Deutschland steht am Scheideweg. Ohne entschlossenes Handeln drohen Kernbereiche der deutschen Industrie an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren und der Wohlstand des Landes langfristig zu schrumpfen. Ein wichtiger Hebel für die Zukunftssicherung ist die Förderung von Innovationen – sowohl technologisch als auch institutionell.
Zentral ist aber auch eine korrekte Analyse der Ursachen für die aktuellen Probleme. Die anhaltende Stagnation der deutschen Wirtschaft der vergangenen Jahre ist nicht auf überhöhte Lohnkosten oder hohe Sozialausgaben zurückzuführen. Das ergibt sich aus der Analyse der Entwicklungen in den vergangenen zwei Jahrzehnten: Von der Jahrtausendwende bis zur Covid-Pandemie wuchs Deutschlands Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ähnlich jenem der USA und deutlich stärker als bei den europäischen Partnern. Seitdem hat es keine massiven Veränderungen in der Lohnposition, der Bürokratie oder der Sozialausgaben Deutschlands gegeben.
Neue Rahmenbedingungen
Was sich stattdessen deutlich geändert hat, sind die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Sie sind heute stark geprägt durch einen sich zuspitzenden Machtkampf zwischen den beiden wichtigen Handelspartnern China und USA. Beide verfolgen aggressive Industriepolitiken, die Importe durch heimische Produktion ersetzen sollen. Parallel dazu hat die Energiekrise, ausgelöst durch die russische Invasion in die Ukraine, die Produktionskosten deutlich erhöht und Investitionen behindert.
Deutschland hat bei der Innovationsfähigkeit nach wie vor eine starke Basis, wie beispielsweise eine Studie des österreichischen Wipo-Instituts zeigt: Im Jahr 2024 hatte das Land nach China und den USA die dritthöchste Anzahl an Wissenschafts- und Technologieclustern weltweit. Doch diese Basis muss ausgebaut werden, um in der globalen Konkurrenz zu bestehen. Und die schönste Innovationsstrategie läuft ins Leere, wenn nicht parallel eine andere Gefahr gebannt wird: Ohne eine gezielte wirtschaftspolitische Strategie droht der industrielle Kern Deutschlands wegzubrechen. Dies würde nicht nur die wirtschaftliche Stabilität Deutschlands, sondern auch die des gesamten Euroraums gefährden.
Neue Lösungen nötig
In der Debatte über die aktuelle schwache Wirtschaftslage und mögliche Lösungsansätze heißt es oft, es dürfe in Deutschland kein `Weiter so wie bisher´ geben. Das stimmt, tatsächlich haben sich innerhalb weniger Jahre ganz neue Rahmenbedingungen ergeben, wir sind wirtschaftspolitisch in einer neuen Welt. Gerade deshalb brauchen wir auch neue Lösungen.
Diese Anforderung wird verfehlt, wenn Herausforderungen durch aggressive Industriepolitik in China und den USA sowie das Risiko eines globalen Handelskrieges mit Debatten über vermeintlich überhöhte Sozialausgaben oder falsche Anreize für Bürgergeldempfänger:innen begegnet wird. Dadurch geht nicht nur Zeit verloren, ein wirtschaftspolitisch falscher Druck auf Löhne und soziale Sicherung kann auch die Binnennachfrage als wichtigen Stabilitätsanker weiter schwächen.
Eine Art Agenda 2010 in neuer Verpackung, wie sie von konservativer und wirtschaftsliberaler Seite vorgeschlagen wird, würde mehr schaden als nutzen. Das gleiche gilt für das Festhalten an der Schuldenbremse, die in ihrer aktuellen Form dringend notwendige Investitionen, Wachstum und Modernisierung verhindert, obwohl Deutschland mit Abstand die niedrigste Staatsverschuldung unter den Ländern der G7 hat. Ein weiteres Beispiel für eine falsche Schwerpunktsetzung ist der zu zögerliche Zinssenkungskurs der Europäischen Zentralbank in einer Phase, in der die Inflationsgefahren gebannt sind und insbesondere die deutsche Wirtschaft durch zu hohe Zinsen ausgebremst wird.
Das aktuelle Problemknäuel lässt sich nur durch entschlossenes Handeln der nächsten Bundesregierung auflösen, das die folgenden Schwerpunkte setzt:
Binnenwirtschaft und Infrastruktur modernisieren
Die Modernisierung der Infrastruktur – von Verkehrswegen über digitale Netze bis hin zu Bildungseinrichtungen – ist essenziell, um private Investitionen anzustoßen. Besonders in einer Phase schwacher Exporte müssen öffentliche Investitionen zudem die Binnennachfrage stützen und die Grundlage für nachhaltiges Wachstum schaffen.
Energiepreise stabilisieren und senken
Ein Brückenstrompreis, der für eine Übergangszeit gedeckelte Strompreise garantiert, kann Unternehmen die nötige Planungssicherheit bieten. Parallel dazu sollten die Finanzierungskosten für den Netzausbau durch staatliche Beteiligungen gesenkt werden, um langfristig wettbewerbsfähige Energiepreise zu sichern.
Industriepolitik und strategische Investitionen
Eine aktive Industriepolitik ist unverzichtbar, um strategische Sektoren wie Elektromobilität, Batterietechnologien und Halbleiterproduktion zu fördern. Gleichzeitig sollten europäische Initiativen wie ein Investitionsfonds genutzt werden, um die Innovationskraft in der EU zu stärken und von der globalen Transformation zu profitieren. Die EU-Handelspolitik muss offen, aber wehrhaft reagieren, wenn insbesondere China und die USA in einem ökonomischen Ringen „um die globale Vorherrschaft“ zunehmend Regeln der Welthandelsorganisation ignorieren.
Die Wirtschaftspolitik sollte insbesondere in Deutschland darauf ausgerichtet sein, neben der notwendigen Förderung des Dienstleistungssektors dem verarbeitenden Gewerbe zu helfen, Technologieführerschaft zu verteidigen oder zurückzugewinnen, die Absatzmärkte zu diversifizieren, neue Wachstumsmärkte zu erschließen und die Voraussetzungen für eine strategische Autonomie in Europa zu schaffen. Die Forschung zeigt, dass sich moderne Industriepolitik innovations- und wettbewerbsorientiert gestalten lässt und Mitnahmeeffekten vorgebeugt werden kann.
Bildung und Fachkräfte
Demografische Veränderungen führen zu einem Rückgang des Arbeitskräfteangebots. Umso wichtiger ist es, die Qualifikation der bestehenden Arbeitskräfte zu verbessern und gezielt Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen. Bildungs- und Weiterbildungsinitiativen müssen gefördert werden, um den Anforderungen der digitalen und ökologischen Transformation gerecht zu werden.
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