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Hans-Josef Vogel
28. April 2023

Reallabore – Wie das Neue auch in die Verwaltung kommt.  

Nicht nur in der Wirtschaft oder Wissenschaft sind Reallabore ein profunder Weg zu mehr Innovation. Auch in Verwaltungen können sie erfolgreich eingesetzt werden: das erfolgreiche Beispiel der Verwaltung im sauerländischen Arnsberg.

 

Um sie vorab kurz zu definieren: „Innovationslabore (auch Living Labs genannt) sind ein Instrument für öffentliche Verwaltungen, ihre Organisation – vor allem ihre Leistungen und deren Herstellung – durch die Entwicklung digitaler Methoden zu erneuern, um Herausforderungen von öffentlichem Interesse besser zu lösen und ihren Impact zu steigern.   Als erste Innovationslabor einer deutschen Verwaltung gilt das GovLab Arnsberg. Es wurde 2018 von der Bezirksregierung Arnsberg (NRW) als integraler Teil ihrer Verwaltungsorganisation und ihres Gesamtinnovationsprozesses eingerichtet. Der Prozess umfasst Innovation, Skalierung, Wirkungsverbesserung und öffentliche Wertsteigerung ihres Handelns als Bündelungsbehörde. In dieser laufen die wesentlichen Aufgabenstränge aller Landesministerien für den Regierungsbezirk mit seinen rund 3,6 Mio. Einwohner:innen zusammen. Vor dem Hintergrund der Digitalisierung lautete die Leitlinie: „Einfach anfangen: einfacher, schneller, besser.“  

Das GovLab Arnsberg ist dabei im Grunde „nur“ ein großer Freiraum des Möglichen, ein Freiraum zur Entwicklung und Implementierung neuer Lösungen. Als lernende Organisation reagiert es schnellstmöglich auf sich ändernde Bedürfnisse und verändert sich mit dem stetigen Wandel jenseits bestehender Regulierungen.  

Gründe und Motive für  Innovationslabore?

Ein wesentlicher Grund für Innovationslabor und Innovationsprozess der Bezirksregierung Arnsberg war und ist der erhöhte Druck der Digitalisierung auf den öffentlichen Sektor: mit den technologischen Entwicklungen des Privatsektors Schritt zu halten, digitale Dienstleistungen anzubieten, ihren Herstellungsprozess digital zu gestalten und zur digitalen Transformation der Verwaltung insgesamt beizutragen.  Hinzu kam und kommt die Notwendigkeit, Planungs-, Genehmigungs- und Förderverfahren im Sinne des Gemeinwohls zu beschleunigen, die Behäbig- und Bräsigkeit des Analogen zu überwinden und so neues Vertrauen in Politik und Verwaltung zu begründen.  

Nicht zuletzt ging und geht es um die Wertschätzung der Mitarbeiter:innen, die mehr verdient haben als sich in der vordigitalen Verwaltungswelt unnötig abzumühen überkommenen Hierarchien gefällig und gleichzeitig pauschalen Bürokratievorwürfen ausgesetzt zu sein.  Wer übrigens näher hinsieht, erkennt, dass in der öffentlichen Verwaltung seit einiger Zeit ein Umbruch im Gange ist – kleinteilig, in vielen einzelnen Projekten – getrieben von engagierten Mitarbeiter:innen, die nicht, wie schon so oft, enttäuscht werden dürfen. Zu nennen ist beispielhaft das „NExT Netzwerk“ von Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die meist aus sich selbst heraus und hierarchiefrei an ihrem jeweiligen Platz die digitale Transformation der Verwaltung vorantreiben. 

Es geht in der Arbeit der Innovationslabore um drei Seiten, die von Innovationen in der Verwaltung profitieren sollen: die externen Nutzer und Akteure – Bürger:innen, Wirtschaft und Umwelt -, die politischen Auftraggeber und die interne Organisation und ihre Mitarbeiter:innen. 

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Spezifische Elemente und Mehrwert

Inzwischen können wir die zentralen Elemente von Innovationslaboren der öffentlichen Verwaltung klar benennen – auch aufgrund des Arnsberger Beispiels: 

  • Reale Probleme (eigener Arbeitsplatz), keine künstlichen Probleme 
  • Interdisziplinarität / Transdisziplinarität 
  • Kollaboration 
  • Umsetzung in beginnende und laufende Transformationsprozesse 
  • Partizipation betroffener Akteure, Nutzer und der Zivilgesellschaft 

Innovationslabore der öffentlichen Verwaltung zielen auf die Schaffung öffentlicher Werte. Wir können am Beispiel des GovLab Arnsberg vor allem folgende Werte unterscheiden: 

  • den administrativen Wert (Arbeit wird einfacher, schneller, effektiver) 
  • den wirtschaftlichen Wert (neue Produkte und Dienstleistungen werden geschaffen) 
  • den Wert für die digitale Transformation der eigenen und der öffentlichen Verwaltung insgesamt z.B. durch Schaffen von Transformationswissen 
  • den partizipatorischen Wert für die Transformation im Sinne von Open Social Innovation.  

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Wertschöpfung und Erfolgsfaktoren  

Schließlich haben sich vier Erfolgsfaktoren für die Arbeit eines Innovationslabors herausgestellt, die beispielsweise auch aus Sicht der Mitarbeiter:innen des GovLab Arnsberg zentral sind: 

  • Politischer Wille und Unterstützung der Behördenleitung 
  • Autonomie und Mitarbeiter Empowerment (Befugnis, relevante Entscheidungen selbst zu treffen – Stichwort Freiraum –  und Bereitstellung von Tools und Ressourcen) 
  • Schaffen von Mehrwert für den Einzelnen  
  • Agiles Projektmanagement 

Bleibt noch festzuhalten: Der partizipative Aspekt von Innovationslaboren sollte mehr Beachtung finden – auch und gerade zur konsequenten Ausrichtung auf reale Probleme der Beteiligten oder Betroffenen und damit zur Beschleunigung der digitalen Transformation durch Druck „von Außen“.  Darüber hinaus bestätigte die Arbeit des GovLab Arnsberg im Wesentlichen die wissenschaftlichen Ergebnisse zu Erfolgsbedingungen und Hindernissen von Verwaltungsinnovationen. 

Hindernisse und Hürden für Innovationslabore 

Das führt mit Blick auf die zu langsame digitale Transformation der Verwaltung(en) in Deutschland zu der Frage nach zentralen Hindernissen und Grenzen für die Arbeit von Innovationslaboren und Innovationsprozessen und zur Frage, wie sie überwunden werden können.  Innovationslabore als Versuchs- oder Freiräume ermöglichen, das Analoge in Form bestehender vordigitaler Politik, Gesetze und Vorschriften aller Ebenen zu überwinden und neue Lösungen mit größerem öffentlichen Mehrwert zu erarbeiten und anzuwenden.  

Die Skalierung zahlreicher digitaler Lösungen ist im demokratischen Rechtsstaat allerdings eine grundlegende Herausforderung für das bestehende Analoge in Politik, Gesetzen und Vorschriften. Eine große, fast schon unüberschaubare Zahl von Regulierungen müssen geändert und an die digitale Lebenswelt von Mensch und Wirtschaft angepasst werden. Sie müssen für die heutige und zukünftige Lebenspraxis tauglich gemacht werden. Das kann eine Verwaltung allein nicht leisten, aber sie kann dafür das notwendige Transformationswissen zur Verfügung stellen.  

Toomas Hendrik Ilves (ehem. estnischer Staatspräsident) hat dies 2017 anlässlich seiner Auszeichnung mit dem Reinhard Mohn Preis auf den Punkt gebracht: Politik, Gesetze und Vorschriften – „das ist der schwierige Teil – die Technologie ist einfach. Die Technologie ist überall, und sie ist erstaunlich günstig. Jede Regierung oder jeder Staat kann die Technologie bekommen. Zudem ist unsere Technologie in Wahrheit alt, d.h.: wir machen heute wenig, was vor 25 Jahre nicht bereits möglich gewesen wäre. Außer, dass es damals nicht umgesetzt wurde“.  

Ein aktuelles Beispiel: Der Chatbot ChatGPT von OpenAI ist seit Ende November 2022 auf dem Markt. Viele Anwender im privaten Sektor, aber nur einzelne im öffentlichen Sektor nutzen seine Anwendungen, um sich selbst die Arbeit zu erleichtern. Entsprechendes gilt für andere Generative Künstliche Intelligenz. Wieder einmal überwiegen bei uns Skepsis und Zweifel. Eine Null-Risiko-Politik aber gibt es nicht weder so noch so. Politik und Verwaltung sollten stattdessen das Potential Generativer Künstlicher Intelligenz für das Allgemeinwohl nutzen, auch und gerade um KI im Sinne der freiheitlichen Demokratie mitzugestalten und noch offene Probleme wie Copyright, Transparenz, Erkennbarkeit von Wissenslücken oder Unterbindung von Hate-Speech und Rassismus zu lösen. Innovationslabore oder auch Experimentierklauseln können hier gute Dienste erweisen.  

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Die Kluft überwinden 

Insgesamt geht es um die Bereitschaft zur Digitalität des Staates oder, um Ilves zu zitieren, „um die Bereitschaft der politischen Entscheidungsträger, Politik zu machen, der Gesetzgeber, Gesetze zu erlassen, und der Regulierungsbehörden, die auf gesetzlicher Grundlage arbeiten, Vorschriften zu erlassen“. 

Zu lange sind digitale Technik und analoge Politik als unterschiedliche Bereiche behandelt worden. In der Überwindung dieser Kluft liegt vielleicht der eigentliche Grund für den Erfolg der Verwaltungsdigitalisierung in Estland und anderen europäischen Staaten. Umgekehrt wurde diese Kluft in Deutschland nicht grundsätzlich, sondern lediglich in Projekten überwunden. Zur Überwindung der Kluft zwischen IT und Politik/Gesetzgeber/Vorschriftengeber brauchen wir die Brücken der Anpassung des vordigitalen Rechts an die neue digitale Medienepoche. Normenkontrollräte auch auf Länderebene können dazu beitragen.  

Zu den Hindernissen und Erschwernissen transformativer Verwaltungsinnovation zählen auch die Schlingen und Fallen von Politikverflechtung (Fritz W. Scharpf) und Verwaltungsverflechtung (Jörg Bogumil) im föderalen System der Bundesrepublik.  Eine Vielzahl von Problemen aus der Politik- und Verwaltungsverflechtung gilt es auch für die Digitalpolitik zu lösen. Dazu zählen:  

  • die ungenügende Koordination zwischen Bund, Länder und Kommunen sowie der Zivilgesellschaft (unzureichende Multi Level Governance im Sinne einer neuen Orchestrierung des Zusammenspiels und der Arbeitsteilung) 
  • die komplizierte aufwändige und langsame Koordination von vertikal und horizontal verteilten Ressourcen zur Problemlösung 
  • erhebliche Doppel- oder besser Vielfacharbeiten 
  • hoher Verwaltungsaufwand auch aufgrund unterschiedlicher politischer und administrativer Kulturen 
  • fehlende Verantwortung für Gesamtprozess(e) und 
  • das Unterschätzen der negativen Folgen schlechter Verwaltungsorganisation durch Politik und Öffentlichkeit. Im Grunde gibt es keine Verwaltungspolitik, was sich nachteilig auf die Digitalisierung von Verwaltung und Staat auswirkt  

Digitalisierung als Chance  

Die Digitalisierung ist aber nicht nur eine Herausforderung für die Verwaltungsverflechtung, sie ist auch ihre Chance. Einerseits sind umfangreiche Neuverflechtungen von Verwaltungen erforderlich. Andererseits ermöglicht die Digitalisierung bessere Kommunikation und Kollaboration sowie besseren Datenaustausch in zeitlicher und räumlicher Echtzeit. Die Lösungen aus Innovationslaboren und aus unseren europäischen Nachbarstaaten helfen, alte Skepsis und Kluften zu überwinden und mit der digitalen Transformation des Staates endlich voranzukommen. Das ist erforderlich, da sich – wie Zeit-Journalist Bernd Ulrich in seinem Twitterprofil schreibt – an den Mauern der Untätigkeit der Wahnsinn staut. 

 


 Literaturhinweise: 

Bogumil, J.: Verwaltungsverflechtungen im föderalen System, 2023 

Bogumil, J., Gerber, S. und Vogel, H.-J.: Verwaltung besser machen: Vorschläge aus Wissenschaft und Praxis, 2022. https://omp.ub.rub.de/index.php/ZEFIR/catalog/view/218/191/1173  

GovLab Arnsberg: https://extra.bra.nrw.de/govlab/ 

Haug, N. and Mergel, I.: Public Value Co-Creation in Living Labs – Results from Three Case Studies. Administrative Sciences, 11 (3), 74, 2021. https://doi.org/10.3390/admsci11030074  

Mair, J., Gegenhuber, T., Lührsen, R. und Thäter, L.: UpdateDeutschland: Open Social Innovation weiterdenken und lernen – Learning Report, 2022. https://doi.org/10.48462/=PUS4-3782 

Nationaler Normenkontrollrat: Digitalisierung und Modernisierung der Verwaltung voranbringen, 2022. https://www.normenkontrollrat.bund.de/nkr-de/digitalisierung 

NeXT: https://next-netz.de 

Vogel, H.-J.: Eine Bezirksregierung auf Innovationskurs, in: Habbel, F.-R. et al (Hrsg.): Die innovative Kommune, 2022. https://www.springerprofessional.de/eine-bezirksregierung-auf-innovationskurs/20306652  

Vogel, L.: Conditions for the success of innovation labs in Germany. A case study. KU Leuven. Faculty of Social Sciences. Digital Public Governance, 2023 

 

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