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Hirschmann
Dr. Mirko Hirschmann
12. November 2024

Schutzrechte für soziale Innovationen: Wirkungschancen und -risiken

Welche Möglichkeiten zum Schutz von sozialen Innovationen gibt es? Und welche Wirkungschancen und -risiken bergen verschiedene Schutzrechte sowohl für ihre Nutzer:innen als auch für die Gesellschaft?

Wenn es um technische Innovationen geht, ist die Herausforderung offensichtlich. Sie haben oft einen klar erkennbaren ökonomischen Wert und um sie zu verwerten oder vor unlauterem Wettbewerb zu schützen, werden sie vielfach geschützt. Bei sozialen Innovationen ist diese Notwendigkeit nicht gleich offenkundig. Doch angesichts globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel oder sozialer Ungleichheit wird die Nachfrage auch nach sozialen Innovationen ständig größer und auch die Lösungsansätze und Chancen werden begehrter, ebenso oft auch ihr Wert.

Dies zeigt sich in der Zunahme von Förderprogrammen auf nationaler und supranationaler Ebene. In Deutschland hat der Beirat des BMBF für Soziale Innovation kürzlich mit dem Vision Paper “30 Milliarden bis 2030“ sieben Leitlinien zur Stärkung des Ökosystems zur Entwicklung von sozialen Innovationen definiert.

Parallel dazu wächst international das Investitionsvolumen im Bereich des Impact Investing. So plant die EU beispielsweise mit ihrer Initiative “ESF Social Innovation+ “ von 2021 bis 2027 rund 197 Millionen Euro in die Förderung sozialer Innovationen zu investieren. Laut dem Global Impact Investing Network wurden außerdem im Jahr 2022 bereits Impact Investitionen von über 1.000 Milliarden Euro getätigt, wovon ein großer Teil in Sozialunternehmen fließt, die soziale Innovationen vorantreiben.

Soziale Innovationen umfassen Ideen oder Modelle, die darauf ausgerichtet sind, sozialen Bedürfnissen innerhalb einer Gesellschaft auf eine neuartige Weise zu begegnen. Ein durch den „Gesellschaft der Ideen: Wettbewerb für Soziale Innovationen“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) preisgekröntes sozial innovatives Projekt ist beispielsweise der „Credible Messenger“ der Organisation „Tatort Zukunft e. V.“. Dieses Projekt vernetzt jugendliche Intensivstraftäterinnen und -straftäter mit pädagogisch geschulten ehemaligen Strafgefangenen, um gemeinsam dauerhafte Wege aus der Kriminalität zu erarbeiten.

Auch bei sozialen Innovationen ist der Schutz ein wesentlicher Schritt, um den Wert und die Einzigartigkeit dieser Innovationen zu bewahren und dient insbesondere der gewerblichen Nutzung, wie es beispielsweise im Social Entrepreneurship-Bereich üblich ist. Und ähnlich wie bei anderen Arten von Innovationen besteht auch bei sozialen Innovationen die Möglichkeit, diese auf verschiedene Weise zu schützen.

Formale Schutzrechte von geistigem Eigentum

Das bekannteste gewerbliche Schutzrecht für geistiges Eigentum und technische Innovationen stellen Patente dar. Während eine breiter gefasste Definition von sozialen Innovationen auch technische Innovationen mit gesellschaftlichem Mehrwert umfasst, basiert der Großteil der sozialen Innovationen auf neuartigen Angeboten ohne technischen Hintergrund. Viele soziale Innovationen konzentrieren sich beispielsweise auf die Bereitstellung innovativer Dienstleistungen. Daher können Patente für diese Art von Innovationen häufig nicht als Schutzmechanismen verwendet werden.

Im Gegensatz dazu basieren grüne Innovationen oft auf technischen Erfindungen, weshalb Patente hier häufiger als Schutzrechte genutzt werden. Ein Beispiel für eine technische soziale Innovation, die durch ein Patent geschützt wurde, stammt von dem Sozialunternehmen VerbaVoice, das eine ortsunabhängige Zuschaltung von Schrift- und Gebärdensprachdolmetscher:innen entwickelte und sein Verfahren zur Transkription gesprochener Sprache schützen ließ.

Ein von Sozialunternehmen häufiger als Patente genutztes gewerbliches Schutzrecht im Bereich von sozialen Innovationen stellen Marken dar. Diese werden von Organisationen angemeldet, um Waren und Dienstleistungen zu kennzeichnen und ihr Angebot von dem anderer Organisationen zu unterscheiden.

Marken werden sowohl zum Schutz von Organisationsnamen oder -zeichen als auch zum Schutz neuer Produktnamen oder -zeichen verwendet. Die Eintragung von Marken ist zudem günstiger und weniger zeitaufwendig als die Anmeldung von Patenten. Bekannte deutsche Sozialunternehmen, die ihren Unternehmensnamen und die damit einhergehenden sozialen Innovationen geschützt haben, sind unter anderen Discovering Hands, Ecosia oder Viva con Agua.

Weitere formale Schutzrechte für Innovationen, die jedoch seltener im Bereich der sozialen Innovationen genutzt werden, sind Gebrauchsmuster und Designs.

Wirkungschancen durch Schutzrechte

Welche Chancen ergeben sich nun für Sozialunternehmen und Gesellschaften aus der Anmeldung oder Registrierung gewerblicher Schutzrechte für soziale Innovationen?

Für viele Sozialunternehmen ist ein wichtiger Aspekt sozialer Innovationen häufig ihre Skalierung, da sie zu einer größeren gesellschaftlichen Wirkung führt. Der gewerbliche Schutz von geistigem Eigentum kann Sozialunternehmen bei der Skalierung ihrer sozialen Innovationen unterstützen, indem er die Kommerzialisierung ihrer Markteinführung erleichtert und ihnen einen Wettbewerbsvorteil bietet.

Insbesondere Social Impact Startups oder etablierte Sozialunternehmen, die mit ihren sozialen Innovationen auch einen Umsatz generieren möchten, können hierdurch vom Schutz ihres geistigen Eigentums profitieren. Eine Forschungsarbeit zu sozialen Startups in Deutschland zeigt, dass frühzeitige Markenanmeldungen ein Indikator für größeren ökonomischen und sozialen Erfolg dieser Unternehmen sein können.

Schutzrechte für soziale Innovationen können zudem eine Signalwirkung haben, welche zur Gewinnung externer Investoren beitragen und die Zusammenarbeit mit anderen Stakeholdern im Rahmen von Partnerschaften erleichtern kann. Daraus kann wiederum eine größere Verbreitung der gewünschten gesellschaftlichen Wirkung resultieren.

Bisherige Forschung zeigt außerdem, dass soziale und nachhaltige Innovationen oft über gewerbliche Schutzrechte, insbesondere in Bezug auf Markeneintragungen, identifiziert werden können. Diese Schutzrechte können beispielsweise Impact Investoren die Suche nach passenden sozialen Innovationen erleichtern und dazu beitragen, dass Sozialunternehmen mit geschützten Innovationen als professioneller wahrgenommen werden.

Ein weiterer wichtiger Aspekt für Organisationen bei der Eintragung von Schutzrechten kann neben dem kommerziellen Schutz auch der Schutz der sozialen Wirkung sein, die durch die soziale Innovation erzielt wird. Unter anderem beim Social Franchising spielt der Schutz der sozialen Wirkung eine wichtige Rolle, da er hilft, die Zuverlässigkeit und den Standard des Angebots zu sichern.

Social Franchising erlaubt es einer Organisation (Social-Franchisenehmer), die sozialen Lösungen einer anderen Organisation (Social-Franchisegeber) unter ihrem Markennamen zu nutzen. Durch gewerbliche Schutzrechte können Organisationen somit sicherstellen, dass ihre sozialen Innovationen konsistent und in hoher Qualität repliziert werden, was für den Erfolg des Franchise-Modells entscheidend ist.

Ein Beispiel dafür ist die Dialogue Social Enterprise GmbH. Das Sozialunternehmen nutzt das Social Franchising, um Erlebnisausstellungen zu betreiben, bei denen Besucher:innen die Welt aus der Perspektive blinder Menschen erleben. Durch den Schutz ihrer Marke und der damit verbundenen Qualitätsstandards kann die Dialogue Social Enterprise GmbH sicherstellen, dass die angebotenen Erfahrungen überall nach denselben hohen Standards erbracht werden. Dies kann zur nachhaltigen gesellschaftlichen Wirkung des Sozialunternehmens beitragen.

Schlussendlich können die Schutzrechte auch nicht profitorientierte oder weniger an der Skalierung ihres Wirkungsmodells interessierte Sozialunternehmen davor schützen, dass ihre sozialen Innovationen an anderer Stelle entgegen ihrem Willen kommerzialisiert oder skaliert werden.

Wirkungsrisiken durch Schutzrechte

Neben den genannten Chancen birgt die Nutzung gewerblicher Schutzrechte für soziale Innovationen auch eine Anzahl an Risiken in Bezug auf die Wirkung. Während Schutzrechte die Wirkung sozialer Innovationen für einzelne Organisationen steigern können, besteht zugleich die Gefahr, dass die gesamtgesellschaftliche Skalierung dieser Innovationen durch den Einsatz von Schutzrechten gehemmt wird. Dies ist der Fall, wenn andere Organisationen sich nicht an der Verbreitung einer sozialen Innovation beteiligen können, da sie durch bestehende Schutzrechte in ihrer Arbeit eingeschränkt werden.

Ein Beispiel dafür erlebte kürzlich das Sozialunternehmen einhorn products GmbH, welches ein neues Balkonsolarprodukt unter dem Namen „einhorn energy“ einführen wollte. Dies gelang allerdings nicht, da ein lokaler Energieversorger mit einer eingetragenen Marke zu einem ähnlichen Produktnamen dem Sozialunternehmen die Nutzung untersagte. Zwar konnte das Produkt schließlich unter einem anderen Namen auf den Markt gebracht werden, doch zeigt dieses Beispiel, dass Schutzrechte im Bereich von sozialen Innovationen auch Hindernisse schaffen können.

Breite Diskussionen zu Wirkungsrisiken durch Schutzrechte fanden während der Corona-Pandemie im Rahmen der Patentierung von Impfstoffen statt: Befürworter der Patentfreigabe argumentierten, dass die Aufhebung der Patente den globalen Zugang zu Impfstoffen verbessern und somit die Pandemiebekämpfung, insbesondere in ärmeren Ländern, beschleunigen würde.

Gegner der Patentfreigabe befürchteten hingegen, dass die Abschaffung von Patenten die Innovation und Entwicklung zukünftiger Impfstoffe gefährden könnte, da sie die finanziellen Anreize für Pharmaunternehmen reduzieren würde. Die Debatte verdeutlicht, dass Schutzrechte einen bedeutenden Einfluss auf die Wirkungsskalierung von Innovationen haben können, was auch für soziale Innovationen gilt.

Weitere Wirkungsrisiken, die durch die Nutzung von Schutzrechten im Rahmen sozialer Innovationen auftreten können, umfassen den Mission-Drift und die Behinderung von Kooperationen. Ein Mission-Drift tritt auf, wenn die ursprüngliche soziale Mission aufgrund eines zu rigorosen Einsatzes von geistigen Eigentumsrechten zugunsten wirtschaftlicher Interessen verwässert wird. Außerdem können Kooperationen im Bereich sozialer Innovationen verhindert oder gehemmt werden, wenn Organisationen aufgrund von Schutzrechten zögern, Wissen und Ressourcen zu teilen. 

Fazit

Die Gegenüberstellung der Wirkungschancen und -risiken zeigt, dass sich der Nettonutzen von geistigen Schutzrechten im Kontext von sozialen Innovationen nicht abschließend beurteilen lässt. Sicher ist jedoch, dass sich Organisationen vor der Anmeldung oder Registrierung eigener Schutzrechte Gedanken über die Konsequenzen für ihre Wirkungslogiken und -ziele machen sollten.

Lösungen wie freie und offene Lizenzierungsangebote für nicht-kommerzielle Zwecke können beispielsweise eine Möglichkeit bieten, auch geschützte soziale Innovationen auf der wirkungsorientierten Ebene zu verbreiten. Insgesamt wäre es wünschenswert, wenn in Zukunft eine tiefere Diskussion in der Wissenschaft sowie zwischen den beteiligten Akteur:innen aus dem Bereich sozialer Innovationen mehr Klarheit über den gesellschaftlichen Mehrwert gewerblicher Schutzrechte für soziale Innovationen bringen würde.

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