„Vor zwanzig Jahren hätte ich nie erwartet, dass ich eines Tages Vorträge über den Klimawandel halten, geschweige denn ein Buch darüber schreiben würde.“ Bill Gates, Revolutionär der Softwareentwicklung, umstrittener Begründer eines der größten, mächtigsten und wertvollsten Konzerne der Welt und zugleich Humanist und Philanthrop, hat es jetzt getan. Gewiss, alt gewordene Jungsozialisten und Kämpfer gegen die Atomkraft (um hier eine persönliche Verortung vorzunehmen) werden dem Weltbürger aus Seattle nicht in allen Gedanken und Vorschlägen seines 300 Seiten Werkes „Wie wir die Klimakatastrophe verhindern können“ zustimmen wollen und können. Aber der moralisch-ethische Ansatz von Bill Gates, der Aufbau seines Werkes in der Analyse und die Stringenz, mit der eine Umsetzungsstrategie und konkrete Maßnahmen entwickelt werden, verdienen uneingeschränkten Respekt. Er gibt beispielhaft Orientierung, welche Mission vor der Menschheit liegt, welche Strategie einzuschlagen ist und welche konkreten Lösungen voran zu treiben sind.
Was macht das Buch zu einem besonderen Buch? Mit Blick auf die Klimakatastrophe bestimmt Bill Gates ein höchst ambitioniertes Ziel, nämlich von 51 Milliarden Tonnen Ausstoß an Treibhausgasen auf null. Er begründet die Notwendigkeit dieses Ziels mit dem Stand der Erkenntnisse über die Erderwärmung und deren existentiellen Folgen für die Menschheit und verschweigt auch nicht noch fehlendes Wissen. Was der griechische Philosoph Sokrates mit seiner Mäeutik (die Menschen über Fragen zu neuen Einsichten zu führen) schon vor 2500 Jahren getan hat, nimmt Gates im Prinzip auf: Fragen stellen, einfache Worte finden, Anschaulichkeit schaffen. Er definiert Schlüsselgrößen wie einen Ökozuschlag und buchstabiert diese durch auf den fünf zentralen CO2-Emmissionsfeldern von der Stromerzeugung, der Industrieproduktion, der Landwirtschaft, dem Transport und Verkehr bis zum Kühlen und Heizen. Entsprechend systematisch entwickelt er einen Plan zur Dekarbonisierung, technologisch, ökonomisch und politisch.
Ja, Bill Gates, der große Anti-Etatist seiner früheren Jahre, überschreibt das zentrale Kapitel, welche Prinzipien denn der Angriff gegen den Klimawandel von allen Beteiligten erfordern würde, markig mit der Botschaft, „Warum es auf die Politik ankommt“ und untermauert dieses Bekenntnis mit der sympathisch-persönlichen Bemerkung: „Es mag geradezu ironisch wirken, dass ausgerechnet ich zu mehr staatlicher Intervention aufrufe.“ Wer darüber zu sehr erschrecken könnte, mag sich durch die Widmung des Buches wieder beruhigen, die Bill Gates ausdrücklich an „die Wissenschaftler, Innovatoren und Aktivisten, die uns den Weg zeigen“, gerichtet hat.
Solche „Wegweiser“ auf der langen Strecke der Mission Klimaschutz (und nicht nur Bill Gates benennt hier auch globale Gesundheit, globale Bildung, globale Freiheit von Armut als Missionen von vergleichbarer Bedeutung) werden mehr denn je gebraucht, wenn Zukunft gelingen soll. Bill Gates Selbstbewusstsein und seine Souveränität gründen auf der Wirksamkeit und dem Erfolg von Innovationen. Mehr Förderung, mehr Transfer, mehr Kooperation für missionsorientierte Ideen und Innovationen sind denn auch die Basis für seine unerschütterliche Zuversicht. Noch einmal Bill Gates: „Ich bin Optimist, weil ich weiß, wozu Technologie in der Lage ist und weil ich weiß, wozu Menschen in der Lage sind.“
Das innovative Tetragon und die Innovation der Innovation
„Behalten Sie Technologie, Politik und Märkte stets gleichzeitig im Blick“ ist ein Mantra, das Bill Gates immer wieder neu beschwört. Er tut dies mit Blick auf die konkreten Schritte von Regierungen, Unternehmen und Individuen für einen Master-Plan der Dekarbonisierung im Besonderen und für Innovationen im Allgemeinen. Hier ist Kritik angebracht. Technologie, Politik und Märkte – diese Triangel muss um Bildung, Wissenschaft und Forschung zum Tetragon erweitert werden, wenn es um Innovationen und deren Entwicklung, Bewertung, Umsetzung und Durchsetzung geht. Bildung, Wissenschaft und Forschung lösen sich nicht auf in Technologie, Politik und Märkten. Sie haben eine eigene komplexe Qualität und sind darin für den Erfolg der großen Zukunftsmissionen der Menschheit nicht wegzudenken.
Ein Virus wie Covid 19 und seine Mutanten kennen nur die Gesetze der Biologie, wie die Menschheit in der Pandemie mehr als schmerzlich erfahren muss. Für Gesundheitsprävention, Krankenversorgung und Nachsorge sind jedenfalls wissensgeleitete Antworten zu finden. Glauben und Meinen und Hoffen helfen nun mal nicht. Die Naturwissenschaftlerin im Kanzleramt hat ja Recht, wenn sie den Leugnungen aller Art unverdrossen entgegenhält, dass sich die Gesetze der Physik auch durch Parlamentsbeschlüsse nicht außer Kraft setzen lassen. Ohne die Erkenntnisse der Naturwissenschaften wird die Menschheit im Kampf gegen die Erderwärmung genauso wenig Antworten finden wie bei der Pflege der natürlichen Lebensgrundlage, der Sicherung der stofflichen Ressourcen für ein Leben in nachhaltigem Wohlstand und dem Erhalt von Biodiversität.
Haben Politik und Märkte in der weiten Definition, wie sie Bill Gates verwendet, in der bisherigen Geschichte ihre Entscheidungen im Wesentlichen entlang der Auseinandersetzungen um Werte und Interessen getroffen, wird sich die Mission Zukunft nur mit Kenntnis und Respekt gegenüber Wahrheiten und Wahrhaftigkeit erfüllen lassen. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden in all ihrer Relativität erst recht notwendig sein, wenn es um die Entwicklung von wissenschaftlich begründeten Pfadoptionen geht. Die notwendige Abwägung und Klärung von Alternativen und ihre Durchsetzung werden sich in einer Demokratie immer unter dem Einfluss von Werten und Interessen vollziehen. Das macht Demokratie aus, die keine Herrschaft der Wissenden und Weisen ist. Aber ein breites Wissens – und Bildungskapital bei den einzelnen Menschen wie in der Gesellschaft insgesamt wird unverzichtbar sein. Es wird zur notwendigen, wenn auch nicht hinreichenden Bedingung für die Transformationen der Mission Zukunft.
Der große Philosoph Immanuel Kant definierte Aufklärung als den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“ Unmündigkeit in die Moderne übertragen heißt, die großen Menschheitsfragen der Zukunft ohne die Erkenntnisse „eines anderen“ (Kant) von Wissenschaft und Forschung und ungeachtet von deren prinzipieller Vorläufigkeit und ihrer nur relativer Sicherheit lösen zu wollen und sich hierbei in den Systemen von Politik , Märkten und Technologien abzuschotten. Eine solche Unmündigkeit in der Moderne kann nur zum Scheitern führen. Ein Verstand ohne Auseinandersetzung mit den Leistungen von Wissenschaft und Forschung, sozusagen ohne deren „Leitung“, wäre sträflich gegenüber der Mission Zukunft. Wir brauchen das Zusammengehen von Bildung, Wissenschaft und Forschung, von Technologie, von Märkten und von Politik. Eine Trennung wäre auch innovationsfeindlich. Und die können wir uns nicht leisten. Das Nachdenken über die Innovation in der Innovation gehört dazu.
Missionen und soziale Innovationen
Noch einmal Bill Gates: Von 51 Milliarden auf null. „Die Menschheit hat noch nie etwas so Großes unternommen. Es bedeutet, dass jedes Land seine Gewohnheiten wird ändern müssen, denn bei so gut wie allen Aktivitäten des modernen Lebens – Landwirtschaft, Industrie, Transport und Verkehr – werden Treibhausgase freigesetzt. Wenn sich nichts anderes ändert, wird die Menschheit immer weiter Treibhausgase produzieren, der Klimawandel wird sich immer weiter verschärfen, und seine Folgen für die Menschheit werden aller Wahrscheinlichkeit nach katastrophal sein.“ Was die ganze Menschheit betrifft ist eine Mission: Sie ist weitreichend, tiefgreifend, kostspielig, lang andauernd, komplex, lebensverändernd, menschheitserhaltend und zugleich das Anthropozän überwindend. Nichts wäre schlimmer als eine Inflation und Beliebigkeit von Missionen. Und nichts wäre für den Beitrag von Innovationen zur Erfüllung dieser Mission demotivierender als deren Banalisierung. Innovationen sind nicht einfach technische Erfindungen, kleine Verbesserungen des schon Bestehenden, Optimierungen in der Kapitalverwertung an den Märkten, unabhängig davon ob inkrementell oder disruptiv.
Technologische Innovationen als Wegbereiter von Missionen haben vor allen Dingen immer eine relevante tiefgreifende soziale, geistige, mentale und pädagogische, sprich eine gesellschaftspolitische Dimension. Sie setzen sich in der Implementation auseinander mit vermeintlichen anthropologischen und sozialen Konstanten, die von Blockierungen in Katalysatoren zu verwandeln sind. Innovationen müssen harmonieren mit den intellektuellen und psychischen Kapazitäten der Menschen und dem innovativen sozialen Kapital einer Gesellschaft und letztlich der Menschheit insgesamt, um eine Anleihe bei dem französischen Soziologen und Sozialphilosophen Pierre Bourdieu zu machen. Bill Gates vermittelt eine erste Ahnung von dem Umfang dieser Jahrhundert-Aufgaben, für die jetzt jede Gesellschaft und jeder Staat die eigenen Innovationsvoraussetzungen und -strukturen überprüfen und weiterentwickeln muss, eben Innovation der Innovation betreiben und hierbei auch über die nationalen Grenzen hinausdenken.
Was bedeutet das Absenken der weltweiten CO2 Emissionen bis 2050 in nur wenig mehr als einer Generation für das Familien- und Arbeitsleben, für die Freizeitzeitgestaltung und das Reiseverhalten, für die Kommunikation und den Medienkonsum? Für Arm und Reich, für sozialen Zusammenhalt und Gerechtigkeit, für Demokratie und für Frieden? Und das nicht nur in Deutschland und in Europa, sondern weltweit, und das alles in kürzester Zeit? Bill Gates stellt die Klimakatastrophe ins Zentrum, die natürlich in Interdependenz steht mit Fragen der Ernährung, des Wohnens, der Gesundheit, der natürlichen und stofflichen Ressourcen wie der genetischen und biologischen Vielfalt. Die moralisch-ethischen Kräfte der Menschen werden hierbei mindestens so stark gefordert sein wie ihre Intelligenz, die soziale Leistungsfähigkeit mindestens so stark wie die technologische.
So wichtig die Teilhabe an Schlüsseltechnologien auch ist, dass Wozu und Wie und das für Wen muss im gesellschaftlichen Diskurs von Anbeginn offen mitgedacht werden. Schlüsseltechnologien haben genauso wenig einen Wert in sich, wie Innovationen in sich wertneutral sind. Sie sind zu orientieren auf ihren potentiellen Beitrag zur Mission einer humanen Zukunft. Diese Beiträge müssen kritisch diskutiert, evaluiert und justiert werden. Dazu werden die Sozial- und die Geisteswissenschaften, die Philosophie und die Ethik wichtiger denn je. Sie müssen auch in Deutschland an den Hochschulen wie in außeruniversitären Forschungseinrichtungen massiv verstärkt werden. Die Ausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung betrugen 2019 insgesamt 19,6 Mrd. Euro, davon für die Geistes-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 1,3 Mrd. Das muss zu denken geben! Schließlich baut sich nicht zuletzt aus diesen Wissenschaften der Brain-Trust für die Zivil-Gesellschaft im weitesten Sinne auf, von den Sozialversicherungen über die Sozialpartner und Wohlfahrtsverbände bis hin zu freien Kooperativen und deren sozialen Erfindungsreichtum. Aus diesen sozialen Inkubatoren müssen die sozialen Innovationen dann in den demokratischen Prozess des Aushandelns und Entscheidens nach Werten und Interessen Eingang finden.
Innovation, Ethik und Wirtschaft
Keine technologischen Innovationen findet aus sich heraus ihren sinnvollen Zweck, keine technologische Innovation entscheidet selbst über ihr menschliches Maß. Die Forschung zu den individuellen wie den gesellschaftlichen Implikationen dieser Innovationen muss deshalb selbstverständlich und ihrer Bedeutung angemessen gefördert werden. Und zwar nicht nur im System der Politik, sondern auch im System der Märkte, um an die Triangel von Bill Gates bzw. deren Erweiterung zum Tetragon anzuknüpfen. Es braucht Ethikstäbe in den großen Unternehmen mindestens so sehr wie Compliance-Abteilungen, soziale Folgenabschätzung und Innovationsideen mindestens so sehr wie Marktanalysen und Marketing. Der Vorstand für technologische und soziale Innovation muss so selbstverständlich werden wie der für Finanzen. Sie alle müssen selbstverständlicher Bestandteil einer zeitgemäßen Corporate Social Responsibility werden, denn Wirtschaftsunternehmen sollten endlich einsehen, dass auch ihre langfristige Bilanz vom Erfolg der hier umschriebenen Mission Zukunft abhängt. Wenn Bill Gates fragt, „Warum es auf die Politik ankommt?“ und die Steuerungs- und Ordnungsverpflichtung und die Innovationskraft staatlicher Politik anspricht, muss hier festgehalten werden, dass es bei der großen Wirkungsmacht der Märkte erst recht auch auf die Unternehmen ankommt, das heißt auf eine soziale und ökologische Marktwirtschaft für die Bewältigung der großen Menschheitsmissionen. Deutsche Weltkonzerne sollten dafür Vorbild sein, nationale Wirtschaftsverbände sollten sich auf diese Missionsorientierung mit verpflichten.
Das Tetragon und die sozialen Implikationen von Innovationen mit Missionsorientierung müssen sich auch in korrespondierenden Veränderungen der großen Informations- und Kommunikationsrituale niederschlagen. Die täglichen Börsennachrichten sollten durch einen wöchentlichen Faktenbericht zum Stand der Klimastabilisierung und der CO2 Reduzierung und anderer Zukunftsmissionen ausbalanciert werden. Die wirklichen Herausforderungen verlangen in den alten wie den neuen Medien dauerhafte Aufmerksamkeit, Information und Aufklärung.
Das gilt auch für das öffentliche Gutachter-Wesen. Der Jahreswirtschaftsbericht, der Kult um die fünf Wirtschaftsweisen und die sogenannten führenden Wirtschaftsforschungsinstitute gehen immerhin auf das Jahr 1963 und den Mythos der Wirtschaftswunderjahre zurück. Über 60 Jahre später sollte es an der Zeit sein, den Zustand und die Perspektiven der Innovationsfähigkeit und der sozialen und Implikationen entlang der relevanten Missionen mit Kraft in den Vordergrund zu rücken und hierfür eine entsprechende Infrastruktur und öffentliche und politische Wahrnehmung aufzubauen. Mit wissenschaftlichen Leitinstitutionen für die Innovationen und die Transformationsschritte bei den großen Zukunftsmissionen und mit einem umfassenden Jahresbericht zur Innovationsstärke und Missionsorientierung in Deutschland. Das Jahres-Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands EFI, das seit 2008 von einer Experten-Kommission vorgelegt wird, fordert eine solche Missionsorientierung grundsätzlich ein, lässt diese im Konkreten aber noch vermissen und konzentriert sich leider bisher zu sehr auf die Metabetrachtungen der Struktur von Forschung und Innovation und einzelne konkrete Instrumente.
Neue Instrumente en gros und en detail
Missionsorientierte Innovation braucht das Zusammenwirken von Politik und Wirtschaft. Das Instrumentarium hat sich in den letzten Jahren bereits massiv entfaltet. Die öffentlichen wie privaten Mittel für Wissenschaft und Forschung sind in Deutschland mit einem Anteil für Forschung und Entwicklung am BIP von 3,13 % bereits signifikant über das angestrebte 3 % Niveau der Lissabon-Strategie von 2000 hinausgewachsen. Auch wenn in der Corona-Krise ein leichter Rückgang zu verzeichnen ist, weniger bei den Großunternehmen, aber durchaus deutlich bei den kleinen und mittleren Unternehmen, ist die Gesamtentwicklung positiv. Dabei wird allerdings ein Drittel der Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in Deutschland von der Automobilindustrie geleistet. Hier ist sicherlich dringend eine bessere Diversifikation notwendig. Gleichzeitig sind auch während der Pandemie viele neue Starts-Ups entstanden mit Trends wie E-Commerce, mehr Gründerinnen und mehr digitalen Lösungen. Die Bundespolitik hat hieran erfolgreich mitgewirkt. Die öffentlichen Forschungsanstrengungen werden in der sogenannten High-Tech Strategie gebündelt werden. Ein Zukunftsfonds für junge Technologieunternehmen wird den Zugang zu Risikokapital verbessern. Gemanagt von der Förderbank KfW und über mehrere Fördertöpfe gesteuert stehen dafür von 2021 bis 2030 10 Milliarden an Bundesmitteln zur Verfügung, die um 20 Milliarden von privaten Investoren gehebelt werden sollen. Es gibt ein verbessertes Instrument der steuerlichen Forschungsförderung. Die Agentur für Sprunginnovationen kommt ins Laufen.
Um mehr Unternehmensgründungen anzuregen und vor allen Dingen mittelständische Unternehmen zu stärken, sind weitere Überlegungen in der Diskussion wie organisatorische Unterstützung durch One-Stop-Agenturen für Gründungen, öffentliche Fonds für missionsorientierte Förderung mit Wagniskapital und auch neue Brücken zwischen Forschung und Wirtschaft. Zwei zentrale Ausrichtungen lassen sich hierbei erkennen. Zum einen geht es um die Erleichterung von Ausgründungen aus den Forschungsorganisationen, wie sie der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft für eine gezielte Förderung in der Vorgründungsphase im Zusammenhang mit Veränderungen des noch allzu restriktiven Gemeinnützigkeits- und Beihilferechts in die Debatte gebracht hat. Zum anderen gilt es, am Aufbau einer Deutschen Transfergemeinschaft analog der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu arbeiten. Insbesondere muss dabei die Förderung der anwendungsorientierten Forschung mit Blick auf die regionalen Innovationsökosysteme verbessert werden. Solche Netzwerke werden in der Fläche gebraucht, um eine innovatives Graswurzelwerk zu schaffen. Die Expertenkommission für Forschung und Innovation hat hierzu nicht nur Themenoffenheit, sondern auch die Förderung entlang der zentralen auf Transformation ausgerichteten ambitionierten Mission eingefordert. Wir sollten in Deutschland auch sehr genau verfolgen, welche Dynamik in dem innovationsstarken Schweden von der neuen quasi-staatlichen Innovationsagentur Vinnova ausgehen kann, die auf die globalen Sustainable Development Goals 2030 verpflichtet ist.
Missionen, Innovation und Governance
Die Expertenkommission Forschung und Innovation fordert eine „neue Missionsorientierung ein, die sich durch Offenheit gegenüber neuen Problemlösungen und durch katalytische Markteingriffe auszeichnet.“ Sie verfolgt dabei einen sehr partizipatorischen Ansatz, bei dem nicht nur die verschiedenen Ressorts, sondern auch die Akteursrunden, die Zivilgesellschaft und die Kommunen einzubeziehen sind. Dazu sind interministerielle Task Forces und abteilungsübergreifende Projektteams und missionsbezogene Einheiten einzurichten. Gleichzeitig wird die Kategorie des „Politiklernens“ von der Expertenkommission in die Debatte eingeführt, um die Umsetzung der Transformation in einem Prozess der positiven Fehlerkultur zu befördern.
Dieser Vorschlag verfolgt damit einen ganz anderen, nicht derart monumentalen Ansatz, als ihn die Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung kürzlich vorgeschlagen hat, nämlich ein neues Zukunftsministerium für „Deep Tech“ und die großen zukunftweisenden Technologiefelder mit „disruptiven Charakter für alle Lebensbereiche und große gesellschaftliche Veränderungsströme“. Dieses neue Zukunftsministerium solle der Arbeit in den übrigen Ministerien vorgeschaltet sein und als Treiber und Initiator von Testfeldern, Reallaboren und Pilotprojekten agieren. Es soll zugleich eine „starke kommunikative Rolle gegenüber der Bevölkerung einnehmen und gerade für die Chancen des Fortschritts sensibilisieren.“
Nur braucht es dafür gleich ein ganzes Ministerium neuer Art? Ist es nicht klüger mit Blick auf die großen Missionen und relevanten Innovationen, eine Anleihe bei dem angelsächsischen System des Science Advisor zu machen, das aktuell auch in Amerika mit der Berufung des bedeutenden Biologen Eric Lander eine Renaissance erlebt? Im Amerika von Präsident Joe Biden ist damit nicht nur der Direktor des Büros für Wissenschafts- und Technologiepolitik im Weißen Haus nach fast zweijähriger Vakanz zügig neu besetzt worden, sondern der Science Advisor des Präsidenten hat zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte sogar Kabinettsrang bekommen.
Soweit sollten wir in Deutschland nicht gehen, wo Kabinettsrang nur der Kanzleramtsminister innehat. Aber eine starke Persönlichkeit aus der Wissenschaft und Forschung, angesiedelt im Bundeskanzleramt, könnte nicht nur die Bedeutung von Wissenschaft und Forschung in der Regierungszentrale repräsentieren, die Regierungsspitze beraten und für den Austausch von Politik und Wissenschaft und Forschung stehen (dass es zum Beispiel eine Physikerin und einen Anästhesisten an der Spitze des Bundeskanzleramtes auch in Zukunft geben wird, ist jedenfalls nicht sicher zu erwarten).
Eine solche parteipolitisch unabhängige Persönlichkeit aus der Wissenschaft und Forschung sollte auch die missionsorientierte Innovationsagenda ressortübergreifend stimulieren und mit organisieren, die von der Expertenkommission Forschung und Innovation eingefordert wird. Eine Institution dieser Art, in ihrer Autorität getragen aus dem Bundeskanzleramt, aber vor allen Dingen auch durch ihre eigene wissenschaftliche Exzellenz, hätte auch eine andere Wirksamkeit als ein neues Ministerium in Kooperation und sicherlich auch in Konkurrenz zu vorhandenen Ministerien. Und es hätte den Vorteil schlanker, missionsorientierter und innovativer als ein großes Zukunftsministerium zu sein.
Um ein letztes Mal auf Bill Gates zurück zu kommen. Die schon zitierte Widmung an die „Wissenschaftler, Innovatoren und Aktivisten, die uns den Weg zeigen“, ist Mahnung und Hoffnung zugleich für die Politik und ihre tragenden Akteure. Sie sollten alles tun, ihrer Verantwortung so gerecht zu werden, dass auch sie dann im Jahr 2050 bei einer CO2 Bilanz von Null eine Widmung aus der nächsten Generation von großen gemeinwohlorientierten Unternehmenspersönlichkeiten des 21. Jahrhunderts erhalten können.
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