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Dr. Alexandra David
30. August 2022

Von der Migrantin zur Unternehmerin

Frauen mit einer Migrations- oder Fluchtgeschichte haben nach wie vor viele Barrieren zu überwinden, bevor sie eine erfolgreiche Selbständigkeit starten können. Aber speziell bei innovativen Start-ups gibt es deutlich mehr Unternehmen, die gerade von Migrant:innen gegründet werden, als landläufig unterstellt. Die Bertelsmann Stiftung sprach mit Dr. Alexandra David, Expertin für migrantische Ökonomie, über die Hintergründe.

Bertelsmann Stiftung: Rund 40% der deutschen Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund. Gute 20% der Start-Up Gründer:innen haben einen Migrationshintergrund. Kurz gesagt, am Willen ein Unternehmen zu gründen liegt es nicht, dass Migrant:innen weniger Beachtung im Gründungsgeschehen spielen. Was sind aus Eurer Sicht die Ursachen, was müsste verbessert werden?

Alexandra David: Zum einen fehlt es am gemeinsamen Verständnis von Unternehmer:innen mit einer Migrationsgeschichte. Zum anderen, und wahrscheinlich deswegen, hat diese Gruppe keine Lobby und findet weniger Gehör in Politik und Praxis. Es gibt in Deutschland viel mehr innovative Start-ups, die von Migrant:innen gegründet werden, als wir meinen. Alte Narrative, wie dass der Dönerbuden-Besitzer, Pizzabäcker und Schneider:innen wird in der Öffentlichkeit noch zu sehr gepflegt.

Was weiß man über bisherige Gründungen von Geflüchteten und sind die Erkenntnisse auf die derzeitige Situation voraussichtlich übertragbar?

Hier gibt es noch zu wenige Daten, um ein ganzheitliches Bild entstehen zu lassen. Dennoch sieht man, dass Geflüchtete momentan doch eher in den traditionalen Branchen gründen (z.B. Handel, Gastronomie), die in den jeweiligen Kulturkreisen hoch angesehen sind, als in wissensintensiven Dienstleistungen. Dies ist ein Bild, was man oft aus der ersten Generation der Gastarbeiter:innen  und anderen Migrationsgruppen kennt. Ein weiterer Unterschied zu anderen Zugewandertengruppen ist, dass Gründungen von Geflüchteten immer an den Anerkennungsstatus gebunden sind – sprich eine weitere Hürde zu dem eh nicht einfachen Gründungsprozess. Interessanterweise betrifft dieser Umstand auch internationale Studierende, die in Deutschland gründen wollen.

 

Aktuell kommen viele Frauen aus der Ukraine in Deutschland an. Laut ILO ist die „Self-Employment-Rate“ der weiblichen Bevölkerung der Ukraine bei rund 13% (2019), das ist teilweise höher als in einigen westeuropäischen Ländern. Treffen diese Frauen auf eine Wirtschaft, die es ihnen leicht ermöglicht hier selbstständig tätig zu sein?

Im Vergleich zu anderen Migrant:innengruppen scheint es fast so, als genössen sie eine Art „Sonderstatus“, der daraus resultiert, dass vorab bereits für das Thema „female migrant entrepreneurship“ sensibilisiert wurde. Bei einem genauen Reality Check haben allgemein Frauen mit einer Migrations- oder Fluchtgeschichte nach wie vor viele Barrieren zu überwinden, bevor sie ihr in die Selbständigkeit gehen. Ein Stichwort hier ist Intersektionalität, sprich die Mehrfachdiskriminierung.

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Welche Rahmenbedingungen müssten verändert werden um diesen gründungswilligen Frauen selbstständige Tätigkeit in Deutschland zu ermöglichen?

Erster Punkt ist das Anheben der Sprachkompetenz, Abbau von bürokratischen Hemmnissen  wie etwa die Anerkennung von Qualifikationen oder eine bessere Kinderbetreuung. Faktoren, die bis auf die Sprache auch inländische Frauen betreffen. Der Unterschied liegt eher in den weichen Faktoren wie Verständnis der Unternehmenskultur in Deutschland, Marktkenntnisse, Regelungen etc.

Für Deutschland könnten neue Gründer:innen eine große Chance sein. Gibt es Länder, in denen die Voraussetzungen für eine sehr schnelle Integration in diesen besonders agilen Bereich der Wirtschaft gut sind und was ist dort anders?

Ja, Schweden ist so ein Beispiel. Das Land hat 2008 die Arbeitsmigrationspolitik liberalisiert, um Drittstaatsangehörigen die Einreise nach Schweden zu ermöglichen, um sich selbstständig zu machen und nicht nur abhängig zu arbeiten. Das besondere Element ist eine Aufenthaltserlaubnis für Unternehmer:innen.

Das Gespräch führte Julia Scheerer

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