Unternehmensgründungen von heute prägen die Standards von morgen. Allein in Deutschland gibt es jährlich ca. 400.000 Neugründungen, davon entfallen etwa 20.000 auf die High-Tech-Branche. Startups starten klein, flexibel und sind oft innovative Pioniere sowie Vorbilder für etablierte Unternehmen, bis sie im Erfolgsfall selbst zu einflussreichen Mitgestaltern unserer Gesellschaft werden.
Ökologische und gesellschaftliche Faktoren waren bis vor wenigen Jahren innerhalb der Startup-Szene selten ein Thema. Doch die Debatten um ein nachhaltiges Wirtschaften sowie alternative ökonomische Ansätze werden immer lauter, und Innovationen gelten als Königsweg, um eine ökologische Modernisierung und nicht zuletzt einen ökologischen Strukturwandel sozialverträglich zu erreichen.
Das Ende vom Nacheifern des Silicon Valleys
Megatrends aus dem Silicon Valley zeigen jedoch, dass innovative Vorhaben ihre sozialen Versprechen oftmals nicht einhalten: So sollte die Sharing Economy in den 2010er Jahren die Produktion neuer Güter und deren Kosten drastisch reduzieren. „Leihen statt Kaufen“ versprach den Ausstieg aus dem ständigen und ressourcenintensiven Konsum. Doch während eine „Revolution des Teilens“ ausblieb, folgen Skandale auf Skandale der auf Monopolisierung ausgerichteten Plattformmodelle.
Diesen Gedanken diametral gegenüber steht die ursprüngliche Utopie der Sharing Economy. Beispiele wie der Marktplatz Fairmondo, welcher viele Produkte zu fairen Konditionen bereithält oder der alternative Lieferdienst Khora, welcher genossenschaftlich organisiert ist, kommen selten aus der Nische. Warum dennoch ununterbrochen dem turbokapitalistischen Silicon Valley-Mindset nachgeeifert wird, ist auch dem Gründungsdirektor der Bundesagentur für Sprunginnovationen, Rafael Laguna de la Vera, suspekt. Er möchte die Gewinne aus den Plattform-Monopolen in eine gerechtere Wertschöpfung umverteilen.
Übernahme von Geschäftsanteilen führt zur Anpassung an die Logik der Investments
Die vorherrschende Logik lautet bislang: Die Kund:innen werden befriedigt, während der ökonomische Nutzen für alle Anteilseigner:innen maximiert wird. Ziel eines rasanten Wachstums ist dann oftmals der sogenannte Exit, also der Verkauf des Startups. In der jetzigen Startup-Welt ist dieses Anhäufen von Geld ein vorherrschendes Wirtschaftsmotiv der involvierten Akteure. Dies befeuert einen Kreislauf, der immer höhere Risikokapitalsummen und Bewertungen, globale Expansionszwänge sowie Zu- und Aufkäufe auslöst. Mit der Übernahme von Geschäftsanteilen erfolgt zugleich eine Anpassung an die Geschäftsmodelllogik der Investor:innen.
2020 ordneten sich 43% aller Startups in Deutschland der „Green Economy“ zu, stellen aber paradoxerweise weiterhin Wachstum und Kapitalisierung in den Vordergrund – wie im Silicon Valley. In einer aktuellen Studie hat der Rat für Nachhaltige Entwicklung versucht, den Anteil von nachhaltigkeitsorientierten Unternehmen zu erfassen – und kommt je nach Szenario auf nur 0,1 bis maximal 6,8 Prozent aller deutschen Unternehmen. So müssen sich grüne Banken wie die GLS-Bank oder die Neobank Tomorrow, die das Geld ihrer Mitglieder nachhaltiger anlegen, gegenüber immer neuen Tech-Riesen wie die Direktbank N26 und Co. behaupten, weil nicht-nachhaltige Geschäftspraktiken auf Kosten der Allgemeinheit wirtschaften können, während nachhaltigkeitsorientierte Unternehmen diverse Hürden und zusätzliche Aufwände beziehungsweise eine geringere Rendite stemmen müssen.
Dennoch zeigen zahlreiche Beispiele schon heute auf, dass Unternehmensgründungen möglich sind, die Teil einer zukunfts-kompatiblen und lebensdienlichen Welt sein wollen. Sie sammeln sich unter den Begriffen wie Impact Startups, Post Growth und Transformative Entrepreneurship, Low-Profit und Open Social Innovation oder auch Civic Entrepreneurship. Boyd Cohen hat weitere Beobachtungen in seinem Buch Post-Capitalist Entrepreneurship – Startups for the 99% skizziert. Vordenker:innen wie Reinhard Pfriem beschäftigen sich gar schon seit den 1970ern mit neuen und ethischen Unternehmenstheorien, die eine Neuerfindung des Unternehmertums implizieren.
Beispiele dafür finden sich z.B. mit Ecosia, einem Suchmaschinen-Anbieter, der Bäume pflanzt. Zusätzlich verhindert die Bindung des eigenen Vermögens den so genannten Mission-Drift. Dies in Kombination mit einer werteorientierten Finanzierung – siehe auch WEtell, einem nachhaltigen Mobilfunkanbieter – sichert die Unabhängigkeit, so dass in der Wachstumsphase die eigene Mission an oberster Stelle stehen bleibt und die Strategie von außen nicht beeinflusst wird.
Gemeinschaftsbasierte Organisationen , die entkoppelt von der traditionellen Marktlogik wirtschaften
Radikale Pioniere der Nachhaltigkeit sind hingegen Unternehmende, die mit einem neuen Ethikverständnis und der Integration aller Berührungsgruppen neuartige Geschäftsmodelle finden und betreiben. So entwickeln Sozialunternehmende im Rahmen ihrer Vorarbeit eine sogenannte Theory of Change, um Probleme zu lösen. Es soll die Transformation bestehender Branchen anstoßen, so wie WEtell als Beispiel im Mobilfunkmarkt vorangeht. Immer mehr Vorreiter stellen dabei auch das ewige Wachstum in Frage. So hat beispielsweise die Outdoor-Kleidermarke Patagonia bekanntgegeben, nicht mehr wachsen zu wollen. Zudem kann sogar das eigene Ende des Vorhabens offen thematisiert werden, wenn das eigentliche Problem gelöst wäre.
„Richtig rechnen“ wollen auch immer mehr Bürgeraktiengesellschaften der Regionalwert AG, indem sie die Einbeziehung der monetären Bewertung externer Effekte in die Finanzbuchhaltung forcieren. Andere Unternehmen – gemeinnützige sowie gewinnorientierte Startups – lassen sich eine Gemeinwohl-Bilanz ausstellen. Unter diesen neuen Leitlinien verliert das konventionelle, kostenoptimierende und wettbewerbsorientierte Handeln seine jetzigen Vorteile. Ganz entkoppelt von der traditionellen Marktlogik wirtschaften etwa gemeinschaftsbasierte Organisationen: Hier wird das Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft auf andere Branchen übertragen. Mittels Crowdfunding und Crowdinvesting etablieren sich zudem neue Finanzierungsmodelle zur Verwirklichung von Projekten. Manche übergeben diese im Erfolgsfall an die Allgemeinheit oder den Staat („Exit to Community“). So entstehen Prototypen einer ko-kreativen Ökonomie bis hin zu Ansätzen tauschlogikfreien Wirtschaftens.
Dieser Blogpost ist ein Auszug des Beitrags von Daniel Bartel, der zuerst bei Makronom dem Online-Magazin für Wirtschaftspolitik veröffentlicht wurde. Er ist Teil einer umfassenden neuen Beitragsserie renommierter Ökonom:innen. Im Angesicht der Klimakrise und der Fridays-for-Future-Proteste hat das Netzwerk Plurale Ökonomik unter #Economists4Future dazu aufgerufen, Impulse für neues ökonomisches Denken zu setzen und bislang wenig beachtete Aspekte der Klimaschutzdebatte in den Fokus zu rücken. Zum vollständigen Aufsatz von Daniel Bartel geht es hier direkt.
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