Startups um 600.000 Euro Wagniskapital.  

Als Arbeitshypothese galt die Feststellung der Studie aus den USA, dass Startup A voraussichtlich signifikant weniger Kapital erhalten würde als Startup B. Und tatsächlich wurde diese Annahme in diesem Experiment überzeugend bestätigt: Startup A konnte eine Finanzierung in Höhe von 240.000 Euro einsammeln – Startup B ging mit 360.000 Euro nach Hause. Somit generierte Startup B die 150-prozentige Wagniskapitalsumme von Startup A. Die Kausalität zwischen Fragetypus, Antworttypus und Wagniskapitalsumme konnte dabei natürlich nicht valide nachgewiesen werden, aber der Erkenntniswert war evident. Neben der Bestätigung der Arbeitshypothese fällt die Verteilung der einzelnen Investitionen auf. Alle Investor:innen entschieden sich dafür, den Großteil ihres Kapitals an Startup B zu geben. Außer Investor A, der 100.000 Euro in Startup A investierte (s. Abbildung 2: Verteilung des Wagniskapitals). Die Auswertung der Bewertungsbögen erläutert dabei auch noch einmal das Motiv für diese Finanzspritze: Die Gründerin aus Startup A erwähnte im Pitch, dass ihr Social Media Account eine Million Follower:innen verzeichnet. Diese kreativ-selbstbewusste Aussage erwies sich als überzeugend, war aber über die vergleichbaren Informationen des One-Pagers hinausgegangen.  

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Es wird nie ausgelernt – auch in der Startup-Finanzierung 

Am Ende stand den Teilnehmer:innen die Verblüffung ins Gesicht geschrieben: Niemand hatte erkannt, dass beide Startups mit unterschiedlichen Fragetypen konfrontiert worden waren. Insbesondere die zahlreichen teilnehmenden Investor:innen sahen sich wachgerüttelt von Erlebnis und Erkenntnis. So kam es, dass ein Investor folgendes reflektierte: „Neulich fragte eine Gründerin, wer darüber entschieden hat, dass sie keine Finanzierung bekommt. Ich sagte: Ich und zwei Kollegen. Nach dem heutigen Workshop werde ich darauf achten, dass die Entscheiderteams nach Diversitätskriterien zusammengesetzt sind“. Somit konnte dieses Experiment wichtige Prozesse zur Verhaltensänderung der Teilnehmer:innen anstoßen. Solche Ansätze könnten einen kleinen Beitrag leisten, um Auswirkungen unbewusster Vorurteile zu minimieren.   

Nicht nur während des Workshops in Bielefeld wurde das Thema „Startups, Gründerinnen, Finanzierung“ an die große Glocke gehängt. Das politische Berlin, welches die Spielregeln unserer Marktwirtschaft gestaltet, hat kürzlich die Startup-Strategie des BMWKs vorgestellt. Darin werden verschiedene Maßnahmen genannt, die idealerweise zu mehr Frauen im Startup-Ökosystem führen: Investmentkomitees staatlicher Fonds und Beteiligungsgesellschaften sollen künftig einen deutlich höheren Frauenanteil aufweisen und der Zukunftsfonds soll gezielt weiblich aufgestellte Wagniskapitalfonds finanzieren. Je mehr Investorinnen, desto mehr Investments in weiblich geführte Startups ist der zugrundeliegende Gedanke. Ein sinnvoller Gedanke! Darüber hinaus soll das EXIST Förderprogramm um eine EXIST Women Förderlinie ergänzt werden, wodurch Gründerinnen aus der Wissenschaft zwangsläufig bessere Startbedingungen erhalten.   

Die ersten Schritte sind erfolgt. Nun ist es wichtig, dass aus den ersten Schritten eine Bewegung und aus der Bewegung ein Aufbruch entsteht. In anderen Worten: Beständig dranbleiben, ins Tun kommen und eine diversere Gründungslandschaft gestalten.    

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