Innovationen sind ein wichtiger Indikator für Wohlstand und Fortschritt in wissensbasierten Volkswirtschaften. Zwar werden diese nicht ausschließlich in neu gegründeten Unternehmen entwickelt bzw. angewendet, jedoch bieten Unternehmensneugründungen einen günstigen Rahmen für die Entwicklung und Vermarktung innovativer Produkte und Dienstleistungen. Innovative Start-ups leisten so einen wichtigen Beitrag zur ökonomisch-technologischen Wettbewerbsfähigkeit und potenziell auch zur Bewältigung sozialer, klimatischer und anderer gesellschaftlicher Herausforderungen. Im Sinne einer zukunftsträchtigen Wirtschafts- und Gesellschaftsgestaltung ist es unerlässlich, die Potenziale innovativer Unternehmer:innen zu fördern und die Rahmenbedingungen für innovative Gründungen kontinuierlich zu verbessern.
Obwohl es in Deutschland vielfältige Unterstützungsangebote für innovative Start-ups gibt, zeigt sich mit Blick auf innovative Gründer:innen mit eigener Migrationserfahrung eine ernstzunehmende Lücke. Diese sind zahlenmäßig deutlich unterrepräsentiert: Nur rund drei Prozent der innovativen, das heißt Forschung und Entwicklung betreibenden Unternehmensgründungen werden hierzulande von Gründer:innen mit Migrationserfahrung getätigt, während der Anteil an allen Unternehmensgründungen von Migrant:innen bei rund 16 Prozent liegt. Durch diese Lücke geht mutmaßlich viel innovatives Potenzial verloren, wie ein Blick in die USA zeigt: 66 Prozent der dort ansässigen Firmen im Bereich Künstliche Intelligenz wurden von Migrant:innen (mit-)gegründet. Gleiches gilt für mehr als die Hälfte jener Start-ups, deren Marktwert die 1-Milliarden-Dollar-Grenze überschritten hat (sogenannte Unicorns).
Solch beeindruckende Zahlen sind vor dem Hintergrund der US-amerikanischen Start-up-Ökosysteme und der speziellen Gründungskultur nicht überraschend. Sie unterstreichen aber auch, dass Gründer:innen mit eigener Migrationserfahrung für die Etablierung innovativer Firmen besondere Fähigkeiten und Kompetenzen mitbringen: Sprachkenntnisse, Wissen über internationale Märkte, Zugang zu internationalen beruflichen Netzwerken und Erfahrungen mit anderen Gründungskulturen. Neben diesen Fähigkeiten und Kompetenzen gibt es jedoch auch spezielle Voraussetzungen, die die Gründung eines innovativen Unternehmens für Migrant:innen erschweren können. Diese Rahmenbedingungen wurde in unserer Studie „Innovative Gründer:innen mit Migrationserfahrung in Deutschland“ auf Basis von Interviews mit Unternehmer:innen und Gründungsberater:innen systematisch erhoben.
Herausforderungen für innovative Gründer:innen mit Migrationserfahrung
Vor allem fehlende Offenheit gegenüber migrantischen Gründer:innen, Sprachbarrieren und ein mangelhaftes Informationsangebot können den Gründungsprozess behindern oder gar bewirken, dass potenzielle Gründer:innen mit Migrationserfahrung abwandern, um in anderen Ländern ihre innovative Ideen zu verwirklichen. In vielen Start-up-Ökosystemen fehlt es hierzulande an Erfahrung im Umgang mit innovativen Gründer:innen mit Migrationserfahrung, so dass die spezifischen Herausforderungen dieser Gründergruppe kaum wahrgenommen und adressiert werden.
Start-up-Ökosysteme hierzulande stehen mit anderen Gründungssystemen in Europa und weltweit im Wettbewerb. Diese bieten zum Teil bessere Gründungsbedingungen als Gründungsstandorte in Deutschland. Um konkurrenzfähig zu bleiben, sollte man daher neben der Verbesserung der allgemeinen Gründungsbedingungen auch die Adressierung der spezifischen Herausforderungen für innovative Migrant:innen anstreben.
Hinzu kommt, dass die meisten Gründer:innen mit eigener Migrationserfahrung sich vor der Gründung ihres Unternehmens bereits aus beruflichen oder privaten Gründen in Deutschland angesiedelt haben. Gründer:innen, die nach Deutschland migrieren, um hier ihre innovativen Unternehmen aufzubauen, sind eher die Ausnahme. Um diese Migrant:innen zu einer innovativen Unternehmensgründung in Deutschland zu bewegen, bedarf es einer Reihe von Anpassungen in deutschen Start-up-Ökosystemen.
Anstoß zur Förderung innovativer Gründer:innen
In unserer Studie formulieren wir diverse Handlungsempfehlungen, die darauf abzielen, die Bedarfe innovativer Migrant:innen zu adressieren und Akteure in Start-up-Ökosystemen für die Bedürfnisse dieser Gründergruppe zu sensibilisieren. Diese umfassen:
- Ansprache potenzieller Gründer:innen an deutschen Hochschulen durch (Studien-)Programme und Vernetzungsangebote: Obwohl Studierende aus dem Ausland einen signifikanten Teil der Studierenden in Deutschland ausmachen und sie oft ein großes Gründungsinteresse haben, gründen Personen mit Migrationserfahrung hierzulande nur selten innovative Unternehmen. Um Absolvent:innen aus dem Ausland zu einer innovativen Gründung zu ermutigen, bedarf es der Vermittlung von unternehmerischem Wissen und von Kompetenzen während des Studiums sowie der Begleitung bei der Entwicklung innovativer Ideen. Die Voraussetzung dafür wäre – und so ist es in anderen Ländern wie den USA, Großbritannien und Niederlande üblich –, praktisches Wissen zu Unternehmensgründungen und -entwicklung bereits im Studium zu vermitteln und entsprechende Angebote zur Ausarbeitung innovativer Ideen hin zu einem innovativen Unternehmen zu realisieren.
- Entwicklung von Förderansätzen, die Gründer:innen ungeachtet ihrer Migrationserfahrungen ansprechen: Gerade bei der Verbesserung von Rahmenbedingungen in Start-up-Ökosystemen sollte davon abgesehen werden, Maßnahmen umzusetzen, die bei der Förderung innovativer Unternehmen nur auf Personen mit „Migrationshintergrund“ oder Ausländer:innen ausgerichtet sind. Solche besonderen Programme führen mitunter zur Ausgrenzung dieser Gründer:innen. Darüber hinaus wünschen diese sich auch gar keine speziellen Programme, da sie sich erstens vor allem als Gründer:in sehen und nicht als Migrant:in bzw. Person mit „Migrationshintergrund“, und zweitens die „ethnische“ Komponente bei den innovativen Produkten und Dienstleistungen kaum eine Rolle spielt. Diese Empfehlung gilt speziell für innovative Gründungen. Bei weniger innovativ ausgerichteten Unternehmen von Migrant:innen könnten gruppenspezifische Ansätze und Förderlinien hingegen sinnvoll sein.
- Internationalisierung der Gründungsberatung: Gründungsberatung zu internationalisieren bedeutet, sich bei der Beratung innovativer Gründer:innen sprachlich und kulturell zu öffnen. Solch ein Schritt ist nicht nur für Gründer:innen mit Migrationserfahrung wichtig, sondern generell für alle Gründer:innen, die ihre Unternehmen internationalisieren wollen. Durch die Einstellung von Berater:innen mit Migrationserfahrung oder internationalen Erfahrungen (z. B. Auslandsstudium, Arbeitserfahrung im Ausland) können Gründungsberatungen sich hier besser aufstellen. Internationale Gründungsberatungen können nicht nur Gründer:innen in verschiedenen Sprachen beraten, sondern haben auch interkulturelle Fähigkeiten und eine Offenheit für andere Zugänge zu Gründungen und Geschäftspraktiken. Eine Berücksichtigung solcher Bewerber:innen bei der Einstellung setzt allerdings eine gewisse Offenheit gegenüber diversen Studien- und Erwerbsbiografien voraus. Unverzichtbar ist, dass die Person eine Expertise bezüglich innovativer Gründungen vorweist. Auf welche Weise diese entwickelt wurde, sollte jedoch im Bewerbungsprozess nicht an spezifischen Abschlüssen oder Lebensläufen festgemacht werden.
- Informationen und Ausschreibungen in englischer Sprache: Informationen zur Gründung eines innovativen Unternehmens sowie Ausschreibungen für Förderlinien sollten übersetzt und stets aktuell in englischer Sprache vorliegen. Darüber hinaus sollten Anträge und Bewerbungen für staatliche Förderprogramme in englischer Sprache akzeptiert werden. Damit reduziert man den Aufwand für Gründer:innen mit Migrationserfahrung und erhöht die Chancen einer erfolgreichen Unternehmensgründung.
- Aktive Einbindung von Gründer:innen mit Migrationserfahrung in Start-up-Ökosysteme: Gründer:innen mit Migrationserfahrung verfügen über Kompetenzen und Erfahrungen, die nicht nur für ihr eigenes Unternehmen hilfreich sein können, sondern auch für andere Gründer:innen. Daher sollte es Gründer:innen mit Migrationserfahrung ermöglicht werden, ihr Wissen und ihre Expertise zu teilen. Beispielsweise könnten auf Netzwerkveranstaltungen in Gründungsregionen Personen mit Migrationserfahrung besonders berücksichtigt und eingeladen werden, ihre Erfahrungen zu teilen und anderen Gründer:innen als Ansprechpartner:innen zur Seite zu stehen. Dabei sollte gerade nicht ihr „Anderssein“ in den Vordergrund rücken, sondern vielmehr ihre ergänzenden Kompetenzen und Perspektiven.
Innovative Unternehmer:innen sind wichtige Treiber bei der gesellschaftlichen Transformation, da sie für aktuelle und zukünftige Herausforderungen Lösungen entwickeln. Aus diesem Grund ist es wichtig, innovative Gründer:innen zu fördern und Rahmenbedingungen für das innovative Gründen zu stärken. Gerade die Stärkung des ungenutzten Potenzials von Gründer:innen mit Migrationserfahrung ist ein politisches Anliegen, da die grenzüberschreitende Mobilität von Menschen keine Ausnahme, sondern ein Merkmal und eine Stärke der europäischen Gesellschaften ist. Mit der Verbesserung der Gründungsrahmenbedingungen fördern Politiker:innen und Praxispartner nicht nur Deutschland als Gründungsregion, sondern ebenfalls die Integration von Migrant:innen und die Diversität in Start-up-Ökosystemen.
Die Studie „Innovative Gründer:innen mit Migrationserfahrung in Deutschland“ entstand in Kooperation mit der Universität Jena als Teil der Bertelsmann Stiftungs-Projekte „Innovationskraft stärken. Potenziale erschließen.“ und „Migration fair gestalten“ und bearbeitet eine Fragestellung der internationalen Recherchen im Rahmen des aktuellen Reinhard Mohn Preises.
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