Die Corona-Pandemie hat den Klimawandel vorübergehend aus den Schlagzeilen verdrängt. Er wird sich zurückmelden. Nicht nur weil sich die Anzeichen verdichten, dass die Erderwärmung noch rascher abläuft, als es die Klimawissenschaftler in ihren Rechenmodellen simuliert haben. Auch aus den Köpfen ist das Thema nicht mehr zu verdrängen. Das gilt insbesondere für die jüngere Generation. Wenn sich die Kluft zwischen dem Tempo des Klimawandels und der Trägheit von Politik und Wirtschaft vertieft, kann daraus eine ernste Legitimationskrise von Marktwirtschaft und liberaler Demokratie entstehen. Kapitalismuskritik hat Konjunktur, vom Papst bis in die Hörsäle und Feuilletons. Die Rufe nach drastischen Eingriffen in Produktion und Konsum werden lauter.
Wenn der Ausnahmezustand zur Eindämmung von COVID-19 verhängt wurde, weshalb nicht erst recht angesichts des Klimawandels? Hat die Coronakrise nicht gezeigt, dass die Mehrheit bereit ist, staatlich verordnete Einschränkungen bis in die private Lebensführung zu akzeptieren, um Schlimmeres zu verhüten? Wer aus den Erfahrungen der Pandemie ableiten will, dass die Stilllegung des Flugverkehrs, die Drosselung des Handels und das Herunterfahren des gesellschaftlichen Lebens auf einen „Survival-Modus“ als Blaupause für die Klimapolitik dienen könnte, ist gleich mehrfach schiefgewickelt. Eine Virus-Epidemie ist monokausal. Dagegen speist sich die Erderwärmung aus einer Vielfalt unterschiedlicher Quellen. COVID-19 ist ein Einbruch von außen in unseren Alltag, während der Klimawandel aus der Art und Weise hervorgeht, wie wir bislang Energie erzeugen, Mobilität ermöglichen, Güter produzieren und Städte bauen. Ihn aufzuhalten, ist ein ungleich komplexeres Unterfangen: Es erfordert nichts weniger als eine Runderneuerung der modernen Industriegesellschaft. Auch der Zeithorizont der Coronakrise ist ein völlig anderer: Trotz der anhaltenden Anstrengungen zur Eindämmung von COVID-19 verhält sie sich zur Stabilisierung des Erdklimas wie ein Sprint zu einem Marathonlauf. Die meisten Menschen sind bereit, eine temporäre Einschränkung ihrer Grundrechte hinzunehmen, sofern ein Erfolg – und damit auch das Ende – dieser Maßnahmen absehbar ist. Wenn man den Klimawandel mit drastischen Eingriffen in unsere wirtschaftliche Freiheit, unsere Mobilität und unser soziales Leben bekämpfen will, wären diese Restriktionen aber nicht vorübergehender Natur, sondern müssten auf Dauer angelegt werden. Man sieht bereits jetzt, wie die Akzeptanz eines „Lockdowns“ schwindet. Ein dauerhaftes klimapolitisches Austeritätsregime findet keine demokratische Zustimmung, es müsste mit harter Hand erzwungen werden. Die zukunftsträchtige Lehre der Corona-Pandemie ist, dass Restriktionen nur ein kurzfristiger Notbehelf sein können, bis wir intelligentere Mittel gefunden haben, um der Gefahr Herr zu werden. Nicht die Drosselung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens, sondern die in Windeseile entwickelten Impfstoffe helfen uns aus der Misere. Es sind der vielfach mit Skepsis beäugte wissenschaftlich-technische Fortschritt und die Innovationskraft von Unternehmen, die uns hoffen lassen, dass die Corona-Pandemie wie andere Infektionskrankheiten in Schach gehalten werden kann. Das gilt umso mehr für den Klimawandel. Als Folge der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Restriktionen insbesondere im Verkehrssektor sind die globalen CO2-Emissionen kurzfristig um rund sieben Prozent gefallen. Das senkt die Durchschnittstemperatur auf der Erde voraussichtlich um etwa 0,01 Grad Celsius, richtet also kaum etwas gegen den Klimawandel aus. Gleichzeitig brachen Welthandel und Weltwirtschaft ein. Im Ergebnis nahmen – entgegen dem langfristigen Trend – Hunger und Armut empfindlich zu. „Degrowth“– die freiwillige oder erzwungene Minimierung von Produktion und Konsum – hat einen hohen sozialen Preis, kann den Klimawandel jedoch allenfalls verlangsamen. Um ihn aufzuhalten, ist die dauerhafte Senkung der globalen Treibhausgasemissionen auf netto null erforderlich. Eine so drastische Reduktion kann schlechterdings nicht durch Verzichtsleistungen erreicht werden. Sie erfordert vielmehr eine grundlegende Erneuerung des Industriesystems, also Innovationen und Investitionen im großen Stil. Der Ruf nach einem Klima-Notstandsregime führt ökologisch ins Nirgendwo und politisch auf die schiefe Ebene des Autoritarismus. Wir können allerdings nicht bei der Kritik solcher Vorstellungen stehen bleiben. Wer unsere freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsform verteidigen will, muss die Soziale Marktwirtschaft auf ökologische Grundlagen stellen.
Nullwachstum oder Grüne Industrielle Revolution
Spätestens seit dem berühmten Report an den Club of Rome zu den „Grenzen des Wachstums“ steht Wachstumskritik speziell in Deutschland hoch im Kurs und findet Resonanz sowohl in konservativen als auch in linken Milieus. „Degrowth“ ist eine populäre Strömung an geisteswissenschaftlichen Fakultäten. Dabei ist die Frage, ob die Weltwirtschaft auch in Zukunft wachsen wird, trotz der Corona-Rezession längst entschieden. Angesichts einer auf zehn Milliarden anwachsenden Weltbevölkerung, des anhaltenden Wachstums der Städte und bahnbrechender Innovationen bei Künstlicher Intelligenz und Biotechnik ist weiteres Wirtschaftswachstum vorprogrammiert. Seit der Zäsur von 1990 stieg die globale Wirtschaftsleistung im Schnitt um rund vier Prozent pro Jahr. Auch bei einem Rückgang auf drei Prozent hieße das eine erneute Verdoppelung des Weltsozialprodukts in den nächsten 25 Jahren. Im gleichen Zeitraum müssen die Treibhausemissionen dramatisch sinken, um den Temperaturanstieg im Zaum zu halten. Die alles entscheidende Frage lautet deshalb, ob es gelingt, Wertschöpfung und Umweltbelastung zu entkoppeln. Das erfordert nichts weniger als eine grüne industrielle Revolution. Im Kern geht es um eine dreifache Transformation der alten Industriegesellschaft: erstens den Wechsel von fossilen Energiequellen zu erneuerbaren Energien, zweitens um eine kontinuierliche Steigerung der Ressourceneffizienz (aus weniger Rohstoffen und Energie mehr Wohlstand erzeugen) und drittens um den Übergang zu einer modernen Kreislaufwirtschaft, in der jeder Reststoff wieder in den biologischen oder industriellen Zyklus eingeht. Wachstum ist nicht per se umweltfeindlich. Nicht die Größe des Bruttoinlandsprodukts entscheidet über die Umweltbilanz einer Volkswirtschaft, sondern die Frage, wie umweltverträglich unsere Energieerzeugung, unsere industriellen Prozesse, Landwirtschaft und Verkehr organisiert sind. In einer schrumpfenden Ökonomie sinken auch die Investitionen und das Innovationstempo. Gerade weil die Zeit angesichts des Klimawandels drängt, benötigen wir jedoch ein höheres Tempo des ökologischen Strukturwandels. Das bedingt wiederum steigende öffentliche wie privatwirtschaftliche Investitionen. Wenn wir es richtig anstellen, entsteht daraus eine lange Welle nachhaltigen Wachstums. Die alte Frage „Wie viel Staat braucht der Markt?“ stellt sich angesichts der Tragweite des Klimawandels neu. Auch eine ordoliberale Umweltpolitik kommt nicht ohne Grenzwerte und Verbote aus. Verbote sind ein legitimes Mittel demokratischer Politik, und sie sind dort angebracht, wo es um unmittelbare Gefahren für Leben und Gesundheit geht. Ordnungsrecht kann durchaus auch als Innovationstreiber wirken. So hat das Verbot von chlor- und bromhaltigen Kohlenwasserstoffen im Rahmen des Montreal-Protokolls zum Schutz der Ozonschicht die Entwicklung umweltverträglicher Ersatzstoffe beschleunigt.
Preissignale als Steuerungselement
Verbote sind allerdings nicht der Königsweg zur Überwindung der Klimakrise. Ihre Ursachen – wie die notwendigen Veränderungen – sind viel zu komplex, um sie mit den groben Mitteln des Ordnungsrechts zu bewältigen. Dreh- und Angelpunkt einer nachhaltigen Marktwirtschaft ist die Einbeziehung ökologischer Kosten in die Preisbildung. Eine ökologische Steuerreform, die Treibhausgasemissionen und den Verbrauch knapper natürlicher Ressourcen schrittweise verteuert, hat einen weitaus größeren Effekt als immer neue Gebote und Verbote. Preissignale sind das zentrale Steuerungselement von Märkten. Sie setzen eine Re-Allokation von Ressourcen und eine Veränderung von Angebot und Nachfrage quer durch alle Sektoren in Gang. Die Mehrbelastungen, die durch Umweltsteuern entstehen, können in Form eines pauschalen Öko-Bonus an alle Bürger zurückerstattet werden. Ein solcher Pro-Kopf-Betrag hätte einen positiven Umverteilungseffekt, weil die Geringverdienenden in der Regel einen geringeren CO2-Fußabdruck aufweisen als die Wohlhabenden. Ein sukzessive ansteigender CO2-Preis ist auch der kostengünstigste Weg zum Klimaschutz – er setzt die Maßnahmen frei, bei denen das günstigste Kosten-Nutzen-Verhältnis erzielt werden kann. Der zweite große Vorteil gegenüber einer staatlichen Detailsteuerung von Produktion und Konsum liegt darin, dass Preissignale die Eigeninitiative von Unternehmen und Verbrauchern fördern, statt ihnen Vorschriften zu machen, was genau sie zu tun oder zu lassen haben. Der Einstieg in einen sektorübergreifenden CO2-Preis im „Klimapaket“ der (alten) Bundesregierung geht in die richtige Richtung, springt aber zu kurz. Umweltökonomen kommen auf lenkungswirksame Einstiegspreise von rund sechzig Euro pro Tonne, die bis auf dreistellige Beträge ansteigen. Wohlgemerkt: Es geht nicht um zusätzliche Belastungen für Betriebe und Haushalte, sondern um eine Verlagerung von Steuern und Abgaben auf den Umweltverbrauch. Sie muss durch Entlastungen an anderer Stelle kompensiert werden, etwa durch Abschaffung der Stromsteuer, eine Reform der Einkommenssteuer (kalte Progression) oder sinkende Sozialabgaben. Für energieintensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, müssen Übergangsregelungen gefunden werden.
Spielraum für Innovationswettbewerb
Die Konjunktur- und Investitionsprogramme, die aufgelegt wurden, um den Corona-Schock zu bewältigen, sollten zwei große Ziele miteinander verbinden: Sie müssen Europa bei der Digitalisierung voranbringen und zugleich den ökologischen Strukturwandel forcieren. Angesichts der rapide steigenden Staatsschulden wird es auf absehbare Zeit keine zweite Chance für ein groß angelegtes ökologisches Investitionsprogramm geben. Deshalb ist eine enge Abstimmung zwischen nationalen und Programmen der Europäischen Union notwendig, um optimale Synergien zu erzielen. Ökologische Ordnungspolitik ist mehr als Ordnungsrecht. Sie sollte den größtmöglichen Spielraum für Innovationswettbewerb gewähren. Sie muss einen verlässlichen Orientierungsrahmen für Unternehmen und Bürger bieten, ohne ihnen engmaschige Vorschriften zu machen. Wenn eine ambitionierte Klimapolitik gesellschaftlichen Rückhalt gewinnen will, muss sie auch ihre wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen im Auge behalten. Anderenfalls wird sie populistischen Gegenbewegungen neue Nahrung verschaffen, die Klimaschutz als Bedrohung für Arbeitsplätze und Angriff auf die Lebensführung der „kleinen Leute“ denunzieren. Angesichts der drohenden Zuspitzung ökologischer Krisen stehen wir vor drei absehbaren Optionen: Die erste liegt in der Radikalisierung der Klimabewegung. Sie sucht die Rettung in der Minimierung von Produktion und Konsum, in Verzicht und Verbot. Ihr Gegenpol ist ein trotziges „Weiter-so“ nach der Devise „Nach uns die Sintflut“. Die dritte Möglichkeit liegt in einem großen Aufbruch in die ökologische Moderne. Sie setzt vor allem auf die Kreativität offener Gesellschaften und die Innovationsdynamik der Marktwirtschaft.
Der Beitrag ist eine Zweitveröffentlichung des Autoren und zuvor in der Zeitschrift „Die politische Meinung“ der Konrad Adenauer Stiftung erschienen.
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