Nachdem Südkorea im letzten Jahr nach sechs Jahren an der Spitze des Bloomberg Innovation Index von Deutschland auf den 2. Platz verwiesen wurde, schaffte es das ostasiatische Land in diesem Jahr wieder auf die Pole-Position und zwar mit deutlichem Abstand vor Singapur und der Schweiz. Ausschlaggebend für den koreanischen Siegeszug waren laut Bloomberg-Experten insbesondere Koreas vermehrte Patentaktivitäten, sowie leichte Verbesserungen in der Hochschulausbildung und der Forscherdichte. Wie kommt es, dass Südkorea seit mehreren Jahren fast ausnahmslos an der Spitze des Innovationsindex steht? Und: Kann ein Land wie Deutschland, dem es laut der Bloomberg-Meldung an einer Strategie für die Technologie der nächsten Generation zu fehlen scheint, von Südkorea lernen?
Südkorea war nicht immer das Hightechland, als das es im westlichen Ausland gerne wahrgenommen wird. Nachdem ein Waffenstillstand im Jahr 1953 den Koreakrieg faktisch beendete, war das Land von Armut gebeutelt und größtenteils zerstört, ein Agrarstaat mit einem Pro-Kopf Einkommen von lediglich 67 US$. Hinzu kam, dass die Teilung der koreanischen Halbinsel zu einer ungleichen Verteilung der Rohstoffe und Industriezweige führte – im Süden überwog die Leichtindustrie, im Norden die Schwerindustrie und die chemische Industrie. Die südkoreanische Militärregierung unter Park Chung-hee schaffte es ab 1961 jedoch, durch eine auf den Export gerichtete Industriepolitik und den Schulterschluss von Regierung und familiengeführten Konglomeraten wie Samsung, Hyundai und LG, den sogenannten Chaebol, wirtschaftlich aufzuholen. Dieser extrem schnelle und erfolgreiche Aufholprozess ist auch als „das Wunder vom Han Fluss“ bekannt.
Schnelles Netz als Selbstverständlichkeit
Zunächst investierten die Koreaner jedoch wenig in eigene Forschung und Entwicklung, sondern adaptierten und imitierten ausländische Technologie. Erst in den frühen 1980er Jahren forcierte das Ministry of Science and Technology das erste nationale Forschungs- und Entwicklungsprogramm; die Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) wurde u. a. durch das staatliche Electronics and Telecommunications Research Institute (ETRI) vorangetrieben und auch die Chaebol begannen, eigene Technologien zu entwickeln, um dem globalen Wettbewerb standzuhalten.
Signifikante Veränderungen des koreanischen Innovationssystems gab es erst in den 1990er Jahren, als die mittlerweile demokratische Regierung unter Präsident Kim Young-Sam nach neuen Wachstumsmotoren suchte. Diese fand er in den IKT in Kombination mit dem mittlerweile hohen Bildungsgrad der Koreaner. Schon vor der Asiatischen Finanzkrise von 1997 wurden einige institutionelle Grundlagen geschaffen, z. B. mit dem Basic Act on Informatization Promotion von 1996 und dem Act on Special Measures for Venture Company Promotion von 1997, der High-Tech-orientierte kleine und mittlere Unternehmen (KMU) gezielt fördern sollte. Auch wurden infrastrukturelle Grundlagen geschaffen. So bekam Korea durch das Korean Information Infrastructure Project von 1995 frühzeitig und landesweit Breitband-Internetverbindungen. Im Jahr 2019 sind laut OECD mehr als 82 % der Breitbandanschlüsse Glasfaser – zum Vergleich: in Deutschland sind es gerade einmal 4 %. Südkorea war auch eines der ersten Länder, das den kommerziellen 5G Mobilfunkstandard 2019 einführte. Schnelles und mobiles Internet ist für Koreaner also eine Selbstverständlichkeit.
Unabhängig von der politischen Orientierung wurde die Förderung der IKT-Industrien, von Innovationen und Bildung zu einer der obersten nationalen Prioritäten des rohstoffarmen Südkoreas. Beispielsweise wurde unter dem konservativen Präsidenten Lee Myung-bak das weltweit erste Ministry of Knowledge Economy erschaffen, welches unter seiner Nachfolgerin Park Geun-hye im Rahmen ihrer „Creative Economy“ Initiative mit dem Ministry of Education, Science and Technology zusammengelegt wurde und das Super-Ministerium Ministry of Science, ICT und Future Planning bildete. Der derzeitige Präsident Moon Jae-in erhob den Status der Small and Medium Business Administration dann noch zu einem Ministry of SMEs and Startups, um innovative Startups verstärkt zu fördern.
Corona als Innovationstreiber
Die Chaebol mauserten sich derweil zu globalen Innovationstreibern. Mittlerweile trägt der private Sektor mehr als drei Viertel zu den Bruttoinlandaufwendungen für Forschung und Entwicklung bei, welche insgesamt 4,5 % des BIP betragen (Deutschland: 3,1 %). Insbesondere Samsung liegt mit seinen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung weltweit auf Platz zwei hinter der Google-Holdinggesellschaft Alphabet – der Volkswagenkonzern liegt auf Platz vier.
Nicht zuletzt während der Corona-Pandemie glänzte Südkorea damit, durch innovative Lösungen die Verbreitung des Virus zu einzudämmen. Durch die Erfahrungen mit SARS (2003) und MERS (2015) reformierte Südkorea das National Public Health Emergency Response System und organisierte das Center for Disease Control and Prevention um, wodurch eine effektive Reaktion auf COVID-19 möglich wurde. Nennenswert ist aber insbesondere das weltweit erste Drive-through System für Coronavirus-Tests sowie die von Studierenden entwickelte „Corona Doctor App“ zum Nachverfolgen von Infizierten und die „Mask-Nearby App“ zum Anzeigen verfügbarer Masken in nahegelegenen Läden. Durch öffentlich-private Partnerschaften integrierte die koreanische Regierung solche „bottom-up“ Innovationen in ihre Strategie zur Bekämpfung von COVID-19. Die exzellente IKT-Infrastruktur ermöglichte zudem temporäres Homeschooling und Homeoffice, obwohl es bei letzterem noch an einer entsprechend flexiblen Unternehmenskultur hakte.
Da in Südkorea ein harter Lockdown vermieden werden konnte, wurde die Wirtschaft vergleichsweise wenig beeinträchtigt. Dennoch setzte die südkoreanische Regierung im Sommer 2020 ein Investitionspaket für die Post-COVID-19-Ära auf, der sogenannte Korean New Deal. Dieser besteht aus dem Digital New Deal und dem Green New Deal. Ersterem sollen bis 2025 58,2 Billion KRW (entspricht ungefähr 43,4 Milliarden EUR) zufließen, die die Integration von Daten, Künstlicher Intelligenz und 5G in die Wirtschaft unterstützen sollen. Gleichzeitig sollen die Cyber-Sicherheit verbessert, die digitale Infrastruktur im Bildungssektor ausgebaut, die „Kontaktlos“-Industrie gefördert und das Sozialkapital digitalisiert werden. Der Green New Deal, Südkoreas neueste Antwort auf den Klimawandel, setzt ebenfalls auf Digitalisierung und technologische Innovationen. So zeigt die südkoreanische Regierung einmal mehr, dass sie bereits den nächsten Schritt in Richtung Zukunft geht.
Mittelstand hinkt nach
Südkorea scheint also der Musterschüler in Sachen Innovationen und Digitalisierung zu sein. Jedoch gibt es auch im Land der Morgenstille noch zahlreiche Defizite, die nicht direkt sichtbar sind. So gibt es beispielsweise eine große Kluft zwischen Großunternehmen und gewöhnlichen KMUs, die nicht über die Gelder verfügen, um in Forschung und Entwicklung zu investieren. Sicherlich zeigen erfolgreiche Tech-Unternehmen wie Naver und Kakao und Spieleentwickler wir Nexon, Krafton oder NCSoft, dass es auch abseits der Chaebol innovatives Potenzial gibt. Jedoch tröstet dies nicht über die Tatsache hinweg, dass die meisten KMU eher im unproduktiven Dienstleistungssektor, der wenig innovativ und digitalisiert ist, ihr Dasein fristen und dabei einen Großteil der Arbeitsplätze in Korea ausmachen. Regulierungen und Markteintrittsbarrieren erschweren zudem ausländische Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie disruptive Innovationen, auch für KMU. Schließlich ist auch der Umgang mit Datenschutz in Südkorea, insbesondere mit Bezug auf das Infizierten-Tracking während der Corona-Krise, aus deutscher Sicht bedenklich und Vorfälle hinsichtlich der Verletzung von Privatsphäre im Netz sind auffallend hoch.
Insgesamt kann das koreanische Innovationssystem insbesondere mit Blick auf die Forcierung der Zukunftsindustrien und -technologien durch die koreanische Regierung für Deutschland ein Vorbild sein. Auch eine größere politische und gesellschaftliche Aufgeschlossenheit gegenüber IKT und Innovationen sowie deren Anwendung, beispielsweise im Gesundheits- und Bildungsbereich, wäre hierzulande wünschenswert – insbesondere vor dem Hintergrund der andauernden Pandemie und deren Folgen.
Nahezu zeitgleich haben Jogi Löw und Angela Merkel 15 Jahre lang außergewöhnlich erfolgreich in Deutschland Fußball und Politik geprägt. Der fast ebenso zeitgleiche Abschied der beiden dürfte aber auch Wendemarken setzen. Langjährige deutsche Erfolge und Traditionen dürften eine solide Basis für zukünftige Leistung und Triumphe sein. Mehr noch als im Fußball und in der Spitzenpolitik zählen aber bei Innovationen anstelle von Personen und Gesichtern die richtigen Strategien, Institutionen und Strukturen. Nicht zuletzt – wie Südkorea uns lehrt – vielleicht auch die Aufgeschlossenheit für Neues und Veränderungen.
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