Die deutsche Gründerszene bleibt männlich dominiert. Gerade mal rund 20 Prozent der Startup-Gründerinnen in OECD -Ländern sind Frauen. Das überrascht, denn Frauen haben im Durchschnitt einen höheren Bildungsabschluss als Männer. Sie sind innovativ und ambitioniert – und trotzdem unterrepräsentiert, wenn es ums Gründen geht. Woran liegt das?
Strukturelle Hürden und Elternzeitpolitik
Ein Teil der Erklärung findet sich in strukturell höheren Hürden für Frauen:
- finanzielle Barrieren wie der in mehreren Studien nachgewiesene schwierigere Zugang von Frauen zu Kapital
- fehlende Netzwerke
- geschlechtsspezifische Vorurteile von Kapitalgebern in Investitionsentscheidungen.
- kulturelle Normen, die Frauen noch immer primär in der Rolle der Verantwortlichen für Haushalt und Kinder sehen
Ein weiterer, bislang kaum beachteter Erklärungsfaktor ist die Elternzeitpolitik. Genauer gesagt: Wie sich Mutterschutz und Vaterschaftsurlaub – insbesondere deren Einführung oder Reform – auf die Entscheidung von Frauen auswirken, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen.
Kein Anspruch auf Mutterschutz
Was viele nicht wissen: In Deutschland und den meisten OECD-Ländern haben Frauen in der Selbstständigkeit bis heute keinen gesetzlichen Anspruch auf bezahlten Mutterschutz. Sie erhalten weder Mutterschaftsgeld noch eine geschützte Auszeit. Im neuen Koalitionsvertrag steht nun, dass dies geändert werden soll.
Gerade in der frühen Phase einer Gründung, die zeitlich oft mit der Familienplanung zusammenfällt, können gesetzliche Schutzmechanismen eine entscheidende Rolle spielen. Um die 40 Prozent aller Frauen gründen ihr Startup im Alter zwischen 25 und 35, in einer Lebensphase, in der auch viele Frauen Mutter werden. Fehlt in dieser Zeit ein rechtlicher Schutzrahmen, stellt das eine Hürde dar, die politische Aufmerksamkeit verdient.
Um zu untersuchen, welchen Einfluss politische Veränderungen tatsächlich auf das Gründungsverhalten haben, analysiere ich, wie sich die Einführung oder Reform von Mutterschutz und Vaterschaftsurlaub in OECD-Ländern auf den prozentualen Anteil weiblicher Startup-Gründerinnen ausgewirkt hat.
Mögliche Effekte von Mutterschutz
Theoretische Konzepte stützen die These, dass Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub einen Effekt auf das weibliche Gründen hat. Zentral ist dabei der Unterschied zwischen Mutterschutz und Vaterschaftsurlaub, denn beide Maßnahmen können auf unterschiedliche Weise wirken.
Mutterschutz kann auf direktem Weg Gründungen ermöglichen, etwa indem finanzielle Sicherheit und zeitlicher Spielraum geschaffen werden, in denen Ideen entstehen und konkretisiert werden können. Gleichzeitig kann Mutterschutz auch indirekt wirken, indem er signalisiert, dass Elternschaft und Erwerbstätigkeit vereinbar sind. Das stärkt die generelle Arbeitsmarktpartizipation von Frauen und kann langfristig auch Gründungsentscheidungen positiv beeinflussen.
Allerdings kann Mutterschutz – insbesondere wenn er nur für angestellt Beschäftigte gilt – auch unbeabsichtigte Effekte haben. Er kann Frauen in traditionelle Erwerbsformen lenken und sie von der Selbstständigkeit fernhalten, weil diese keinen vergleichbaren Schutz bietet.
Vaterschaftsurlaub hingegen entfaltet sein Potenzial oft durch strukturelle und kulturelle Verschiebungen. Wenn Väter Care-Arbeit übernehmen, reduziert sich die Belastung der Mütter – was direkte Auswirkungen auf deren Zeitbudget und mentale Ressourcen hat. Gleichzeitig entfaltet Vaterschaftsurlaub einen indirekten Effekt, indem er Geschlechterrollen möglicherweise modernisiert und einen anderen Umgang mit Familie und Beruf etabliert.
In Ländern, in denen Vätermonate gesetzlich verankert und gesellschaftlich akzeptiert sind, zum Beispiel in Skandinavien, lässt sich eine gleichmäßigere Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern beobachten.
Suche nach Teilnehmerinnen
Was bedeutet fehlender Mutterschutz für Gründerinnen? Diese Frage steht im Zentrum meiner Masterarbeit an der Bocconi Universität in Mailand. Ich untersuche, ob und wie sich Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub auf den Anteil weiblicher Gründerinnen auswirken.
Mein Fokus liegt dabei auf der Gründung von Startups, die als wirtschaftlich besonders relevanter Teilbereich des Unternehmertums gelten: Startups sind Treiber von Innovation und technologischem Fortschritt. Wenn Frauen in diesem Bereich strukturell unterrepräsentiert bleiben, geht nicht nur individuelles Potenzial verloren, sondern auch ein erheblicher gesamtwirtschaftlicher und -gesellschaftlicher Gewinn.
Wenn sich zeigt, dass Reformen der Elternzeit das Gründungsverhalten beeinflussen, spricht vieles dafür, den Mutterschutz auch für Gründerinnen zugänglich zu machen – nicht zuletzt, um das volle unternehmerische Potenzial von Frauen zu entfalten.
Aktuell führe ich eine begleitende Umfrage durch, um auch qualitative Einblicke in die Realität gründender Mütter zu erhalten. Ich freue mich daher, wenn Gründerinnen und Gründungswillige an dieser teilnehmen könnten. Je mehr Perspektiven einfließen, desto besser lässt sich verstehen, was Gründerinnen wirklich brauchen – und wie familienpolitische Rahmenbedingungen gestaltet sein sollten, damit Gleichstellung nicht nur auf dem Papier besteht.
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