In Deutschland findet sich eine Vielzahl von wissenschaftlichen Akteuren, die Innovationen hervorbringen. Dazu zählen Universitäten, Hochschulen für Angewandte Wissenschaften und außeruniversitäre Forschungsinstitute. Die Universitäten sehen sich aktuell sowohl internen als auch externen Zielkonflikten ausgesetzt. Sie pendeln unter anderem zwischen Grundlagen- und Transferorientierung, Verbund- und Individualforschung, internationaler und regionaler Ausrichtung.
Das eigentliche Steckenpferd der Universitäten ist natürlich die Grundlagenforschung. 2005/2006 hat die deutsche Politik als Antwort auf das Lissabon-Programm der EU die Exzellenzinitiative und 2019 ihren Nachfolger, die Exzellenzstrategie, eingeführt. Die Ziele sind: den Wissenschaftsstandort Deutschland nachhaltig stärken, seine internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessern und Spitzenforschung (Grundlagenforschung) sichtbar machen. Seitdem rackern sich die Universitäten ab, um Exzellenz-Cluster einzuwerben und sich erstmals oder wiederholt „Exzellenz-Universität“ nennen zu dürfen.
Das ist trotz der starken Konkurrenz verlockend, geht dieser Status doch mit Ansehen und zusätzlichen finanziellen Mitteln einher. Andererseits verschlingt die Antragsstellung knappe Ressourcen, die vor allem den Universitäten später fehlen, die keinen Exzellenz-Status erhalten haben: Millionen von Euros, die in interne und externe professionelle „AntragsschreiberInnen“, Öffentlichkeitsarbeit und andere flankierende Maßnahmen fließen. Nicht zu vergessen die vielen WissenschaftlerInnen, die mit Antragsprosa und eben diesen Maßnahmen beschäftigt sind.
Viel gravierender sind aus meiner Sicht aber die indirekten Folgen. So ist bei allen Universitäten ein Trend zur Schaffung von Professuren zu beobachten, die versprechen, in der Exzellenzstrategie Vorteile zu verschaffen. Dies gilt sowohl für die Auswahl der Fächer als auch für die Personen. Da die GutachterInnen der Exzellenzstrategie in der Regel aus dem Ausland kommen und eher grundlagenorientiert begutachten, werden KandidatInnen mit den klassischen Wissenschaftskriterien bevorzugt. H-Faktor, Drittmittelquote und Internationalität zählen mehr als Praxiserfahrung außerhalb der Wissenschaft und breite Netzwerke. Letztlich setzen die Universitäten zunehmend auf KandidatInnen, die seit dem Eintritt ins Studium ihr gesamtes (Berufs-)Leben an Universitäten verbracht haben.
Warten auf DATI
Da verwundert es nicht, dass ihnen die HAWen zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung beim Thema Transfer langsam aber sicher den Rang ablaufen. Sie haben sich von rein lehrorientierten Fachhochschulen in Hochschulen für Angewandte Wissenschaften weiterentwickelt und in einigen Bundesländern das Promotionsrecht erstritten. Sie sind dabei, sich im Rahmen der Möglichkeiten Bereiche aufzubauen, die praxisorientierte Forschung in größerem Umfang ermöglichen.
Die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und anderen Akteuren außerhalb der Wissenschaft ist Bestandteil ihrer DNS. Insbesondere die vielen externen Master- und Bachelorarbeiten in der regionalen, häufig mittelständischen Wirtschaft sorgen für eine starke regionale Anbindung. Sie legen ein großes Selbstbewusstsein an den Tag und haben in der Politik auf Bundes- und Landesebene viele Fürsprecher gewonnen.
Nicht von ungefähr kommen daher die Bestrebungen aus der Politik, die „Third Mission“, also den Transfer als dritte Mission neben Forschung und Lehre zu stärken, sowie der Plan der Bundesregierung, eine Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) zu gründen. Das explizite Ziel der DATI ist es, HAWen und kleine und mittlere Universitäten massiv zu stärken. Für den Auf- und Ausbau regionaler Innovationsökosysteme sollen zusätzliche Mittel bereitgestellt werden. Dabei soll die DATI thematisch offen sein und technologische und soziale Innovationen einschließen.
Die Umsetzung des Konzepts lässt aber auf sich warten. Seit über einem Jahr wird die Gründung der DATI durch hitzige Diskussionen in der Forschungscommunity, Uneinigkeit zwischen den Koalitionspartnern und einem vor einer Mammutaufgabe stehenden BMBF begleitet. Das ist bedauerlich, denn das Scheinwerferlicht stärker auf die anwendungsorientierte Forschung zu richten, ist überfällig. Wenn die DATI gut gemacht (und nicht nur gut gemeint), das heißt mit zusätzlichen Mitteln ordentlich ausgestattet, unbürokratisch und vor allem akteursoffen ist, kann Deutschland wirklich profitieren.
Eine Brücke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft
Warum aber sollte die DATI akteursoffen sein? Weil in der Debatte, wie der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis gelingen kann, wichtige Akteure häufig übersehen werden: Die nicht bundesgeförderten außeruniversitären Forschungsinstitute. Allgemein bekannt sind Fraunhofer-, Max Planck-, Helmholtz- und Leibniz-Institute, die von Bund und Ländern finanziell üppig ausgestattet werden.
Deutschland verfügt aber seit Jahrzehnten über einen Fundus an weiteren, unabhängigen Instituten, die sich explizit dem Transfer verschrieben haben und oftmals unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung hervorragende Arbeit leisten. Zu diesen zählen
- die Institute der JRF – Johannes-Rau-Forschungsgemeinschaft in Nordrhein-Westfalen (16 Institute)
- der innBW – Innovationsallianz Baden-Württemberg (12 Institute)
- der SIG – Sächsische Industrieforschungsgemeinschaft (18 Institute)
- der FTVT – Forschungs- und Technologieverbund Thüringen (10 Institute)
- der bundesweiten Zuse-Gemeinschaft (>70 Institute).
Allein diese Institute, und es gibt deutschlandweit eine Vielzahl weiterer, forschen mit rund 8.000 Beschäftigten praxisorientiert, anwendungs- und branchennah und bilden eine Brücke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Dazu pflegen sie enge Anbindungen an ihre Zielgruppen, die überwiegend aus kleinen und mittleren Unternehmen bestehen und oft aus der Region stammen. Für diese Art von Kooperationen gewährt die öffentliche Hand (Länder, Bund, EU) wettbewerbliche Fördermittel. DATI kann ein wichtiges Element zur Hebung von Transferpotenzialen in Ergänzung zu bereits bestehenden Förderprogrammen sein – wenn sichergestellt ist, dass auch diese Art von Transferinstituten gleichberechtigt partizipieren können.
Während also HAWen mit Promotionsrecht, klarer Anwendungsorientierung und regionaler Verortung einerseits und außeruniversitäre Forschungsinstitute mit ihrer engen Anbindung an die Zielgruppen andererseits relativ klare Strategien verfolgen, wird es für die Universitäten perspektivisch eng.
Raus aus dem Grundlagenforschungs-Elfenbeinturm
Bei aller Notwendigkeit exzellente Grundlagenwissenschaft zu betreiben – und das sage ich voller Überzeugung als Lehrstuhlinhaber an einer Universität mit zahlreichen DFG-Projekten in der Grundlagenforschung – müssen sich die Universitäten entweder öfter und konsequenter aus ihrem (Grundlagenforschungs-)Elfenbeinturm herausbequemen oder die transferorientierte Forschung anderen überlassen. Wenn sie letzteres nicht wollen, sehe ich hierfür nur folgende Strategie:
Es reicht nicht aus, dass an Universitäten neue, zentrale Verwaltungsbereiche für Transfer geschaffen werden, sondern es muss ein Kulturwandel stattfinden. Transfer oder neudeutsch „Third Mission“ bedeutet nicht, dass irgendwelche Akteure außerhalb der Universität mit an der Universität entwickelten Konzepten oder Erfindungen „beglückt“ werden oder dass in Seminaren theoretisch über partizipative Transferkonzepte diskutiert wird, sondern hat viel mit Austausch und Zuhören zu tun. In Unternehmensberaterdeutsch: Der Fokus muss stärker von „Technology push“ hin zu „Market Pull“ gelegt werden.
Gleichzeitig gilt es, neben großvolumigen, öffentlichkeitswirksamen Kooperationen mit Großkonzernen, bei denen Marketingaspekte häufig mindestens gleichberechtigt neben Forschungsaspekten stehen, sich stärker dem Mittelstand zuzuwenden und weniger zu einfach zu vermarktenden Mainstream-Themen zu forschen und stattdessen wieder stärker auf echte Alleinstellungsmerkmale und individualisierte Forschung zu setzen. Dazu wäre ein erster Schritt, die Berufungspolitik so zu steuern, dass genügend Professuren mit anwendungsorientierten KandidatInnen mit einem substantiellen Erfahrungsschatz außerhalb der Universitäten berufen werden. Zudem sollten die Universitäten die Beziehungen zu ihren transferorientierten An-Instituten deutlich intensivieren. Doppelspitzen als Verknüpfung zwischen Universitäten und zielgruppenorientierten An-Instituten können hier das Mittel der Wahl sein, aber bitte nicht nach dem Jülicher oder Berliner Modell, bei dem die Leitungspersonen gar nicht oder kaum noch an der Universität tätig sind.
Fazit
Transfer und „Third Mission“ gewinnen in der Wissenschaftslandschaft an Bedeutung. Dies sollte durch die stärkere und sichtbarere Förderung anwendungsorientierter Institutionen und zusätzliche Mittel für praxisnahe Forschung verstärkt werden. Die Akteure im Wissenschaftssystem – Universitäten, HAWen und außeruniversitäre Institute – müssen sich über ihre jeweilige Rolle bewusster werden und klare Strategien für oder gegen eine Transferorientierung umsetzen. Es muss nicht jeder alles machen. Aber das, was jeder Einzelne macht, sollte richtig gut sein.
Ganz meine Meinung. Seinerzeit hatten wir ja bei unserem gemeinsamen Engagement im Adsorptions-Ausschuss bei der DECHEMA einiges in Richtung Anwendung mit auf den Weg gebracht, auch unter Einbeziehung des Elfenbeinturms. Dies war in seinen Anfängen eine gelungene Mischung aus Theorie und Praxis. Mit vielen Grüßen an Professor Bathen.