Was verstehen Sie konkret unter Nudging?
Nudging ist die englische Bezeichnung für Stups. Es basiert auf der Annahme, dass Menschen nur bedingt rationale Akteure sind. Man spricht auch von Bounded Rationality: Bei unseren Entscheidungen lassen wir uns beispielsweise von Emotionen und früheren Erfahrungen beeinflussen. Das hat zur Folge, dass wir nicht immer die rational beste Wahl treffen.
Gibt es zum Nachtisch zur Auswahl Kuchen und Obst, so wäre Obst sicherlich gesünder – manchmal haben wir aber einfach Lust auf Kuchen. Beim Nudging wird versucht, Entscheidungen zu beeinflussen, ohne die Wahlmöglichkeiten einzuschränken oder zu verändern. Weder wird der Kuchen verboten noch werden Belohnungen für den Verzicht auf Kuchen geschaffen.
Stattdessen wird die Entscheidungsumgebung so verändert, dass der für uns einfachste Weg mit der rational besten Entscheidung, also dem Obst, übereinstimmt. Das könnte zum Beispiel passieren, indem das Obst in der Kantine auf Sichthöhe platziert wird, während man sich für Kuchen bücken muss. Man bezeichnet das auch als Standardeinstellung, die aber veränderbar ist. So werden wird in die „richtige“ Richtung „gestupst“. Daher der Begriff nudgen.
Die Annahme ist, dass wir so eher die Entscheidung treffen, die wir selbst wählen würden, wären wir frei von Emotionen und kognitiven Verzerrungen. Das wird auch mit dem Begriff AJBT-Kriterium bezeichnet: „better off as judged by themselves“. Nudging gibt es im Prinzip überall. Die Forschenden Thaler und Sunstein haben mit ihrer wissenschaftlichen Aufarbeitung des Prinzips große Aufmerksamkeit erlangt, auch wenn sie den Begriff nicht erfunden haben.
Könnten Sie ein konkretes Beispiel nennen, wie dieses in Hinblick auf Transfer & Innovation genutzt werden könnte?
Nudging hat verschiedene Formen. Wir haben schon kurz über Standardeinstellungen gesprochen. Eine weitere Form ist „Social Influence“, dem das menschliche Streben nach sozialer Anerkennung zu Grunde liegt und das auch im Kontext von Transfer und Innovation hilfreich sein kann.
Ein konkretes Beispiel dafür sind Tiny Compliments. Das sind kleine Komplimente, die als eine Form sozialer Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Verhalten, beispielsweise Transferaktivitäten, gelten können. Tiny Compliments funktionieren nach dem Prinzip der operanten Konditionierung: Wenn wir für ein Verhalten gelobt werden, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass wir das Verhalten wiederholen.
Operante Konditionierung funktioniert besonders gut, wenn das Lob möglichst zeitnah nach dem Verhalten erfolgt und außerdem von einer Person getätigt wird, die für uns persönlich wichtig ist, beispielsweise Vorgesetzte. Erfolge von Transferaktivitäten zeigen sich erst in der Zukunft, was dazu führen kann, dass die Motivation zu Transferarbeiten – was in erster Linie Mehrarbeit in der Gegenwart bedeutet – gering bleibt. Mit den Tiny Compliments kann der Erfolg in Form von sozialer Anerkennung in die Gegenwart geholt werden.
Wir testen das gerade in unserem Projekt TRANSENTIVE an einem Fraunhofer Institut, indem eine Gruppe von Führungskräften ihren Mitarbeitenden regelmäßig Tiny Compliments ausgesprochen haben. Unter anderem zu Transferaktivitäten. Wir haben dabei verschiedene Formen betrachtet, also zum Beispiel schriftliche Komplimente sowie mündliche Komplimente. Die Ergebnisse sind bisher sehr vielversprechend: Das Loben hat Spaß gemacht und konnte vermutlich zur Motivation für Transferaktivitäten beitragen. Wir möchten dieses Experiment gerne noch in weiteren Kontexten testen, um gesicherte Aussagen über die Effekte von Tiny Compliments machen zu können.
Warum wird Nudging noch nicht ausreichend in Transferprozessen genutzt?
Das hat mehrere Gründe. Zunächst ist die Abgrenzung von Nudging und anderen Einflussfaktoren in Transferprozessen schwierig, was wiederum die systematische Evaluation schwierig macht. Zudem sind Transferaktivitäten in der Regel komplex: Mehrere Personen sind beteiligt, die Auswirkungen liegen in der Zukunft. Das macht die Entscheidungen für oder gegen Transferaktivitäten ebenfalls komplex – insbesondere, da die Erfolge von Transferaktivitäten oftmals mit unsicherem Ausgang verbunden sind.
Nudging ist eigentlich eher für weniger komplexe Entscheidungen geeignet, insbesondere für die vielen automatischen und unbewussten Alltagsentscheidungen. Also für die Entscheidung Obst oder Kuchen. Das kann die Effekte von Nudging für den Transfer begrenzen. Nudging sollte nicht alleinig für die Transfermotivation sorgen – wir denken aber, dass es eine sinnvolle Ergänzung sein kann und zusätzlich noch positive Nebeneffekte mitbringt. Komplimente verbessern beispielsweise das Arbeitsklima und haben positive Effekten auf das mentale Wohlbefinden von Sender:innen und Empfänger:innen. Daher sind wir überzeugt: Loben lohnt sich!
Der Begriff Nudging ist nicht ganz unumstritten, da die Form der Entscheidungskonstruktion missbraucht werden kann. Was ist Ihrer Ansicht nach wichtig, um dies zu verhindern?
Wenn es um die Beeinflussung von Entscheidungen geht, kommen schnell ethische Bedenken auf. Nach der Definition von Thaler und Sunstein soll Nudging uns dabei helfen, diejenige Entscheidung zu treffen, die objektiv am besten ist. Aber wer entscheidet für uns, was die „richtige“ Entscheidung ist? In einigen Fällen ist das sicherlich eindeutig, in anderen Fällen hingegen nicht.
Wir denken daher, dass man diese Frage nicht pauschal beantworten kann. Nudging verstärkt bestehende Anreize. Damit ist es keine Einladung zur Manipulation, sondern die Bewertung und normative Einordnung einer Entscheidung findet vielmehr an anderer Stelle statt. Jeder Einzelfall sollte durch die Verantwortlichen auf die ethische Vertretbarkeit geprüft und transparent mit den Betroffenen kommuniziert werden. Damit liegt die Verantwortung dort, wo über die Intervention entschieden wird. Nudging selbst kann sehr wirksam und – wo verantwortungsbewusst eingesetzt – hilfreich sein, um Veränderungsprozesse zu unterstützen, zum Beispiel auch in Organisationen.
Weitere Informationen finden Sie im Magazin Transfer & Innovation im Beitrag „Nudging für Transfer und Verwertung“.
Kommentar verfassen