Building back better – nur ein Slogan?
Die Covid-19-Pandemie hat zur tiefsten wirtschaftlichen Rezession seit Menschengedenken geführt, mit einem weltweiten BIP-Rückgang von etwa 3½ Prozent im Jahr 2020. Und zugleich mit der Erwartung, dass viele Länder erst im Jahr 2022 – wenn überhaupt – wieder das Vorkrisenniveau der wirtschaftlichen Aktivität erreichen werden. Der Wiederaufbau unserer Volkswirtschaften, die Unterstützung angeschlagener Unternehmen, um wieder auf die Beine zu kommen, und die Bewältigung der potenziell „vernichtenden“ Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt werden unsere gesamten Anstrengungen erfordern.
Aber es wird nicht ausreichen, einfach nur dorthin zurückzukehren, wo wir einmal waren: Es wird immer deutlicher, dass wir uns auch dringend mit den Herausforderungen des Klimawandels auseinandersetzen müssen, um gleichzeitig auch eine integrativere und widerstandsfähigere Gesellschaft zu schaffen. Diese Motive werden gemeinsam durch das Konzept der OECD „Building back better“ adressiert. Aber ist das nur ein Slogan? Und wie werden wir diesen „besseren Wiederaufbau“ erreichen?
Wir brauchen Wachstum, um die Zukunft zu finanzieren, unsere Schulden abzubauen und integrativere Gesellschaften zu schaffen
Wir brauchen Wirtschaftswachstum – dargestellt in unseren BIP-Zahlen –, um Konsum und Investitionen zu finanzieren und die Steuereinnahmen für die Regierungen zu erhöhen, damit diese unter anderem für Wohlfahrt, Gesundheit, Bildung und öffentliche Infrastruktur ausgegeben werden können. Wir brauchen auch Wirtschaftswachstum, damit wir anfangen können, die Schulden abzubauen, die wir während der Covid-19-Pandemie angehäuft haben, als die Regierungen einsprangen und unsere Gesellschaften unterstützten. Und wir brauchen Wirtschaftswachstum, um widerstandsfähigere und integrativere Gesellschaften aufzubauen, in denen der Einzelne die richtigen Qualifikationen und Fähigkeiten erwerben und die Chancen nutzen kann, die sich ihm auf dem Arbeitsmarkt bieten.
Innovation als wichtiger Motor des Wirtschaftswachstums
Da viele hoch entwickelte Länder mit einer schnell alternden Bevölkerung konfrontiert sind – die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter ist in vielen Ländern entweder stagnierend oder sogar rückläufig, da die Babyboomer nun das Rentenalter erreichen (mit Japan, Italien und Deutschland an der Spitze des Trends) –, wird das Wirtschaftswachstum zunehmend von Produktivitätssteigerungen und der Schaffung neuer Märkte abhängen. Und dies wiederum beruht auf Innovationen – entweder in Form von Prozess- oder disruptiven Innovationen. Letztere schaffen neue Märkte und ermöglichen es so den Volkswirtschaften bzw. den Gesellschaften, sich in neue Richtungen zu entwickeln, mit potenziellen Vorteilen für Verbraucher und Produzenten gleichermaßen.
Nicht alle Gesellschaften sind jedoch gleichermaßen befähigt, disruptive Innovationen zu erzeugen. Dazu braucht es ein unterstützendes Ökosystem, das es angehenden Startups leicht macht, ein neues Unternehmen zu gründen, Talente anzuziehen, zu halten und die Finanzierung für Wachstum und Expansion zu bekommen – vom Startup bis zum Scaleup. Dieser letzte Punkt ist entscheidend: Unternehmen benötigen in der Regel eine gewisse Größe, um Märkte zu verändern, eine gute Idee allein reicht nicht aus.
Dies ist eine Lektion, die sich die Europäische Union zunehmend zu Herzen nimmt, da sie versucht, mit den Vereinigten Staaten (und in geringerem Maße mit China) als Drehscheibe für disruptive Innovationen gleichzuziehen. In den Augen der europäischen Politiker haben sich bisher zu viele vielversprechende europäische Unternehmen an die US-Kapitalmärkte gewandt, um ihre Ambitionen zu finanzieren. Biontech, das deutsche Pharmaunternehmen, das für die Entwicklung des ersten zugelassenen Covid-19-Impfstoffs bekannt ist, ist nur einer der prominenteren Fälle der jüngsten Zeit.
Um dieses Problem anzugehen, hat die Europäische Kommission eine Reihe von Initiativen gestartet, die sich mit der Finanzierung von Startups befassen, indem sie den Austausch von „Best Practices“ zwischen den Mitgliedsstaaten fördern, die Vollendung der Kapitalmarktunion vorantreiben und sogar Zuschussfinanzierungen in vielversprechende Startups anbieten, um nur einige zu nennen.
In einem kürzlich erschienenen Policy Brief der Bertelsmann Stiftung „From Scale to Purpose?“ haben mein Kollege Jake Benford und ich diese Initiativen näher untersucht. Unser Fazit: Die EU ist auf dem richtigen Weg, aber die verfügbaren Mittel werden wahrscheinlich nicht ausreichen, um mit den leistungsstarken und liquiden US-Kapitalmärkten zu konkurrieren, die von den großen institutionellen Investoren wie Pensionsfonds profitieren, die in der Europäischen Union mehr oder weniger fehlen. Größe spielt hier eindeutig die entscheidende Rolle.
Und ohne noch ehrgeizigere europäische Initiativen, wie der Aufbau eines europäischen Staatsfonds, der in europäische Startups investiert, würde das erforderliche Volumen wahrscheinlich unerreichbar bleiben, um die erwünschte Generation neuer europäischer „Einhörner“, also Startups im Wert von 1 Milliarde Dollar, zu ermöglichen.
Es zählt nicht nur das BIP
Aber vielleicht gibt es bei Startups mehr als nur die Schaffung von Einhörnern – genauso wie es mehr für Wohlstand und Wachstum braucht, als es das BIP ausdrückt und wie es das Motto „Building back better“ versteht. Diese Einsicht ist nicht neu; die von der OECD eingesetzte High Level Expert Group on the Measurement of Economic Performance and Social Progress hat ihre Erkenntnisse beispielsweise in der 2018 erschienenen, wegweisenden Publikation Beyond GDP vorgestellt. Das BIP ist ein großartiger Indikator, kann aber nicht alle komplexen gesellschaftlichen, ökologischen und anderen Faktoren erfassen, die für uns Menschen von Bedeutung sind.
Innovationen mit Sinn
Wenn es für das Wohlergehen der Menschheit mehr bedarf als des BIP-Wachstums, sollten europäische Regierungen ihre Startups vielleicht mehr dazu ermutigen, ihre Aufmerksamkeit auf die Bewältigung gesellschaftlicher, ökologischer und anderer Herausforderungen zu richten, die wirklichen „Wohl-Stand“ steigern, anstatt den „Einhorn-Status“ zu erlangen? Jake Benford und ich kommen in der erwähnten Studie zu dem Fazit, dass dieser Ansatz auch deshalb einen besonderen Charme hat, da er einen potenziellen Nachteil für europäische Startups in einen klaren Vorteil verwandeln könnte.
Anstatt der neuesten markt-revolutionären App hinterherzujagen, mit der vielleicht das Buchen einer Show oder die Auswahl des freitagabendlichen Imbisses mehr Spaß macht, könnten europäische Startups darauf abzielen, reale Bedürfnisse zu lösen; wie zum Beispiel die Ökologisierung des Wohnungsbaus, die Bereitstellung hochwertiger und erschwinglicher Langzeitpflege für die schnell alternde Bevölkerung, das Angebot von Schulungen und Bildung für Benachteiligte oder die Verbesserung der Luftqualität in dicht besiedelten Stadtgebieten. Sie könnten auf diese Weise sogar eine globale Nachfrage nach ihren Lösungen erzeugen, da die meisten Gesellschaften mit den gleichen Herausforderungen zu kämpfen haben. Und auf diesem Weg die Gesellschaft in eine positive Richtung revolutionieren. So wie die junge Impact-Investment-Branche allmählich an Zugkraft gewinnt, könnten sich vielleicht auch europäische Startups unter diesem Leitmotiv ihren eigenen Weg bahnen? Denn in der Tat sind solche Startups wahrscheinlich die Voraussetzung, um Slogans in echten Fortschritt zu verwandeln.
Eine englische Version dieses Artikels ist auf www.economicsense.co.uk/news erschienen.
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